Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Siebzehntes Kapitel

Nur allzugut gelang der Überfall des Klosters, das eine kleine halbe Stunde von der Basilika entfernt in einer Vorstadt lag, im Norden der Stadt, nahe der großen Straße, die nach Tours, Orléans und Paris führte: außerhalb der eigentlichen Umwallung der Stadt, die, damals sehr enge zusammengebaut, auf felsigem Vorsprung die beiden tief eingeschnittenen Thäler des Clain und der Boivre beherrschte.

Alles ging nach Verabredung. Auf das gegebene Zeichen – kein Anschlagen der bösen scharfen Hunde hatte die Heranschleichenden gemeldet – schloß ein Knecht des Klosters, ein sehr angesehener, – kein geringerer als der Kellermeister war es – das Hauptthor auf: dasselbe ward von Gisbrand und den Seinen besetzt. Gleichzeitig schlug Feuerschein aus den Fenstern des Schlafgemachs der Pröpstin und der ihr zugeteilten Nonnen. Die wenigen Knechte, die Widerstand versuchten, waren rasch überwältigt.

Der Lärm drang jetzt in das Schlafgemach der Äbtissin. Justina, die treue Pröpstin, ihr an Alter und an Aussehen ähnlich, weckte sie vollends. »Das Kloster brennt! Räuber! Rettet die Reliquien der Heiligen,« rief Justina. »Ach was Reliquien! Wo ist Leuba, mein Täubchen? Rettet Leuba!« – »Ihr vergeßt, eure Nichte ist ja fort, ist zu Besuch in Quincy.« – »Und ihr neues goldseidiges Gewand! Und ihr Saphirenschmuck! Ach! Und das Wichtigste: ihr Testament!« – »Das liegt ja sicher aufgehoben in der Stadt! In den Akten der Kurie. Frau Äbtissin, gedenkt doch nur des heiligen Kreuzes!« – »Ja, tragt mich hinab. Ich kann nicht gehn! Die Gicht!«

Und sechs Nonnen, der eignen Rettung nicht gedenkend, trugen die alte Frau die vielen, vielen Steinstufen hinab in das Erdgeschoß, in die Basilika, die Treppe der Krypta hinunter an den schmalen Schrein von halb durchsichtigem Marienglas, in welchem der Holzsplitter des heiligen Kreuzes geborgen war. Hier legten sie die Zitternde nieder; es war fast ganz dunkel, das Licht einer ewigen Ampel gab nur matten Schein. Gleich darauf polterten drei der Räuber die Steintreppe herunter, einer trug eine brennende Pechfackel: »Hier muß es sein!«

Ängstlich kauerten die Nonnen, ungesehen hinter dem einzigen mächtigen Pfeiler, der das Gewölbe trug.

»Richtig! Da gegenüber steht der Sarg der heiligen Radegundis. Hei, was schweres Silber! Im Sarge soll sie auf lauter Edelsteinen liegen.« Und der zweite hob eine schwere Eisenstange, den Holzdeckel einzuschlagen.

»Laß die heilige Radegundis schlafen in ihren Ehren!« rief der dritte im weißen Bart: »Ihren Sarg zu schützen eilt' ich her! Sie hat mich mit den eigenen königlichen Händen gepflegt und geheilt, als ich ... –« – »Weg mit dir!« – »Nein, du sollst nicht!«

Der mit der Eisenstange holte aus zum Streich. Aber plötzlich schrie er auf und stürzte: er war im Dunkel in seines Gegners kurzes Schwert gerannt.

Justina stöhnte vor Entsetzen: sie lag hinter dem Sarkophag der Heiligen. »Weh, die Heilige steht auf!« schrie der mit der Fackel, ließ sie fallen, daß sie erlosch, und eilte die Stufen hinauf. »Die Toten stehen auf!« rief der dritte, der Alte. »Hilf, heilige Radegundis!« und er verschwand ebenfalls.

Nun ward's eine Zeitlang ruhig in der Krypta: nur von der Oberwelt her drang hier und da ein schwerer Fall oder Schlag, ein wilder Schrei.

Aber plötzlich schlug rote Lohe aus der Basilika von oben herab: die Räuber hatten ihre brennenden Fackeln in die frisch gepichten Kufen gestoßen, die im Hofe aufgereiht standen: lichterloh flackerte das trockene Holz, das Pech empor. »Hier muß sie sein! hier unten!« hörte man Castulas Stimme. »Hier hinab. Sucht nur nach ihr.«

Da stand Justina die Pröpstin rasch auf, warf der Äbtissin goldgestickten weißen Mantel, den diese von sich gestreift hatte, über Haupt und Schultern und ging ruhig den Herabpolternden entgegen!

Ein Keulenschlag auf die Schulter streckte sie nieder. Sie stand mühsam wieder auf und sprach: »Ich vergebe dir, mein Sohn, um Christi willen.« Der Räuber sah ihr ins Antlitz: »Weh mir!« schrie er. »Sie sieht aus wie meine alte langverstorbene Mutter!« warf die Keule weg und floh. Aber drei andere packten sie und zerrten sie herauf, rissen ihr den Mantel herab und schrieen: »Hier, Castula, hier hast du die Äbtissin.«

»Diese? Laßt sie los! Sie ist es nicht! Thut ihr nichts zuleide. Es ist Justina, die gute Proposita! – – Ich finde besser!« – Und eine Pechfackel schwingend, rannte sie in die Krypta hinab: »Hier ist, die ich suche. Hebt euch weg, ihr Nönnlein! Ihr wollt nicht? Fort, sag ich!« Und sie schwang die Fackel gegen die Nonnen, die ihre Äbtissin mit dem Leibe decken wollten. Der weiße Schleier der nächsten fing Feuer und flatterte auf: – da flohen sie kreischend die Stufen hinauf.

Die Klausnerin und die Äbtissin waren nun allein, letztere, von der Gicht gelähmt, konnte sich nicht regen. Castula beugte sich über sie, die Fackel in der Linken; die Rechte nestelte an ihrem Gürtel, sie suchte nach dem Griff eines breiten Küchenmessers. Leubovera sah's mit Todesangst: »Erbarmen,« flehte sie. »Erbarmen!« – »Ah, hast du jemals meiner dich erbarmt? All diese Jahre, diese zwei Jahrzehnte? Da ich Tag und Nacht vor dir kroch und winselte und deine Füße küßte, bis du mich hinwegtratest wie einen Hund, und als ich flehte tausend, tausend Male: ›Erbarme dich! Gieb mir mein Kind, gieb mir mein Kind zurück, auf daß ich doch wisse, warum ich noch lebe! Gieb mir mein Kind wieder, das ihr mir gestohlen habt, sein Kind: – aber ich lieb' es doch! Das einzige, was ich auf der Welt zu lieben habe! Gieb mir mein Kind zurück und ich will alle Stunden meines Lebens alles thun, was eure Bücher, eure Priester sagen.‹ Weißt du, was du da sprachst? ›Du sollst, du darfst dies Kind nicht lieben. Gott sollst du lieben. Nie wirst du dies Kind wiedersehen. Die Kirche kann diesen Schandfleck eines Priesters nicht ruchbar werden lassen. Ich weiß nicht, wo dein Kind ist.‹ Und da ich das nicht glaubte, sagtest du: ›und wenn ich's wüßte, würde ich dir's nie sagen.‹ Oh, mein Haar hab' ich gerauft, mein Antlitz auf den harten Kirchensteinboden gestoßen und gewinselt: ›mein Kind! mein Kind, gieb mir mein Kind heraus.‹ – Und jetzt, in dieser Stunde, nach zwanzig Jahren schreienden Herzbegehrs, – ich kann dich von den Sohlen an Zoll für Zoll verbrennen hier unten! – auch jetzt bitte ich, hörst du? ich bitte dich, ich flehe dich demütig an: sag mir's! Wo ist mein Kind? Sag's! Und ich schütze dich und schütze jenes heilige Stück Holz und jene morschen Knochen, die dir mehr, viel mehr wert sein müssen als dein Leben: – aber sage mir, ich flehe dich an: wo ist mein Kind?« – »Ich weiß es nicht.« – »Äbtissin, hüte dich!« sie hob die Fackel. – »Ich weiß es nicht! Ich schwöre dir's, hier bei dem Leib der Heiligen dieses Klosters.« »Oh, und morgen erläßt dir der Pfaff den Meineid als erzwungen. Und du bist vielleicht schon lange durch Eid gebunden, zu schweigen. – Wie? All das hätt' ich herbeigeführt, Brand und Raub und Kirchenschändung und« – sie entdeckte jetzt den Toten – »Mord! Und doch umsonst? Nein!« Und mit der Eisenstange des getöteten Räubers zerschlug sie den Glasschrein; laut auf schrie die Äbtissin. »Tage-, wochen-, mondenlang will ich dich fragen: wo ist mein Kind? Und sagst du's nicht – wehe, wehe dann dieser eurer heiligsten Reliquie!« Sie griff hinein und riß die Kapsel mit dem Kreuzsplitter heraus. »Hierher!« schrie sie nun die Stufen hinauf. »Hierher, Gesellen, tragt die Äbtissin hinauf. Sie ist meine Gefangene. Dich und das Kreuz,« – raunte sie ihr zu – »nur gegen mein Kind kriegt euch die heilige Kirche wieder.«


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