Felix Dahn
Der Vater und die Söhne
Felix Dahn

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XVI.

Als es dunkel geworden war über Berg und Tal, erschien in dem Lager ein Bote aus Boecula und lud Hermenigild und Ingundis in die Stadt zu einer Zwiesprach mit einem Führer der Kaiserlichen: der schlage vor, gemeinsam einen Weg zu suchen, weiteres Blutvergießen zu vermeiden. Die Byzantiner seien – unter gewissen Bedingungen – bereit, das Land zu räumen, Blutvergießen vermeiden! Heute noch mehr als je entsprach das dem Herzenswunsch Hermenigilds: auch Ingundis billigte lebhaft seinen Entschluß. So bestiegen sie die Pferde und folgten, von wenigen Kriegern begleitet, dem Boten in das nahe Städtlein. Unheimlich, schaurig mutete die Gatten bei dem roten Schein der Fackeln der Totengräber der Anblick des Schlachtfeldes an. Plötzlich gab Hermenigild dem Pferd die Sporen.

»Was eilst du hier so?« fragte die Frau, ihm nachreitend. – »Hast du nicht gesehn? Er war's! Seine Leiche! Noch der Tote schien mir zu fluchen aus dem weit aufgerissenen Munde! Komm, komm! Rascher!«

In die kleine Stadt eingelassen wurden die Gatten in deren stattlichstes Haus – das des ›defensors‹ – geleitet, in welchem die Feldherren Wohnung genommen hatten und, während ihre Begleiter in dem Atrium harrten, in den Speisesaal geführt. Hier trafen sie einen ihnen unbekannten vornehmen Byzantiner, der sie mit stummem Gruße feindselig empfing. Hermenigild hob an: »Gern bin ich bereit, mit dir über Waffenstillstand und Frieden zu verhandeln . . .«

»Ich, Protospatharius Megas, des Basilius Bruder, verhandle nicht mit Eidbrüchigen. Da kommt er, der mit dir verhandeln will.« Er schritt zur Türe hinaus, auf einen dunkeln Vorhang deutend, der den gegenüberliegenden Eingang verhüllte: – aus diesem trat nun in das Gemach eine hochragende Priestergestalt.

»Leander!« riefen beide Gatten. Und Hermenigild wollte seine Hand ergreifen. Aber der trat zurück, erhob das Haupt und fragte schroff: »Sprich, hast du, wie den Imperator, auch Christus den Herrn verleugnet? Bist du wie ein Verräter deines Verbündeten auch ein Verräter Gottes, ein Ketzer, geworden?« – »Ich bin und bleibe unsrer heil'gen Kirche treu. Wie konntest du wähnen . . .?« – Leander zuckte die Achseln. »Ein Eidbrüchiger!« – »Was redest du da?« forschte Ingundis. – »Die Wahrheit. Sprich, König Johannes! Hast du nicht an deinem Krönungstag in der Basilika der heiligen Leokadia – auf deren Überreste im Glassarg! – geeidet, – nicht eher bis du geschworen, gab ich dir die Krone! – du werdest von Stund ab zeitlebens ein treuer Verbündeter, ein Mitkämpfer sein des großen Imperators Mauricius zu Byzanz, ein Schützer des rechten Glaubens überall gegen alle Ketzer? Hast du das nicht geschworen?« – Ingundis erbleichte: »Mein Gemahl! Sag nein!« Aber der senkte verstummend das Haupt: seine Kniee wankten: er sank auf den nächsten Sitz und bedeckte das Antlitz mit beiden Händen. »Er kann nicht nein sagen,« fuhr Leander schonungslos fort, »er kann nicht lügen mir ins Angesicht wie er Gott dem Herrn gelogen hat, dem Abwesenden, wie er wähnte: aber der ist allgegenwärtig und läßt sich nicht spotten. Gott war zugegen, als du den Eid leistetest, ›fortab zeitlebens ein treuer Verbündeter des Imperators‹ – so lautete die Formel – und Gott war zugegen heute, als du mit deinen Panzerreitern des Imperators Krieger überfielst.«

Der Gequälte rang die Hände: »Du vergissest . . . – inzwischen ward ich gefangen! – Was kann ich dafür . . .?« – »Nichts. Aber niemand hat dich gezwungen, diese Feldherrnschaft zu übernehmen.« – »Der Dank! Dank gegen meinen Vater.« – »Ah, wem gilt deine höchste Pflicht, deinem Vater, dem Ketzer, oder Christus dem Herrn? Wahrlich, wahrlich, Wer nicht Vater und Mutter verläßt und mir nachfolgt, spricht der Herr, wird nicht in das Reich Gottes kommen. Eidbrüchiger! Das Blut des gemordeten Basilius schreit um Rache gegen dich gen Himmel.« – »Das hat er nicht gewollt, bei Gott!« rief die Frau. »War er doch sein Freund.« – »Gewiß! Und doch trägt er die Schuld an diesem Blut. Die Sünde erzeugt auch nicht gewollte Sünde. Erkenne die Strafe Gottes: – sie züchtigt den Sünder an seinem Liebsten. Bald wird auch deines Weibes Haupt . . .« – »Ah,« schrie Hermenigild, »halt ein! Nicht sie! Nur nicht sie! Wende das ab, heiliger Bischof, durch dein Gebet.« – »Wie kann ich, wenn du in der Sünde verharrst! Du bist durch deinen Eidbruch abgefallen von der Kirche – – du bist innerlich schon ausgeschlossen von der Gemeinschaft der Christen, noch bevor ich die Exkommunikation ausgesprochen, die ich jetzt aussprechen muß über dich. Und über Ingundis, laßt sie nicht von dir.« – »Niemals!« rief diese und ergriff des Gatten Hand. »Im Unglück hab' ich ihn lieben gelernt.« – »O nicht, nicht, Oheim Leander! Nicht das Anathem über mich. Bei der Seele meiner Mutter beschwöre ich dich . . .« – »Nenne sie nicht, die fromme Christin, sie verwirft dich mit allen Seligen im Himmel. So spreche ich denn . . .« feierlich erhob er beide Hände, – »Nein, ich flehe!« rief Ingundis und fiel ihm in den Arm, »Was soll er tun, den Fluch von sich zu wenden?«

Ein Strahl der Befriedigung schoß über Leanders finstere Züge. »Vor allem – bereuen,« – »Was bereuen?« fragte Hermenigild. – »Deinen Eidbruch.«

»Ja, ja! Ich bereue ihn von ganzem Herzen: – Gott weiß es, wie ich des Freundes Tod beklage.« – »Und die Sünde lassen, nicht mehr kämpfen gegen den Imperator!« – »Gern! Hier nimm mein Schwert. Ich bin dein Gefangener.«

Aber Leander schüttelte das Haupt und sprach: »Mitnichten. Das ist keine Umkehr, keine Buße, keine Besserung.« – »Ja was – was soll ich noch . . .?« – »Deinen Eid erfüllen, halten, gut machen, so weit du kannst.« – »Was meinst du?« fragte Ingundis, ahnungsvoll. – »Du fragst? Er hat geeidet, als des Imperators Waffengenoß dessen Feinde, die Ketzer, zu bekämpfen allerorten. Wohlan: – vor dieser Stadt im Norden – auf jenem Hügel – lagert ein Ketzerheer: dort steht dein Feind! Nicht abgeben sollst du dein Schwert, – nein, ziehen sollst du's und als des Kaisers Feldherr, an Basilius' Stelle, es schwingen gegen des Kaisers Feind. Du führst unsern Ausfall an.« – »Wie kann ich!« rief er. – »Nimmermehr!« schrie Ingundis.

Ein scharfer Blick, ein drohender traf sie. »Das sollst du büßen, Weib,« dachte der Priester. Aber laut sprach er: »Er weigert die Reue, die Besserung. Wohl. Ihr habt gewählt. – Beide. – So tu' ich denn mein Amt und ich spreche kraft meines bischöflichen Amts den Fluch der . . .« – »Entbinde ihn von jenem Eid,« bat Ingundis. – »Warum? War er etwa erzwungen? Freiwillig, öffentlich, vor allem Volk, vor dem Hochaltar – hell brannten die Kerzen! – laut sprach König Johannes den Schwur.« – »So laß mich sterben!« rief Hermenigild und fuhr ans Schwert. – Aber mit ehernem Griff hielt ihm Leander den Arm. »Halt, Sünder! Häufe nicht Selbstmord zu Eidbruch. Gehorche oder – beim Zorne Gottes! – ich spreche die Verfluchung.« – »Nein, nein, alles, nur das nicht,« – »So rüste dich zum Kampfe. In einer halben Stunde führt Megas den Ausfall aus dem Nordtor. Du reitest an seiner Seite und, statt dir zu fluchen, segn' ich dich und dein Schwert.« – »Tu's nicht,« schrie Ingundis. Tu's nicht! Deine Ehre! Das ist ärgste Untreue. Denke des Vaters!« – »Schweig, Weib,« herrschte der Bischof sie an. »Willst du seine Seele und die deine verderben? Schweig!« – »Ach! Ich sehe keinen Ausweg; aus Schande und Sünde! Rings Abfall, Schuld und Verrat!« jammerte sie und brach bewußtlos zusammen.

Hermenigild kniete neben sie und küßte sie auf die Stirn. Dann sprang er auf. »Wohlan, segne sie und mich. Ich bin bereit. Zur Schlacht! Dort, unter den Speeren der Goten, find' ich den Frieden.«



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