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Zwölftes Kapitel.
Die Westgoten in Gallien und Spanien bis zum Tode des Honorius (423)

Im Jahr 412, wohl im Frühjahr, zog Ataulf über die Alpen, vermutlich über den Mont-Cenis, mit den Goten in Gallien ein. (Prosper Aquit. und Tiro.)

Was zu diesem weltgeschichtlichen Entschlusse mitwirkte, ward zu Ende des 11. Kapitels erwähnt. In der Tat war in Italien neben Roms Kaiser kein Raum für einen König der Goten. Wie dieser aber seine Aufgabe auffaßte, ersehen wir aus einem merkwürdigen Selbstbekenntnisse desselben, das uns Orosius (VII, 43) in nachstehenden Worten mitgeteilt:

»Unfern Bethlehem, in Palästina, habe ich selbst mit angehört, wie ein frommer, weiser und zuverlässiger Narbonnenser, der unter Theodosius eine hohe Militärwürde bekleidet hatte, dem gesegneten Hieronymus Folgendes berichtete:

Von Ataulf selbst, mit dem er zu Narbonne (wo Ataulf im Jahre 415 Weil nach der Vermählung mit Placidia und vor dessen Tod, den er sonst wohl erwähnt haben würde. Auch gibt Bedas Chronik ausdrücklich das Jahr 415 an. war), in dem vertrautesten Verhältnisse gelebt Wahrscheinlich als früherer Waffengenosse unter Theodosius., habe er oft unter Beteuerungen vernommen, wie derselbe im Eifer der Kraft, des Mutes und Unternehmungsgeistes von dem brennenden Verlangen erfüllt gewesen sei, Rom und dessen Reich bis auf den Namen zu vernichten und auf dessen Boden ein neues, ein Gotenreich aufzubauen, für das er habe werden wollen, was Cäsar Augustus einst für jenes gewesen sei.

Längere Erfahrung aber habe ihn überzeugt, daß der Goten ungezügeltes Barbarentum sich unter die Herrschaft von Gesetzen nicht beugen lasse, ein Staat aber der Gesetze, ohne welche er gar kein Staat sein würde, nicht entbehren könne. Deshalb habe er vorgezogen, in Wiederherstellung und Kräftigung Roms seinen Ruhm zu suchen, damit er bei der Nachwelt, weil er nicht habe Roms Zerstörer werden können, als dessen Retter und Erhalter gefeiert werde.

Daher entsage er dem Krieg und trachte nach Frieden. Hierbei sei er vorzüglich auch durch die Überredung und den Rat seiner Gemahlin, Placidia, die eben so scharfen Geistes, als frommer Gewissenhaftigkeit sei, für die Wirksamkeit in gutem Geiste gewonnen worden.«

So weit Orosius. Derselbe ist kein Historiker, häufig ungenau, immer befangen, wo er als Theolog schreibt, gleichwohl ein geistreicher und hochgebildeter Zeitgenosse. In Obigem aber hat er nicht Geschichte geschrieben, sondern nur über selbst Gehörtes ein Zeugnis abgelegt, das unzweifelhaft vollen Glauben verdient. Dies aber um so unbedingter, weil es durch die ganze Macht der innern Wahrheit unterstützt wird. Man erinnere sich, was wir oben über Alarichs Verhältnis zu Rom sagten, der diesem Staate, selbst unter einem Kaiser, der nur seine Kreatur war, lieber dienen, als ihn zertrümmern wollte.

Ein anderer, vielleicht der gewichtigste Grund ist von Ataulf unerwähnt geblieben.

In jedem germanischen Neubau auf römischem Boden konnten die Germanen nur die herrschende Minderzahl sein; die Mehrzahl der Untertanen, fast die ungeheure, blieben Römer. Beraubt und geknechtet, wären diese für den Herrscher wertlos, zur Verzweiflung gebracht, gefährlich geworden, während sie geschont, erhalten, willig und zufrieden – wie wenig gehörte dazu, das kaiserliche Regiment zu übertreffen! – für Finanz- und Staatsinteresse von unschätzbarem Vorteile, ja fast des Königtums beste Stütze werden konnten.

Letzteres zu erlangen, gab es kein sichereres Mittel, als die Ableitung der neuen Gewalt von der alten. Die Person des Herrschers war den Römern längst gleichgültig geworden, das Fortleben der alten gewohnten Staatsidee und ihres meisterhaften Verwaltungsapparats war die Hauptsache. Das haben mehr noch als Ataulf, dem nur ein kurzes Wirken in der Übergangsperiode vergönnt war, dessen größere Nachfolger, Eurich, Theoderich der Große und Chlodovech der Franke, die geordnete Reiche begründeten und behaupteten, begriffen.

Als Ataulf mit dieser Gesinnung in Gallien ankam, soll ihn (nach Olympiodor, p. 454) Attalus, der immer noch Schutz und Gnadenbrot bei den Goten genoß, bewogen haben, sich statt für Honorius für Jovinus, den neuen Tyrannen, zu erklären. Dies ist jedoch nur in so weit glaubhaft, als des Attalus Rat des Königs eigener Mißstimmung wider Honorius zusagte.

Diese könnte, da Trug und Wortbruch, mindestens Unzuverlässigkeit in Ravenna stets zu Hause waren, eine politische gewesen sein: höchst wahrscheinlich aber war sie durch Placidiens Verhältnis zu Ataulf zugleich und vor allem eine persönliche, da diese, sei es aus eigener Abneigung oder aus Rücksicht auf ihren Bruder, des Königs Wunsche zu entsprechen immer noch zögerte. Ataulf war nach Philostorgius (XII, 4) vermählt mit einer Ostgotin (Sarmatin meint Ph.), Dahn, Könige V, S. 61: er hinterließ bei seinem Tode Kinder aus dieser ersten Ehe, die noch nicht erwachsen. Ob er nun bei dem Bekanntwerden mit Placidien schon Witwer gewesen oder dies nachher erst geworden oder seine erste Gemahlin verstoßen, was auch bei christlichen Königen selbst später noch vorkam, wissen wir nicht.

Immer aber müssen wir nach Olympiodors Worten, p. 457, daß die neue Vermählung ’Αδαούλφω σπουδη̃ καὶ υποθέκη Κανδιδιανου̃ zu Stande gekommen sei, annehmen, daß der bisherige Verzug von Placidiens Seite gekommen sei.

Charakteristisch aber für dessen Person und mehr noch für die germanische Achtung der Frauenwürde überhaupt ist dieses Verhältnis: eine Gefangene in der Gewalt des Mächtigen Placidia befand sich, nach Zosimus (V, 38), bei Roms erster Belagerung im Jahre 408 in dieser Stadt, muß daher schon bei deren Einnahme durch Kapitulation in die Hände der Goten gefallen und als Geisel (s. Zosim. VI, 12) zurückbehalten worden sein, da sie im Fall ihrer Entlassung nach Ravenna sicherlich dort verblieben und nicht nach Rom zurückgekehrt wäre. Wenn Idatius deren Gefangenschaft erst im Jahre 410 erwähnt, kann dies daher nicht auf Beginn derselben bezogen werden., der nach ihrem Besitze verlangt –, dennoch aber nur an Jahre lang fortgesetzte Werbung, nimmermehr an irgend welchen Zwang denkt, die hohe Frau vielmehr mit königlichen Ehren umgibt. (Zosimus VI, 12.)

Ataulf zog mit einem Teile seines Heeres Jovinus entgegen, in dem sich aber sogleich, wie vorher in Attalus, der Römerstolz geregt haben mag.

Durch die unverlangte Ankunft des Königs verletzt, legte er dieselbe in dunkeln Worten dessen Ratgeber, Attalus, zur Last. (Olympiodor, p. 454.)

Da erfuhr Ataulf, daß sein Todfeind Sarus, von Honorius beleidigt, weil dieser ihm für den Mord eines seiner Gefährten keine Genugtuung gewährt hatte, zu Jovinus auf dem Wege sei. Sogleich zog er demselben mit 10 000 Mann, die wohl in zahlreiche Kolonnen auf allen Wegen verteilt wurden, entgegen. Einer dieser fiel der Held, der nur achtzehn bis zwanzig Genossen bei sich hatte, in die Hände, ward nach wunderhafter Gegenwehr gefangen σάκκοις εζώγρησαν. Ob dies falsche Lesart ist ob wirklich Zeuge oder Netze (σάκκοι wörtlich Säcke) zu Versperrung von Fluchtwegen dabei angewendet wurden, oder ob man Sarus nebst anderen nach der Gefangennehmung erst in Säcke gesteckt habe, ist zweifelig. und sogleich getötet. (Olympiodor, p. 455.)

Zu offenem Bruche zwischen Ataulf und Jovinus kam es jedoch erst etwas später, als Letzterer, wider des Erstern Willen, seinen Bruder Sebastian zum Mitherrscher ernannte. Zugleich bot der römische Befehlshaber in Gallien, Dardanus, alle Mittel auf, den König für seinen Herrn zu gewinnen (Prosper Tiro v. Jahre 413), worauf Ersterer nun, unter dem Versprechen, ihm die Köpfe der Empörer zu übersenden, in Friedensverhandlung mit Honorius trat.

Nach Rückkehr der Gesandten ward gemäß abgeschlossenem und beschworenem Vertrage zunächst das Haupt Sebastians und bald darauf auch das des Jovinus nach Ravenna geschickt. Dies geschah nach allen Chronisten, mit Ausnahme des spätem Marcellin, der das Jahr 412 angibt, im Jahre 413 und zwar ward die Besiegung der Tyrannen durch die vereinten römischen und gotischen Waffen vollbracht, wie nach den wiewohl unbestimmten Ausdrücken der Chronisten anzunehmen ist, wobei Sebastian in Narbonne, Jovinus aber in Valence gefangen und an Dardanus, der ihn sogleich töten ließ, ausgeliefert wurde.

Jedenfalls ward und blieb damals Narbonne von den Goten besetzt. (Prosper Tiro.)

Auch ist anzunehmen, daß in diesem Frieden das zweite Aquitanien, dessen Besitz für Rom ziemlich verloren gewesen sein mag, den Goten überlassen ward, wie denn auch Philostorgius (XII, 4) erwähnt, daß dieselben durch einen Vertrag mit Honorius einen Teil Galliens empfingen.

Offenbar strebte die römische Politik vor allem dahin, die alte Provinz mit der Südküste Galliens zu behaupten.

Der Frieden aber war von kurzer Dauer: Ataulf scheint Placidiens Herausgabe versprochen, dieselbe aber an Gegenleistungen (namentlich an eine starke Lieferung von Getreide, woran es den Goten in dem verheerten Lande gefehlt haben muß) geknüpft zu haben, von deren Nichterfüllung er im Voraus überzeugt war. Darüber lebhaftes Zerwürfnis, weil jeder Teil zuerst vom andern des Versprochenen Leistung verlangte. Während dessen suchte Ataulf sich durch Überrumpelung der ihm gewiß auch für Getreideversorgung wichtigen und reichen Stadt Marseille zu bemächtigen, ward aber von deren Befehlshaber Bonifacius tapfer zurückgeschlagen und dabei selbst verwundet, so daß er nur mit Mühe sein Lager wieder erreichen konnte. (Olympiodor, p. 456.)

Dasselbe Jahr brachte einen neuen Tyrannen, zugleich aber auch wieder dessen Sturz auf die Weltbühne. Heraclian, Stilichos Mörder, der Afrika mit so viel Geschick und Entschlossenheit verteidigt hatte, war zum Konsul ernannt und durch seinen Schwiegersohn Sabinus, einen so bedeutenden als schlauen und hochstrebenden Mann, veranlaßt worden, unter Zurückhaltung der gewöhnlichen Getreidelieferung, in Person mit einer ungeheuren Flotte nach Italien zu segeln. Von dieser sagt Orosius (VII, 42), daß man sie zu der ihm selbst unglaublichen Zahl von 3700 Schiffen geschätzt habe, während Marcellius Angabe in seiner Chronik von nur 700 Schiffen und 3000 Soldaten, weil im Übrigen wörtlich aus Orosius entlehnt und an sich in diesem Verhältnisse undenkbar, auf Schreibfehler beruhen muß. Bald nach der Landung aber stieß Heraclian auf den Comes Marinus –, wandte sich vor ihm zur Flucht, entkam auch glücklich auf einem Schiffe nach Karthago, ward aber daselbst auf Antrieb nachgesandter Kommissare von den Soldaten getötet. Von vorstehender Darstellung nach Orosius weichen jedoch Prosper Aquit. und Idatius in so fern ab, als sie Heraclian bei Otriculum (Ocriculum auf der Flaminischen Strasse, neun Meilen nördlich von Rom) in einer Hauptschlacht besiegen lassen, in welcher 60 000 Mann geblieben seien. Abgesehen von der unglaubhaften Zahl, die auf Verwechselung des L mit einem andern Zeichen beruhen könnte, ließe sich Beides vereinigen, wenn man annähme, Heraclian sei zunächst, Rom vorbei, Monoius entgegen gezogen.

Die Entscheidung mag wohl der Abfall seiner Truppen herbeigeführt haben.

(Prosp., Idat., Marc. und Orosius, a. a. O.)

Das Wichtigste für uns ist die in diesem Jahr erfolgte Niederlassung der Burgunder in (oder wenigstens in der Nähe von) denjenigen Sitzen, welche deren Nachkommen (wenn gleich des Volkes Staatsleben bald zu einem nur provinzialen herabgedrückt wurde) noch heute inne haben. Burgundiones partem Galline Rheno propinquam obtinuerant. Prosper. Aquit., Cassiodor. Chron. Zunächst mag wohl deren König Gunthari von Jovinus diese erlangt, nach dessen Sturz aber Honorius die Verleihung gern bestätigt haben, weil er dadurch tapfere Klienten oder Bundesgenossen wider die so gefährlichen als mächtigen Goten erlangte. Die Burgunder waren damals schon oder wurden Christen und zwar allein unter den Germanen (wenigstens teilweise D.) katholische, die nach des Orosius gelegentlicher Erwähnung (VII, 32) die Gallier nicht wie Untertanen, sondern wie Brüder behandelten, welche Phrase jedoch eine teilweise Wegnahme des Grundes und Bodens derselben nicht ausschließt, was wir uns später zu erörtern noch vorbehalten.

So sind die Burgunder das erste Volk der Germanen, welches die Eroberung vollbrachte und behauptete und dem Lande seinen Namen gab, der bis zur französischen Revolution staatlich fortlebte, welches Alles von den vier Jahre früher in Spanien eingezogenen Vandalen, Alanen und Sueben nicht in gleichem Masse gilt, während die Eroberung der Alemannen jenseits des Rheins, unabhängig von der Völkerwanderung im engern Sinne, schon 130–140 Jahre vorher erfolgt war. Daß die Burgunder vor dem Jahre 417, mit dem Orosius seine Geschichte schließt, in Gallien sich niederließen, erhellt, wie (teilweise D.) deren Annahme des katholischen Glaubens, aus VII, 32 und 41 desselben. Das Jahr 413 gibt Prosp. Aquit. ausdrücklich an.

Noch scheint in diesem ereignisreichen Jahre Trier abermals von den Franken eingenommen und geplündert worden zu sein. Tillemont Art. 51, S. 1299.

(Die Gesamtheit der politischen Verhältnisse, vielleicht auch der von Olympiodor (p. 457) erwähnte Rat des Römers Candidianus, bewogen Placidia, endlich im Januar 414 in die Vermählung mit Ataulf zu willigen. D.)

Prachtvoll ward im Hause des Ingenuus, eines der Vornehmsten der Stadt, die Vermählung gefeiert. In kaiserlichem Gewände saß die Braut überreich geschmückt auf dem Throne, ihr zur linken Seite in römischer Kleidung der gotische König. Unter den reichen Geschenken, welche derselbe der Neuvermählten überreichen ließ, zeichneten sich besonders die Schätze aus, welche fünfzig schöne, in Seide gekleidete Dienstknaben übergaben. Jeder von diesen trug zwei große Gefäße, wovon das eine mit Gold und das andere mit kostbaren Edelsteinen angefüllt war, welches Alles die Goten bei der mehrmaligen Einnahme – Roms erbeutet hatten! – Attalus stimmte als Führer des Chors zuerst die Hochzeitsgesänge an.

So ward das Fest unter einträchtigem Jubel und unter Tänzen der Barbaren und Römer begangen.

Wohl hätte es, da die vollendete Tatsache nach dem Christengesetz nicht zu ändern war, zugleich ein wahres Friedensfest werden können, wenn nicht Constantius Alles über Honorius vermocht hätte und als verdrängter Bewerber um die Hand der Kaiserschwester unversöhnlich gewesen wäre.

Von den Quellen wiederum gänzlich verlassen, da die wichtigste derselben, der Auszug Olympiodors, durch Photius leider hier ganz unvollständig wird, finden wir nur einen Beweis neu ausgebrochener Feindseligkeit zwischen Ataulf und Honorius darin, daß Attalus im Jahre 414 mit Schutz und Rat des Erstern die Kaiserwürde aufs Neue annahm (Prosper Aquit.), die er aber sehr bald wieder aufgeben mußte.

Aus Orosius (VII, 43) jedoch ersehen wir auch, daß Constantius abermals mit starker Heeresmacht in Gallien auftrat, sich von Arles aus nach Narbonne wandte, die Goten daraus vertrieb (expulit) und den daselbst verweilenden Ataulf zwang (coegit), über die Pyrenäen zu ziehen, was wir gegen Ende des Jahres 414 setzen. Nach Orosius, der nur die Jahre der Stadt Rom angibt, würde zwar nach heutiger Rechnung das Jahr 415 sich ergeben: da dieser jedoch mehrere andere, unzweifelhaft feststehende Ereignisse ebenfalls ein Jahr später ansetzt, so vermuten wir auch hier gleichen Irrtum in Übertragung der alten Rechnung in die neue. Da Prosper Tiro von demselben Jahre eine ungemeine Hungersnot in Gallien anführt, Orosius aber bemerkt, daß Constantius den Goten (doch wohl durch eine Flotte) alle Schiffszufuhr abgeschnitten habe, so würde Ataulfs Entfernung, wenn man wirklich an Zwang glauben wollte, wohl mehr durch Mangel an Lebensmitteln, als durch Waffendrohung herbeigeführt worden sein.

In der Tat aber sind jene Worte: expulit und coegit nur eine der vielen Ungenauigkeiten in des Orosius unhistorischer Darstellung. Nicht gezwungen, sondern nur bewogen, und zwar im Wege der Verhandlung (Anders Dahn, Könige V, S. 61. Ataulf war damals offenbar der Macht des Constantius nicht gewachsen: dieser, nicht der Kaiser, ist sein wahrer Feind; vergl. Dahn, Urgeschichte I, S. 353–355.), ward Ataulf, Gallien zu verlassen. Sagt doch derselbe Schriftsteller in dem nämlichen Kapitel, nachdem er zuvor Ataulfs Selbstbekenntnis eingeschoben, »als nun Dieser Frieden zu bitten und anzubieten auf das Eifrigste bemüht war, ward er zu Barcelona ermordet.« Daraus folgern wir, daß ein Vertrag mit dem Kaiser damals zwar noch nicht abgeschlossen, die Räumung Galliens aber als eine Vorbedingung desselben aufgestellt und von Ataulf zu diesem Zwecke bereitwilligst vollzogen worden war. Noch mehr wird diese Ansicht durch andere, sofort zu erwähnende Tatsachen bestätigt.

Bei dem Abzuge der Goten wurde auch Aquitanien geräumt, vorher aber Bordeaux geplündert und teilweise verbrannt, wie wir dies aus dem Eucharisticum, einer Lebensbeschreibung des Petroconus in Versen, ersehen. Paulinus war von Attalus im Jahre 414 zum Finanzminister ernannt worden und deswegen den Goten gefolgt.

Doch hielten sich dieselben noch jenseits der Garonne, wo die Stadt Vasatae (Bazas), die damals also noch römisch gewesen sein muß, von dem den Goten verbündeten König der Alanen belagert ward. Indes gelang es dem ihm befreundeten Paulinus, Letztern von diesem Bündnis abzuziehen und für Rom zu gewinnen, worauf auch die in der Umgegend noch hausenden Goten das Land verlassen zu haben scheinen (V. 330–396) und die Alanen sich ebenfalls wieder zurückzogen; eine Nachricht, die besonders des damaligen Vorkommens der Alanen halber von Wichtigkeit ist. Da diese sich übrigens nach des Paulinus Darstellung ungern den Goten angeschlossen hatten, so scheint dies Volk nur schwach und des Widerstands nicht fähig gewesen zu sein.

Ataulfs Besitznahme mag sich auf Catalonien und einen Teil Aragoniens beschränkt haben, wo jedoch die römischen Besatzungen nicht alle überwältigt werden konnten: manchmal ward ihnen wohl der Rückzug in entferntere Plätze gestattet. (Anders die erste Auflage, welche Vertrag mit Rom annahm. D.)

Klein, aber groß von Folgen war dieser Beginn. Derselbe kann, wenn auch der Hauptsitz der Goten im Jahre 419 wieder nach Gallien zurückverlegt ward, doch gewissermaßen als der Grundstein des Westgoten-Reichs in Spanien betrachtet werden, des frühesten der drei großen noch bestehenden romanischen Reiche.

In Barcelona schlug Ataulf seine Residenz auf. Anscheinend hier erst genas Placidia eines Knaben, der nach seinem erlauchten Großvater den Namen »Theodosius« erhielt. Mit stolzer Hoffnung ward, zumal bei des Honorius Kinderlosigkeit, der Kaiserenkel und Königsohn begrüßt. Der Prinz verschied bald wieder und ward in einem silbernen Sarge in einer Kirche beigesetzt: nach wenig Monaten aber folgte ihm der König selbst – ein Opfer der Blutrache. Er hatte einen von des Sarus Gefährten, Namens Dubius (nach Olympiodor) oder Eberwulf (nach Jordanis c. 31 a. Schl. (Wohl ein römischer und germanischer Doppelname. Auch Spott über Eberwulfs kleine Figur wird als Motiv der Tat angeführt. D.)) in seinen Dienst genommen, der, von heißem Durste, seinen Herrn zu rächen, erfüllt, den König, als er in gewohnter Weise seine Rosse im Stalle besichtigte, im Jahr 415 (und zwar nach dem Chron. paschale etwa im Monat Juli Am 23. September langte die Nachricht in Konstantinopel an.) meuchlings durch einen Dolchstoß tötete. (Olympiodor, p. 458/59. Orosius VII, 43. Jordanis c. 31. Prosper Aquit. und Idatius.)

Ataulf, der Gründer des Westgotenreichs, war ein bedeutender Mann. Klar und tief war die Auffassung seiner Aufgabe, nicht ohne Einfluß auf seine Politik aber eine glänzende römische Frau. So willig daher sein Volk ihm huldigte, so mag doch der Verdacht, das nationale Interesse jenem persönlichen und dem römischen nachzusetzen, ihm manche Gemüter entfremdet haben.

Dadurch allein kann es gelungen v. Wietersheim hielt ohne Grund Sarus und Sigrich für Balten. ( D.) sein, daß Sigrich Σιγγέριχος nach Olympiodor. Segericus nach Orosius und Jordanis., des Sarus Bruder, sich an der Spitze einer Faction mit Gewalt wie der Familie so der Krone des Verblichenen bemächtigte, die ihm nach Brauch und Gesetz nicht zukam. Er ließ sogleich Ataulfs (gewiß noch jugendliche) Kinder erster Ehe töten, nachdem sie dem Bischof Sigisar, dem sie anvertraut waren, gewaltsam entrissen worden; die Tochter des großen Theodosius aber zwang er in brutaler Roheit, mit andern Gefangenen über zwei Meilen vor seinem Pferde herzugehen. Da blieb die Reaktion nicht aus: Ataulfs und seines Hauses treue Anhänger (die römisch gesinnte Partei, D.) mögen sich ermannt haben: schon nach sieben Tagen ward der Tyrann getötet und Walja zum König der Goten erhoben.

In demselben Jahre beschloß auch der unglückliche, aber freilich gleich unbrauchbare Attalus seine Laufbahn. Nach den sich gegenseitig ergänzenden Nachrichten von Orosius (VII, 42) und Prosper Aquitanus zum Jahre 415 folgte er zwar den Goten nach Spanien, ward aber dort von ihnen vernachlässigt (a Gothis in Hispanias migrantibus neglectus, Prosp.), reiste zu Schiff von da ab, wir wissen nicht, wohin und wozu (incerta moliens), ward aber von des Constantius Kreuzern aufgefangen, an diesen ausgeliefert, zu Honorius gesandt und von Letzterem nach Abhauen einer Hand oder der Finger (truncata manu), wie er in den Tagen seiner Größe ähnliches einst Jenem zugedacht hatte, auf eine Insel verbannt.

Walja (Nicht, wie die erste Ausgabe annahm, Athaulfs Bruder, und so wenig wie dieser ein Balte: wenigstens gebricht es für beides an jedem Beweis. D.)soll nach Orosius in feindlichem Sinne gegen Rom zum König erhoben worden sein, wandte sich aber zum Frieden, wozu Honorius durch Abordnung eines Gesandten (des Euplutius Magistrianus), vor allem aber durch Lieferung von 600 000 Modien (etwas über 80 000 Scheffel) Getreide (Man sieht: die Not, welche diesen Wanderungen zu Grunde lag, wirkte fort und fort, auch unter Siegen, bis ruhiger gesicherter Landbau (»quieta patria«) gewonnen war. D.), welche wohl der neue Statthalter von Afrika zur Verfügung stellte, die erste Hand bot. Da ward im Jahre 416 die von dem neuen Herrscher fürstlich gehaltene Königswitwe und Kaisertochter freigegeben, Frieden und Freundschaft so geschlossen als treu bewahrt. Dessen nächsten Zweck gibt Orosius mit den Worten an: »Für Roms Sicherheit (d. i. Interesse) setzte Walja die eigene Gefahr ein, indem er wider die übrigen Völker, welche sich in Spanien niedergelassen, mit eigener Aufopferung kriegte, für Rom aber siegte.« Letzteres lag vor allem im römischen Interesse, da Spanien für Rom durch eigene Kraft nicht mehr zu retten war; aber auch im gotischen, dessen König das Eroberte entweder behalten oder für guten Preis den Römern wieder abtreten konnte. Zu Erfüllung dieser Aufgabe hatte sich nun Walja, Ataulfs Werk fortsetzend, wie es nach Orosius Kap. 43 scheint, schon gleich nach seiner Erhebung aus eigener Bewegung angeschickt und war glücklich bis an die Meerenge von Gibraltar vorgedrungen, wo auch ihn der Reiz nach Afrikas Besitz beschlich, der einst Alarich ergriffen, gleicher Unstern aber durch einen Sturm, der die Flotte zerstörte, das Unternehmen vereitelte. Dies mag auch den König zu obigem Frieden geneigter gemacht haben.

Abschied nehmend von Orosius, der leider mit dem Jahre 417 schließt, erwähnen wir noch aus dessen letztem Kapitel, wie Walja sowohl, als die Alanen-, Vandalen- und Suebenkönige Honorius erklärten: »Habe Du Frieden mit Allen, nimm Geiseln von Allen. Wir kriegen und erliegen für uns, siegen aber für Dich. Unsterblich wird der Gewinn für deinen Staat sein, wenn wir alle umkommen.«

Wie (sehr! D.) viel darin auch Phrase sein möge, so ergibt sich daraus doch unzweifelhaft zweierlei: einmal, daß eine gewisse Anerkennung von Roms Oberherrlichkeit, wenn auch mehr dem Scheine als der Tat nach, dem germanischen Nationalgefühle keineswegs widerstritt; zweitens aber, daß das tief eingewurzelte Sondertrachten dieser Völker jedwedem einträchtigen Zusammenhalten und friedlichen Vertragsschluß entgegenstand.

Constantius erreichte nun das so hartnäckig angestrebte Ziel: die Hand Placidias – am 1. Januar 417, als er sein zweites Konsulat antrat, vermählte sie ihm ihr kaiserlicher Bruder (bei der Schwäche des kinderlosen Kaisers bedeutete Placidia die Beherrschung des Kaisers so lang er lebte und die Legitimität für die Zukunft nach seinem Tode: daher das eifrige Trachten Ataulfs und seines Rivalen nach ihrer Hand: erotische Motive dürfen hier nicht, wie etwa im Roman, in den Vordergrund gestellt werden Anders die erste Ausgabe. D.).

Aus dieser Ehe wurden die zu Attilas Zeit berühmt gewordene, Honoria und Valentinian III., der spätere Kaiser, geboren. (Olympiodor p. 464 Prosper Aq. u. Idatius.)

Um dieselbe Zeit ungefähr feierte Honorius nach dem Sieg über alle Tyrannen und dem Frieden mit den Goten einen Triumph in Rom, wobei Attalus und wahrscheinlich auch Eridibald, der König der silingischen Vandalen, der durch List von Walja gefangen und durch Constantius an den Kaiser ausgeliefert ward, vor dessen Wagen hergingen. (Prosper Aq. v. 417 und Prosper Tiro v. J. 416.)

Wir dürfen annehmen, daß Roms Ansehen (in Gallien D.) in dieser Zeit unter des Constantius kräftiger und umsichtiger Führung wieder (einigermaßen D.) erstarkte: die Provinz muß (bis auf das den Burgundern östlich des Rhone, dem Namen nach unter römischer Hoheit überlassene Gebiet und die von den Alemannen und Franken eingenommenen Landstriche am linken Rheinufer, deren Begrenzung uns freilich unbekannt ist), dem Kaiser beinah ganz wieder unterworfen gewesen sein Auch die in Gallien unter Goar zurückgebliebenen Alanen mögen ein eigenes Mediatgebiet inne gehabt haben, was jedoch nur auf Schlußfolge, nicht auf ausdrücklicher Angabe der Quellen beruht. (Musterhaft war der ehrwürdige Verfasser in gewissenhafter Abgrenzung der Quellenangaben und bloßer Conjecturen! – Vergl. Dahn, über neuere Darstellungen der deutschen Urgeschichte: »Im neuen Reich« 1881, No. 4.), da Gregor von Tours (II, 9) aus Renatus Profuturus Frigeridus eines von Castinus, dem Gardebefehlshaber (domesticorum comes), an dessen Nordgrenze unternommenen Feldzugs gegen die Franken gedenkt, die einige Zeit zuvor Trier (zum zweiten oder dritten Male) eingenommen, geplündert und in Brand gesteckt hatten.

Nach der uns angeblich von Fredigar unter dem Titel S. Gregor. Turonensis Historia Francorum epitomata hinterlassenen (in der Pariser Ausgabe Gregors von Tours vom Jahre 1858 mitabgedruckten) Schrift (unter VIII, p. 578) soll Castinus die Franken sogar ernstlich geschlagen haben, selbst über den Rhein gegangen, hierauf aber durch Gallien bis an die Pyrenäen gezogen sein. (Francos proterit, Rhenumque transiit.) (Ein Mißverständnis Fredigars: Gregor sagt dies von Stilicho. D.)

Die Zeit dieses Ereignisses setzt Tillemont (V, 3, Not. 44) im Widerspruch mit Valesius, der eine viel frühere annimmt, in das Jahr 420 oder 421, doch sind dessen Gründe nicht zweifellos.

Daß auch Aremorica vollständig wieder unterworfen ward, ersehen wir aus des Claudius Rutilius Itinerarium, einem Gedicht nicht ganz ohne poetischen Wert, das im Jahre 417 oder 420 verfaßt ward (siehe Tillemont a. a. S. 1330, 1373 u. f.), da nach I, v. 213–216 Euperantius, damals wahrscheinlich als Präfekt Galliens, die alte Herrschaft und gesetzliche Ordnung in diesem Küstenlande wieder hergestellt hatte.

Aber nicht allein Gallien, sondern auch das fast ganz schon von den Barbaren eroberte Spanien ward großenteils Rom wieder unterworfen.

Schon im Jahre 417 brachte Walja, für die Römer fechtend (Romani nominis causa), den dortigen Germanen große Niederlagen bei. (Prosper Aquit) Auch im nächsten Jahre muß der Krieg fortgegangen sein, obwohl die Chronisten darüber schweigen. Dagegen hat sich ein merkwürdiges Gesetz vom 16. April 418 erhalten (Hänel, corpus legum I, p. 238), das in den sieben Provinzen zwischen der Loire und dem Mittelmeer, Ozean und Alpen Die Frage, was unter jenen sieben Provinzen zu verstehen sei, wird am gründlichsten, wenn auch ohne sicheres Ergebnis, in Böckings Ausgabe der Notitia dignitatum occidentis (Kap. XXI, S. 470–578) behandelt.

Fast jeder der ältern Ausleger beantwortet sie verschieden.

Dem Wortlaute würde es am meisten entsprechen, das gesamte Gallien, einschließlich also der beiden Belgien und Germanien, darunter zu verstehen, weil nach dem römischen Kanzleistile die siebzehn Provinzen Gesamtgalliens die Septem provinciae genannt wurden (s. Not. dig. occ, S. 13, 71–72) und dies keineswegs auf falscher Lesart beruht, wie Böcking (S. 477–478) zweifellos nachgewiesen hat. Da aber in der Verordnung selbst die Provinzen Novempopulana (zwischen der Garonne und den Pyrenäen, dem Ozean und den Depart. Gers et hautes Pyrénées einschließlich) und Aquitanica secunda (der 20–24 Meilen breite Küstenstrich zwischen der Garonne und Loire) als die von Arles entferntesten angegeben werden, so können die nördlichen Provinzen Galliens, selbst die Lugdunensis secunda (Normandie), tertia (Bretagne) und quarta (zwischen Orleans und Paris) darunter nicht begriffen gewesen sein, wogegen unzweifelhaft die große Aquitanica prima (Auvergne) und wahrscheinlich Lugdunensis prima mit Lyon dazu gehörten.

Irrig ist es aber jedenfalls, darunter nur den Süden im engern Sinne, oder gar nur die schon zu Cäsars Zeit bestandene alte Provinz zu verstehen (s. Dahn, Könige V, S. 68, 69).

die Haltung regelmäßiger jährlicher »Provinziallandtage verordnet: eine höchst weise Maßregel, die, an eine ältere, aber längst verfallene Einrichtung der Art knüpfend, wohl des Constantius Werk war und vor allem gewiß nebst administrativen Erleichterungen auch Belebung des römisch-gallischen Provinzialgefühls zum Zweck hatte. (Da das Zentrum erlahmte, mußte den Provinzen mehr Autonomie als früher eingeräumt werden. D.)

In diesem Gesetz wird Arles, unfern des Ausflusses des Rhone, als der belebteste und wichtigste Stapelplatz für den gesamten See- und Binnenhandel bezeichnet.

Reicher war das Jahr 419 Idatius gibt freilich das vierundzwanzigste Regierungsjahr des Honorius an, welches auf das Jahr 418 fällt, Prosper Aquit. aber, welcher der weit sichereren Zeitrechnung nach Konsulaten folgt, das Jahr 419, was auch sonst richtiger sein dürfte. an politischen Ereignissen, welche Idatius, für spanische Verhältnisse der zuverlässigste Chronist, in folgender Ordnung berichtet.

Die silingischen Vandalen wurden in Bätica durch den König Walja schwer geschlagen: (sie verloren ihren König und schlossen sich fortab den asdingischen Vandalen an. D.).

Die Alanen, welche gleicher Macht mit den Vandalen waren, wurden von den Goten dergestalt geschlagen, daß der geringe Rest derselben nach dem Verluste ihres Königs Atax ebenfalls auf Selbständigkeit verzichtete und sich dem Könige der asdingischen Vandalen unterwarf. Die Könige der Vandalen führten von dem an den Titel Könige der Vandalen und Alanen.

Die Goten gaben jedoch nun die ferneren Kämpfe in Spanien auf und zogen, durch Constantius gerufen, nach Gallien zurück, wo sie Wohnsitze in Aquitanien von Tolosa (Toulouse) bis zum Ozean empfingen. Goti intermisso certamine, quod agebant, per Constantium ad Gallias revocati sedes in Aquitania a Tolosa usque ad Oceanum acceperunt.

Dieselbe Nachricht teilt Prosper Aquitanus für das Jahr 419 mit den Worten mit:

»Der Patrizier Constantius befestigt den Frieden mit Walja, indem er ihm das zweite Aquitanien nebst einigen Städten benachbarter Provinzen zur Niederlassung einräumt.«

Isidor (in seiner Chronik der Goten) hat teils Idatius, als dessen Fortsetzer er zu betrachten ist, teils Prosper Aquitanus fast wörtlich nachgeschrieben, aber mit dem bedeutsamen Zusatze, daß Constantius »den Goten wegen des Verdienstes ihrer Siege (ob meritum victoriae) das zweite Aquitanien zur Niederlassung eingeräumt habe«.

So sind wir denn zur ersten festen und bleibenden Niederlassung der Westgoten gelangt, welche sonach nicht in Spanien, sondern im südwestlichen Gallien erfolgte.

Sie bestand daselbst bis zum Sturze des Reichs durch die Araber (711), jedoch so, daß Aquitanien zunächst der Hauptsitz war, bald aber, seit Theoderich II. (453–466), der seine Herrschaft über Spanien auszudehnen begann, und Eurich (466–485) (der dies vollendete D.) nur ein Nebenland des westgotischen Hauptreiches in Spanien wurde. Der Grund der Abtretung Aquitaniens liegt auf der Hand. Anders Dahn, Könige V, S. 68. Für Rom hatte Walja drei Jahre lang gefochten und gesiegt, von Rom forderte er seinen Lohn. Ob dieser, wie Gibbon (Kap. 31 nach Not. 166) annimmt, schon bei dem ersten Vertrage mit Walja zugesichert worden, vermögen wir nicht zu erörtern.

Gewiß aber ist, daß die neugewonnenen Gebiete in Spanien, welche den größten Teil dieses Landes umfaßt haben dürften, Rom wieder überlassen wurden.

Höchst zweifelhaft dagegen ist der Umfang des den Westgoten abgetretenen Landstrichs.

Guthrie und Gray (V, Bd. 2, S. 346) und der treffliche Mascov (T. Gesch. VIII, 42) nehmen an, daß die Goten noch ein Stück des tarraconensischen Spaniens oder Catalonien (welches von den Goten und Alanen den Namen Gothalania erhalten) empfangen haben. Dem widerspricht (unter Berufung auf die Histoire de Languedoc I, S. 176) Aschbach (S. 111) und hat darin unbezweifelt den Wortlaut der Quellen, namentlich das »nach Gallien zurückgerufen« des Idatius für sich.

Wie vermag man aber aus den fragmentarischen Notizen der Chronisten irgend welchen sichern Schluß zu ziehen? Idatius ist schon darin ungenau, daß er eben nur das zweite Aquitanien erwähnt, also das den Goten unzweifelhaft mit überlassene Tolosa, das zur ersten narbonensischen Provinz gehörte, verschweigt, während Prosper Aquitanus es offenbar unter »den Städten benachbarter Provinzen« mit einbegreift.

Fast undenkbar ist es ferner, daß ganz Novempopulania, welches ohnehin bisweilen das dritte Aquitanien genannt ward (das Land südlich der Garonne bis zu den Pyrenäen), römisch verblieben sein sollte, weil dies durch das bis gegen zehn Meilen zu den Pyrenäen vorspringende Gebiet von Toulouse von dem römischen Hauptlande beinah ganz abgeschnitten worden wäre, indem die Straßen nach Novempopulania alle über jene Stadt führten.

Wenn nun Prosper Aquitanus zumal von mehreren Städten benachbarter Provinzen spricht, so zweifeln wir nicht, daß auch letztere Provinz den Goten mit überlassen wurde, deren westlicher Strich am Meere, die Landes, damals wohl fast nur Wüste war, da er selbst heute noch nicht viel besser ist.

Am unerklärlichsten würde die Wahl von Tolosa im äußersten südlichen Winkel des Gotenlandes zur Residenz sein, wozu Bordeaux durch Lage und Bedeutung bestimmt schien, wenn dasselbe nicht bis an die Pyrenäen, oder gar über dieselben hinaus gereicht hätte. Vergl. aber Dahn, Könige V, S. 69.

Ohne bei Unerforschlichem länger zu verweilen, bemerken wir nur noch, daß jene Abtretung sicherlich nicht bloß eine politische, wenngleich unstreitig unter nominellem Vorbehalte römischer Souveränität, sondern auch mit Überlassung eines Teils des privaten Grundeigentums an die Goten verbunden war, wie wir dies, was späterer Erörterung vorbehalten bleibt, mehr oder minder bei allen Niederlassungen der Germanen im Römerreiche vorauszusetzen haben: (ja, oft wissen D.).

Bald nach der Rückkehr der Goten nach Gallien starb Walja. Er hinterließ nur eine Tochter, welche, an einen suebischen Fürsten verheiratet, die Mutter des Rikimer wurde, der in der späteren Kaisergeschichte eine so bedeutende Rolle spielt. Ihm folgte Theoderich, der nach Sidonius Apollinaris (Carm. VII, v. 505) Alarich seinen Großvater (Avus) nennt. Wenn Aschbach (S. 113) diese Abstammung um deswillen verwirft, weil bei Dichtern ein solcher Ausdruck nicht genau zu nehmen sei, so wollen wir dies zwar nicht unbedingt in Abrede stellen, finden es aber doch höchst wahrscheinlich, daß sich die Wahl der Goten vorzugsweise auf einen Abkömmling ihres großen Königs gerichtet habe. Vergl. aber dagegen Dahn, Könige V, S. 71.

So siegreich die Kämpfe der Goten gegen die Vandalen und Sueben im Ganzen waren, so mögen doch auch deren Verluste groß gewesen sein und den Wunsch nach Ruhe im Volke geweckt haben.

Merkwürdig ist aber, wie die gemeinsamen Feinde der Goten sogleich nach deren Abzuge wieder unter sich zerfielen, da wir aus Idatius vernehmen, daß schon im folgenden Jahre 420 zwischen dem Vandalenkönige Guntherich und dem der Sueben Hermerich ein Krieg ausbrach und letztere von ersteren in den nervasischen Bergen, anscheinend bei Bilbao, wo der Nerva, jetzt Nervion, fließt, eingeschlossen wurden. In Ptolemäus findet sich (II, 6, 49) in der Provinz Tarraconensis ein Forum Ναρβασω̃ν, das nach dessen Gradangaben, verglichen mit der Lage der bekannten Bracalia Augusta (Braga) in Portugal, im heutigen nördlichen Estremadura ungefähr in der Nähe des jetzigen Plasencia, hiernach also schon in Lusitanien gelegen haben mußte, wo sich östlich in der Nähe von Plasencia nur eine schmale Bergkette, etwa sechs Meilen nordöstlich desselben aber allerdings eine größere Gebirgsgruppe findet.

Vergleiche hierüber Marcus, Hist. des Vandales (S. 112), der das Forum der Narbaser für das jetzige Montecorvo (Torre de Moncorvo) erklärt, das achtzehn Meilen oberhalb Oporto am Duero liegt, was allenfalls zwar zu den angegebenen Gebirgen, auf keine Weise aber zu des Ptolemäus Gradbestimmungen paßt. Ersterer Schriftsteller beweist hierbei seinen Mangel an Kritik dadurch, daß er über denselben Kampf zwischen den Vandalen und Sueben zwei ganz verschiedene Berichte aus den Quellen anführt, außer jenem zuverlässigen des Idatius nämlich noch einen andern aus Gregor von Tours (II, 2), wonach eine bevorstehende Schlacht zwischen Vandalen und Sueben auf Vorschlag des Königs Letzterer durch einen Zweikampf zwischen Einzelnen Kriegern beider Teile zu Gunsten der Sueben entschieden worden sei. Das soll, diesem Schriftsteller zufolge, unmittelbar nach Gunderichs Tode erfolgt sein, über dessen Zeit wir freilich keine sichere Nachricht haben. Ist es also auch wohl möglich, daß das Ereignis, dessen Gregor von Tours gedenkt, in das Jahr 420 gefallen sei, so wimmelt doch die ganze weitere Erzählung des Gregor von Tours von so handgreiflichen Unrichtigkeiten, daß es auffällig ist, wie Marcus ein derartiges Zeugnis, ohne irgend welche Prüfung oder Bemerkung, für unzweifelhaft ansehen konnte. (Siehe das Richtige bei Dahn, Könige I, S. 147; VI, S. 560.)

Mit dieser Lage der nervasischen Berge will es freilich nicht ganz übereinstimmen, wenn derselbe Idatius vom Jahre 420 berichtet, daß die Vandalen auf Andringen des römischen Comes von Hispanien Asterius und dessen Subvicars Maurocellus die Bedrängung der Sueben aufgegeben hätten, bei dem Aufmarsche aus Bracara (Braga im nördlichen Portugal, zwischen dem Duero und Minho) mehrere getötet, schließlich aber Galläcien verlassen und sich nach Bätica (Andalusien) zurückgezogen hätten.

Hier wurden sie nun im folgenden Jahre 422 durch den römischen Feldherrn Castinus mit einem großen, durch gotische Hilfsvölker verstärkten Heere angegriffen. Bereits hatte er sie eingeschlossen und durch Mangel an Lebensmittel in solche Bedrängnis gebracht, daß sie sich zur Ergebung anschickten, als er sich unvorsichtig in eine offene Schlacht einließ und in dieser, angeblich durch Verrat der Goten, besiegt und nach Tarracona zu fliehen genötigt wurde. (Idatius zum achtundzwanzigsten Regierungsjahr des Honorius.) Es ist unbegreiflich, wie ein sonst gründlicher Schriftsteller, wie Aschbach, die Nachricht, die Prosper Tiro vom zweiten Regierungsjahre Valentinians III., also neun Jahre später anführt, daß 20 000 Römer von den Vandalen niedergehauen worden seien, ohne irgend welche Bemerkung auf diesen Kampf beziehen kann.

Aus Prosper Aquitanus zu diesem Jahre ersehen wir noch, daß der römische General Bonifacius, der Marseille gegen Ataulf so glänzend verteidigt hatte, dem Castinus beigegeben worden war, durch dessen unverständiges und hochfahrendes Wesen aber erbittert und sich nach Afrika zurückzuziehen bewogen ward.

Wir bescheiden uns, in Vorstehendem keine Geschichte geschrieben, nur die dürftigen Notizen der Chronisten zusammengestellt zu haben, halten dies aber (Sehr mit Recht! D.) für richtiger als deren willkürliche Ergänzung durch allerlei Räsonnements und Vermutungen, wie dies z. B. Marcus, Histoire des Vandales, S. 106–122 getan hat.

Wir wenden uns nachholend zum Kaiserhause.

In diesem ward, nach Idatius und Marcellinus, am 2. oder 3. Juli 419 aus des Constantius und Placidiens Ehe Valentinian III., der spätere Kaiser geboren, wogegen des Prosper Aquitanus Angabe des Jahres 418 offenbar irrig ist, da derselbe, nach Olympiodor, p. 464, deren zweites Kind war, das nach achtzehn Monaten der Ehe noch nicht das Licht erblicken konnte.

Im Jahre 420 ward Constantius von Honorius zum Mitkaiser und Placidia zur Augusta erhoben (Prosper Aquitanus), von Theodosius II. in Konstantinopel aber nicht anerkannt. Die neue Würde soll ihm, weil die Freiheit seiner Bewegung und Genüsse beschränkend, höchst lästig gewesen sein: bereits nach sieben Monaten zu Beginn des Jahres 421 verschied er in Ravenna (Prosper Aquitanus und Idatius. Olympiodor, p. 464/5.)

Constantius soll als kaiserlicher Schwager, durch seine Gemahlin verleitet, die frühere Uneigennützigkeit nicht mehr bewährt haben. Daher wurden nach dessen Tode mannigfache Ansprüche und Klagen wider ihn laut, die Placidia jedoch bei ihrer engen Vertraulichkeit mit dem Kaiser zu unterdrücken wußte. Die zärtliche Liebe des letztern für seine Schwester ging sogar nach des Gemahls Tode in einen bedenklichen Charakter über, schlug aber plötzlich – man weiß nicht, was zwischen ihnen vorgefallen – in offenen Haß um. Daher Parteiung am Hof und in der Stadt, die sogar zu Volksaufständen Anlaß gab, wobei die zahlreichen, als Söldner zu Ravenna dienenden Goten für ihre vormalige Königin stritten, bis Honorius in einer Anwandlung von Entschlossenheit durch Absendung Placidiens mit ihren Kindern nach Konstantinopel dem Hader zu Anfang des Jahres 423 ein Ende machte. Da sagte sich Alles vor ihr los: nur Bonifacius, der inzwischen wohl zum Befehlshaber in Afrika ernannt worden sein mochte, blieb ihr treu und sandte ihr von da Gelder. (Olympiodor, p. 467/8.)

Am 26. August 423 starb an Wassersucht Honorius zu Ravenna nach achtundzwanzigjähriger Regierung (Olympiodor, p. 468).

Die Geschichte dieses Kaisers ist zugleich dessen Charakteristik.

Prokopius, für Früheres freilich eine unzuverlässige Quelle, erzählt von ihm (de bello Vand. I, 2, p. 316 d. B. Ausg.) Folgendes. Während der Belagerung Roms, unstreitig der zweiten, bringt ihm der mit der Vögelwartung beauftragte Eunuch die Nachricht: Rom ist verloren. »Das ist nicht möglich, erwiderte der Kaiser, da sie ja eben noch aus meinen Händen gefressen hat.« Er hatte nämlich eine wunderbar große Henne dieses Namens. Als nun der Diener, den Irrtum wahrnehmend, erläuternd sagt: Die Stadt Rom sei von Alarich eingenommen, entgegnet ihm der Kaiser: »ich glaubte, meine Henne solle gestorben sein.«

Seltsam: die schwächste und bedrängteste aller Regierungen war doch in ihrem Beginn und Ende eine glückliche, so lange ein großer Mann, Stilicho, und ein tüchtiger, Constantius, dem Kaiser zur Seite standen. In der Zwischenzeit freilich, von 408 bis 414, war es nicht Roms Kraft, sondern die Mäßigung und vielfache Rücksichtnahme der Gotenkönige (und die fast uneinnehmbare Stärke von Ravenna! D.), welche den völligen Sturz des so tief gesunkenen Reiches noch aufhielten.

Fünf Tyrannen erlagen dem legitimen Kaiser; selbst die Länder jenseits der Alpen waren bei dessen Tode größtenteils wieder seiner Botmäßigkeit unterworfen – und das Alles fast ohne sein Zutun.


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