Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Vierzehntes Kapitel.

Die Gefahr, daß die Königinnen und ihre Gefährtinnen entrinnen könnten, auch nur aus dem Palatium, war in der That ausgeschlossen.

Die Frauengemächer, in welchen die Flüchtlinge untergebracht waren, lagen zwar im Erdgeschoß – davor ein kühler grüner Garten im römischen Stil: ein Viereck, ein Springbrunnen in der Mitte, ein paar Lorbeeren und Cypressen darum her – aber das Ganze war von turmhohen Mauern umgürtet. – Vor der einzigen Pforte schritten zwei Speerträger. Herzog Rauching hatte sie geschickt: als Ehrenwache!

Die beiden Herzogssöhne hatten zu ihrem Nachtquartier bestimmt einen kleinen kreisrunden Raum im Garten neben dem Springbrunnen; es war ein Tempel der Flora gewesen unter Julian: jetzt war's ein Oratorium der heiligen Genoveva, der Schutzpatronin von Paris.

Im silbernen Mondlicht lag der Garten still, einsam; der Lärm des Hoflebens drang nicht hierher, Chrodieldis und Sigvalt, Basina und Sigbert wandelten, jedes Paar vom andern getrennt durch die ganze Weite des Gartens, nebeneinander hin.

Hinter den dunkelschattigen Platanen blieb Chrodieldis plötzlich stehen: »Du hattest Recht, geliebter Mann! Ich wußte nicht, was ich that, als ich diesen Hof, diesen lüsternen Königsknaben, diese gewaltthätigen Palatine, diese gewissenlosen Bischöfe aufsuchte. Nun ist's geschehen. Und ohne deine, deines Bruders mutige Treue, – wer weiß, ob wir nicht schon gefangen wären. Wir sind's! – Aber ihr seid bei uns! Dank dir! – Die Zukunft ist verhüllt. Drum solltest du jetzt heute Nacht schon wissen, was ich – sonst wohl noch lange verhehlt hätte. Denn sie sagten einst,« lächelte sie, zu ihm aufblickend,»Chrodieldis hat ein trotzig Herz. Aber nicht gegen dich, Geliebter! – Nein! Küsse mich nicht, mein Held! Ich hab' es ernster vor in dieser Stunde. Ich will dir meine ganze Seele zeigen. – Sieh, du hast dich wohl gewundert, weshalb ich so eisern bestehe auf dem Wort, das ich den Mädchen gegeben habe, die meist – ich seh' es wohl! – recht schwach und thöricht sind. Und weshalb ich es halte, so eisern, obgleich viele, ja die meisten mich verlassen, ihr Wort gebrochen und so auch mich des meinigen entbunden haben. – Sieh, dir will ich's sagen, Geliebter, – neige dein Ohr – vor den schweigenden Sternen. – Groß wie keines auf Erden ist unser, ist der Merowingen Haus und der Franken Macht. Kein Königshaus, seit die Amalungen dahin gesunken, kann sich uns vergleichen. Kaum dem Kaiser stehen wir nach an Macht. Durch alle Völker geht der Ruf der Franken und der Merowingen: unserer Kraft, Kühnheit, unserer Siege –: ach und unserer – Falschheit!« Sie schlug die Hand vor die Stirn.

»Liebchen, beruhige dich!« – »Nein, bei Schmach beruhige ich mich nicht! ›Falsch wie ein Merowing‹, ›ein Merowingeneid das heißt ein Meineid‹, ›ein Merowingenwort das heißt die Lüge‹: so sprechen sie in Toledo und Pavia, bei den heidnischen Sachsen, drüben bei den Angeln in Kent, beim Papst zu Rom, sogar zu Byzanz, wo doch alle Lügen ihren Ursumpf haben. Das ist unleidlich zu hören: – denn ach: es ist wahr! Die Geschichte unseres Hauses ist: Sieg – Mord – Verrat – Meineid – Falschwort.« – »Die Speere machen die Geschichte der Häuser, nicht die Spindeln,« – »Ja, aber ich hab' mir's geschworen; ich will's den Menschen zeigen: auch Merowingenblut kann Treue halten, eisern, zäh, trutzig, nenn' es eigensinnig, – aber Treue bis zum Tode. Was ich gelobt, ich muß es erfüllen, das siehst du nun wohl ein, nachdem ich dir des Herzens tiefsten Kern enthüllt – oder drüber sterben! Verstehst du's nun?«

»Du bist ein herrlich Weib!« – »War das nicht weihevoller als ein Kuß? – Hab nur Geduld! Überleb' ich's und giebt mich Oheim Guntchramn dir, dann holt Chrodieldis die versagten Küsse treulich nach. Doch jetzt – statt eines Kusses – nimm mein Blut,« Sie riß einen kleinen scharfen Dolch aus dem Gürtel, ritzte sich ganz leicht die Haut des nackten linken Armes, daß ein einzig, ein winzig Tröpflein Blut hervortrat: sie hielt ihm den Arm hin. »Trink: Merowingenblut! – Wenn dir nicht graut.« Er beugte das Knie, umschlang ihre schlanken Hüften und sog gierig das Tröpflein heißen, roten Bluts. »Nun bist du mir verfallen« – sprach sie lächelnd und strich ihm zärtlich kosend über die schöne offene Stirn. »Von Meerdämonen, geht die alte Sage, sind wir entstammt: – dämonisch ist unsere Art: – graut dir vor mir, Geliebter?« – »O süßes, seliges, heißes Grauen der Liebe!«

»Steh auf. Und sei getrost: dieser kleine Dolch ist viel stärker als König Childibert. Der Bube überlebt es nicht, wenn er mich küßt, –« Das Paar verschwand im tiefen Schatten der Platanen. – – –

Basina zog Sigbert hinter sich her in das helle Mondlicht. »Es ist besser hier,« lächelte sie verschämt. »Zwar auch hier sieht uns nur der Mond: aber es ist doch – anständiger als so ganz im Düstern.« »Ja, es ist besser so,« erwiderte er, »denn Einen Zeugen wenigstens will ich haben bei unserer Verlobung. Herr Mond, du hast darin wohl alte Übung. Und sieh – da schaut auch noch ein Sternlein zu! – 's ist Frau Berahtas, der holden, Gestirn: – vor diesen zweien Zeugen, süße Braut, küß ich dich. Mein sollst du sein.« – »Genug! Genug! Der Mond hat's schon gesehen!« – »Er hat aber zwei Augen. Und, dieser Kuß, der war für den Stern. – Und der für mich!« – »Und der, und der, und der – und die, die waren alle für mich!« rief die Kleine und ließ erst jetzt die roten Locken los: sie hatte ihn so kräftig festgehalten, als ob er ihr mit Heldenkraft sich entringen wolle, was ihm doch fern zu liegen schien. »Pfui, Basina,« schalt sie sich nun. »Wie kann man so zudringlich sein! Wenn das Chrodieldis wüßte, die gestrenge! Ich könnt' ihr nicht mehr in die Augen sehen – Horch, das Thürlein knarrt. Wer kommt?«

Wie zwei mächtige, treue und tapfre Wachthunde fuhren die beiden Brüder auf den Eintretenden los. »Halt!« schrieen sie, daß die Mauern widerdröhnten. »Steh! Oder du bist des Todes.« Der Angeschrieene schien in der That bereits des Todes. Denn ohne sich zu rühren, sank er um, den Brüdern in die Arme. Die Gruppe stand im hellen Mondschein.

»Ei, das ist ja Theutar, meiner armen Mutter Beichtiger,« rief Basina, schöpfte in beide Hände Wasser aus dem Römerspringbrunnen und fuhr dem Ohnmächtigen über das Antlitz. Der schlug die Augen gleich wieder auf: »Leb' ich noch?« fragte er. »Noch lange,« sagte Basina, »wenn du immer nur so stirbst.« Chrodieldis trat heran: »Du bist es. Theutar? Du bist kein Verräter.« – »Nein, Chrodieldchen, ich bin im Gegenteil – nun, Theutar bin ich.« »Ist der blödsinnig?« fragte Sigbert ganz leise sein Liebchen. – »Der klügste, treueste Pfaff der Welt! – Stellt sich nur gern ein wenig blöde, da ihn schon so viele Könige köpfen lassen wollten, weil er so klug war.«

»Du bringst uns wohl was Wichtiges?« forschte Chrodieldis, – »Gewiß! Wie früher, da ihr auf meinem Schose saßet und schaukeltet. Aber Chrodieldis wollte immer höher, immer höher fliegen. Ihr bracht' ich immer Pfeffernüsse und dir, Basinelein, Honigkuchen: Honigküsse, heißen sie. So habe ich solche auch jetzt mitgebracht. Da, Schwarze, hast du deine Pfeffernuß! Und da – du ein Honigküßlein, solltest du noch eines brauchen.« Basina ward rot wie Mohn! aber sie stand im Schatten. Chrodieldis warf das Gebäck zur Seite; Basina teilte das ihrige mit Sigbert. »Und deshalb bist du noch so spät zu uns gekommen?« – »Nur deshalb! Seht: wie hell der Mond auf eurer Ehrenwachen Helmen glänzt. – Und um euch den Kerkersegen zu sprechen. Denn morgen früh ...–« »Kerkersegen?« – »Nun ja freilich! Den Reisesegen läßt mich Chrodieldis ja doch nicht sprechen –: obwohl's besser wäre.«

»Gewiß! ich will reisen. Nur fort von hier! Gleichviel wohin!« – »Gleichviel wohin! Das war ein weises Wort.« – »Warum so weise?« – »Weil nur Gott weiß, wohin wir reisen. – Ich hatt' einen Traum ... –«

»Jetzt gebt acht,« flüsterte Basina: »jetzt kommt's.«

»Ich hatte euch gestern Abend gesehen bei eurem Einzug in das Gefängnis – wollte sagen: in das Palatium. Schnapp, klang mir's im Ohr, wie wenn Vöglein in das Schlaghaus springen. Ich hörte dann heute – von den Höflingen, es schauderte ihnen noch die Haut! – wie das sanfte Chrödchen da dem stolzesten Palatin im ganzen Frankenreich die Kappe zurechtgerückt habe. Ei ei, dacht' ich, das wird lustig. Da legt' ich mich auf die Holzbank in dem Vorsaal und schlief. Der König hatte mich befohlen, ihm Rätsel aufzugeben. Denn er meint, ich sei sein Narr. Aber oft hält einer einen Narren, der ihn zum Narren hat. Also ich schlief.« »Der ist nämlich das Gegenteil von Ulfia: – er kann gar nicht schlafen,« lachte Basina. »Bis der Bischof wieder von dem König herauskam, schnarchte ich schon. Und der Herzog wollte mich hinauswerfen lassen ... –« Er hielt inne. – »So träumte mir nämlich. Aber der Bischof sprach: ›Sieh‹ – er meinte: mit den Ohren! – ›er schnarcht.‹ Und da sagte der Bischof – träumte mir – der König solle am andern Morgen befehlen, daß die Mädchen sofort nach Poitiers zurückkehrten.« »Nimmermehr!« rief Chrodieldis. »›Nimmermehr!‹ werde dann Chrodieldis rufen. – Wie doch der Bischof diese Heldin kennt! Und wie scharfsinnig ich träumen kann! – Und ihr würdet euch trotzig weigern, die Herzogssöhne desgleichen. Dann würdet ihr – in offnem Trotz – den Königsbann, den Palastfrieden gebrochen haben. Man könne dann mit bestem Recht, ohne König Guntchramn zu verletzen, Gewalt brauchen, die jungen Schwabenhündlein mit Gewalt von den Lämmlein reißen ...« – »O weh!« klagte Basina. ›Fielen sie dabei, desto besser: so sei's gerechte Strafe.‹ Auch, – denkt nur, wie so dumm, im Traum, ein Bischof reden kann! – stünden sie, wie es scheine, vor der Mägdlein Herzen, sagte er dem König – wie vor ihrem Schlafgemach Schildwacht, solang sie nämlich lebten: – aber tote Schwaben seien Mädchen nicht mehr so lieb wie lebende! – Dann könne man die Mädchen, getrennt, in verschiedene Kerker bringen. Und dort beliebig lang behalten. Hunger kirre die wildesten Falken. Und das gefiel dem Herrn König sehr! – Und da nun Chrodieldis ganz gewiß nicht nach Poitiers geht, ist alles dies so gut wie schon geschehen.« – »Ins Kloster geh' ich nicht zurück;« sie griff in den Gürtel. »Wer sprach denn vom Kloster? Kannst ja gar nicht ins Kloster,« flüsterte Theutar, sich vorsichtig umschauend: »Das heißt: – so träumte mir.« – »Warum nicht?« – »Weil die Äbtissin Leubovera geschworen hat, – so träumte mir, – sie nimmt dich nicht mehr auf.« – »Gott hat ihren Verstand erleuchtet,« rief Basina begeistert. »Das wissen der König und die andern nicht aber ich weiß es – durch Truchtigisel, meinen Freund. – Du aber weißt es auch nicht. Also weigerst du dich, nach Poitiers zu gehen, weil du dabei nur an das Kloster denkst. Und es kommt hier zur Gewalt. Und alles ist verloren. Amen, Amen, Amen. – Darum empfangt den Kerkersegen, liebe Töchter. Ihr beiden Schwaben: ihr seid schon so gut wie begraben; ihr braucht gar keinen Segen mehr; höchstens den Grabsegen.« »Aber – wenn wir nun doch nach Poitiers gingen?« fragte Basina. – »Mir träumte: wenn ich eine schöne Jungfrau wäre, – ich ginge ins Fegefeuer, um nur aus diesem Königshof zu Paris loszukommen.« »Ja! In die Hölle,« rief Chrodieldis. »Nur fort aus Paris!«

»Du träumst viel gescheiter, Theutar, als andere denken!« rief Basina. »Aber, wenn nicht ins Kloster, wohin dann zu Poitiers?« forschte Sigvalt. »Mir träumte: da steht zu Poitiers ein großes Haus, das gehört dem heiligen Hilarius ... –« »Asyl! Ins Asyl!« riefen beide Paare. »Heil uns! Wir gehen willig nach Poitiers, aber ins Asyl. Wir sind gerettet.« »Ja, ja,« sagte der gute Mönch und ging, »Den Seinen giebt's der Herr im Schlaf. Aber aufpassen müssen sie dabei ein wenig!«


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