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Zwölftes Kapitel.

Nach mehrtägigem anstrengendem Ritte hatte Joaquin das Hochgebirge der Kordilleren ohne weiteren Unfall glücklich hinter sich und befand sich in Argentinien. Sein Weg führte ihn zunächst nach Mendoza; dahin hatte er Empfehlungen von Echauren.

Roca, ein unversöhnlicher Gegner der Spanier, ein reicher Gutsbesitzer, empfing den jungen Rosales mit offenen Armen.

Nach kurzem Aufenthalte auf der Hazienda Rocas schloß sich Joaquin den aufständischen Argentiniern an. Ein bewegtes Leben begann nun für den jungen Mann. Die Taktik der Aufständischen bestand in einer fortgesetzten Belästigung des Gegners. Joaquin, der mehr und mehr mit den Führern des Aufstands persönlich bekannt und von diesen seiner Charaktereigenschaften sowohl als auch seines oft bewiesenen Mutes wegen geschätzt wurde, erhielt nach eineinhalbjährigem Felddienste den selbständigen Befehl über eine kleine Truppe von Gauchos. Mit diesen kühnen Reitern machte er Streifzüge bis vor die Tore von Buenos-Aires. Auf allen Seiten bedrängt, aus dem flachen Lande vertrieben, blieb den Spaniern nichts anderes mehr übrig, als sich in der Abwehr zu halten. Die Staaten von Rio de La Plata waren Ende Juli 1816 tatsächlich nicht mehr Spaniens Krone untertan. Im Heere der Argentinier kämpften viele Chilenen. Als die Hauptaufgabe der ersteren erreicht war, galt es, den letzteren zu helfen. Beide Brudervölker hatten gleiches Streben gemein. Das spanische Heer hatte sich, um Chile nicht preiszugeben, bei Chacabuco gesammelt. Die vereinigten Argentinier und Chilenen, die den Spaniern stets hart auf den Fersen waren, begannen am 12. Februar 1817 die Schlacht, die mit einer Niederlage der Spanier endigte. Joaquin hatte an dem Kampfe teilgenommen und eine Reihe von Gegnern zu Gefangenen gemacht. Bei ihrer Ablieferung an das Generalkommando am Tage nach der Schlacht vernahm er, daß spanischerseits ein Anschlag auf Juan-Fernandez geplant sei, um die daselbst gefangen gehaltenen chilenischen Vaterlandsfreunde vollkommen unschädlich zu machen. Die schwere Sorge um die Seinen, die den jungen Mann bei dieser Nachricht überfiel, wich rasch einer gewissen Beruhigung, als Joaquin mitgeteilt wurde, daß bereits ein Abgesandter der Sieger mit einem spanischen Zwischenhändler unterwegs sei, der, um allen finsteren Plänen der spanischen Generale von vornherein zu begegnen, sofort die nötigen Schritte zur Befreiung sämtlicher Gefangener einleiten sollte; an dem Erfolge sei nicht zu zweifeln.

Mit dem Siege bei Chacabuco war die Macht des Feindes noch nicht endgültig gebrochen. Die Spanier zogen sich südwärts. Beide Teile waren vorläufig durch die großen Verluste zu sehr geschwächt, um mit Erfolg zum letzten entscheidenden Schlage ausholen zu können. Der Bitte Joaquins um einen kurzen Urlaub konnte daher von der chilenischen Heeresleitung Ende März entsprochen werden. Er wollte die Zeit der Ruhe dazu benützen, die Seinen, die er nun seit Jahr und Tag nicht mehr gesehen hatte, zu ihrer endlichen Befreiung zu beglückwünschen, sie selbst in Valparaiso bei ihrer Landung zu begrüßen. So eilte Joaquin auf dem kürzesten Wege nach der Hafenstadt.

Trotz dem ungestümen Verlangen seines Herzens, so bald als nur möglich in Valparaiso zu sein und dort lieber noch einige Tage auf das Eintreffen des Schiffes von der Insel zu warten, als nur eine Minute zu spät zu kommen, konnte es sich Joaquin nicht versagen, nach seinem alten Gastfreunde Don Felipe Echauren zu sehen; sein Weg führte ja sowieso in der Nähe von dessen Gut vorbei. So ritt er auf seinem treuen Rosse, demselben noch, das ihm Don Ramon Alvarez einst geschenkt, der Hazienda seines Freundes zu. Schon von weitem sah er, daß äußerlich alles noch gleich war wie vor zwei und einem halben Jahr. Da lag noch wie früher das Haus friedlich in seiner grünen Umrahmung; schmuck und einladend wirkte es wieder auf den Reiter wie einst. Welch ein Unterschied aber heute in den Gefühlen Joaquins gegen diejenigen bei seiner früheren Reise nach Valparaiso! Heute galt der Ritt der Befreiung seines Vaters, seiner Schwester, und damals? Er mochte jetzt in seiner großen Freude die traurigen Gedanken von einst nicht wieder aufleben lassen; ein Gefühl unendlichen Dankes gegen das Geschick, das alles so wunderbar zum Guten geführt hatte, bewegte den jungen Mann.

In dieser Stimmung fiel ihm die eigenartige Stille nicht auf, die in dem Hause herrschte, als er, bei diesem angelangt, aus dem Sattel stieg. Ein Mann in mittleren Jahren trat aus der Türe, erstaunt auf den sonnverbrannten Fremden in der kriegerischen Tracht blickend.

»Ist Don Felipe zu Hause?« fragte Joaquin höflich.

»Nein!« war die kurze Antwort.

»Wie schade!« rief Joaquin mit aufrichtigem Bedauern. »Aber vielleicht Frau Ines und die Kinder?«

»Darf ich fragen, wer Ihr seid?« entgegnete der Angeredete. »Ihr scheint die Familie zu kennen.«

»Mein Name ist Joaquin Rosales«, stellte sich dieser vor, unangenehm berührt durch die Art des Empfangs.

»Joaquin Rosales!« wiederholte der Mann, wobei ein plötzliches Leuchten des Verständnisses über sein Gesicht flog. »Seid willkommen, Don Joaquin, tretet ein! Ich bin der Bruder Don Felipes; Felix ist mein Name.«

»Wo ist Euer Bruder?«

»Meinen Bruder hat Gott letzte Woche zu sich gerufen; er starb nach langer, schwerer Krankheit«, antwortete Don Felix traurig, Joaquin einen Stuhl zuschiebend und ihn mit einer Handbewegung zum Sitzen einladend.

»O heilige Jungfrau, ist dies möglich?« rief der junge Mann erschrocken. Es befiel ihn bei dieser unerwarteten Botschaft ein leises Zittern, so wuchtig hatte sie ihn getroffen. »Und Frau Ines, die lieben Kinder? O Gott, wie traurig!« stammelte er nach einiger Zeit schmerzlichen Nachdenkens vor sich hin.

»Die ganze Familie ist in Quillota beim Vater; ich selbst verwalte einstweilen das Gut des Bruders. Doch, Don Joaquin, gestattet mir zuerst, die Pflichten des Gastgebers zu erfüllen! Nachher will ich Euch erzählen, wie all das Schwere uns traf.«

Damit ging Don Felix hinaus und kam bald mit einem Diener zurück, der einige Speisen und Wein auf den Tisch stellte.

»Zunächst greift zu, tapferer Freund! Ich habe schon so viel von Euch gehört«, sagte Don Felix, den Gast aufmunternd. »Ihr kommt wohl, wie ich vermute, von Chacabuco?«

»Ja, ich kämpfte dort mit.«

»Die Nachricht vom Siege unserer Landsleute war die letzte große Freude meines Bruders. In dem Bewußtsein, Chile nun frei zu wissen, ist er in Frieden gestorben.«

Während der junge Mann auf dringende Bitten Don Felix' endlich einige Erfrischungen zu sich nahm, erzählte ihm dieser von den inzwischen im Hause vorgegangenen Veränderungen. »Mein Bruder bekam vor einem Jahre plötzlich einen Blutsturz. An diesen schloß sich ein schweres Lungenleiden an, dem er dieser Tage endlich erlag. In der langen Zeit seines Leidens, in der ich für den Bruder die Führung des Gutes übernommen hatte, sprach er viel von Euch, Eurem Vater, Eurer Schwester, die die Verbannung des Vaters teile, von den Vaterlandsfreunden drüben auf Juan-Fernandez. Wie oft und gern gedachte er besonders Eurer! Wir hatten gehört, daß Ihr, in Santiago Eures Lebens nicht mehr sicher, über die Kordilleren gegangen und drüben in die Reihen der argentinischen Vaterlandsfreunde eingetreten seid. Dies war alles, was wir erfuhren. Aber wir wußten, daß Ihr wiederkommen würdet, um für des Vaterlands Befreiung auch hier zu kämpfen. Es kam die Nachricht von der Schlacht bei Chacabuco. Zuerst glaubten wir nicht recht an den Sieg; als aber die Spanier anfangs des Monats eiligst von Valparaiso abzogen, die Stadt einfach sich selbst überlassend, da wußten wir, daß die Bedrücker tatsächlich die Geschlagenen waren. Diese große Freude belebte noch einmal meines Bruders schwache Kräfte, aber nur vorübergehend, dann schloß er die Augen zum ewigen Schlummer.«

Als Don Felix geendet hatte, blieben die Männer noch lange in tiefes Schweigen versunken sitzen.

»Was nützen hier Worte des Trostes!« begann endlich Joaquin; »Euer Leid ist zu groß, und ich, der Don Felipes Edelsinn und Vaterlandsliebe kennenzulernen die Ehre hatte, empfinde Euren Verlust in vollem Umfange mit. Der Allmächtige tröste und segne Euch und die Hinterlassenen Eures Bruders! Wer weiß, ob auch ich meine Lieben wiedersehen darf! Seit Jahren bin ich ohne jede Nachricht. Nachdem ich sehe, wie schweres Unglück Euch betroffen hat, beginnen jetzt, da ich die Meinen in Valparaiso abholen möchte, schwere Sorgen mich zu quälen, ob der alte Vater wohl noch lebt und wie es mit der Schwester steht. Doch wir sind alle in Gottes Hand. Wie hatte ich mich auf ein Wiedersehen mit Eurem Bruder und seiner Familie gefreut! Nun muß ich schmerzgebeugt weiter ziehen. Lebt wohl, Don Felix!«

Joaquin war aufgestanden und gefolgt von Don Felix ins Freie getreten. Mit stummem Händedrucke verabschiedeten sie sich voneinander, dann ritt Joaquin Valparaiso zu, traurig bewegt durch das, was er vernommen hatte.

»Wenn Ihr mit den Euren nach Santiago zurückkehrt, so vergeßt nicht, bei mir hier wieder vorzusprechen!« hatte Don Felix dem Scheidenden noch nachgerufen.

Als Joaquin in Valparaiso einritt, bemerkte er, daß er der Gegenstand vielfacher Neugier war. Nach allen Seiten hin hatte der stattliche junge Reiter Grüße zu erwidern, zeigte doch seine Kleidung den Leuten seine Zugehörigkeit zum siegreichen Heere der Aufständischen. Eine hellblaue Bluse umschloß den Oberkörper Joaquins; er trug gelbe Lederhosen und eine breite, glänzend rote Schärpe. Den Kopf schützte ein mächtiger Filzhut, an dem eine Kokarde mit den chilenischen Farben blau-rot-weiß befestigt war. An seiner Linken hing ein blanker Säbel mit großem Korbe aus Messing; aus den Satteltaschen schauten die Griffe von Pistolen hervor. Gewaltige eiserne Sporen an den Füßen, die in den schuhförmigen hölzernen Steigbügeln steckten, vervollständigten das malerische Bild des jugendlichen Kriegers. Wie mit dem Pferde verwachsen erschien der Offizier, jede Bewegung desselben unwillkürlich auf den eigenen Körper übertragend. Kein Wunder, daß aller Blicke mit Stolz und Bewunderung auf ihm ruhten, als er langsam, in tiefes Sinnen verloren, Garcias gastlichem Hause zuritt. Ein kleiner Auflauf entstand, als Joaquin, am Ziele angelangt, vom Pferde stieg. Garcia eilte dienstbeflissen aus seinem Hause.

»Nun, kennt Ihr mich nicht mehr?« fragte der Offizier lächelnd den Wirt.

»Carramba! Ihr kommt mir allerdings bekannt vor; aber ich weiß augenblicklich nicht, wo ich Euch in meinem Gedächtnisse auffinden soll«, entgegnete Garcia.

»So will ich Eurer Erinnerung zu Hilfe kommen; ich bin Joaquin Rosales.«

»Gelobt sei Jesus Christus! Ja, ja, Ihr seid es!« rief der Wirt in ehrlicher Freude. »Daß ich Euch auch nicht sofort erkannte! Aber Euer Schnurrbart und Eure dunkle Hautfarbe, die Euch übrigens trefflich kleiden, führten mich irre. Und daß Ihr wieder mein Haus beehrt, freut mich ganz besonders. – Was wollt Ihr denn, Ihr Leute?« wandte sich Garcia an die Menschenmenge, die staunend der Begrüßung beigewohnt hatte. »Der Herr ist Offizier unserer tapferen, siegreichen Armee; das könntet Ihr doch gemerkt haben.«

»Viva Chile!« schrie die Menge als Antwort, und lachend zerstreuten sich die Leute, während Garcia mit seinem Gast ins Haus trat.

Der Wirt hatte Joaquin mancherlei Neuigkeiten mitzuteilen. Das Schiff von Juan-Fernandez werde täglich zurückerwartet; es seien bald vierzehn Tage vergangen, seit es von Valparaiso abgesegelt sei. Eine Reihe argentinischer Offiziere befänden sich schon hier, um die Verteidigung der Stadt gegen etwaige spanische Überfälle vorzubereiten. Villegas habe sofort den Wechsel der Dinge anerkannt, als die Nachricht von der Niederlage seiner Partei in Valparaiso bekannt geworden sei; auch andere hohe Würdenträger seien seinem Beispiele gefolgt, die übrigen aber geflohen, um zu der geschlagenen Armee zu eilen. So stünden die Sachen und die endgültige Vernichtung des Gegners dürfte nur noch eine kurze Zeitfrage sein, schloß Garcia seinen Bericht.

»Hoffen wir das!« fügte Joaquin hinzu. »Noch mancher von uns wird mit seinem Blute den Boden der Heimat färben müssen, bis wir die Spanier für immer aus dem Lande getrieben haben. Vergeßt nicht, Garcia, daß uns einstweilen nur ein Teil von Chile gehört!«

»Das andere kommt auch noch rasch, Don Joaquin.«

»So mögt Ihr sprechen, der Ihr kein Soldat seid«, antwortete der junge Mann; »ich sage Euch, daß wir, wie die Spanier, durch die großen Verluste in der letzten Schlacht augenblicklich auf Waffenruhe angewiesen sind. Und der letzte Waffengang entscheidet.«

»Ihr werdet wieder siegen!« rief Garcia voll Begeisterung.

»Das gebe der Allmächtige! In seiner Hand liegt unser Geschick.«

Für Joaquins Ungeduld verstrich die Zeit viel zu langsam. Schon war er den zweiten Tag in Valparaiso, und das Schiff traf immer noch nicht ein. Die Stunden wollten nicht herumgehen, eine fieberhafte Unruhe bemächtigte sich seiner. Wenn dem Schiff am Ende ein Unglück zugestoßen wäre, oder wenn Morris und der spanische Offizier ihre Aufgabe dem Gouverneur gegenüber nicht zu erfüllen in der Lage waren? Diese und andere trübe Gedanken bewegten den jungen Mann und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Immer und immer wieder lief er am Strande des Meeres auf und ab, oder er kletterte auf die nahen Hügel der Küstenkordilleren, um von dort Ausschau auf den Ozean zu halten. Endlich, endlich, am Nachmittage des dritten Tages sah er weit draußen am Horizont ein Segel auftauchen. Kein Zweifel, es mußte die Aquila sein, denn das Schiff nahm seinen Kurs auf die Stadt zu und näherte sich ihr langsam. Jetzt konnte er am Hauptmaste des Seglers auch die Flagge unterscheiden: es waren die ihm so bekannten Farben von La Plata. Aller Zweifel verschwand und machte einem tiefen Glücksgefühle Platz. Mit vor Freude klopfendem Herzen eilte er von seiner Warte hinunter in die Stadt und an das Ufer.

An diesem hatte sich schon ein regeres Leben entwickelt, als es sonst bei der Ankunft eines Schiffes üblich war. Von allen Seiten strömten frohbewegte Menschen herbei, galt es doch, die aus ihrer Gefangenschaft heimkehrenden Vaterlandsfreunde zu begrüßen. Joaquin selbst hatte weder Auge noch Ohr für die Menge, die mehr und mehr anschwoll. Er achtete nicht der am Ufer sich brechenden und aufspritzenden Wogen. Was kümmerte es ihn, daß sie ihn durchnäßten! Er konnte nicht nahe genug dem Wasser sein, über das nun in Bälde seine Lieben dem Lande, der Heimat wieder zugeführt werden sollten.

Eine Reihe von Booten war im Begriff, der Aquila entgegenzufahren, um die Befreiten abzuholen! Joaquin war es dank seiner Uniform gelungen, eines derselben für sich zu gewinnen. Mit dem Versprechen einer reichen Belohnung trieb er die Ruderer zu gewaltiger Kraftleistung an. Bald hatte sein Boot einen namhaften Vorsprung vor den übrigen; pfeilgeschwind schoß es durch das Wasser und legte wenige Minuten später an der Aquila an. Eine Strickleiter wurde herabgeworfen, und Joaquin kletterte hinauf an Deck. Da stand der Vater. Mit einem Jubelschrei warf sich der Sohn an die Brust des Greises, der vor Rührung über dieses unerwartete Wiedersehen zunächst nicht zu sprechen vermochte. Dann aber raffte sich der alte Rosales auf, hielt Joaquin etwas von sich und ließ mit Stolz seine Blicke über den schmucken, zum Manne gereiften Sohn gleiten. »Geliebter wackerer Sohn, in dir grüßt mich das Vaterland zuerst! Ich habe unterwegs gehört, daß du für Chile ehrenvoll gekämpft hast; auch bestätigt mir dein Äußeres diese Mitteilung. Dem Himmel sei Dank, daß er dich mir erhielt!«

Der Sohn war vor dem Vater niedergesunken. Segnend legte der Greis die Hände auf den Kopf des Jünglings, dann zog er ihn sanft zu sich empor und küßte ihn innig. Unter den vielen Zeugen des Wiedersehens zwischen Vater und Sohn blieb keiner trockenen Auges.

»Nun komme auch ich an die Reihe!« rief eine heitere Stimme, und ehe es sich Joaquin versah, hing ihm seine Schwester lachend und weinend vor Freude am Halse und küßte ihn. Dann riß sie sich plötzlich los, eilte weg, um gleich darauf wieder zu erscheinen. »Und hier habe ich dir auch einen Bruder mitgebracht.« Mit diesen Worten führte Rosario Blanco Encalada auf Joaquin zu.

Einen Augenblick sahen sich die jungen Männer gegenseitig stumm wie prüfend an, dann aber begriff Joaquin sofort die Lage, reichte Encalada die Hand und hieß ihn als Bräutigam der Schwester herzlich willkommen.

»Ich werde dir ein treuer brüderlicher Freund und Schwager sein«, versicherte Don Blanco seinem neuen Verwandten; »mit dir vereint, werde ich für unseres Vaterlandes vollkommene Befreiung kämpfen.«

»Du wirst mir ein lieber Kampfgenosse sein, Blanco«, antwortete Joaquin. »Läßt dich aber auch meine Schwester ohne Widerspruch ziehen?« setzte er lächelnd hinzu, die hocherrötende Rosario mit den Augen streifend.

»Zuerst die strenge Erfüllung der Pflichten gegen das Vaterland, dann erst die zarte Liebe des Gatten«, entgegnete für Rosario und Blanco der Vater feierlich; »so haben wir es bestimmt, und so wird es gehalten.«

*

Ein volles Jahr schon war seit der Rückkehr der auf Juan-Fernandez Verbannten in ihre Heimat verflossen. Drohend zogen sich von neuem wieder dunkle Kriegswolken über Chile zusammen. Die Spanier hatten im abgelaufenen Jahre die größten Anstrengungen gemacht, ihr Heer zu verstärken, das Vizekönigtum mit Waffengewalt wiederherzustellen, und bedrohten nun, vom Maipo aus, einem in der Nähe von Santiago befindlichen Flußtale, die Hauptstadt. Aber auch die Chilenen waren nicht müßig gewesen und hatten die lange Waffenruhe wohl ausgenützt. Aus allen Teilen des Landes waren opferfreudige Männer zu ihren Fahnen herbeigeströmt; die Zahl der Streiter hatte eine solche Höhe erreicht, daß einer Entscheidungsschlacht nicht länger ausgewichen zu werden brauchte. Am 5. April 1818 brach das chilenische Heer von Santiago nach dem Maipo auf. Blanco Encalada und Joaquin Rosales führten die ihrem Befehl unterstellten Abteilungen. Joaquins Reiterschar hatte die Aufgabe des Sicherungsdienstes für die vorwärtsstrebende Heeressäule. Sie kam daher auch zuerst ins Gefecht, das sie so lange glücklich hinzuziehen verstand, bis die ganze Streitmacht schlachtbereit aufmarschiert war. Ein fürchterliches blutiges Ringen entspann sich; die Spanier kämpften mit dem Mute der Verzweiflung, die Chilenen voll todesverachtender Begeisterung für ihre gute Sache. Gegen Abend war die Schlacht zugunsten der Chilenen entschieden, das Land für immer frei von Spanien. Was sich von dem Reste der überlebenden Spanier nicht durch Flucht über die nahen Kordilleren retten konnte, fiel in chilenische Gefangenschaft.

Joaquin war schwerverwundet vom Schlachtfelde weg nach Santiago gebracht worden; Rosarios Bräutigam dagegen kam mit einer leichten Verletzung aus dem Kampfe. Die aufopfernde Pflege, die Joaquin im väterlichen Hause von allen Seiten zuteil wurde, ließ ihn endlich ganz genesen. Dankbar priesen Vater und Schwester das Geschick, das ihnen den teuren Sohn und Bruder so gnädig erhalten hatte.

Im Juni 1818 fand die Vermählung Rosarios mit Don Blanco Encalada statt.

 


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