Felix Dahn
Der Vater und die Söhne
Felix Dahn

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III.

An dem Tage, der diesem nächtlichen Gespräch in Sevilla folgte, wandelten in dem Palastgarten zu Toledo unter reich blühenden und stark duftenden Mandelbäumen auf den – nach römischer Gartenkunst – streng geradlinigen, mit rotem, gelbem, weißem Sande bestreuten Wegen zwischen den gleichmäßig geschorenen Taxusbüschen hin ein hoher Greis und zwei Jünglinge, offenbar seine Söhne: die Ähnlichkeit der Züge bezeugte das, unerachtet der starken Verschiedenheit des Ausdrucks. Des Vaters weißes Haar flatterte noch dicht in langen Wellen auf die mächtigen Schultern: nur an den Schläfen hatte es der vieljährige Druck des Helmes abgewetzt. Er trug keine Kopfbedeckung: der Wind spielte frei in dem Silbergewoge; sein schlichtes, braunes Wollwams reichte bis an die Knie, der Wehrgurt barg keine Waffe. »Mein Schwert heißt Rekared, meine Brünne Hermenigild,« hatte er auf die Mahnung der Gattin geantwortet, die vor den an diesem Hof so häufigen Mordanschlägen gegen die Könige warnen wollte.

Und in der Tat: der jüngere braunlockige Sohn, der zur Linken schritt, schien in seiner jugendlichen Kraft und in der wachen Klugheit seines Blickes eine scharfe Waffe für den Vater. Der ältere – zur Rechten – war stets einen Schritt zurück: oft blieb er sinnend, wie träumend stehen, strich die schlichten, blonden Haare aus der Stirn und schlug dann die meist gesenkten blauen Augen, wie suchend, wie fragend, gen Himmel auf. Jetzt kreuzte raschelnd den Sandweg gerade vor dem König eine Werre, die so schädliche Maulwurfsgrille, die Tausende von Pflanzenwurzeln durchbeißt. »Gibt acht, Vater!« rief Hermenigild. »Schone des Tierleins!« Aber der König zertrat es mit festem Schritt. »Nein, mein Sohn. Schädlich Gewürm muß man zertreten, wo man's findet. Merke dir das, künftiger König.« – »Künftiger König!« wiederholte seufzend der Sohn. »Wenig freut mich die Aussicht.« – »Man ist nicht zum eignen Vergnügen König, Bruder, nur zum Heil des Reiches,« sprach der Jüngere ernst. – »Du hast recht, wie immer, Rekared! Ach, weshalb bist du nicht der Erstgeborne? Du gehörst auf den Thron. Ich aber . . . – Ich hätte längst gebeten . . . Nur eines hält mich ab.« Dies flüsterte er fast unhörbar vor sich hin. Aber scharfen Ohres wie Auges hatte Rekared es doch verstanden: »Ich will dir's verraten, dies eine,« lächelte er ihm leise zu, ihn einen Schritt zurückziehend, »du willst Leander und den Katholiken ein mildrer Herrscher werden als der Vater ist und als ich – wie du fürchtest – sein würde. Wenig kennst du mich.« – »Schweig vor dem Vater,« bat Hermenigild. – »Gewiß: ich hüte dein Geheimnis, obwohl nicht du mir's vertraut.«

Leovigild wandte sich um und winkte beide wieder heran. »Du möchtest vielleicht ins Kloster?« grollte der König. »Beten, träumen und faullenzen? Nichts da, Herr Sohn. Meine Söhne gehören nicht der Kirche: und – auf Erden – auch nicht dem Himmel, sondern ihrem Volk. Allzuviel verkehrst du mir schriftlich – und auch mündlich in Sevilla – mit Leander.« – »Er ist meiner seligen Mutter Bruder, Vater.«

»Ja, leider. Ich wollt', er wäre andern Mannes Ohm. – Übrigens, wenn du die Krone deines Volkes verschmähst – kein Gesetz bevorzugt den Erstgebornen, auch deinen Bruder mag der Reichstag wählen. Oder man könnte auch,« sprach er bedächtig und die Söhne scharf dabei musternd, »das Reich unter euch teilen: du, Hermenigild, könntest hier in Toledo herrschen, – oder bei deinem geliebten Ohm in Sevilla, eh? – Rekared in seinem Rekopolis, das ich – ihm zu Ehren seiner Siege über die Keltiberer, die Basken – gebaut und benannt habe.« – »Ja, gern!« rief Hermenigild rasch. Aber Rekared schüttelte unwillig das Haupt: »König Leovigild, das ist nicht dein Ernst. Du hast mit Heldenkraft das vielzerrissene Reich geeint: du wirst es nicht mit eigner Hand wieder spalten. Und ich? Ich bin kein Halbmann, auch kein Halbkönig.«

Der Vater schlug ihm auf die Schulter, sah ihn freundlich mit den goldbraunen Adleraugen an und sprach: »Gut, mein tapfrer Sohn. – Ihr wähltet beide wie ich's gedacht. – Du aber, frommer Heiliger, – welch ein Glück, daß ich – trotz deiner Mutter Bitten! – dich arianisch, nicht katholisch taufen ließ – sonst wärst du Leander längst gar und ganz verfallen! – du kannst wirklich nicht ins Kloster gehen,« spottete er gutmütig. »Denn du mußt heiraten.«

Betroffen blieb Hermenigild stehen; er fand kein Wort. Nekared machte große Augen.

»Ja, heiraten. Und zwar ganz geschwind. Tretet näher heran. – Dies ist noch tief geheim – ein Plan, der ausgeführt sein muß, bevor jene Leute davon erfahren, die ihn vereiteln würden. – Hört mich an. Ihr wißt, seit jenem Unheilskönig Chlodovech, der durch den Schlag bei Voulon uns fast all unser Land in Südgallien entriß, haben die Merowingen, diese frommen Lieblinge des heiligen Vaters, mit Raubgier und Gottseligkeit – denn wir sind ja Ketzer! – uns in Krieg und Frieden zu schaden gesucht nach Kräften, unablässig, länger als siebzig Jahre. Stets im Bund mit unsern andern katholischen Feinden, Byzanz und Sueven von außen, und den ärgeren von innen – mit den Bischöfen, Äbten, dem Adel der Römer in unserm Lande – haben sie uns offen und geheim bekämpft.« – »Ja, und nur deine Heldenkraft, Vater, hat sie, die schlimmsten und mächtigsten, bisher abgewehrt!« – »Mit äußerster Mühe, oft nur um Haaresbreite das Verderben meidend. So geht's nicht fort. Ich bin alt, bin müde . . .« – »Man merkt's nicht,« lachte Rekared. »Laß nochmal die Stürme ringsher dich bedrohen, – wie vor Jahren wirst du sie bestehen.« – »Und bin ich tot? Hermenigild ist fromm und gut, aber allzugut, das heißt er ist schwach. Er liebt seine Feinde, der sanfte Tor.« – »Und ich segne, die mir fluchen,« schloß dieser, »wie der Herr gelehrt.« – »Der war nicht Gotenkönig!« brauste Leovigild auf, »und hatte nicht ein bedrohtes Volk zu schützen. Duldete er doch das Römerjoch auf der Seinen Nacken. Natürlich! Die linke Wange lehrt er zum Schlage reichen nach der Rechten, dem Räuber des Mantels das Wams dazu geben. Dabei kann kein Reich, kein Recht bestehen. Der war auch zu fromm – wie du!« – »Lästre nicht, Vater!« rief Hermenigild erschrocken. »Einen Menschen vergleichen mit ihm, der Gott selber ist.« – »Wa – Was war das?« schrie der König, zornig herumfahrend gegen den Sohn. »Was wagst du zu sagen? Bist du katholisch?« – »Schweig doch, Bruder, schweig!« mahnte Rekared. »Glaub' was du willst. Aber rede nicht zur Unzeit.« Hermenigild erbleichte: er verstummte.

»Also soweit hat er dich schon gebracht, der tückische Bischof von Sevilla?« – Hermenigild sprach mit gesenkten Augen: »Vergib, Vater. Ich will es nie mehr sagen.« – »Nicht denken sollst du's, ungeratener Sohn!«

»Denken? Vater!« mahnte Rekared. »Wer kann für Gedanken? Sie fragen nicht, ob sie kommen dürfen: – sie sind da.« – »Wohl! Aber solche Gedanken führen in meinem Reich nicht auf den Thron, auch nicht in ein katholisches Kloster, sondern in einen gotischen Kerker. Hüte dich, Träumer! Solche Träume sind gefährlich, aber nur dem, der sie träumt. – Also hört zu Ende. Um die Zahl unsrer Feinde zu mindern, den Mächtigsten zum Freunde zu gewinnen, – lange sucht' ich dazu nach einem Weg. Ich hab' ihn gefunden: wir werden uns mit den Merowingen verbünden, verschwägern. Du, mein Ältester, wirst eine Königstochter der Franken freien: du hast sie als mein Gesandter am Hof zu Metz gesehen, sie ist dir keine Fremde, es ist deine Stiefnichte Ingundis.« Hermenigild fuhr zusammen: er errötete. »Die Enkelin meiner Gemahlin Godiswintha, die Tochter ihrer Tochter Brunichildis und des ermordeten Gatten, des Königs Sigibert von Austrasien.« – »Und die Merowingen willigen ein?« Rekared fragte so, nicht Hermenigild. – »Ja, das heißt Frau Brunichildis! Nicht deren Todfeinde, Chilperich und Fredigundis. Aber die haben ihr nichts zu verbieten und diese blutige Spaltung schwächt das Haus und die Macht der Merowingen. Und du, frommer Sohn, ich meine, du bringst dies Opfer gern? Deine Schilderung der Nichte nach deiner Heimkehr war . . .«

Da sank der Jüngling vor dem Vater auf die Kniee, suchte dessen Hand und küßte sie: »Dank, Vater, gütigstes Herz! Du weißt nicht, welche Erlösung du mir bringst. Ich schalt mein Wünschen, seit ich sie verlassen, mein Sehnen nach der Lieblichen als Sünde, als verbotenes Begehren: und nun verwandelst du diese Liebe in ein schönes Recht und eine heilige Pflicht. Dank dir!« – »Steh auf und fasse dich! Ich mag so weiche Rührung nicht.« Er wandte sich zu Rekared, sah ihm gütig in die Augen und sprach leise: »Danke heute dem Himmel, daß du einen Bruder hast.« – »Das tu' ich längst und alle Tage. Aber warum heute mehr?« – »Weil sonst du die Merowingin freien müßtest. Und was würde dazu schön Baddo sagen? Schweig! Ich weiß alles. Brauchst dich nicht deines Geschmacks zu schämen. Das Mädel ist bildschön.«



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