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Zwanzigstes Kapitel.
Überblick des Gesamtverlaufs der Völkerwanderung

Für die Indogermanen gab es zwei Wege nach Europa: südlich und nördlich des schwarzen Meeres.

Zuerst zogen Hellenen und Italiker (zum Teil wenigstens) über die See in die ihnen zugekehrten, naheliegenden und durch Inseln verbundenen südöstlichen Außenglieder unseres Erdteils: – Griechenland und Italien ein.

Rasch und groß sproßten diese Völker in den schönsten Ländern zu wunderbarer Blüte auf, länger als ein Jahrtausend hindurch vom nördlichen Europa isoliert.

Da erwuchs das klassische Altertum, das, in Kunst und Wissenschaft, Staatsbildung und Kriegswesen zum Teil noch heute fast unerreicht, die wichtigste Schule der spätern Menschheit geworden ist.

Der zweite Weg von Asien nach Europa nördlich des Pontus war ein unendlich weiterer, müh- und gefahrvollerer als der erste: daher auch zu Stählung von Körper und Geist der geeignetere. Er spaltete sich wiederum an der Nordwestecke des schwarzen Meeres in eine Süd- und Nordstraße.

Durch erstere, längs der Donau zwischen Alpen und Karpaten, wanderten die Kelten, später durch letztere, nördlich der Karpaten, die Germanen in das westliche Europa ein, denen bald auf eben derselben die Slaven folgten. Vergl. v. Wietersheim, Vorgeschichte deutscher Nation, Leipzig bei T. O. Weigel 1852.

Rom stand bereits auf der Höhe der Weltherrschaft, als der erste Zusammenstoß zwischen Römern und Germanen erfolgte. Die Art und Weise der Berührung beider war naturnotwendig die eines rohen Urvolkes mit einem Kulturstaate.

Rom versuchte zuerst das System allmählicher Abwehr durch Angriff und durch Unterwerfung der Germanen. Als dies durch die Varusschlacht gebrochen ward, verfiel es auf das der Grenzwehr, das sich auch nahe zwei jahrhundertelang bewährte. (Die gewaltsame Ausbreitung der Germanen über Rhein und Donau, schon vor Cäsar begonnen, ward nun lange Zeit erfolgreich gehemmt. D.)

Die Geschicke der Zukunft aber bereiteten sich auf anderm Wege vor.

Die dem germanischen Stamme eigentümliche Kulturfähigkeit erkannte früh schon den Wert römischer Bildung. Junge Edle wurden in des Reichs Hauptstadt und Heeren erzogen, Vertriebene daselbst aufgenommen; lebendiger Handelsverkehr (Kriegsgefangenschaft d. h. D.), Knechtschaft der einen im Lande der andern förderten die gegenseitige Berührung, deren mächtigster Hebel der römische Solddienst ward, welchem der Durst nach Krieg und Ruhm, wie nach Gelderwerb (zumal aber das Bedürfnis, die überschüssige Kraft aus den zu schmal gewordenen Sitzen strömen zu lassen D.) Tausende von Germanen fortwährend zuführte.

Dadurch bildete Rom selbst die Offiziere und Heerführer seiner spätern Feinde und endlichen Vernichter aus, wie es dies schon bei des Civilis Aufstand sehr ernst erfahren mußte. (Bd. I)

Da trat in dem Kriege, den wir den markomannischen nennen, der erste Akt der Völkerwanderung ein.

Gegen Beginn der letzten Hälfte des zweiten Jahrhunderts (c. 150) verließen die an Pregel, Weichsel und Ostsee – im heutigen Ost- und Westpreußen – sitzenden Völker ihre unbegünstigte (ungenügende D.) Heimat, sich in der Nähe von Roms Grenzen eine bessere (breitere D.) zu suchen.

Es war die große Familie der Goten, welche diese erste Wanderung vollbrachte, wobei der Völkerstrom andere verwandte Stämme, wie der Vandalen und Burgunder, mit sich fortriß.

Die Masse teilte sich; das Hauptvolk, die Goten (im engern Sinn D.), zog an das Schwarze Meer zwischen Don und Dnjepr, wo es wegen der Weite des Weges und der Notwendigkeit, den Durchzug zu erkämpfen, erst nach längerer Zeit angekommen sein kann.

Die Nebenvölker, so die Vandalen, zogen die Weichsel herauf, durch die Karpaten der Donau zu.

(Jenseits dieses Stroms war bereits im Jahre 165 einer der selten ruhenden Grenz- und Ausbreitungskriege zwischen Markomannen und Römern im Gange. Der Druck der neuen Wanderer vom Norden her gab dem Andrang der Donau-Germanen ganz neue Wucht und Bedeutung: der Markomannenkrieg währte beinahe fünfzehn Jahre, und sein Verlauf war furchtbar, dem punischen vergleichbar. D.) Rom war eine Zeit lang fast ohne Geld und Soldaten, von denen mehr als hunderttausend gefangen bei den Barbaren verweilten.

M. Aurelius aber war größer als die Gefahr; er ward ihrer Meister. Kein Fußbreit römischer Erde ging verloren; viele Tausende der heimatlosen Germanen dagegen wurden als neue tapfere Untertanen im Reich angesiedelt.

Hierauf ein halbes Jahrhundert scheinbarer Stillstand des großen Zertrümmerungsprozesses: nicht aber der innern Bestrebung und Vorarbeit dafür, nur der Wirkung nach außen.

Das durch Naturgrenzen nicht geschützte römische Zehntland zwischen Rhein und Donau ward das erste Feld germanischer Besitznahme.

Wann die Hauptmassen der Vandalen und Burgunder sowie die Lugier aus ihren Sitzen zwischen Oder und Weichsel nach Roms Grenze zuwanderten, wissen wir nicht (genau D.). Wir treffen sie zuerst unter Probus im Jahre 277 im Rücken der älteren Grenzvölker als deren Bundesgenossen an.

Über ein halbes Jahrhundert, vom Jahre 211–268, hatte Rom keinen großen Kaiser, ja, mit Ausnahme Maximins 235–238, nicht einmal einen Kriegshelden. Dieser einzige aber war ein roher Barbar, der zwar zu schlagen und zu siegen, jedoch nicht ordnend zu schaffen wußte.

Da trat nun die Periode argen Verfalles ein, in welcher ein Kaiser, Decius, auf dem Schlachtfeld, ein anderer, Valerian, in lebenslängliche Gefangenschaft fiel. Gleichzeitig tauchte (um das Jahr 226) ein neuer furchtbarer Reichsfeind im Osten auf, indem die Herrschaft der Parther durch die persischen Sassaniden gestürzt wurde, aus welchen der gewaltige Sapor hervorging, der ein zweiter Cyrus zu werden brannte.

Unter Gallienus, Valerians Sohne 260–268, erreichte das damalige Elend Roms den Gipfel.

In Zügen bisher unerhörter Großartigkeit ergossen sich zehn Jahre lang die Goten über Kleinasien und Griechenland bis Makedonien hinauf; die herrlichsten Städte des Altertums gingen in Flammen auf.

Der Übel größtes aber war, im Westen wenigstens, der Bürgerkrieg. Neunzehn »Tyrannen«, Anmaßer, erhoben sich wider den Herrscher, unter denen zwei jedoch, Odenat und dessen Gemahlin Zenobia, das Reich mindestens gegen die Perser siegreich schützten. Fünfzehn Jahre lang schmachtete der Westen unter »Tyrannen«, deren erster, Postumus, freilich ein kräftigerer Mann als der legitime Kaiser war.

Von Abwehr des äußern Feindes war keine Rede mehr: nur darin lag Minderung der Gefahr, daß ein großer Teil der Germanen in beiden Heeren für und wider gegeneinander selbst stritt. Immer aber ward ein weiter Strich Galliens von den Barbaren teils eingenommen, teils durchzogen, ja eine kleine Frankenschar drang heerend bis Spanien vor und verlor sich nach zwölf Jahren in Afrika.

Nicht allein der Anfang des Endes, sondern dieses selbst schien bereits eingebrochen, als Rom durch eine Reihe tapferer und großer Kaiser wieder gerettet, ja fast zu früherem Glanz erhoben wurde.

Aber nicht der tapferste, sondern der weiseste unter jenen Herrschern, Diokletian (285–305), ward des sinkenden Reiches wahrer und bleibender Retter, indem er demselben durch die Staatsreform eine neue, dem Zeitbedürfnis entsprechende Grundlage unterbaute.

Schon seine Vorgänger hatten den gefährlichsten Reichsfeind, die Goten, unschädlich gemacht: – Claudius durch den glänzenden Sieg bei Naissus, eine Wiederholung der raudischen Kimbrerschlacht, und Aurelian durch die Abtretung der großen Provinz Dakien jenseits der Donau an dieselben.

Die Völker des Westens aber, nebst deren Bundesgenossen, Vandalen, Burgundern und Lugiern hatte der Held Probus so gründlich bezwungen, daß er dem Senate, freilich im Bulletinstile, melden konnte: »Unterworfen ist, so weit es reicht, ganz Germanien. Neun Könige verschiedener Völker liegen vor Euren Füßen.«

Schon in den nächsten zwei Jahren aber erhoben sich die Besiegten aufs neue und der alte Zustand schien wiederzukehren, als Diokletian vom Jahre 285 an die bleibende Hilfe brachte. Die Teilung der Reichsverwaltung, die tapfern und tüchtigen Männer, die er zu Cäsaren ernannte, dämmten die Germanengefahr zurück. Ja der Nachfolger und Vollender seines Werkes, Constantin der Große, verlieh mindestens dem Ostteile des Reichs frisches Leben und mehr als tausendjährige Dauer noch dadurch, daß er das seiner Lage nach einzige Konstantinopel zur Residenz erhob.

Nur einmal noch, unter der Regierung des Constantius, dieses schwachen Sohnes eines großen Vaters, ward durch Erhebung eines neuen Tyrannen in Gallien und den daraus folgenden Bürgerkrieg die Raub- und Kriegslust der Barbaren des Westens wiederum geweckt. Schon waren die Rheinfestungen, darunter selbst das starke Köln, in ihren Händen, als der neue Retter, der jugendliche Julian, auf den Plan trat.

Er wußte wie Cäsar zu schlagen und zu siegen. Die salischen Franken, die eigenmächtig das Land zwischen Schelde und Maas, Toxandrien, besetzt hatten, wurden als Untertanen aufgenommen, die Ripuarier, selbst die sächsischen Chauken zu demütigem Frieden, die Alemannen aber in vier Feldzügen sogar zur Tributpflicht gezwungen.

Julians Werk setzte fort mit eiserner Faust und Willenskraft Valentinian I. (Die hart an den Grenzen zum Tal nach Föderatverträgen siedelnden Germanen, zumal Alemannen und Goten, hatte beginnende Romanisierung ergriffen D.)

In diesen langen, mehr als ein Jahrhundert umfassenden Zwischenakt der Völkerwanderung fällt nun der Sieg des Christentums in Rom, sowie das Eindringen desselben zu den Germanen in der Form des (damals im Kaiserreich überwiegenden D.) Arianismus.

Neuen Anstoß empfingen dann die Germanen durch den Einbruch der Hunnen – dieser Wanderung von der chinesischen Mauer bis zur Loire.

Vor diesen Mongolen entwichen nun zunächst die schon im Übergange zu (Christentum und römischer D.) Zivilisation begriffenen Westgoten zu den Römern. Treulos und töricht gereizt, griffen sie zum Schwerte; die Entscheidungsschlacht bei Adrianopel, in welcher Kaiser Valens fiel, machte sie zu Herren der europäischen Provinzen Ostroms.

Noch einmal ward jedoch das Gesamtreich durch Theodosius, den letzten großen, mehr noch weisen Kaiser gerettet, der es verstand, die Westgoten zu beschwichtigen.

Als aber auf Theodosius im Jahre 395 die letzte und bleibende Reichsteilung unter dessen schwache, noch im Jünglings- und Knabenalter stehende Söhne, Arcadius und Honorius, folgte, loderte die Gefahr plötzlich aufs neue, ja furchtbarer als zuvor wider Westrom auf.

Seit beinahe achthundert Jahren hatte die Hauptstadt der Welt keinen Eroberer in ihren Mauern gesehen. Alarich, der Westgote, ein kühner Mann, ward, nachdem der Kaiser selbst seinen besten Feldherrn Stilicho hatte töten lassen, in Rom der erste Nachfolger des gallischen Brennus. Gleichwohl bildet die zweimalige Einnahme Roms durch Alarich eben so wenig ein Schlagmoment der Völkerwanderung, als die spätere durch Gaiserich im Jahre 455. Jener wollte das Reich nicht vernichten, nur in und neben demselben über sein Volk herrschen; der Vandale nichts als plündern.

Dagegen ward der Rheinübergang der Vandalen, Alanen und Sueben zu Anfang des Jahres 406, zu denen im Jahre 412 die Westgoten in Gallien stießen, eine weitere bedeutsame Station der Völkerwanderung.

Im Jahre 409 zogen erstere über die Pyrenäen und setzten sich im Jahre 411 bleibend in Spanien fest. Im Jahre 413 (? D.) nahmen die Burgunder das heutige Land dieses Namens ein; im Jahre 419 endlich ward den Westgoten das südwestliche Gallien von Kaiser Honorius förmlich abgetreten. Noch aber erkannten diese Völker eine gewisse, wenn auch nur scheinbare Oberhoheit Roms an, das sich unter seinem letzten großen Feldherrn, Aëtius, das ganze übrige Gallien und den größten Teil Spaniens wieder unmittelbar unterwarf.

Schlimmer daher war der Verlust, den es durch den furchtbarsten aller germanischen Eroberer, den Vandalenkönig Gaiserich, erlitt, der ihm vom Jahre 427 an das weite und reiche Afrika – seine Kornkammer – samt den Inseln des Mittelmeeres entriß und daselbst einen Piratenstaat gründete, der ein halb Jahrhundert lang zur Quelle ungeheurer Reichtümer für ihn, namenloser Verheerung aber für Italien und andere Küstenländer wurde.

Einhundertsieben Jahre lang hatte das Vandalenreich bestanden, als es, nachdem die Germanen stark verweichlicht waren, durch Justinians Feldherrn Belisar im Jahre 534 mit Leichtigkeit wieder gestürzt wurde.

Nur mittelbar, als Triebkraft und Sprengkeil, hatte der Hunneneinbruch vom Jahre 375 ab bisher auf die Völkerwanderung eingewirkt, namentlich das Eindringen der Germanen (in das Ostreich, dann D.) in Gallien, Spanien und Afrika hervorgerufen.

Da hätte es scheinen können, als sei der ungeheure Attila, die gewaltige Gottesgeißel, bestimmt, das Zertrümmerungswerk unmittelbar zu vollbringen.

Aber Attilas Reich war eben auf seine Persönlichkeit gebaut: mit deren Untergang zerfiel es sogleich.

Daher bilden dessen Feldzüge der Jahre 451 und 452 in Gallien und Italien mit jener weltgeschichtlichen Völkerschlacht bei Châlons nur ein zwar merkwürdiges, aber für den Endverlauf nicht entscheidendes Zwischenspiel in dem großen Drama der Völkerwanderung.

Erst nach Attilas Tode, als Valentinian III. selbst im Jahre 454 durch des Aëtius Ermordung das Reich seiner letzten Stütze freventlich beraubt hatte, begann der Untergang des weströmischen Kaisertums, der einundzwanzig Jahre lang sich hinzog

Nicht äußere Bedrängnis, deren schwerster Anprall so eben glücklich abgewendet worden war, der innere Todeskeim – die wachsende Macht der Barbaren im Innern des (entrömerten D.) Reiches selbst – brachte dies Weltereignis zur Reife.

Seit Jahrhunderten bestand das römische Heer großenteils aus geworbenen Ausländern, meist Germanen. Mit dem Bedürfnisse steigerte sich deren Anzahl, zugleich aber deren Selbstgefühl und Anmaßung und dadurch wieder der Barbarenhaß auf römischer Seite.

So lange noch des Theodosius Sohn und Enkel herrschten, verdeckten große Feldherren, die Gewohnheit des Gehorsams und ein gewisser Zauber der Legitimität die innere Zerwürfnis und die Schwäche des Reichs. Als aber die Nemesis Aëtius an Valentinian III. durch gleiches Ende gerächt hatte, entlud sich, unter wachsender äußerer Bedrängnis, das innere Verderben im Staatskörper. Ein kühner Abenteurer suebischer Abkunft, der Patricius Rikimer, riß als Parteihaupt der Fremdtruppen die höchste Macht im Staat an sich, erhob und stürzte neunzehn Jahre lang nach Gutdünken die Kaiser, deren in einundzwanzig Jahren neun den Thron bestiegen. Selbst die Tüchtigen, ja ein hervorragender Mann unter ihnen, Majorian, erlagen der im Finstern schleichenden Arglist und den überlegenen Armen der barbarischen Söldner.

Immer höher steigerten sich deren Ansprüche, bis sie ein Dritteil der Ländereien Italiens als Eigentum forderten und in Odovakar, einem zugewanderten und als Offizier in die Leibwachen eingetretenen Abenteurer, den Mann fanden, welcher ihnen das Verlangte verschaffte, nachdem er den letzten Kaiser Roms – einen unreifen Jüngling, der die stolzen Namen »Romulus« und »Augustus« trug – im Jahre 476 zur Abdankung gezwungen hatte.

Noch herrschte zwar bis zum Jahre 480 der aus Italien vertriebene Kaiser Nepos in Dalmatien; auch nahm Odovakar von Zeno, dem Kaiser Ostroms, den Titel eines Beamten an und regierte in der Tat in den alten Formen über Italien.

So wenigstens der Schein. Im Wesen aber war es doch ein germanisches Königtum, das sich auf dem Grunde der ewigen Stadt über das Land erhob, welches an sieben jahrhundertelang die Welt beherrscht hatte.

Darum dürfen wir das Jahr 476 als das des Untergangs Westroms bezeichnen, das bis dahin zwar nicht staatsrechtlich, aber doch tatsächlich seit hundertneunzig Jahren, mit kurzen Unterbrechungen, als besonderes Reich bestanden hatte.

Mit dessen Fall aber ward durch Odovakars Erhebung das große Ausbreitungs-, Zertrümmerungs- und Neugründungs-Werk, welches wir die »Völkerwanderung« nennen, vollendet.

Nun war der Boden für den germanischen Neubau auf römischer Erde geebnet, der schon seit dem Jahre 411 auf verschiedenen Punkten begonnen hatte.

Sueben, Vandalen und Alanen, Burgunder und Westgoten hatten in Spanien, Gallien und Afrika neue Reiche, teils vorübergehender, teils mehr bleibender Dauer gegründet, deren Entstehung und Fortgang in die Geschichte Westroms tief eingriffen.

Erst nach dessen Untergang aber erhob sich im Jahre 482 das mächtigste aller Germanenvölker – das fränkische unter Childerichs Sohn, Chlodovech, der im Jahre 486 durch die Schlacht bei Soissons den letzten Rest römischer Herrschaft im Westen Europas, die des Syagrius über einen großen Teil Nordgalliens, vernichtete. Dieses Außenglied, soweit es überhaupt noch einen Zusammenhang mit dem Hauptkörper gehabt hatte, gehörte dem oströmischen Reich, als dem allein noch übrigen, an.

Ostgoten und Langobarden nahmen an der Zertrümmerung Westroms nicht in erster, sondern nur in zweiter und dritter Linie, d. i. insofern Anteil, als sie die früheren Eroberer und Besitzer aus dessen Herzen wieder vertrieben.

Für sie liegt der Abschluß in dem Moment, in welchem sie, ihre vorletzte Heimat verlassend, zum Neubau auf römischer Erde, d. i. zur Eroberung Italiens sich anschickten: also für die Ostgoten im Jahre 488, für die Langobarden im Jahre 568.

Die Zertrümmerer Westroms zerfallen in zwei Hauptkörper:

1) wirkliche Wandervölker (Aber auch bei diesen begegnet kein Fall des Aufbruches nach einem mit Bestimmtheit gewählten fernen Ziel: nur ganz allmählich gelangen, ohne solch fernes Ziel von Anfang zu suchen, immer in der nächsten sichern oder leeren und genügenden Landschaft sich niederlassend oder doch die Niederlassung versuchend, auch diese sogenannten »Wandervölker« in entlegenere Sitze: so von den Kimbrern und Teutonen (120 v. Chr.) an Markomannen (c. 8), alle Goten (c. 150), Langobarden, Vandalen, Alanen, Sueben 405 (aber allerdings bis Afrika und Spanien sehr allmählich, in vielen Stationen), Westgoten (c. 376), Burgunder (c. 400), Ostgoten (c. 470), Bayern (c. 500). Langobarden (c. 568). D.), welche die alten Sitze aufgeben und aus größerer oder geringerer Ferne nach Roms Grenze drängen, erst nach Jahrhunderten der Hin- und Herzüge aber sich in dessen Gebiet niederlassen: (sie sind spurlos unter- oder als »Romanen« in den Römern und Provinzialen aufgegangen. D.).

2) Grenzvölker, die nicht wandern, ihre Heimat im Wesentlichen nicht verlassen sondern nur erobernd allmählich in römisches Land vordringen und daselbst neue Reiche gründen: (diese haben sich hier behauptet als Deutsche rechts, als »Romanen« [Franzosen] links des Rheins. D.).

Jenen gehören, nach der Entfernung ihrer Heimat geordnet, zuerst die (nicht germanischen Alanen D.), Goten und Gepiden an, denen bald Vandalen, Burgunder und einzelne Sueben, endlich die Langobarden folgen.

Die zweite Kategorie umfaßt im 5. Jahrhundert Franken, Thüringe, Friesen, Sachsen, Alemannen (und Bayern), von denen die ersteren langsam in Gallien, die Sachsen über See in das benachbarte Britannien vordringen.

(Erst im 6. Jahrhundert oder ganz zu Ende des 5. ziehen die zu Bajuvaren gewordenen Markomannen gegen Westen in das spätere Bayern und Österreich. D.)

War das römische Land der Völkerwanderung gemeinsames Endziel, so bedurfte es selbstredend der Herzuwanderung nur für die fernsitzenden, der Eroberung ohne solche (durch Ausbreitung D.) für die Grenzvölker.


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