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Drittes Kapitel

Lemunau rief den beiden Begleitern Tounens einige Worte zu und setzte dann plötzlich sein Roß in kurzen Galopp. Etwas betroffen hielt Tounens sein Pferd an und fragte Anibal nach der Ursache von Lemunaus unerwartetem Wegreiten.

»Er will dem Kaziken Euren Besuch ankündigen, Herr«, antwortete Anibal; »sogleich kommt er wieder zurück.«

»So warten wir hier«, entschied Tounens, der sah, wie Lemunau mit seinem Pferde eben hinter der Umzäunung des vordersten Hauses verschwand. Des Franzosen Herz fing an, ein wenig zu klopfen. Das Kühne und Gewagte seines Unternehmens kam ihm angesichts der Kazikenresidenz zum vollsten Bewußtsein. Aber dann sprach er sich selbst Mut zu. »Bah, es wird schon gehen! Bis jetzt verlief alles tadellos; mein Glücksstern, an den ich fest glaube, wird mich sicher nicht verlassen.« Der leichte, fröhliche Sinn des Franzosen hatte rasch alle auftauchenden Bedenken verscheucht. »Sehen wir uns inzwischen die Gegend an! Mir ahnt, sie wird der Mittelpunkt meines künftigen Lebens werden. Ein reizender Sitz fürwahr«, fuhr Tounens im Selbstgespräch fort, als er seine Blicke über den vor ihm sich ausdehnenden stattlichen See mit seinem hellen, klaren Wasser gleiten ließ. Stolz erhob sich zur Linken der Vulkan Villarica. Zwischen ihn und den breiten See schoben sich dichte Urwälder, während auf dem rechten Ufer, auf dem sich Tounens befand, herrliche Wiesen und fruchtbare Felder sich ausbreiteten und dazwischen wilde Apfelbäume ganze Waldungen bildeten. Ein kleiner Fluß, der natürliche Abfluß des Sees, strömte in nächster Nähe Westen zu und erhöhte durch das Rauschen seiner raschfließenden Wasser den Reiz des landschaftlichen Bildes, über dem sich ein satter, tiefblauer Himmel spannte. Von wunderbarer Durchsichtigkeit war, wie jenseits der Kordilleren, auch hier die Luft und ließ entfernte Gegenstände viel näher erscheinen, als sie wirklich waren. Die grasbewachsenen eintönigen Pampas aber konnten keinen Vergleich mit dem üppigen Pflanzenwuchs Araukaniens aushalten.

Wo solch natürlicher Reichtum vorhanden ist wie hier, ein Menschenschlag von diesen Eigenschaften, wie sie mir gerühmt wurden, da lohnt es sich schon, für meinen Plan einen hohen Einsatz zu wagen, dachte Tounens. Aber kommt dort nicht wieder Lemunau?

Eben ritt der Araukaner aus der grünen Umwallung von Kalvukuras Sitz wieder heraus und machte Tounens schon von weitem Zeichen, daß er näherkommen solle. Der Franzose spornte sein Roß an und hatte Lemunau, der sein Pferd wieder gewendet hatte, rasch erreicht. Ernst, ohne ein Wort zu sprechen, geleitete Lemunau den Franzosen in den Hof vor Kalvukuras Haus, wo eine feierliche Stille herrschte. Der Araukaner bedeutete Tounens, abzusteigen, und befahl Cäsar und Anibal, bis auf weiteres hier zu warten.

Während Tounens mit Lemunau aufs Haus zuschritt, trat aus dessen Tür würdevoll der Kazike heraus, angetan mit dem Zeichen seiner Stellung, einem dunkelroten um die Stirn und die tiefschwarzen Haare geschlungenen Bande. Obgleich nur von mittlerer Gestalt, machte doch die ganze Erscheinung durch ihren stolzen Ernst auf Tounens gewaltigen Eindruck. Um den kräftigen Körper war das blaue Lendentuch geschlagen, die hochgewölbte Brust bedeckte ein buntfarbig gewobener Poncho; die Haut war nahezu weiß. Alles, vor allem aber die edle Gesichtsbildung, zeigten, daß europäisches Blut in dem Geschlecht des Kaziken floß.

»Ich heiße dich willkommen in meinem Lande, Fremder«, redete Kalvukura Tounens in spanischer Sprache an, ihm die Rechte entgegenstreckend, die der Franzose freundlich schüttelte. »Du bist, wie mir Lemunau sagte, kein Spanier?«

»Ich bin Franzose«, beeilte sich Tounens zu sagen.

»Also eine Art Verwandter von uns; stammen wir doch auch aus einem Lande jenseits des Großen Wassers, aus dem vor altersgrauer Zeit unsere Vorfahren herüberkamen.«

Tounens hatte von dieser Legende schon früher gehört. Er schwieg.

»Mit den Spaniern wollen wir nichts zu tun haben«, fuhr der Kazike fort. »Es gefällt mir daher, daß du keiner bist. Willst du mein Gast sein, so steht es dir frei, hier zu bleiben, solange du willst.«

»Ich danke dir, Kazike«, erwiderte Tounens, »und nehme deine Gastfreundschaft gerne an.«

»So tritt ein!«

Das Innere des Blockhauses war in derselben Weise abgeteilt, wie Tounens es schon bei Lemunau gesehen hatte; nur war hier alles größer, geräumiger.

Auf das Händeklatschen des Kaziken trat aus einem Nebenraum ein junges, auffallend hübsches Mädchen. »Meine Tochter Rupaillang«, stellte der Kazike vor, nicht ohne Stolz sein Auge auf dem eben erst zur Jungfrau erblühten Kinde ruhen lassend, das bescheiden nach den Wünschen des Vaters fragte.

Dieser erteilte der Tochter einen Auftrag, den sie rasch ausführte. Bald standen vor den Männern Krüge mit Apfelwein. Die beiden Araukaner tranken schweigend in langsamen Zügen das aromatische Getränk, Tounens folgte ihrem Beispiel Ihm kam in diesen Minuten plötzlich alles wie ein toller Traum vor. Ihn, den sonst nicht gleich etwas in Verwirrung bringen konnte, hatte das Erscheinen des Mädchens geradezu berauscht. Allerlei sonderbare Gedanken fuhren ihm durch den Kopf, zu einem klaren, ruhigen Denken konnte er sich jedoch nicht durchringen. So ließ er den Augenblick mit all seiner reizvollen, ans Märchenhafte grenzenden Eigenart ohne Widerstand in ganzer Stärke auf sich einwirken.

Dem scharfen Auge des Kaziken war der Eindruck nicht entgangen, den seine Tochter auf den Fremden gemacht hatte. Diese Beobachtung berührte den Araukanerhäuptling durchaus nicht unangenehm. Was er Gutes über Tounens von Lemunau gehört hatte, fand er durch die Person des Franzosen vollauf bestätigt. Kalvukura hatte früher oft genug schon mit Chilenen zu tun gehabt; aber noch nie war ihm ein Weißer begegnet, der sich gleich von Anfang an so vorteilhaft ihm gegenüber eingeführt hätte wie dieser stattliche Europäer. Die körperlichen Vorzüge Tounens wirkten auf den Kaziken bestechend. Daß ein Weißer allein in sein Land kam – das hatten bis jetzt nur wenige gewagt und dann nur zu kurzer Durchreise – zeigte großen persönlichen Mut und zugleich auch ein hohes Vertrauen in des Kaziken eigene Ehrenhaftigkeit. Dem Einflusse solch offenkundig betätigter Gesinnung konnte sich der tapfere und rechtschaffene Kalvukura nicht entziehen. Er erinnerte sich, daß seine Großmutter eine Weiße war, die mit dem Großvater eine glückliche Ehe führte, wie ihm oft genug der Vater erzählt hatte. Wenn sogar eine weiße Frau, obgleich nach Indianerbrauch geraubt, sich bei ihnen im Araukanerland wohlgefühlt hatte, warum sollte dies nicht der Fall sein mit einem weißen Manne? Es hieß also abwarten und beobachten.

Lemunau erhob sich zuerst. »Ich muß jetzt nach Hause reiten; der Weg ist lang und der Tag nur noch kurz«, erklärte er dem Kaziken, der nun ebenfalls aufstand. Auch Tounens folgte dem Beispiel.

Die Männer traten aus dem Hause. Tounens ließ Lemunau durch den Kaziken für seine Begleitung aufrichtigen Dank sagen. Dann ein kurzer Händedruck, und Lemunau schwang sich aufs Pferd und galoppierte fort.

»Komm mit mir, Fremder! Ich werde dir deine Wohnstätte anweisen. Deine Diener mögen dir folgen!« Mit diesen Worten wandte sich Kalvukura an den Franzosen und schritt auf eines der entfernteren Häuser zu, das zu seinem Besitz gehörte.

Tounens war sehr befriedigt, als ihm der Kazike sagte, daß die Behausung zur alleinigen Benützung für seine Person diene; die beiden Pampasindianer würden anderswo untergebracht. »Herr und Diener gehören nicht zusammen«, entschied Kalvukura.

»Ich muß Anibal und Cäsar wieder über die Anden zurücksenden; dauernd darf ich sie nicht behalten.«

»So tu es gleich morgen!« riet Kalvukura. »Meine eigenen Leute werden am besten für deine Bedürfnisse sorgen.«

»Ich nehme dein Anerbieten mit Dank an, Kazike.«

»Nichts zu danken«, erwiderte dieser kurz.

Die einfache, aber saubere Hütte gefiel Tounens. Mit Hilfe von Cäsar und Anibal hatte er seine Wohnung bis zum Abend ganz ansprechend hergerichtet. An Gegenständen der verschiedensten Art fehlte es ihm nicht; sein Gepäck enthielt allerlei, was zur Annehmlichkeit und Verschönerung des Lebens beitrug. Bilder seiner verstorbenen Eltern, Ansichten seiner Heimat befestigte er neben Waffen und mancherlei Zierat in bunter Reihenfolge an den kahlen Holzwänden. Seine beiden Koffer stellte er übereinander und auf diese Bücher, kleine Becher und Blumenvasen aus Silber. In einer Nebenabteilung, die wie der Hauptraum mit dichten Matten belegt war, richtete Tounens seine Schlafstätte her. Schaffelle waren zu diesem Zwecke bereits vorhanden. Er legte diese aufeinander, breitete zwei rote Flanellteppiche über die Felle und faltete einen dritten Teppich als Kopfkissen zusammen. Zur Unterbringung seiner Kleider diente ihm eine der Proviantkisten. Der Rest seines umfangreichen Gepäcks wurde in die dritte und letzte Abteilung seines Blockhauses gebracht. Da dieses in nächster Nähe des Sees lag, bot sich Tounens die beste Gelegenheit, seinen Bedürfnissen der Reinlichkeit und Körperpflege vollständig Genüge zu tun. Tounens war über sein behagliches Indianerheim in solch fröhliche Stimmung versetzt, daß er laut zu singen anfing.

Der Kazike, der gekommen war, seinen Gast zum Mahle zu holen, blieb staunend unter der Türe stehen, als er die Einrichtung des Hauptraumes sah; mit noch größerem Staunen aber hörte er den munteren Gesang des Franzosen. »Fremder, komm!« rief Kalvukura in die Hütte hinein.

Sofort verstummte der Gesang, und Tounens trat aus seinem Schlafgemach.

»Du bist heiter und scheinst dich bei uns wohlzufühlen?« fragte der Kazike.

»O ja, ich freue mich, hier und bei dir zu sein.«

»Sag mir, wie heißt du denn eigentlich? Ich weiß noch immer deinen Namen nicht.«

»Ich heiße Orélie Antoine de Tounens«, antwortete der Franzose lächelnd.

»Das ist für mich ein schwer auszusprechender, viel zu langer Name; ich nenne dich einfach Antonio, falls dir dies recht ist.«

»Dagegen habe ich nichts einzuwenden. Wie darf ich dich anreden?«

»Kalvukura heiße ich für dich«, erwiderte der Kazike ernst. »Nun aber komm zum Essen! Die Frauen werden sonst ungeduldig.«

Tounens folgte dem Kaziken in das Hauptgebäude. Rupaillang mit zwei anderen Frauen war mit der Zubereitung des Essens beschäftigt. Sobald die Männer sich gesetzt hatten, trug die Tochter die Speisen auf. Sie selbst hielt sich mit den andern Frauen bescheiden im Hintergrunde des Raumes an der Feuerstelle. Schweigend verzehrten der Kazike und sein Gast das einfache Mahl. Darauf erzählte Kalvukura Antonio, daß seine Frauen gestorben und er Witwer sei; die beiden Frauen seien Verwandte von ihm und besorgten mit seiner Tochter zusammen den Haushalt.

»Ist dies deine einzige Tochter?« fragte Antonio den Kaziken.

»Ja«, erwiderte dieser. »Außer ihr habe ich noch drei ältere Söhne, die in meiner Nähe wohnen und verheiratet sind.«

Tounens genügte vorläufig diese Auskunft über des Häuptlings Familie. Er schwieg und beobachtete dafür um so schärfer das Mädchen, das ihm in seinem geschäftigen und doch stillen häuslichen Walten überaus gut gefiel. Er gestand sich, daß Kalvukura eine ganz eigenartig schöne und begehrenswerte Tochter sein eigen nenne.

»Ist es dir angenehm, so können deine Diener morgen schon zurück. In diesem Falle gebe ich ihnen einen wegkundigen Führer mit, der sie rascher über die Kordilleren hinüberbringt, als du herüberkamst«, hub nach längerer Pause der Kazike wieder zu sprechen an.

»Mir ist es recht, um so mehr, als ich, wie schon gesagt, die Leute doch längstens in einigen Wochen zurücksenden müßte und augenblicklich für sie ohnehin keine Beschäftigung mehr habe«, erwiderte Tounens.

»Gut, so will ich die Sache besorgen. Willst du später je einmal von uns fort, so stelle ich dir für die Reise ortskundige Männer zur Verfügung.«

»An die Abreise denke ich einstweilen noch nicht, bin ich doch eben erst angekommen«, sagte Tounens lachend.

Über des Kaziken ausdrucksvolles Gesicht huschte bei diesen Worten seines Gastes ein eigentümliches Lächeln.

»Dann rate ich dir, Antonio, unsere Sprache zu erlernen.«

»Das will ich mit Vergnügen tun. Wer aber soll mein Lehrmeister sein?«

Kaum war diese Frage gestellt, als ein leichter Schrei von der Feuerstelle her ertönte und eine der Frauen hastig aufsprang, die Hand vor das rechte Auge haltend. Der Kazike ging sofort auf die ängstlich gewordene Frauengruppe zu und wechselte mit ihr einige Worte. Sichtbar ärgerlich kam er zu seinem Gaste zurück.

»Was ist geschehen?«

»Tontia ist vom Feuer aus etwas ins Auge geflogen«, antwortete Kalvukura.

»Darf ich das Auge untersuchen?«

»Warum nicht, wenn du es verstehst«, erwiderte der Kazike.

»Ich glaube, daß ich ihr helfen kann.«

»Gut, so gehen wir zu Tontia!«

Der Franzose untersuchte vorsichtig das Auge der geduldigen Frau, während der Kazike wie auch dessen Tochter und Verwandte mit ehrfürchtiger Bewunderung dem Fremden zusahen, wie er das obere Augenlid über das untere zog, dann plötzlich zurückschnellen ließ und endlich mit einem feinen Instrumentchen, das er einem aus seiner Tasche gezogenen Behältnis entnahm, rasch und sicher einen Fremdkörper faßte, der infolge dieses Verfahrens im Auge Tontias zum Vorschein gekommen war. »Hier ist die Ursache des Schmerzes«, rief Tounens. »Sieh her!« Mit diesen Worten zeigte er das Holzkohlenstückchen dem Kaziken. »Jetzt ist alles vorüber. Tontia soll ein kleines Tuch, das sie vorher in kühles Wasser getaucht hat, auf das noch schmerzende Auge binden, und bis morgen wird es wieder völlig gesund sein.«

An Stelle Tontias dankte Rupaillang dem Fremden in warmen Worten für seine Hilfe. Verstand Tounens auch nicht, was das Mädchen sagte, so erriet er doch den Sinn und den herzlichen Ton der Worte, und der Blick der dunklen Augen packte ihn förmlich.

»Wenn deine Tochter meine Lehrerin in Eurer Sprache sein wollte, so würde ich diese jedenfalls schnell lernen, Kalvukura«, sprach der Franzose lächelnd.

Der Kazike übersetzte seiner Tochter Tounens Wunsch.

Eine Blutwelle schoß dem Mädchen plötzlich ins Gesicht, um ebenso rasch wieder zu verschwinden. »Sei es!« willigte Rupaillang rasch entschlossen ein. Dann aber verschwand sie so schnell im Nebengemach, als fürchte sie, ihre rasche Zusage wieder zurücknehmen zu müssen.

Tounens war durch seine bewiesene Kunst in des Kaziken Achtung gewaltig gestiegen, und auch Tontia wie ihre Schwester staunten den Franzosen wie ein höheres Wesen an. Die Männer setzten sich wieder.

»Du scheinst viel zu wissen und bist ein Medizinmann, Antonio.«

»Ich verstehe manches und studierte viele Jahre in der Hauptstadt meines Landes, auch etwas Medizin, wie man sie so braucht«, entgegnete Tounens leichthin.

»Da kannst du uns allen, ja unserm ganzen Volke von größtem Nutzen werden; denn einen solchen Mann wie du können wir gut gebrauchen«, antwortete nach einer Weile der Kazike nachdenklich, der Tounens Worte nur teilweise begriffen hatte. »Du wirst jetzt aber müde sein«, fuhr er fort; »der lange Ritt von heute verlangt Ruhe. Auf morgen denn!« Damit schüttelte Kalvukura die Hand seines Gastes.

Tounens zog gern seiner Hütte zu, trieb es ihn doch, den warmen Abend zu einem erquickenden Bad im See zu benützen. Bald darauf tummelte er sich schwimmend im Wasser. Nach dem Bade bewilligte sich der Franzose noch ein Pfeifchen Tabak, und als er den Rauch des duftenden Krautes vergnüglich vor sich hin blies, dankte er im stillen seinem guten Geschicke, das ihn hierher geführt hatte. In seinen Gedanken mit Rupaillang beschäftigt, schlief Tounens ein.


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