Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Drittes Kapitel

In dem Palatium des vortrefflichen alten Königs Guntchramn zu Orléans drängten sich Gesandte fremder Fürsten, geistliche und weltliche Große, Prozeßparteien, Beschwerdeführer, Bittsteller aller Art.

Das war draußen, in den Vorhallen. Die zunächst zu dem Gehör Zugelassenen wurden, einzeln oder paarweise, von den Wache haltenden Höflingen in das kleine Gemach geführt, das vor dem Schlafzimmer des Königs lag, Flavianus, der Domesticus, das heißt der Groß-Haus- und Hofmeister des Reiches von Orléans, nahm sie hier zunächst in Empfang.

Der war von Geburt ein gallischer Romane: ein sehr geschäftserfahrener, gewandter, und auch durchaus wohlwollender Mann, der nur das Unglück hatte, von armen Eltern zu stammen und ehrlich zu sein. Er hatte sich durch Verdienst und Tüchtigkeit zu jenem hohen Amt emporgearbeitet; aber da er unbestechlich war, hatte er nicht ein Vermögen erworben, wie es seine Stellung und noch mehr die kostspieligen Neigungen seines Herrn Sohnes, Macco, erheischten. Das machte ihm oft schwere, schwere Sorge.

So auch an dem schönen Aprilmorgen, da wir ihn in dem Vorzimmer des Königs treffen, das kahle Haupt auf beide Hände gestützt, die Ellbogen gelehnt auf einen mit Schriften und Rechnungen bedeckten Marmortisch. »Es langt nicht! Es langt wieder einmal nicht!« seufzte er. »Dieser Junge braucht mehr für seine Jagdfalken, seine Eberhunde und seine Rosse als ich für mich, für seine Mutter und für seine fünf Schwestern. Eben hatte ich für zwei der braven Mädchen von dem gütigen König in dem Kloster der heiligen Radegundis zwei erledigte Stellen erbeten: – da bricht diese lächerliche Empörung aus, der »Nonnenkrieg von Poitiers«, wie der dumme Handel schon in ganz Gallien heißt. Wer kann seine Töchter in diesen Hexenkessel tauchen? Nun sind diese zwei auch wieder nicht versorgt. Und es langt nicht! Und ich finde keinen Rat!« »Dann ist keiner zu finden!« sagte eine angenehme Stimme und eine Hand legte sich leicht auf des Niedergebeugten Schulter. »Verzeiht, Herr Domesticus! Ich ward hereingeführt: ich rief Euch wiederholt an: – Ihr hörtet nicht. Nicht länger durfte ich Euer Selbstgespräch belauschen.« »Ihr seid von feinsten Sitten, hochwürdiger Herr Bischof,« sprach der Domesticus aufstehend. »Vergebt,« und er reichte dem andern die Hand; der trug die bischöfliche Tracht, sehr geschmackvoll, aber durchaus nicht überladen, mit Gold gestickt. Es war eine schlanke, zartgliederige Gestalt von kleinen, leichten, leisen Bewegungen; ein wohlgebildetes ovales Antlitz von klugem, gereiftem, geistüberlegenem Ausdruck: die kleinen, grauen Augen blickten scharf, aber nie bösartig: dieser feine Mund liebte den zierlichen Witz und das Lächeln. »Ich hörte Euch seufzen. Vermutlich der alte, Eures hohen Wesens unwürdige Verdruß?« – »Gewiß! Mein Sohn verschwendet maßlos.« – »Das ist ein zu unbarmherziger Ausdruck. Freilich: ich kann leicht barmherzig sein, ich zahle seine Schulden nicht. Aber ich kenne seine Gewohnheiten. Ich lade ihn gern zu mir, den fröhlichen Schalk. Ich habe gern die Jugend um mich.« – »Drum bleibt Ihr selber jung.« »Ich weiß die Zeit noch recht wohl,« lächelte der Bischof, »da ich erheblich jünger war. Herr Macco braucht viel, nicht allzuviel. Ihr allein seid schuld.« »Das wäre!« sagte ärgerlich der Vater. »Ich spare an mir selbst, damit ... –« – »Nicht so. Ihr habt jetzt nur zu zahlen für Euren – Ehrgeiz. Warum ruhtet Ihr nicht, bis Ihr der erste Mann waret in diesem Reich? Der Sohn des burgundischen Domesticus kann nicht sparen.«

Angenehm berührt sprach Flavianus: »Ja, ja, er soll ja nicht geizen der Junge.« – »Und er ist sonst so tüchtig, so brauchbar, so waffenfreudig. – Ich möchte Euch, ihm und dem Staat einen Gefallen erweisen. Der Graf von Poitiers ist plötzlich gestorben. Ihr wißt, der Bischof der Stadt hat – thatsächlich – eine Art Vorschlagsrecht. Ich habe Bischof Marovech, meinen Freund, bewogen, beim König Euren Sohn sich als Grafen zu erbitten.«

»Dank, tausend Dank, Herr Bischof. Ja, so handelt ein Freund. Aber,« fuhr der Staatsmann sogleich fort, »was kann ich ... –?« – »Ihr meint: als Gegenleistung geben? Ich sehe, ich atme die Luft des Hofes. Hier ist kaum der Tod umsonst! – Nun, ich will nicht heucheln. Ich hatte wohl eine kleine Bitte.« »Alles, was Ihr wollt! – Denn,« fügte der Politiker, sich rasch verbessernd, bei: »Ihr verlangt von mir nichts Unmögliches. – Namentlich kein Geld ... –« schloß er ganz zaghaft.

»Im Gegenteil. Ich möchte Euch Geld anbieten: – natürlich nicht geschenkt: denn Ihr seid mein Vorgesetzter! Und auch nicht geliehen: – denn ich möchte, daß wir Freunde bleiben. Aber abkaufen möchte ich Euch etwas. Mein Freund Venantius Fortunatus –« – »Ah, der große Dichter!« »Nun, nun, die Verslein könnten manchmal sauberer sein,« meinte der Feinschmecker, mit den Fingern leicht skandierend. »Ebendeshalb möchte ich eine Handschrift des Ovidius für ihn erwerben. Es ist nur Selbstsucht,« lächelte der feine Mund. »Ich habe so empfindliche Ohren. Und er liest mir, unerbittlich, alle seine Verse vor –: vielleicht schult er sich an dem unvergleichlichen Naso.« – »Ja, aber wer hat einen Ovidius!« – »Ihr, o Herr Domesticus!« – »Ich? Nicht daß ich wüßte! – Wo?« »In Eurer Speisekammer,« schmunzelte der andere. »Eure fleißigen, vortrefflich wirtlichen Töchter haben ihn zerschnitten und die Töpfe voll eingemachter Früchte damit zugebunden. Mein Schreiber, der schon früher einmal eine halbe Dekade des Livius aus Eurem Hühnerstall hervorgezogen – er wittert alles aus, dieser gescheite, fürwitzige und freche kleine Wascone! – fing nur deshalb eine – Freundschaft an mit Eurer dicken Kameraria. Sie ließ ihn von gar mancher ihrer Süßigkeiten naschen: aber ihm war es mehr um die Küche als um die Köchin darin und mehr um die Deckel der Töpfe als um die Pfirsiche darin zu thun! – Man kann noch alles zusammenkleben, es ist fast der ganze Ovid. Manchmal fehlen freilich die Hexameterausgänge: – aber das ist gerade heilsam für Freund Fortunatus. Er mag sich üben, sie zu ergänzen: just den fünften Fuß behandelt er nachlässig;« er lachte und rieb die kleinen Hände, – »Mit Freuden schenk' ich sie ...« – »Nicht doch! Toccho, der Librarius des Hofes, soll den Wert der Handschrift schätzen. Ich zahle ihn bar! – Und außerdem den Wert der Pfirsiche, die deshalb – vielleicht! – verderben.« – »Und das ist – wirklich – alles, was Ihr von mir zu erlangen wünscht?« Der Prälat hob verweisend den Finger: »Ei, ei! So ein Staatsmann glaubt nicht an Uneigennützigkeit von anderen, nicht einmal von Bischöfen. – Gut denn, ich habe noch eine Bitte.« »Dacht' ich's doch,« brummte Flavianus. – »Verwendet Euch beim König für einen wackern Amtsbruder von mir, der ein wenig in den Schatten der Ungnade gesunken ist.« – »Für wen?« – »Für Gregorius, den braven Herrn zu Tours.«

Hoch erstaunt fuhr Flavianus auf: »Wie? Ihr –: Herr Felix? Er hält Euch für seinen schlimmsten Feind!« »Sehr mit Unrecht,« sprach der Bischof von Nantes und ließ sich auf dem Ruhebett nieder, das neben dem Tische stand. »Seht, das kam so.« Und nun zog ein gutmütiges, behagliches Lächeln über die feinen Züge, das sie angenehm belebte, »Wir waren Schulkameraden, schon in der Klosterschule zu Arverna, die der gelehrte Avitus leitete. Leider war ich immer der Erste. Und der gute, fleißige, pflichttreue Gregor, – der war, nun, sagen wir: nie der Erste. Er hat ganz hübsche Geistesgaben, aber – er ist ein wenig – langsam und schwerfällig. Die andern neckten und verspotteten ihn viel: ich leider auch! – Zumal wegen seines unglaublichen Latein.« »Ja, daß Gott erbarm!« seufzte der Domesticus. »Das ist es ja eben! Der Herr König Guntchramn, der kann zwar viele falsche Casus vertragen. Er selbst ist ja ... –« Felix lächelte: »als König oberhalb der Grammatik.« – »Aber mein gestrenger Amtsbruder, der Referendarius Marcus! Ein starker Lateiner ...–« – »Es ist das Einzige, worin er stark ist.« – »Der ist ganz wütig auf den alten Herrn zu Tours. Er hat beim König sich beschwert über Gregors gewaltthätige Deklinationen. Er hat erklärt, er lege sein Amt nieder, wenn er noch mehr gregorianisches Latein lesen müsse. Es sei eine Schande für einen Bischof.« – »So? Seltsam! Wenn aber der Herr König Guntchramn – für Geld! Simonie nennt man das ... –« – »Still! Um Gott! Der König ist ja da drinnen.« Aber Felix fuhr mit noch lauterer Stimme fort: »für Geld irgend einen alten Schildspalter und Helmbrecher, einen krassen Laien, gegen die Kanones flugsweg zum Bischof macht, da fragt Herr Marcus nicht nach dessen Latein. – Natürlich! Die tapferen Herzoge und Grafen, die den Bischofstuhl als Faulbett, – wollte sagen: als – Ruhesitz suchen für das Ende ihrer sehr weltlich verbrachten Tage, die schreiben gar kein Latein, weder schlechtes noch gutes: aus triftigem Grund! – Nun will ich freilich gern zugeben, daß gar kein Latein immer noch viel, sehr viel besser ist als das meines armen Gregor. – Und aus seinem Latein rührt ja sein Wahn, ich sei sein Feind. Ich habe ihm allerdings einen Spitznamen aufgebracht, den er mir nie vergab. Wir waren schon junge Diakone. Da wettete ich mit den andern bösen geistlichen Buben von Arverna, Gregor werde in dem Niederschreiben des Glaubensbekenntnisses mehr als dreißig Fehler machen. Wir ließen den Nichtsahnenden es schreiben: – er machte vierundsechzig! Und ich nannte ihn den ›Wunderhirsch Sankt Martins‹, den ›Vierundsechzig-Ender‹. Das haftete an ihm. Und er hat mir nicht verziehen bis heute. Ich wollte neulich gern einen Hof seiner Kirche kaufen, der meine Güter im Gebiet von Tours gut abrunden würde. Da schrieb er mir ganz wutentbrannt: – anstatt einfach ›nein‹ zu sagen, falls er nicht wollte. Hier hab ich das Brieflein. ›Wehe denen, die da ein Haus an das andere ziehen und einen Acker bringen zum andern, bis daß kein Raum mehr da sei, daß sie allein das Land besitzen! Dich, o Felix von Nantes, oder vielmehr von Habsucht und Großsprecherei – (diese Wendung hat ihm offenbar sehr gefallen! er hat sie unterstrichen!) hat der Prophet Jesaias V, 8 mit diesen Worten gemeint. O – fährt Gregor fort – daß du doch Bischof von Marseille geworden wärst! Dann würden dir die großen Seeschiffe nicht Öl oder andere Waren bringen müssen, sondern immer nur Papier, Papier, Papier:‹ (du weißt Flavianus: der meiste Papyrus aus Ägyptenland wird nach Marseille eingeführt!), damit du noch mehr Raum hättest, durch deine spitze Feder brave Männer zu verunglimpfen. Aber so setzt der Mangel an Papier deiner bösen Zunge ein Ziel!« – Ich bitte, Herr Domesticus, als ob ich für meine Zunge des Papiers bedürfte! – Ganz falsches Bild! – Ich habe die Schnitzer in diesen fünfzehn Zeilen wieder gezählt: es sind sechsundzwanzig Fehler darin.« – »Ihr könnt aber auch das Zählen nicht lassen!«

»Gregorius hat ein Latein von Blei, aber ein Herz von Gold. Wie hat er sein eigenes Vermögen hingegeben, um die blutige Fehde zu schlichten, die kürzlich im Bistum Tours ausbrach: aus eigenen Mitteln hat er das hohe Wergeld bezahlt. Ehre solchem Hirten der Seinen! Und wie unerschrocken hat er dem Tode getrotzt in dem Prozeß des Bischofs Prätextatus von Rouen, getrotzt der fürchterlichen Königin Fredigundis ... –« »Gott schütze uns vor ihr,« sprach, leicht erschaudernd, der Domesticus. »Schon pochten nachts ihre Mordboten an seine Pforte: – er gab nicht nach. Er blieb bei seinem Wort und seiner Pflicht. Einem solchen Mann und Christen muß man mehr als vierundsechzig Schnitzer im Glaubensbekenntnis nachsehen. Ich bitt' Euch, sprecht zu seinen Gunsten.« – »Gern! Aber es wird schwer sein, – Freilich: daß er so gern an Mirakel glaubt, das empfiehlt ihn unserm königlichen Heiligen.«

»Ja, ja,« lächelte der Bischof. »Fällt ein Böser, der nicht schwimmen kann, ins Wasser und ertrinkt, so ist's Gregor ein Strafwunder. Fällt ein Guter ins Wasser und schwimmt ans Land, so ist's ein Gnadenwunder. Bleibt ein schönes, braves, aber armes Mädchen sitzen, so ist's ein Strafwunder: – für eine freilich sehr verborgene Schuld! –« »Die Schuld ist, daß ihr Vater kein Geld hat,« seufzte Flavianus, – »Während es doch ein viel größeres Wunder wäre, wenn sie einen Mann bekäme, wie jetzt unsere jungen Herren sind.« Flavianus lachte. »Ei, Herr Bischof, glaubt Ihr nicht an Wunder?« Da sah ihm Herr Felix ernst in die Augen und sprach: »Die ganze Welt ist ein herrlich Wunder, das Gottes Weisheit preiset. Aber ich glaube nicht, daß der liebe Gott so viele Wunder thut, daß sich kein Mensch mehr darüber wundern kann. Ein Wunder aber ist, daß Ihr Domesticus geworden und doch arm geblieben seid. Übrigens! jetzt thut ja sogar der Leib des frommen Königs Guntchramn Wunder! Seltsam ist es schon! Der Ahn ist ein heidnischer Meerwicht: – und durch des Enkels Leib, durch seine Berührung thun unsere Heiligen die schönsten Wunder! Zum Beispiel: ist dem König Guntchramn im Schlaf schon lange kein Geist mehr aus dem offenen Mund gefahren, wie damals, in Gestalt des kleinen Tierleins? Nicht? – Nun, an jenes Wunder glaub' ich. Weil es ihm nämlich im Schlafe geschah.« – »Wie meint Ihr das?« – »Im Wachen hab' ich noch nichts von Geist aus seinem Munde gehen hören.« – »Ei, ei, Herr Felix! Ihr habt wirklich ... –« – »Eine böse Zunge? Nein! Ich mein' es niemals böse. Aber ich sehe so leicht das Lächerliche an den Menschen und an den Dingen: – zumal jedoch auch an mir selbst! – und, hab' ich es gesehen, dann muß ich es sagen und kostet's den Hals.«

»Es ist vererbt auf Euch, Herr Bischof. Stammt Ihr doch von jenem Apollinaris Sidonius ab, den man mit Recht den witzigsten Geist der Gallier genannt hat. Aber still: da kommt der König. So rasch? – So lebhaft? – Gegen seine Art! Was mag er haben?«


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