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Fünftes Kapitel.
Gratian bis zu des Valens Tode

Die Geschichte der Regierung Gratians vom November 375 bis zum Jahre 378 ist in unserm Ammian verloren gegangen. Dieselbe bildete (nach Chifflets und Heinr. Valesius begründeter Vermutung) das ganze einunddreißigste Buch, während das gegenwärtige dieser Ziffer ursprünglich das zweiunddreißigste war. Dies nötigt uns, kurz zu sein.

Obgleich die Ernennung seines vierjährigen Bruders Valentinian II. sicherlich das Werk einer Intrige der Großen war, die ein Doppelregiment und darunter das eines Kindes ihrem Einflusse förderlich fanden, so nahm es der noch nicht siebzehnjährige Gratian doch mit brüderlicher Liebe auf.

Die nach Zosimus (IV, 19) gleichzeitig, aber ohne des Oheims Valens Mitwirkung (Eunapius, p. 149) beschlossene Teilung erfolgte naturgemäß dergestalt, daß Gratian die Präfektur Gallien, das Land jenseits der Alpen, Valentinian II. die Italiens (s. Bd. I, S. 292) erhielt, ersterer aber unzweifelhaft auch seines Bruders Reichsteil als Regent verwaltete.

Um dieselbe Zeit ungefähr fiel leider der edle Theodosius in Afrika dem leicht erklärlichen Neide der Großen, wie Orosius (VII, 33) sagt.

Die Geistesreife und Willensenergie, seiner Herren, d. i. der Minister und Hofbeamten, Herr zu werden, mochte dem kaiserlichen Jünglinge noch fehlen. Wahrscheinlich ward Theodosius des Versuchs der Empörung, wozu er allerdings die Kraft besaß, beschuldigt: ob der Verdacht ein irgend wie begründeter war, wissen wir nicht, möchten es aber bezweifeln. Unter seines Sohnes Regierung setzte der Senat ihm Denkbilder zu Roß. (Symmachus Briefe I, ep. 22 u. 57.)

Wenig später anscheinend ward Themistius, der unerschöpfliche Lobredner, von Valens zu Gratian und von letzterm wiederum nach Rom gesendet, wo er vor dem Senat seine dreizehnte Rede hielt, der man, weil des Kaisers Schönheit feiernd, den Namen ερωτικός gab. Panegyrischer Wortschwall ohne Wert für die Geschichte.

Daß der junge Kaiser mit den Quaden Frieden schloß, alte Abgabenrückstände erließ und auch sonst des Guten viel tat, ist nicht zu bezweifeln.

Von unsicherm kommen wir nun (in Ammians 10. Kapitel des XXXI. Buches) wieder auf festen Boden.

Jeder Sturm im Osten fand, schon von des Severus Alexander Zeit her, seinen Rückschlag im Westen des Reichs. So auch diesmal.

Ein unter den Schildenern der Garde dienender Alemanne aus dem Linzgaue setzte, in die Heimat beurlaubt, seine Landsleute von des Valens Bedrängnis durch die Goten und Gratians beabsichtigtem Hilfszug dahin in Kenntnis.

(Da erwachte, des abgeschlossenen Bundesvertrags unerachtet, im Volke der alte Drang, über den Rhein sich auszubreiten. D.) Im Februar 378 ging eine Raubschar, wahrscheinlich unterhalb Schaffhausen, über den gefrorenen Rhein, ward aber von den zur Grenzhut daselbst aufgestellten Kelten und Petulanten nachdrücklich, wenn auch nicht ohne eigenen Verlust, zurückgeschlagen. Da in der Handschrift einige Worte fehlen, würde auch die Deutung, daß die Römer zurückgedrängt worden, möglich sein. Obiges entspricht aber nicht nur des Valesius Vermutung, sondern ist auch nach dem Folgesatze gewiß richtiger.

Hierdurch nicht abgeschreckt und erfahrend, daß der größte Teil des römischen Heeres schon nach Illyrien abmarschiert sei, boten die Alemannen größere Massen auf. Mit 40 000 Mann Die von den Lobrednern auf 70 000 gesteigerte Zahl hält Ammian offenbar selbst für übertrieben. Wenn dagegen Hieronymus in seiner Chronik sagt, daß circiter 30 000 geblieben seien, so stimmt dies mit Ammian wenigstens annähernd überein. fallen sie in das Römerland ein: und zwar vielleicht im heutigen Thurgau, weil innerhalb des Westwinkels des Rheins, dem heutigen Argau gegenüber, der Gau der Fürsten Gundomad und Vadomar, zuletzt Vitikabs (Bd. I, S. 524, 534) lag, von dessen Teilnahme am Kriege nicht die Rede ist.

Sogleich beordert Gratian die östlich abmarschierten Truppen wieder zurück und ernennt den Comes Nannenus (Bd. I, S. 536), nebst dem Frankenfürsten Mellobaud zu Führern des eilig zusammengezogenen gallischen Heeres. Die Alemannen ziehen sechzehn bis zwanzig Meilen weit den Rhein hinab bis in die Gegend des heutigen Colmar, wo (oder bei dem nahen Neubreisach) das alte Argentaria, die Hauptstadt der Rauraker, unbezweifelt lag.

Nannenus will einem Treffen ausweichen, der kühne Mellobaud aber sofort losschlagen, womit er auch durchdringt.

Mit einem Wurfgefechte beginnt die Schlacht: als aber die Römer die große Menge der Feinde wahrnehmen, weichen sie aus der Ebene bis an die waldigen Vorhöhen (der Vogesen?) zurück und nehmen dort in gedeckterer Stellung wiederum festen Platz. Plötzlich erkennen die Barbaren in der Ferne den Glanz der Waffen, mit welchen der Kaiser selbst heranzieht, und wenden sich sofort erschreckt zur Flucht, nur von Zeit zu Zeit noch Stand haltend und fechtend. Das Blutbad ist fürchterlich: auch der König (und Herzog) Priarius, den Ammian den Anstifter dieser verderblichen Schlacht nennt, fällt: die Zahl der Entronnenen ward nur auf 5000 geschätzt.

Haben wir Ammians Bericht über die Schlacht bei Argentaria unverstümmelt erhalten, worauf aber nie mit Sicherheit zu rechnen ist, so leidet er an einem großen Mangel, indem er nicht anführt, von welcher Seite das kaiserliche Heer gekommen sei.

Nach militärischem Urteil muß dies die Alemannen im Rücken angegriffen haben. Gratian ruft seine auf der Militärstraße nach Osten vorausgeschickten Truppen zurück: er selbst wollte vorher mit diesen nach Illyricum ziehen. Die gallische Armee wird auch nicht von ihm, sondern von Unterbefehlshabern geführt, weshalb er sich gewiß nicht bei derselben befand. Läßt dies schon vermuten, daß er für seine Person mit den zum Abmärsche nach Illyricum bestimmten rasch wieder zurückgeführten Truppen in Eilmärschen den Alemannen nachrückte, so wird dies ungleich schlagender durch den Erfolg bestätigt. Bei der Straßburger Niederlage hatten die Alemannen den Rhein im Rücken und verloren doch von 35 000 nur ungefähr 12 000 Mann (Bd. I, S. 471). Und hier, wo nichts deren Flucht behinderte, sollen von 40 000 deren 35 000 oder nach Hieronymus wenigstens 30 000 Mann geblieben sein. Endlich sind es nicht die Römer, sondern die Alemannen, welche Gratians Ankunft zuerst wahrnehmen, demselben daher näher gewesen sein müssen, was doch nur dann möglich war, wenn er ihnen in den Rücken kam.

Aus diesen Gründen sind wir (obgleich selbst der kritische Gibbon dies unbeachtet läßt) der Überzeugung, daß nur ein kombinierter Angriff der Römer von der Fronte und im Rücken jene starke Niederlage der Alemannen zu erklären vermag.

Indem der Kaiser die Fliehenden den Rhein aufwärts verfolgte, wohin ihn der Marsch nach Osten ohnehin führte, beschloß er, an der Grenze ihres Gebietes angelangt, das bundbrüchige Volk wo möglich ganz zu vernichten, ging daher links abbiegend über den Rhein.

An Widerstand wie an Flucht verzweifelnd ziehen sich die Alemannen mit Familien und Habe auf die unzugänglichsten Berggipfel zurück. Gratian wählt aus jeder Legion fünfhundert der Tapfersten aus und sucht mit dieser Elite die Höhen zu erstürmen. Der gegen Mittag begonnene Kampf dauert bis in die Nacht; mit Verzweiflung verteidigen sich die Barbaren; mit größter Tapferkeit greifen, durch das Beispiel des in den vordersten Reihen fechtenden Kaisers angefeuert, die Römer an. Das Übergewicht der Stellung ersterer ist aber zu groß, das Herabschleudern von Steinen so wirksam, daß der Sturm erfolglos bleibt.

Schon erwägt der Kriegsrat, ob es nicht zweckmäßiger sei, durch Aushungerung die Feinde zu bewältigen, als diese ihre Stellung verlassen und sich auf noch höhere Berge in der Nähe zurückziehen, wohin Gratian ihnen sofort nachrückt und mit gleicher Energie die Fußpfade zum Angriffe aufsucht.

Da bricht der Mut der Linzgauer; sie bitten flehentlich um Kapitulation und erhalten auch freien Abzug, unter der Bedingung, ihre ganze streitkräftige Jugend als Rekruten zu stellen.

Wunderbare Eigentümlichkeit der Germanen, denen der Übertritt aus dem wildesten Kampf in die Reihe der Feinde, denen sie dann mit gleicher Tapferkeit und Treue dienten, ganz natürlich erschien.

Nach Bestrafung des verräterischen Schildeners zog der Kaiser nun über Arbor felix auf der nächsten Straße nach Lauriacum (Lorch unfern Ens) zur Donau, seinem Oheim zu Hilfe zu eilen.

Im Osten seines Gebiets hatte inzwischen der tüchtige Frigerid trefflich gesorgt, namentlich die Pässe von Succi sorgfältig befestigt, als er, anscheinend wegen abgelaufener Dienstzeit, abberufen und durch Maurus Derselbe erwähnte Offizier, dessen Ordenskette bei dem Aufstande zu Paris zu Anfang des Jahres 360 Julian anstatt Diadems aufgesetzt wurde., einen unzuverlässigen Mann, ersetzt ward, was Ammian bitter rügt.

Mit schwerem Herzen nehmen wir bei dieser letzten Erwähnung von dem trefflichen Historiker Abschied.

Er schließt in dem schon oben erwähnten 16. Kapitel, das er unzweifelhaft in den letzten Jahren von des Theodosius Regierung schrieb, sein Werk mit den Worten:

»Dies habe ich, als vormaliger Soldat und Grieche, von Nervas Regierungsantritt an bis zu des Valens Tod, nach dem Maße meiner Kräfte geschrieben.

Dies Werk bekennt sich zur Wahrheit, die ich nach meiner Überzeugung niemals wissentlich durch Verschweigung oder Lüge entstellt habe.

Die Folgezeit mögen bessere Männer, in Alter und Wissen blühend, darstellen. Wollen sie dies beginnen, so rate ich ihnen, ihrer Beredsamkeit den Schwung eines höhern Stils zu verleihen.«

In der Tat: der Mann, der uns hier verläßt, ist ein wahrhaftiger und der letzte Geschichtsschreiber einer schlechten Zeit gewesen. Welch' ein Unterschied zwischen Sueton, den er fortsetzte, und ihm! An seiner Schreibart erkennt man den Griechen jener Periode. Fast unerträglich dünkt sie im Anfange: aber man gewöhnt sich endlich daran, ja man gewinnt sie, wie den Fehler eines Freundes, beinah lieb.


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