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Achtes Kapitel

Nach dem Abschiede von den Seinen kehrte Joaquin in Begleitung Garcias, der sich ebenfalls unter den Zuschauern am Strande befunden hatte und dem jungen Manne nachgeeilt war, in das Gasthaus zurück.

»Euer Angriff auf die beiden Spanier war kühn, Don Joaquin«, sagte der Wirt. »Wollt Ihr Euch keinen unangenehmen Folgen aussetzen, so rate ich Euch, noch vor Tagesanbruch die Stadt zu verlassen und nach Hause zurückzureiten. Besser ist besser«, fügte er hinzu. »Ich hätte Euch ja gerne länger behalten, aber diesen Spaniern ist in der gegenwärtigen Zeit alles zuzutrauen, und Euern Namen haben sie nun einmal auf dem Strich.«

»Ihr habt recht«, entgegnete der junge Mann, »ich habe überdies hier nichts mehr zu suchen; meine Aufgabe ist erfüllt, und eine andere, wichtigere winkt mir.«

»Ihr geht unter die Vaterlandsfreunde, deren Liga in Santiago in aller Stille wieder neu gegründet werden soll, nicht wahr?« fragte Garcia leise, vorsichtig Umschau haltend, oh sie auch ohne Zuhörer in der Straße gingen. Aber niemand folgte den beiden.

»Woher wißt Ihr etwas von einer Neugründung der Patriotenliga? Mir ist nichts davon bekannt«, erwiderte Joaquin ausweichend.

»Hm, hm! Man hört eben als Wirt allerlei. Übrigens braucht Ihr vor mir nicht hinter dem Berge zu halten; ich bin ein ehrlicher Chilene, und um Euch das zu beweisen, will ich Euch offenbaren, daß ich mir in meinem Hause, den strengen Verfügungen der Behörde zum Trotz, eine kleine Waffensammlung angelegt habe. Carramba! Wenn das die Spanier wüßten!« Garcia lachte stillvergnügt in sich hinein.

»Dann wäret Ihr in vierundzwanzig Stunden erschossen«, erwiderte der junge Mann.

»Oh, die merken nichts, dazu bin ich zu gerieben! Unter der Hand und in größter Stille liefere ich diese Waffen weiter, die mir von guten, verschwiegenen Bekannten, die ich da und dort auf fremden Schiffen besitze, zugeschmuggelt werden. Und Euch will ich ein paar meiner besten Pistolen samt der dazu passenden Munition mitgeben, damit Ihr durch die Tat seht, wer ich bin.«

»Das Geschenk kann ich brauchen, und ich nehme es mit großem Dank an«, antwortete Joaquin herzlich. »Ich scheide von Euch und Eurem Hause in dem frohen Bewußtsein, in Euch einen treuen Sohn unseres Vaterlandes gefunden zu haben.«

»Ich tue an meiner Stelle, was ich eben zu tun vermag, Don Joaquin. Hat man, wie unsereiner, eine Frau und ein Häuflein Kinder, die ernährt sein wollen, so ist man gezwungen, in anderer Art für die Freiheit seiner Heimat zu arbeiten als Ihr, der Ihr allein steht und jung seid. Ihr könnt einst in Reih und Glied kämpfen, aber unsereiner, der noch dazu körperlich verunstaltet ist – Garcia deutete bei diesen Worten auf seinen Buckel – muß sich damit begnügen, für euch andern den Zwischenträger zu machen.«

»Die braucht man auch«, versicherte Joaquin.

Die beiden Männer hatten unterdessen das Gasthaus erreicht.

»Geht auf Euer Zimmer, Don Joaquin, und ruht Euch noch einige Stunden aus! Ich wecke Euch rechtzeitig, und das Versprochene packe ich Euch gut zusammen.«

Der junge Mann folgte Garcias Rate. Vor sechs Uhr schon saß er im Sattel. Seine bescheidene Rechnung war bezahlt. Mit einem Händedruck verabschiedete er sich von seinem biedern Wirte, dann ritt er ab. Die geschenkten Pistolen hatte er auf den Sattel geschnallt. Sein Poncho fiel darüber herab und verdeckte das verfängliche Paket. Das Pferd, auf dem Rosario mit Joaquin von Santiago hergeritten war, führte er am Zügel mit. Durch abwechselnde Benutzung der beiden Pferde hoffte er den Rückweg in entsprechend kürzerer Zeit zurücklegen zu können.

Bald hatte Joaquin die Stadt hinter sich und ritt langsam aufwärts, den Küstenkordilleren zu. In der Höhe gönnte er den beiden Pferden eine kurze Rast. Er selbst hielt Umschau. Unter ihm lag wieder das weite Meer ausgebreitet. Seine scharfen Augen spähten nach einem weißen Segel am Horizont. War es nur eine Wolke oder wirklich ein kleines Segel, das sich da weit draußen zeigte? Joaquin vermochte es nicht zu sagen. Aber unwillkürlich wurden seine Augen feucht, als er sich des Abschieds in der vergangenen Nacht erinnerte. Dann aber flammte wieder edler Zorn in ihm auf, und das heiße Blut begann zu kochen. Er gelobte sich von neuem, der Rächer seiner Familie zu werden. Den großen Sombrero nahm er vom Kopfe, winkte mit dem Hute seinen letzten Gruß dem Meere zu, auf dem jetzt Vater und Schwester schwammen. Langsam ritt er darauf in das Land hinein, das sich in den Strahlen der Morgensonne zu baden schien.

Noch vor Mittag erreichte er die Hazienda von Don Felipe Echauren. Der Besitzer war zu Hause und begrüßte den jungen Mann so herzlich wie einen Verwandten. »Das ist schön von Euch, daß Ihr uns nicht vergessen habt. Steigt ab und pfleget der Ruhe!«

»Lange kann und will ich mich nicht aufhalten.«

»Ach was, Ihr kommt immer noch früh genug nach Santiago! Daß Ihr aber ohne Eure Schwester hier anlangt, beweist mir, daß das tapfere Mädchen Erfolg gehabt hat. Da habt Ihr viel zu erzählen. Also nochmals: steigt ab und seid herzlich willkommen!«

Joaquin fügte sich gern, um so mehr als sich auch Frau Ines den Bitten ihres Gatten anschloß. Bald saß die Familie Echauren mit ihrem Gaste im luftigen Speisezimmer, dessen Fenster auf die das Haus umziehende Veranda gingen und einen herrlichen Blick in das dunkle Grün der Bäume und Sträucher des Gartens gewährten. Joaquin mußte während des Essens auf viele Fragen Antwort geben.

Die Art und Weise, wie Villegas den Bitten des Mädchens entsprochen, nahm ganz besonders Frau Ines' Teilnahme in Anspruch. »Der Mann ist nicht schlimm«, erklärte sie; »nur wundert mich, daß er überhaupt die Erlaubnis gab, oder besser: geben durfte.«

»Ja«, meinte Don Felipe, den langen Bart nachdenklich zwischen den Fingern der Rechten streichend, »dieser Villegas muß der Sache seiner eigenen Partei nicht völlig trauen, denn sonst hätte er ohne vorherige Anfrage bei Osorio die Begleitung des Vaters Rosales durch seine Tochter nicht gestatten dürfen. Das zeigt mir, wie gesagt, daß Villegas schon jetzt im geheimen mit der Zukunft rechnet und sich beizeiten durch gewisse Handlungen bei uns Chilenen Nachsicht und Erkenntlichkeit sichern will.«

»An eine solche Erklärung von Villegas' Handlungsweise habe ich wahrhaftig nicht gedacht«, rief Joaquin, den Scharfsinn Don Felipes aufrichtig bewundernd. »Ihr mögt recht haben; wurde mir doch auch in Valparaiso gesagt, daß er sich den von Santiago kommenden Befehlen oft mehr zum Scheine als in Wirklichkeit füge.«

»Da habt Ihr's ja!« entgegnete Don Felipe. »Aber sei dem nun, wie ihm wolle, die Hauptsache ist und bleibt, daß Eure edle Schwester ihr Vorhaben durchgesetzt hat und Eurem ehrwürdigen Vater als treue Stütze in die Verbannung folgen durfte. Was aber wollt Ihr tun, Don Joaquin?«

»Mich den Gegnern Osorios anschließen.«

»Das begreife ich; an geheimen Feinden fehlt es diesem Tyrann nicht. Schlimm ist nur, daß unsere besten Köpfe, Männer von größtem Einflusse in der Gewalt Osorios sind.«

»Das ist es ja, was auch ich so bitter empfinde«, entgegnete Joaquin. »Ich selbst bin noch zu jung und zu unerfahren, um eine wirkliche Rolle im Kampfe mit unsern Gegnern spielen zu können.«

»Nun älter werdet Ihr mit jedem Tage«, sagte Don Felipe lächelnd. »Die Erfahrung kommt allerdings nicht von selbst wie das Alter, die muß eben gemacht werden. Wißt Ihr, Don Joaquin, was mich wundert und was mir in den letzten Tagen öfters im Kopfe herumgegangen ist?«

»Nun?« fragte der junge Mann neugierig.

»Daß die Schergen Euch nicht mitsamt dem Vater aufgehoben haben.«

Erschrocken fuhr Joaquin von seinem Stuhle auf. »An diese Möglichkeit habe ich noch gar nicht gedacht«, rief er.

»So rechnet noch nachträglich mit ihr!« riet Don Felipe. »Es war ein Fehler Osorios, Euch an dem Orte zu lassen, dem er den Vater geraubt. Dadurch hat er sich einen Feind mehr geschaffen.«

»Aber mein Gott, was soll ich tun? Da wäre es ja am besten, ich ging gar nicht mehr nach Santiago zurück.«

»Geht einstweilen ruhig nach Hause! In allernächster Zeit habt Ihr jedenfalls noch nichts zu fürchten; der Schrecken über Osorios Gewalttaten dürfte noch zu sehr auf den Santiaginern lasten, als daß sie sich einstweilen nicht ruhig verhielten. Und damit ist Osorio, der bei aller Grausamkeit doch merkwürdig kurzsichtig ist, vorderhand gedient. Macht Euch aber auf alles gefaßt und traut dem Teufel nicht über den Weg! Im Notfalle flieht. Die Kordilleren sind glücklicherweise nahe und die Grenze von La Plata ist bald erreicht. Dort seid ihr in Sicherheit. Ich habe drüben manche Freunde. An die will ich Euch heute noch Briefe mitgeben. Besser vorsehen als nachsehen! Ihr bleibt bei uns bis morgen früh, dann ist alles besorgt.«

»Wie gut Ihr seid, Don Felipe!«

»Das ist kaum der Rede wert. Wir müssen uns gegenseitig stützen und helfen; das ist ebenso selbstverständlich wie natürlich. Und jetzt schaut Euch auf meiner Hazienda um, während ich an die Arbeit des Briefschreibens gehe. Meine Frau und die Kinder werden Euch Gesellschaft leisten und als Führer dienen.«

Unter anregenden Gesprächen wanderten Frau Ines und deren lebhafte Kinderschar mit Joaquin durch den ausgedehnten parkartigen Garten, besuchten die großen Rebenanlagen und sahen von einer Anhöhe aus über die wogenden Getreidefelder. Auf abgegrenzten Wiesenflächen trieben sich stattliche Viehherden frei herum, und der junge Mann gewann mehr und mehr den Eindruck, sein Gastfreund müsse ein recht vermöglicher Mann sein. In kleinen, aus Lehm gebauten und mit Ziegeln gedeckten Häusern, unweit des Hauptgebäudes, wohnten die zahlreichen, zur Hazienda Don Felipes gehörenden Leute, halbe Leibeigene, die sich aber bei der ihnen zuteil werdenden guten Behandlung wohlfühlten und sich überdies verhältnismäßig großer Freiheit erfreuten. Überall grüßten die Leute ihre Gebieterin achtungsvoll und höflich.

»Würde Osorio oder einer von dessen Spionen, die sich ja zahlreich genug in unserer Nähe, in Valparaiso herumtreiben, die wahre Gesinnung meines Gatten kennen«, sagte Frau Ines, während sie sich langsam wieder dem Hause zuwandten, »der Friede unseres Heimes wäre bald genug in ebenso grausamer Weise gestört wie der Eurige, Don Joaquin.«

»Da sei Gott vor! Möge er Euch vor solch schwerem Unglück bewahren!« entgegnete der junge Mann ehrlich erschrocken.

»Ich habe in diesem Zusammenhang eine Bitte an Euch«, fuhr Frau Ines fort, »durch deren Erfüllung Ihr viel zu meiner Beruhigung beitragen würdet.«

»Gerne erfülle ich, was Ihr verlangt, sofern das in meiner Macht steht, Señora.«

»So bitte ich Euch, erwähnt in Santiago bei keinem von Euren Bekannten das, was mein Mann über Politik zu Euch gesprochen hat! Ich ängstige mich furchtbar bei dem Gedanken, Don Felipe könnte seiner regierungsfeindlichen Gesinnung wegen verfolgt werden.«

»Solche Gesinnung hat jeder echte Chilene, das weiß der Diktator wohl«, antwortete Joaquin ruhig. »Ihr lebt glücklicherweise in keiner Stadt, sondern abseits des großen Weges und Verkehres. Darin liegt für Euch und die Euren meines Erachtens einstweilen der größte Schutz. Selbstverständlich aber werde ich gegen jedermann über meine mit Don Felipe ausgetauschten Gedanken schweigen. Das tat ich schon in Valparaiso. Vorsicht und Zurückhaltung sind ja jetzt für uns die dringendsten Gebote.«

»Dank, herzlichen Dank für Eure Worte!« rief Frau Ines, sichtlich erleichtert. »Mein Gatte würde mich zwar meiner an Euch gerichteten Bitte wegen auslachen, vielleicht sogar ausschelten, denn er kennt keine Furcht; aber ich finde, daß er die Gefahr nicht vorzeitig aufsuchen, sondern warten soll, bis sie wirklich au ihn herantritt, bis ihn das Vaterland ruft, bis die Stunde der Befreiung schlägt. Dann lasse ich ihn in Gottes Namen ziehen, mag kommen was da wolle. Jetzt aber möchte ich nicht, daß er die Zahl jener tief Bedauernswerten vermehrt, die, ferne der Heimat, in der Verbannung schmachten müssen. Er kann Chiles Sache hier in der Stille mehr nützen. Bisher war mein Gatte äußerst vorsichtig in all seinem Reden und Handeln. Erst der Zug der Unglücklichen, der hier vorbeikam, hat ihn so erregt, daß er aus seiner Zurückhaltung heraustrat.«

»Seid unbesorgt, Señora!« suchte Joaquin die ängstliche Dame zu beruhigen. »Soviel an mir liegt, sollen Euch und den Euren keinerlei unangenehme Folgen durch meinen Besuch in Don Felipes gastlichem Hause entstehen.«

»Das weiß ich wohl; meine Bitte war deshalb eigentlich auch unnötig; sie entsprang lediglich der schweren Sorge, die ich mir um den Gatten, den Vater meiner Kinder, mache. Ich konnte nicht anders, ich mußte dem gepreßten Herzen Luft machen und mich aussprechen. Verzeiht, Don Joaquin!«

»Ich habe Euch nichts zu vergeben, sondern ehre und begreife Eure Sorgen völlig«, wehrte Joaquin höflich ab. »Möge über Eurem Hause stets ein guter Stern leuchten und möge der Allmächtige Euch und die Euren in seinen besonderen Schutz nehmen!«

Still schritten Frau Ines und ihr Gast dem Hause zu. Dort übergab Don Felipe dem jungen Manne die versprochenen Briefe. Der Abend verfloß in angenehmer Unterhaltung. Frau Ines verabschiedete sich von Joaquin, bevor dieser sein Lager aufsuchte. Er wollte morgen in aller Frühe, lange vor Tagesanbruch, fortreiten, um noch am gleichen Tage Santiago zu erreichen.


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