Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Viertes Kapitel

Seit Monden schon weilte Tounens bei Kalvukura. Rupaillang wie ihre Tanten hatten Verwandten wie Bekannten gegenüber die Geschicklichkeit ihres Gastes laut gepriesen. Bei Rupaillangs Lob mochte auch noch etwas anderes mitsprechen als die bloße Anerkennung der Fähigkeiten des Fremden, der ihr eifriger Schüler in der Erlernung der Araukanersprache geworden war. Eine ehrliche Neigung zu Antonio war in dem Mädchen in dem Maße gewachsen, als sie ihn näher kennenlernte und sah, wie sehr er das Vertrauen des Vaters besaß. Von allen Seiten wurde Tounens' Hilfe begehrt, und so kam es, daß er das Gebiet der Araukaner bald allein, bald in Begleitung von Kalvukura oder einem seiner Söhne zu Pferde durchstreifen mußte. Überall gewann sich der Franzose nach und nach die Zuneigung des Volkes, dessen Sprache er verstand und nachgerade fließend sprach. Wie mancher Araukanerfamilie hatte er schon, dank seiner bescheidenen Medizinkenntnisse, zu helfen verstanden! Da war einmal ein verrenkter Fuß einzurichten, ein gebrochener Arm zu schindeln, dort ein Dorn aus dem Fuße zu entfernen, eine Blutung zu stillen oder eine Wunde zu nähen. Es waren meist kleinere, leichte Eingriffe; sie verfehlten aber nicht, sein Ansehen bei dem Naturvolke außerordentlich zu heben und ihm überall Vertrauen entgegenzuführen. Als er gar Lemunaus Frau von einem schweren tückischen Fieber zu befreien und sie dem gewissen Tode zu entreißen verstanden hatte, da war sein Ruhm im Munde jedes Araukaners. Umgekehrt lernte Tounens auf diese Art des Verkehrs das Volk am besten kennen. Er bewunderte die gute Sittlichkeit, die unter diesen Indianern herrschte, den Fleiß der Frauen, das friedliche Zusammenleben der Familien, die große Sorgfalt, mit der Männer wie Frauen durch vieles Baden und Waschen ihren Körper sowohl wie ihre Kleidung pflegten und rein hielten.

Bevor der Winter mit seinen vielen Regentagen einsetzte, beschloß Tounens, einen entscheidenden Schritt zu wagen, der ihn der Erfüllung seiner Pläne näherbringen sollte: er wollte um die Tochter Kalvukuras anhalten, der Schwiegersohn des allgemein geachteten, einflußreichen und wohlhabenden Kaziken werden. In seiner Art hatte der Franzose das hübsche Indianermädchen aufrichtig lieb gewonnen, wennschon er sich manchmal gesagt hatte, daß dessen mangelhafte Bildung ein wirklich glückliches eheliches Leben, wie er es früher geträumt hatte, wohl schwerlich zulasse. Stellte er sich aber das fleißige, immer muntere und bescheidene Wesen Rupaillangs vor, ferner ihre körperlichen Vorzüge, über denen der Reiz reiner Keuschheit und schamhafter Demut lag, und verglich er dies alles in der Erinnerung mit der Hohlheit, dem moralischen Tiefstand, dem Müßiggange, dem äußeren Scheine so mancher Damen seiner heimatlichen Gesellschaft, so wurde ihm der Entschluß um so leichter, als die Folgen seiner Verbindung mit der Kazikentochter nur die denkbar günstigsten sein mußten. Wozu überhaupt ein langes Überlegen? Ein Zurück konnte es ja bei seinen Absichten doch nicht mehr geben; also mutig vorwärts, dem großen Ziele entgegen, zu dessen Erreichung die Verheiratung mit einer der vornehmsten Indianerinnen unumgänglich notwendig war!

»Tor, der ich bin!« schalt sich Tounens, als er eines Morgens, im März 1861, über seinen Plänen brütend, auf seinem weichen Bette lag. »Was zögere ich noch? Habe ich nicht alle Ursache, mein geradezu unerhörtes Glück zu preisen, das mir bis zur Stunde treu blieb, das mir alle Hemmnisse, die sich auf meinen Weg hätten einstellen können, wegräumte, bevor sie sich mir nur zeigten? Der Weg zu Macht und Ruhm, von dem ich in Frankreich geträumt habe, er liegt vor mir, so leicht zu beschreiten und so einladend, daß ich ein unheilbarer Narr wäre, würde ich mir diese Gelegenheit entgehen lassen. Dann hätte ich, gleich andern, zu Hause bleiben können. Oder wollte ich eben auch nicht mehr sein als diese andern?« Tounens überlegte hin und her. Dann aber sprang er plötzlich vom Lager auf; der Kopf brannte ihm vor lauter Denken. Er griff nach seinem Mantel, hüllte sich in diesen und stürzte hinaus, um im See das heiße Blut abzukühlen. Ruhiger geworden, beschloß Tounens, diesen Morgen noch Kalvukura aufzusuchen, um mit ihm zu sprechen.

Der Kazike war gerade im Begriff auszureiten, als Tounens in sein Haus trat. »Komm mit, begleite mich, Antonio!« rief Kalvukura freundlich. »Ich besuche meinen Sohn Kalvun. Dein Pferd ist schnell gesattelt.«

»Sei es!« sagte Tounens zustimmend, dem eine Aussprache mit Kalvukura im Freien besser paßte als drinnen im Haus.

Bald darauf ritten die Männer am Flußlaufe entlang, Kalvuns Heim zu.

»Zu deinen Söhnen wird sich wahrscheinlich bald einmal ein weiterer gesellen, Kalvukura«, leitete Tounens die Unterhaltung ein.

»Wie meinst du das, Antonio?«

»Nun, deine Tochter wird sich auch verheiraten.«

»Gewiß.«

»Glücklich der, der sie einst sein eigen nennt!« hub nach einer Weile der Franzose wieder an. »Weißt du was, Kalvukura, nimm mich als Sohn an; gib mir deine Tochter zur Frau!«

Der Kazike hielt sein Pferd an und schaute Tounens scharf und lange an. »Du bist ein kühner Mann, Antonio. Es ist das erstemal, daß ein Fremder von deiner Bedeutung die Tochter eines Kaziken zum Weibe begehrt.«

»Aber du selbst hast mir ja schon gesagt, daß Kaziken weiße Frauen gehabt haben; warum soll es nicht einmal umgekehrt sein?«

»Die Frauen blieben, wo der Mann war; sie haben noch nie unser Land verlassen und zu den Weißen zurückzukehren gewünscht.«

Kalvukura ritt weiter, und Tounens wußte nicht recht, was der Kazike mit seiner letzten Bemerkung eigentlich sagen wollte.

»Ich begehre auch nicht mehr zurück in mein Vaterland; bei dir und den Deinen will ich bleiben; ich will versuchen, nicht nur ein guter Araukaner zu werden, sondern werde auch bestrebt sein, dein Volk zu Macht und Ansehen nach außen hin zu bringen.«

»Könntest du das, könntest du unsere bedingungslose Unabhängigkeit von dem Joche der Eroberer unseres einst so großen Landes durchsetzen, wir würden dir alles gewähren, was du wolltest«, rief Kalvukura bewegt.

»Darüber können wir später beraten«, antwortete Tounens vorsichtig; »einstweilen genügt es mir, dein Schwiegersohn zu sein.«

»Gut, so nimm mein Kind! Aber dann gehörst du unwiderruflich uns, dem ganzen Volke.«

»So will ich nach unserer Rückkehr auch Rupaillang fragen, ob sie mich nehmen will.«

»Das ist bei uns zwar nicht Sitte, doch gleichviel, tue es! Der Wille des Vaters ist für die Tochter bei der Wahl des Gatten allein maßgebend. Ich begrüße dich daher schon jetzt als Sohn und Mitglied unserer Familie, unseres Volkes.«

Tounens ergriff die Hand des Kaziken und drückte sie als Zeichen des Dankes. »Ich werde dir ein guter Sohn und deinem Volke in Freud und Leid treu ergeben sein«, versicherte er.

»Das hast du schon bewiesen, Antonio. Ich denke, daß du mit den Erfolgen deiner Arbeit unter uns zufrieden sein kannst.«

Der Franzose lächelte geschmeichelt. »Ja, das Volk hat mich überall gerne, das ist wahr, und ich selbst habe es auch liebgewonnen.«

»Du bist hoch angesehen und verdienst es auch, Antonio. – Doch wir sind am Ziele; dort ist Kalvuns Haus.«

Tounens kannte den Sohn sehr gut; er war sowohl allein als auch mit Kalvukura schon oft bei Kalvun gewesen, der seinem Vater von allen Söhnen äußerlich am meisten glich. Auf ihn, den Ältesten, sollte nach des Vaters Tode auch die Kazikenwürde übergehen.

Kalvun begrüßte den Vater und dessen Gast in der gewohnten herzlichen Weise. Nach der Bewirtung und der Erledigung einiger wirtschaftlichen Angelegenheiten, zu welchem Zwecke der Vater den Sohn besucht hatte, brachte Kalvukura die Werbung Antonios um Rupaillang zur Sprache. Kalvun hörte dem Vater ruhig zu; seine Mienen zeigten nicht die geringste Verwunderung. Als der Kazike seine Mitteilung beendet hatte, verharrte Kalvun eine Zeitlang schweigend, in tiefes Sinnen versunken. Der Gedanke, daß ein Weißer, ein bis vor kurzem ihnen allen noch vollkommen fremder Mensch, sein Schwager werden solle, schien den jungen Indianer stark zu beschäftigen.

Tounens verdroß dies auffallend lange Stillschweigen bereits ein wenig; da begann endlich Kalvun zu reden. »Da du deine Einwilligung zur Heirat gegeben hast, Vater, so steht es mir nicht an, gegen diese irgendein Wort zu sprechen. Ich werde Antonio als Bruder behandeln; er kann in allem auf mich zählen.«

»Eine andere Antwort habe ich von dir auf des Vaters Bericht auch nicht erwartet, Kalvun«, entgegnete Tounens, dessen leichter Mißmut bei den Worten seines künftigen Schwagers rasch wieder verflogen war.

»So ist die Sache abgemacht. Ich werde deinen Brüdern ebenfalls Anzeige machen«, sprach Kalvukura. »Und nun laß uns nach Hause reiten!«

Die Männer verabschiedeten sich von Kalvun und den Seinen, bestiegen die Pferde und ritten heimwärts. Schweigend wurde der Weg zurückgelegt. Klarere, deutlichere Gestalt nahm die Zukunft des Franzosen von heute ab an; langsam aber sicher kam er seinem Ziele näher. Stolze Freude beherrschte ihn, als er nach der Rückkehr in sein Haus trat; hatte ihm doch soeben Kalvukura noch gesagt, daß er ihn nachher mit Rupaillang besuchen werde. Es war das erstemal, daß des Kaziken Tochter die Schwelle seines Heims überschritt, und nun sollte sie es als die ihm vom Vater anverlobte Braut tun; das war gewissermaßen das Zeichen, daß sie mit der Wahl des Vaters einverstanden sei. Daß Rupaillang ihm wohlgesinnt sei, daß sie ihn nicht ungern habe, hatte Tounens schon öfters zu beobachten Gelegenheit gehabt. Es beruhigte ihn, daß er sich dies sagen konnte; denn die Art der Indianerheiraten, wo das Mädchen gewaltsam vom Manne entführt wird, nachdem es vorher den Angehörigen abverlangt und bezahlt worden ist, konnte und wollte der Franzose nicht nachahmen. Er war zu zivilisiert, um an diesem Brauche Gefallen zu finden. Diese Sitte war eine der wenigen, die ihm bei den Araukanern mißfielen; diese abzuschaffen, das von Natur so begabte Volk auf eine höhere Stufe des sittlichen Lebens zu heben, war eine Aufgabe, die zu erfüllen Tounens sich für spätere Zeit vorbehielt.

Vor der Hütte des Franzosen wuchsen eine Menge wilder Blumen, rote Geranien, Fuchsien in Strauchform, gelbblühende, starkduftende Akazien, weiße wohlriechende Myrten. In aller Eile hatte Tounens von den letzteren einen Strauß zusammengestellt. Ob Rupaillang wohl eine Ahnung von der sinnbildlichen Bedeutung der in ihrem Lande so massenhaft wachsenden Myrte hatte? Wohl schwerlich; aber das war gleichgültig. Die zarten weißen Blüten, die sich in den von Tounens mitgebrachten kleinen Vasen aus getriebenem Silber doppelt schön ausnahmen, sollten und mußten auf das empfängliche Gemüt der Araukanerin einwirken. Anders, eigenartiger, schöner, als es im Araukanerlande sonst üblich war, sollte des Fremden Wohnung sich Rupaillang zeigen. Nicht er wollte herabsteigen, geringer werden durch die Heirat; o nein, die schmucke Tochter des berühmten Araukanerhäuptlings wollte er zu sich emporheben, sie zu seiner Königin und zu der ihres Volkes machen! Das sollte ihr gewissermaßen der Empfang in seinem Hause, die Art seiner Werbung offenbaren. Tounens hatte sich in Staat geworfen. So erwartete er seine Besucher, die nicht allzu lange ausblieben.

Der Kazike, dem feierlichen Augenblick durch seine reiche Kleidung ebenfalls Rechnung tragend, trat in die Hütte, hinter ihm, ganz in Schwarz gekleidet, die Augen schamhaft zu Boden gesenkt, seine Tochter Rupaillang. Den festlichen Anzug des Franzosen mit raschem Blicke musternd, ergriff Kalvukura die Linke Rupaillangs und tat einige Schritte auf Tounens zu. »Du hast heute morgen meine Tochter zum Weibe begehrt, Antonio, und ich habe sie dir auch zugesagt. Rupaillang ehrt den Willen ihres Vaters und ist mit mir gekommen, dir in meiner Gegenwart ihr Jawort zu geben.«

»So willst du also wirklich die Meine werden, Rupaillang?« fragte Tounens freudig erregt.

Das Mädchen hob den Kopf. Aus ihren dunklen Augen, um die feingezogene blauschwarze Strahlen gemalt waren, die das ganze Aussehen des Gesichts vorteilhaft hoben, leuchtete dem Frager ein so inniger Blick entgegen, daß über die Gefühle, die des Kaziken Tochter für Tounens hegte, kein Zweifel bestehen konnte.

Dieser erfaßte die Hand Rupaillangs. »Rupaillang, liebe Rupaillang, du willst wirklich den Fremden zum Manne nehmen?«

»Ja«, entgegnete das Mädchen; »du bist mir, uns allen längst kein Fremder mehr, Antonio.«

»So verlobe ich mich feierlich mit dir«, rief Tounens und steckte an den Ringfinger der linken Hand des Mädchens einen schweren silbernen Reif, der in der Mitte einen großen Rubin trug. »Und hier nimm diese Blumen!« Mit diesen Worten übergab er ihr die Myrten. »In meinem Heimatlande schmücken sich die Bräute damit, und ich möchte diesen schönen Brauch auch hier nicht missen. Erlaube mir, daß ich dir die Blüten anhefte!« Mit einer silbernen Nadel befestigte der Franzose geschickt den Strauß an Rupaillangs Brusttuche; dann zog er das errötende Mädchen an sich und küßte es auf Stirn und Mund. »Betrachte dir meine Behausung, Rupaillang! Sie wird bald auch die deine sein.«

»Wie schön ist es bei dir!« rief das Mädchen, in neugieriger Verwunderung all die seltenen Dinge betrachtend, mit denen Tounens' Räume ausgestattet waren.

»Wir werden dir ein anderes, größeres Haus bauen, Antonio«, erklärte der Kazike; »doch einstweilen genügt das noch.«

»Laß mich den Platz wählen und das neue Haus nach meinen Angaben ausführen, Vater«, bat Tounens.

»Das soll geschehen«, antwortete Kalvukura lächelnd, »vorausgesetzt, daß wir all das haben, was du zu deiner Einrichtung brauchst.«

»Dann besorgen wir uns, was fehlt; ich bin reich genug, es von auswärts zu beziehen.«

»Darüber reden wir später, Antonio. Wann soll die Hochzeit sein?«

»Ich richte mich ganz nach Euch.«

»Gut, so will ich unsere Verwandten und Bekannten sofort einladen lassen, damit sie heute über drei Tage zu dem Feste erscheinen.«

Kalvukura und seine Tochter verließen Tounens' Hütte. Bis zur Verheiratung bekam dieser seine Braut nicht mehr zu sehen.

Aus allen Teilen Araukos strömten Leute herbei, um der Hochzeit des allgemein bekannten und beliebten Tounens mit der für die schönste Araukanerin geltenden Rupaillang beizuwohnen. Ein lebhaftes Treiben entwickelte sich auf dem Hofe des Kaziken wie auch am Ufer des Sees Villarica. Tounens begrüßte es lebhaft, daß dieses laute Leben am zweiten Tage nach der Hochzeit durch den einsetzenden schweren Winterregen zum Verstummen gebracht und die Gäste dadurch zur vorzeitigen Heimkehr gezwungen wurden. Jetzt erst konnte er sich ungestört seines Glückes, des Besitzes Rupaillangs, erfreuen.

Rupaillangs stete Sorge um das Wohl des Gatten, ihre an Ehrfurcht grenzende Bewunderung für ihn, ihre außerordentlich leichte Anpassungsfähigkeit an seine Eigenart, die täglich mehr und mehr zum Vorschein kommende geistige Begabung der Indianerin, ihr rasches Begriffsvermögen, ihr unermüdlicher Fleiß in allen Dingen ließen Tounens je länger, desto mehr begrüßen, sie zur Frau begehrt zu haben. Auch ihre körperlichen Reize wußte sie, unterstützt durch ihren Gatten, vorteilhaft zur Geltung zu bringen; sie erlernte mit seiner Hilfe die Kunst, ihrer Kleidung durch Gürtel, Nadeln und andere Dinge einen gewissen Anklang ans Europäische zu geben und die tiefschwarzen glänzenden Haare in Flechten um den Kopf zu legen. Die bisher nackten Füße ließ sie sich willig in kleine gefütterte Schuhe stecken.

Rupaillang kannte sich selbst kaum mehr, als sie sich, äußerlich derart verändert, in Tounens' Spiegel bewunderte. »Was werden aber unsere Frauen sagen, wenn sie mich auf einmal so ganz anders finden, als sie selbst sind?« fragte sie etwas ängstlich ihren Gatten.

Dieser lachte fröhlich, küßte seine Frau und antwortete: »Du sollst auch ganz anders sein als alle übrigen, meine und ihre Königin.«

»Wie du mein König, mein Herr und Gebieter bist, Antonio.«

»Ich will der deines Volkes sein, Rupaillang«, entgegnete Tounens, ernst geworden. »Araukos Unabhängigkeit wiederherzustellen, dein tapferes, von Natur so wackeres Volk zu Ruhm und Ansehen zu bringen, es gegen die zersetzenden Einflüsse von außen her zu schützen – das, Rupaillang, ist meine Aufgabe. Groß ist sie und schwer, aber an das Große, Schwierige wagt sich auch kein einfacher Mensch, sondern nur der, der selbst groß denkt und empfindet, dessen Willenskraft auch der Größe seiner Gedanken entspricht.«

Rupaillang begriff nur teilweise den Sinn dieser Rede. Was sie aber verstand, war, daß ihr Gatte sich dem Wohle ihres Volkes widmen, dessen Führer auf dem Wege zum Glück sein wolle. Dies genügte der Araukanerin, sich selbst dadurch hoch beglückt zu fühlen, stolz darauf zu sein, die Gefährtin eines Mannes zu heißen, der, in ihren Augen schon jetzt der Erste ihres Volkes, dies nun tatsächlich mit der Zeit auch werden sollte.

Schon oft im Laufe der seiner Hochzeit folgenden Monate hatte Tounens mit seinem Schwiegervater lange Aussprachen gehabt, in denen der Franzose dem Kaziken seine Pläne entwickelte.

Doch Kalvukura wollte anfänglich nichts davon wissen.

»Die langjährigen schweren Kriege mit den Spaniern haben unser Volk an Zahl außerordentlich geschwächt. Auch der stete Widerstand gegen das weitere Vordringen der Chilenen in unser Gebiet kostete uns viele Opfer an Menschenleben. Überdies können wir mit unseren Colihue-Lanzen gegen die Feuerwaffen der Weißen nicht viel ausrichten. Unser bester Schutz sind einzig und allein unsere Wälder; deren Undurchdringlichkeit sichert uns einstweilen unsere Unabhängigkeit«, sprach der Kazike eines Tages zu Tounens.

»Aber wie lange noch?« warf dieser ein.

Kalvukura zuckte die Achseln. »So sag du mir, was wir dann tun sollen!«

»Kämpfen gegen die Eindringlinge, und zwar mit denselben Waffen. Diese können wir nach und nach aus Europa beziehen. Wir nehmen unsern Freunden die Kisten mit Gewehren und Munition in den Kordilleren ab, die sie uns bis dorthin durch die Pampas liefern. Das ist der einzige Weg, der uns für diese Zwecke offen ist. Wir wollen keine Eroberungen machen, aber auch keinen Zoll breit unseres Bodens mehr abtreten; wir wollen uns einfach für alle Fälle kampfbereit halten, wenn andere es wagen sollten, Araukos Gebiet und Unabhängigkeit weiter anzutasten.«

Tounens feurige Worte zündeten bei dem alten Indianer, seine Augen blitzten. »Du hast am Ende recht, Antonio; geachtet ist nur, wer stark ist. Unsere waffenfähige Mannschaft zählt noch nach Tausenden und bildet im Ernstfalle keinen verachtungswerten Gegner.«

»Das will ich meinen, Vater. Man wird mit uns als Macht rechnen müssen, namentlich, wenn die Masse richtig waffengeübt, an Gehorsam gewöhnt und unter einheitliche Leitung gebracht ist.«

»So übernimm du diese, Antonio! Mir soll es nur recht sein, wenn unser sichtbarer Niedergang aufhört, wenn wir endlich wieder zu Ansehen und Macht nach außen hin gelangen.«

»Schlage mich in einer Kaziken Versammlung zum Oberhaupt von Arauko vor! Werde ich gewählt, so weiß ich meine Stellung zu Ehre und Ruhm des Volkes schon zu benutzen; glaube es mir, Vater! Und kann es dir nicht auch selbst die größte Befriedigung gewähren, deine Tochter als Königin von Araukanien, deine Enkel als die künftigen Herrscher deines Volkes zu wissen?«

»Du sprichst merkwürdig, Antonio; du ziehst mich durch deine Reden auf einen Weg, auf den ich selbst allein nie gekommen wäre.«

»Der aber ein stolzer ist, nicht nur für deine Tochter und für mich, nein, vor allem für Araukos Volk, dessen Größe ich mich weihen will!« rief Tounens begeistert.

»Ich werde eine Kazikenversammlung einberufen, Antonio. Damit erfülle ich zunächst deinen Hauptwunsch. Du wirst begreifen, daß ich allein nichts machen, sondern lediglich deine Pläne und Absichten, für die du auch persönlich noch einstehen wirst, meinen Brüdern in unterstützendem Sinn vorbringen kann.«

»Das genügt auch einstweilen, Vater. Nimm meinen Dank zum voraus!«

Sämtliche Kaziken und Stammesälteste des Araukanervolkes wurden zu einer großen Ratsversammlung auf Kalvukuras Besitztum eingeladen, und zwar auf den 1. September 1861. Vollzählig waren sie auf den genannten Tag erschienen. Als ob auch die Natur Tounens Plänen wohlgesinnt sei, so strahlend leuchtete die Sonne über das im Blütenschmuck des wiedererwachten Frühlings prangende Land, über den klaren, im Sonnenlichte glitzernden See. Ernst, erhaben schaute die schneebedeckte Pyramide des Vulkans Villarica auf das buntfarbige, lebhaft bewegte Bild am See herab. Die Häuptlinge hatten sich im Freien in einem großen Kreise gelagert. Eine feierliche Stille herrschte, als Kalvukura seinen Genossen die Absichten seines Schwiegersohnes vortrug. Mit keinem Worte wurde er unterbrochen.

Als er geendet, erhob sich der Älteste der Versammlung, ein stattlicher weißhaariger Greis, Namunkura mit Namen. »Laß Antonio selbst sprechen, Bruder!« entschied er unter dem Beifallsmurmeln der übrigen.

Tounens trat, von Kalvukura geführt, in den Kreis der Männer, die seinen stummen, achtungsvollen Gruß ebenso erwiderten.

Namunkura, immer noch stehend, richtete nun, auf seine lange Colihuelanze gelehnt, an Tounens das Wort: »Wir haben gehört, Antonio, was du deinem Schwiegervater auftrugst, uns zu sagen. Wir alle kennen und schätzen dich; bevor wir aber einen Entscheid in dieser so wichtigen, unser Volk so tief berührenden Sache treffen, wollen wir aus deinem Munde nochmals vernehmen, was uns Kalvukura schon sagte.«

Namunkura setzte sich, und Tounens begann nun zu sprechen. Er rühmte die kriegerischen Eigenschaften der Araukaner, ihre hohe Begabung, ihr Freiheits- und Unabhängigkeitsgefühl und bedauerte, daß ein solches Volk, das einst das ganze Land von den Flüssen Bio Bio bis zum Rio Bueno sein eigen nannte, nun in die Stellung des Geduldeten getrieben worden sei. »Ja, nur geduldet seid ihr, die Nachkommen jener stolzen todesmutigen Männer, die Spaniens ganze rohe Gewalt nicht zu beugen vermocht hat, geduldet auf eigenem Boden von einer handvoll frecher Bedrücker!« rief Tounens voll Zorn. »Und wie lange wird diese eurer, wie eurer ganzen ruhmreichen Geschichte unwürdige Duldung und Bevormundung noch geübt werden? So lange nur noch, bis die Chilenen in eurem Lande Befestigungen angelegt, Straßen gebaut und den Rest eurer kriegerischen Tugenden durch absichtlich genährten Parteihader erstickt haben werden. Dann seid ihr für immer verloren.«

»Das darf nicht sein!« schrie fast einstimmig, wild erregt, die Versammlung.

»So denkt bei Zeiten daran, dieser Gefahr zu begegnen! In dem Lande, woher ich kam, heißt es: Wer Frieden haben will, muß zum Krieg bereit sein. Schließt euch zusammen und bereitet euch durch Waffenübung im Frieden auf den Kampf für die Freiheit eures Landes vor! Stellt euch, ihr Söhne von Heldenvätern, unter den festen, zielbewußten Willen eines einzelnen! Nehmt mich zum König, mich, der die Dinge der Außenwelt kennt, der euch liebt und euch moderne Feuerwaffen verschaffen, euch in all dem unterrichten wird, was zur Ehre, zum Ruhm und Ansehen des von ihm freiwillig zum Vaterland gewählten schönen Araukanien dienen kann! Eure persönliche Unabhängigkeit bleibt bestehen. Der Rat der Alten und Kaziken soll mir bei der Lösung aller inneren Fragen zur Seite stehen, falls ihr mich würdig findet, euer König zu heißen.«

Als Tounens geendet hatte, folgte lauter Beifall der zündenden Rede. Namunkura erhob sich wieder. »Tritt ab, Antonio, und suche dein Haus auf! Wir werden dich dort unsern endgültigen Entschluß wissen lassen.«

Im Bewußtsein, durch seine Worte gewaltigen Eindruck auf die Rats Versammlung gemacht zu haben, kehrte Tounens in sein Heim zurück. Rupaillang, die zuerst etwas besorgt in das Gesicht ihres Gatten geblickt hatte, als dieser ins Wohngemach trat, brach in lauten Jubel aus, als sie dessen heitere Miene sah. »Sie haben dich gewählt, o Antonio! Welch ein Glück für dich, für uns!«

»Noch nicht, Kind«, antwortete Tounens fröhlich. »Ich glaube aber, daß ich dich bald als Königin Araukos betrachten darf; meine Königin bist du ja schon ohnedies.«

Unterdessen wurde in der Versammlung Tounens' Rede besprochen. Die Zeit verstrich und eine Einigung wollte nicht zustandekommen.

Da stand endlich der Kazike Külapang auf. »Es ist wirklich höchste Zeit, daß wir lernen, unsern eigenen Willen nicht immer als den allein maßgebenden anzusehen«, sprach er. »Die Uneinigkeit war von jeher unser größtes Übel; sie zu bannen, ist unsere Pflicht. Mich dünkt deshalb, daß Kalvukuras Schwiegersohn recht hat. Ich stimme für ihn, er ist ein Mann ohne Furcht und Tadel, dessen Führung wir uns getrost anvertrauen können«

»Und ich schlage als letztes Entscheidungsmittel die Chueca vor. Fällt das Spiel für Antonio günstig aus, so soll er unser König sein«, meinte ein dritter, der Kazike Lienkura.

»Sei es!« entschied Namunkura.

Die Chueca, eine Art Billardspiel, bei dem die Kugel durch Krummstäbe auf dem Boden fortgeschleudert wird, wurde von den Kaziken unter Aufsicht der Ältesten gespielt. Das Ergebnis fiel für Tounens günstig aus.

Die ganze Versammlung zog nun vor Antonions Haus, um ihm zur Wahl als König Glück zu wünschen. In bewegten Worten dankte Tounens für das ihn ehrende Vertrauen der Männer und die ihm von den Kaziken und den Ältesten namens des Araukanervolkes erteilte hohe Würde. Als Antonio I., König von Arauko, beschloß der Franzose den denkwürdigsten Tag seines bisherigen Lebens.


 << zurück weiter >>