Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Achtundzwanzigstes Kapitel.

Am ersten August des Jahres fünfhunderteinundneunzig schrieb Gregorius, der gute Bischof von Tours, einen Brief an den guten König Guntchramn von Burgund, der lautete: »Du hast, ruhmreicher Herr König, uns beiden, nämlich meinem lieben Bruder, Herrn Felix von Nantes, und meiner Geringheit, als der Handel mit den schlimmen Nonnen von Poitiers zu Ende ging, den Auftrag erteilt, dir, nach angemessener Frist, Bericht zu erstatten, über das Geschick dieser Mädchen und wie sich jeder einzelnen Lebenslauf gewendet habe. Das war nun, o frommer König, ungleich leichter aufzutragen als auszuführen. Weil nämlich diese Mädchen, auch die, welche bis zuletzt beisammen geblieben waren unter dem Schutz des heiligen Hilarius, sich sobald das Scandalorum (so wird es doch wohl heißen?) beigelegt war, mit überraschender Geschwindheit nach allen Richtungen zerstreuten. Und nicht ohne müheschwere Anstrengung unseres Scharfsinnes (wovon aber der ungleich größere Teil Herrn Felix zufiel) haben wir endlich, nach vielem Schreiben und Botenverschicken – länger als zwei Jahre hat es gedauert – über alle die Kinder Nachricht eingeholt. Und stelle ich dir das Ganze nun zusammen.

Daß Julia gestorben war, ist dir bekannt. Von deiner Nichten Chrodieldis und Basina und von Genovevas Vermählung weißt du schon lange. Und wohl auch, daß jede von ihnen ein Kind hat. Basina aber sogar drei: nämlich Zwillinge, ein Pärchen, und noch einen lustigen Knaben besonders. Chrodieldis hat einen Sohn. Dieser junge Held hat mehrere Zähne mit auf die Welt gebracht. Was, nach meiner Auslegung, bedeutet – denn bedeuten muß es etwas! – den mutigen, fast allzu kriegsmutigen Sinn der Mutter. Der besondere Knabe Basinas heißt Truchtigisel, der andere heißt Gregorius! den dritten, wann er eintrifft, will König Childibert aus der Taufe heben. Du darfst aber, o König Guntchramn, vertrauen, daß auch du noch als Pate an die Reihe kommst. Die Klausnerin Theophano wiegt ihre Enkel auf den Knieen im Hof des guten Truchtigisel an der Alz. Constantina trägt den Schleier der Äbtissin im Kloster zu Poitiers: denn Frau Leubovera hat, auf lebhaftes Zureden aller Bischöfe, diese Würde niedergelegt; sie hat übrigens der Frau Gräfin von Poitiers verziehen und stickt gar fleißig an einem goldplättleingeschmückten Röcklein für deren erstes Mädchen.

Zu ihren Eltern sind (– vorläufig! –) zurückgekehrt Lindis und Stephania, Arminia, Antonia, Machtildis, die aus dem Land der Chatten kam, und das Nesthäklein Margareta: (diese hat nun schreiben gelernt).

Verheiratet oder verlobt haben sich: Aldgundis mit dem Grafen Waddo, Amanda mit Karolus, dem Bibliothekarius des Königs Childibert, Anstrudis mit Adovakar dem Patricius, Anna mit Adam dem Richter, Emma, deren Schwester, mit einem Salbenmischer, Richauda mit dem reichen Herzog Baudegisil, den du als Gesandten nach Byzanz schicken willst, Christiana und Helena die Gütige mit je einem Argentarius, Johanna-Miriam und Berahta mit je einem Baumeister, Eugenia mit einem Wasserleitungskünstler, Regina und Walpurgis mit je einem Grammatikus, Anna die Jüngere und Emma die Langobardin mit je einem Oberarzt der Herren Könige, Lilia mit einem Magister, der die Geheimnisse der Natur erforscht, Hukberta aus Westfalaland ist mit einer sächsischen Gesandtschaft heimgekehrt an den Lippefluß zu ihren heidnischen Eichen und eines Wodanpriesters Weib geworden, Austriberta ist verlobt mit Kanao, des Keltengrafen Neffen, die lange Frieda mit einem fast noch längern jungen Menschen, der einst des Königs Childibert Richter werden soll, Balthildis mit Dacco, dem Domesticus, Waldrada mit Erpo, dem Comes stabuli, Katharina ist vermählt mit dem Nachbarn ihres Vaters, einem klugen Langobarden, der die wilden Etschthaler ihre Reben besser ziehen lehrt (aber sie lernen's nicht!), Elisabeth ist gar eines Fürsten an der Donau Weib geworden, Klara, die Sanfte, hat sich einen Archidiakon gezähmt und ihre Schwester Paula wird auch nicht lange mehr bei dem Vater bleiben, Johanna, die Wendin, ist eines Librarius Weib geworden in einer fernen großen Seestadt, Allberahta, genannt Rotundula, hat sich den Cancellarius erobert im Land der Chattuvaren bei dem Herzog dort, Gertrudis mit den weizenblonden Zöpfen ist einem Mercator transmarinus aus König Äthelberts Land nach Kent gefolgt. Ulfia endlich, das dicke Kind, hat den Hauptmann geheiratet von König Childiberts Palastwächtern, der nur bei Tage schlafen kann, weil er zur Nacht im Königshaus die Wache hat; wenn sie wollte, könnte sie also ungestört die ganze Woche schlafen; aber schon seit sie sich verlobt hat, ist ihr der Schlaf vergangen. Und sie läßt ihren Gatten, wann er zu Hause, nicht von der Seite; sie nennt Genoveva ihre Lehrerin, es weiß kein Mensch: warum?

Wir haben ausgerechnet, daß die fünfundzwanzig Vermählten dermalen zusammen siebenundzwanzig Kindlein haben, woraus erhellt, daß, wie die Herren Könige und wir Bischöfe auf Erden, so die Heiligen im Himmel die schlimmen Streiche verziehen und ihren Segen ihnen reichlich zugewendet haben.

Damit wäre der Bericht zu Ende und ich könnte füglich schließen.

Allein weil ich weiß, o König und Herr, daß du ein gar gütevolles Herz in der Brust trägst und dir alles Freude macht, was gut ist und friedesam in deinem Reiche, so schreibe ich dir noch eines.

Daß nämlich Herr Felix von Nantes und ich die besten Freunde geworden sind. Auch daß ich erkannt und eingesehen habe, wie unrecht ich ihm jahrelang mit meinem Groll gethan und mit meinem Wahne, daß er bösartig sei von Gemütsart. Er hat eine rasche, scharfe, spitze Zunge, das ist wahr. Und es fällt ihm unaufhörlich etwas ein! Und was da etwa zum Lachen ist an den Menschen und an den Dingen, das sieht er und holt es heraus, wie der Specht die Würmer aus den Rinden. Und dann muß er es belachen, ob es auch seinen besten Freund angeht. Aber er meint es nicht böse. Und über sich selbst lacht er am lautesten. Und er trägt nicht nach in seinem leichten Blut, wie leider! ich es mit meinem schweren Geblüt ihm solange gethan.

Sein gütewarmes Herz aber und seinen edeln Sinn hab' ich entdeckt in folgender Weise. Du gedenkst noch, o Herr, des Vermittelungsvorschlags- und Erbverbrüderungsvertrags-Entwurfs, den ich dir aufsetzen mußte – fehlerfrei. Dieser Auftrag war das Unchristlichste, was du je gethan. Zuletzt schickte ich dir verzweiflungsvoll das Geschreibsel ein. Und es ward ja auch daraufhin mit deinem Neffen, Herrn König Childibert, der nun ein so wackrer junger Fürst geworden ist, der Erbvertrag zu Andelot geschlossen zum Segen eurer beiden Reiche.

Ich hatte der Rücksendung des Pergaments mit den nur zu wohl bekannten giftigen Randnoten deines Herrn Referendarius bestimmt entgegengesehen. Als nun aber deine Belobigung eintraf des ›fehlerfreien Latein‹, da, – lieber Gott, vergieb mir noch nachträglich den sündigen Hochmut und die Eitelkeit! – da war ich fest überzeugt, Sankt Martinus habe ein Wunder für mich gethan und in dem Schreiben unterwegs alle Schnitzer herausgekorrigiert. Denn ich hatte ihn heiß angerufen in meinen grammatischen Nöten. Habe auch dreimal gepredigt über dies Miraculum: natürlich bescheidentlich, ohne Nennung des Namens des so begnadeten Schreibers.

Nun komm' ich neulich von ungefähr, an diesem Berichte für dich mit Herrn Felix zu Nantes arbeitend, in dessen Schreibgemach, auf ihn zu warten. Ich krame umher in seinen Bücherrollen, die viele, viele Truhen füllen, und sehe plötzlich – meine plumpe Handschrift. Was ist's? Mein Vertragsentwurf. Mein Pergament: vierzehn Seiten! Und mit roter Farbe – sehr grell! – angestrichen alle Fehler und darunter geschrieben mit seiner zierlichen Kritzelschrift: ›Einhundertvierundsiebzig. O Gregorius, alter Vierundsechzig-Ender, du setzest stets noch neue Zacken an!‹ – Er, Herr Felix, hatte, mit des verschwiegenen Dodo Beistand, meine Schrift beseitigt und sie fehlerfrei mit seiner Hand – er kann jede Schrift so täuschend nachmachen! – an Euch geschickt und hat mir damals so aus schwerer Not geholfen, ohne daß ich's ahnte.

Wie er nun, als ich die Schrift betrachtete, dazu kam, da erschrak er heftig. Ich aber fiel ihm um den Hals und – ich schäme mich nicht, es zu sagen – und weinte sehr. –

Später hat es mich zwar dann ein wenig gewurmt, daß es nun nichts war mit dem Korrigierwunder des heiligen Martinus. Und daß auch meine Predigt hierüber falsch. Aber bald sagte ich mir: ei, der Wunder giebt es so viele alle Wochen und der guten edeln Menschenherzen so wenige! Besser ein Mirakel minder und zwei ausgesöhnte Männer mehr!

Denn, o Herr König von Burgund: – aber glaube nicht, daß ich so rede, weil mir allerdings die Heiligen mehr Herz als Hirn gegeben, sondern ganz von mir hinweggesehen: – das Wichtigste am Menschen ist nicht der Verstand, sondern das gute, warme Herz. Das hat sich auch gezeigt bei den Scandalibus der Nonnen von Poitiers.

Nicht der kluge Herr Domesticus und auch Freund Felix nicht, der feine, haben da das Richtige gefunden: – was wäre aus dem schlimmen Handel geworden ohne Truchtigisel, den Wackern, und seine einfältige Gutherzigkeit? Nun ist es ja gewiß das höchste Lob, wenn einer so klug und so gut dabei ist, wie du, Herr König, bist und Freund Felix ist: – aber das ist nicht vielen gegeben, mein' ich. Und wir andern wollen beten: ›Herr, Herr, gieb uns ein einfältig Herz und ein Herz voll Liebe und Güte gegen alle Menschen, auf daß Ehre sei dir, Gott in der Höhe, und Friede auf Erden und unter den Menschen ein Wohlgefallen. Amen‹«


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