Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

»Nun? Was sagst du zu der Liste, Bischof? Eine saubere Gesellschaft! Ein hübscher Schwarm Vögelein.« »Ich kenne manche von ihnen,« lächelte Herr Felix, »die nicht übel ist. Man muß sie vor dem Vogelsteller hüten. Das hat nun Herr Gregorius zu Tours bisher getreulich gethan. Er ist durchaus wacker,« schloß Felix, »und unsträflich ... –« »Bis auf sein Latein,« lachte der König. »Das heißt, so klagt der gestrenge Marcus, mein Referendar. Für mich war's gut genug. Und ich, – ich mag ihn sonst gut leiden, den alten Gregorius. – He, he, da fällt mir ein,« rief er plötzlich drohend, »du – Herr Felix – (deinen Segen! Ich vergaß vorhin –!) du sollst ja gesagt haben, es sei große Ähnlichkeit zwischen uns, zwischen mir und Gregor! Wie meinst du das? He?« Flavianus erschrak. Aber der Bischof segnete erst den König und sagte dann ruhig: »Und so ist es, mein königlicher Sohn! Ihr seid beide gleich stark in Wundern. Gregor glaubt viele Wunder mit seinem Geist, wachend und schlafend. Und du thust viele Wunder mit deinem Leibe: schlafend und wachend.«

Flavianus atmete auf.

»Gut gesagt! Gewiß, ja, ihr Kelten dort drüben jenseit der Loire seid gar witzig. Also weißt du schon das Wunder, das ich neulich im Schlafe gethan? Wie mir aus dem offenen Mund – im Schlaf – ein kleines Tierlein lief? Über eine Quelle, auf meinem Schwerte, das mein Gefolgsmann staunend darüberlegte, weil das Tierlein nicht hinüberkam ohne Brücke! Und verschwand das Tierlein in dem Berge drüben. Und als ich erwachte, erzählte ich ...« –

»Du hattest geträumt, deine Seele sei auf einer Eisenbrücke über einen Strom gegangen und habe drüben in einem Berge Schätze von Silber und Gold gesehen.« – »Sollte ich das wirklich schon einmal erzählt haben?« Beide, Staatsmann und Bischof, schwiegen. »Das Schlimme war aber: der Traum war falsch! Ließ nachgraben, kostete viel Geld! Fand nichts im Berg als Muscheln –: was thu' ich mit Muscheln!«

»Wer weiß!« lächelte Felix. »Man müßte Herrn Gregor fragen, was Muscheln bedeuten.« »Leider kein Geld,« seufzte Flavianus. – »Ja, richtig, Gregor! – Also, er that einmal was Gescheites.« – »Dann hat es ihm nicht sein Kopf eingegeben, sondern sein Herz.« – »Gut, Bischof. Gut! Das heißt: er behielt die tollen Mädchen bei sich. Sie wollten geradeaus zu mir laufen! Nun denkt Euch! Zu mir! An meinen Hof! Was thue ich mit einundvierzig meist recht hübschen Nonnen? Nonnen, die es nicht sein wollen! Und da sie um keinen Preis freiwillig umkehren wollten, so hat er sie behalten, herausgefüttert und gepflegt: – und hat sie diesen Brief an mich verfassen lassen. Und ihn geschickt und mich gefragt, was nun weiter werden solle?« »Sehr scharfsinnig,« bestätigte Felix. – »Und vorsichtig! – Aber was nun mit ihnen allen anfangen?« »Es wäre ja nicht schwer,« meinte Felix. »Schließlich ist der Heerbann von Burgundia doch stärker als einundvierzig noch so übermütige Mädchen. Man bietet das Reichsheer auf mit der großen Königsfahne, bringt dem belagerten Bischof von Tours Entsatz, wirft so viele Jungfrauen, als den Andrang überleben, auf Leiterwagen und führt sie mit gezückten Schwertern der heiligen Radegundis wieder in den Schos: – was dabei bricht, – das bricht.«

Der König lachte. »Feiner Kopf, der Bischof, eh, Flaviane? Redet immer auf Umwegen! Rede immer geradeaus, ich. – So deutet er jetzt durch scheinbaren Rat einer dicken Dummheit an, wie wir es – nicht machen dürfen. Nein! Nur kein Aufsehen! Kein Ärgernis!« – »Euer Scharfsinn hat mich durchschaut, Herr König. Der Name von Jungfrauen soll nicht viel genannt werden: – jede Nennung trübt ihn: wie häufiger Hauch des Mundes einen Goldspiegel.« »Ich fürchte,« wandte der Domesticus ein, »die beiden jungen Fürstinnen. Basina ist ein Schelm.« »Aber so anmutig!« schmunzelte der alte König. »Ich streichle ihr so gern den krausen Kopf.« – »Und Chrodieldis ist ... –«

»Sage mir nichts gegen sie! Der Merowingen Heldenblut ist lebhaft in ihren Adern! – Mehr fast als in den meinen,« lachte er gutmütig. »Wenn es nur gelänge, die beiden Führerinnen zu bändigen,« fuhr der Staatsmann fort, »um das Gerede der Leute vom Königshaus nicht weiterplappern zu lassen. Die andern wären dann wohl bald zu Vernunft gebracht.«

»O Bischof,« sagte der König, »der Domesticus da will neununddreißig Weiber zur Vernunft bringen – und ist doch ein alter Ehemann! Ich habe viele Frauen gehabt! Im ganzen, gering gezählt, so vier bis fünf durch Gottes Gnade, der mir sie alle rasch nahm –. Aber zur Vernunft bringen! Heiliger Martinus! Sie hätten mich bald um mein bischen Vernunft gebracht. – Ja, was thut man nur mit den beiden Rädelsführerinnen? Einfangen? Einsperren? Fortschicken? Was thu ich nur, was thu ich mit den beiden? Das Beste wäre wohl, sie zu ... –«

»Verheiraten,« sprach da eine tiefe, ganz tiefe Baßstimme. Und aus dem Vorhang des Eingangs trat, ehrfurchtvoll vor dem König sich verneigend, eine mächtige, hochragende, breitschultrige Gestalt, die in dem weiten, wallenden Bischofsmantel, der bis auf die Knöchel reichte, noch größer und umfangreicher erschien; der schwere Gang ward noch wuchtiger durch seinen Speer, der über den Kopf des fast sieben Schuh langen Mannes hinausragte.

»So? Truchtigisel! Bist du wieder einmal da, alter Bajuvarenheld?« rief ihm der König sehr freundlich entgegen, zu ihm hinaufsehend. »Aber Truchtigisel!« schalt der Domesticus. »Wißt Ihr denn nicht, daß man nicht mit Waffen in des Königs Gemach tritt?« Der Riese atmete schwer und warf hilflos einen Blick auf den König. »Laß ihn nur, Domestice, laß ihn! Truchtigisel spießt mich nicht. Ist es noch der alte Speer, der aus der Avarenschlacht?« – »Derselbe.« Der zierliche kleine Bischof von Nantes trat nun auch auf den Amtsbruder zu und vergrub seine schmale Hand in der ungeheuren Rechten des Bajuvaren. »Gott zum Gruß, ehrwürdiger Bruder. Freut mich, euch wieder hergestellt zu sehn von – von Eurem hartnäckigen rückfallreichen Leiden. – Au, Wehe! Laßt mir doch noch Einen Finger ungebrochen.« Der Große verzog den großen Mund zu einem breiten Lachen. »Sag, du alter Hüne, was führt dich zu mir? Was willst du?« forschte der König. – »Danken!« – »Ach ja! Weil ich deine Bußezeit abgekürzt habe.«

Der Starke ward rot bis in die braunen Haare hinein, die ihm noch reichlich und gar nicht ergraut das mächtige Haupt schmückten; nur an den Schläfen waren sie spärlich, abgerieben vom langjährigen Drucke des Helmes. »Ein recht liebliches Kirchenrecht handhabst du, Herr König,« lächelte Felix. »Kürzet jetzt der weltliche Arm auch bereits die Kirchenbußen ab?« – »Ach was! Ich hab's nur kurz ausgedrückt! Ich habe mich für ihn verwendet bei seinen Mitbischöfen.« »Und weswegen hat wohl,« fragte Herr Felix mit der harmlosesten Miene, »diesmal unser unsträflicher Bruder eine kleine Pönitenz erhalten? Kann mir's gar nicht vorstellen! Wegen welchen Fehlers?« Der König lachte laut und der Domesticus lächelte, bis der Bajuvare, abermals errötend, sehr ernsthaft antwortete: »Von wegen – des alten ... –« »Kleiner, laß mir den Großen in Ruhe,« warnte Guntchramn, den Zeigefinger hebend. »Es ist sein Einziger Fehler. Andere Leute haben feinere, aber viele. Truchtigisel spricht von keinem Menschen was Böses.« »Keine Kunst,« meinte Herr Felix. »Er spricht ja überhaupt nicht.« – »Desto besser kann er dreinschlagen. Wahrlich, du feiner Kelte, stand an des tapfern Riesen Stelle damals in der furchtbaren Avarenschlacht ein Bücherwurm wie du, – ich wäre nicht lebendig vom Fleck gekommen. Und auch nicht – was viel größerer Schade gewesen wäre! – mein armer Bruder, Held Sigibert, der jetzt im Himmel ist, Dank Frau Fredigundens blutigen Mordmessern,« schloß er grollend. »Wie war das in jener Schlacht, Herr König?« fragte Felix. »Einfach war's. Die Avaren, diese heidnischen Unholde, hatten uns in Thüringland von allen Seiten eingeschlossen. Wir wurden hart geschlagen. Auf der Flucht holten den Bruder Sigibert und mich etwa zwanzig solche Söhne der Steppendämonen ein. Unsere Pferde stürzten, von Pfeilen gespickt. Unsere wenigen Gefolgen fielen, Mann für Mann, um uns her. Zuletzt standen wir beide noch allein, wir Brüder, Rücken an Rücken. Wir waren verloren. Da jagte auf einem mächtigen Rapphengst der treue Graf aus Bayerland, Herr Truchtigisel vom Chiemgau, herzu – mit diesem Speere! – du siehst, er ist nicht klein! Und stach so ungefüg um sich, daß die Heiden flohen, soviel noch übrig waren. Er bekam aber dabei durch die zerschmetterte Sturmhaube einen avarischen Keulenschlag auf den Kopf. – Seitdem kann er – für einen Grafen – nicht mehr genug oder schnell genug denken. So macht' ich ihn denn alsbald zum Bischof – zum Dank.« »Ich danke auch,« lächelte Felix sich verneigend. »Jetzt weiß ich doch, wie man schnellstens Bischof wird. – Man sagt, der Held setzt oft die Frommen zu Soissons in Erstaunen: durch seinen Durst.« Truchtigisel sprach langsam: »Früher – mehr!« »Jawohl,« bestätigte Flavianus. »Er hat sich gebessert. Und zu dem Trinken, zu dem Laster kam er ganz unschuldig. Eigentlich ist der Herr König schuld, der einen Kriegshelden auf einmal zum Kirchenlichte macht. Der Arme sollte nun – nach bald fünfzig Jahren der Schwertkunst – die Schreibekunst lernen.« »Und das Lesen auch!« seufzte der Große. »Da mußte er soviel sitzen, der früher nie gesessen.« »Außer beim Trinken,« ergänzte Truchtigisel, den Finger erhebend.

»Richtig, ich verstehe,« sagte Felix. »Sitzen ohne Trinken hatte er nie gelernt. Und da er nun fast immer sitzen mußte, mußte er auch fast immer trinken.« »Dazu kam die Verzweiflung über die Buchstaben,« fuhr der König fort. »Kurz, er trank zuletzt – aus Tiefsinn. Eine Zeit lang trieb er's schon arg, der Truchtel da. Und nichts wollte helfen! Nicht einmal mein Gebet für ihn bei den Heiligen.« »Herr,« meinte Felix, »an Eurer Stelle hätte ich ein Wunder an ihm gethan.« »Jawohl,« fuhr ihn der König ganz zornig an, »du meinst, das geht mit dem Wunderthun immer nur so dahin? Wie mit Ballwerfen? Das zehnte Mal geht es nicht! – Ich kann überhaupt mit meinem Willen und Geist gar nichts Wunderbares wirken.« – »Ich glaub's Euch, o Herr.« – »Es geht ohne meinen Willen! Von meinem Leibe strahlt das – manchmal – aus, wenn es die Heiligen wollen. Und dann: dieses Bajuvaren Trinken stillen ... –«

»Ja, dazu mag mehr als mittelschlächtige Wunderkraft gehören.« »Überhaupt!« schalt der König und kraute sich verdrießlich hinter dem rechten Ohre. »Überhaupt! Mit den Heiligen ist es ein eigen Ding. Bin manchmal schlecht mit ihnen zufrieden, sag' ich dir, Bischof. Herzlich schlecht.« – »Wird wohl auf Gegenseitigkeit beruhen, o Herr.« – »Zum Beispiel erkläre mir doch, du, der du gar so gescheit bist: warum werden meine Heere ganz regelmäßig – eines nach dem andern! – jetzt ist's das fünfte Mal! – geschlagen von diesen gottverdammten Ketzern, den arianischen Westgoten? Längst such' ich dem Herrn Christus – und für ihn: mir! – das schöne Südgallien zu erobern, das sie immer noch haben, diese Verfluchten. Warum werd' ich immer geschlagen? Sag's, Bischof! Ich habe doch den rechten Glauben!« – »Du hast den rechten Glauben: – aber sie haben die rechten Feldherren!«

»Nun, zurück zu unserem Truchto. – Als es am schlimmsten war, da haben die Bischöfe einen Beschluß gefaßt auf einer Synode, er sei vom Amt zu suspendieren – ich weiß den Wortlaut nicht mehr. Herr Gregorius zu Tours hat es abgefaßt: es klang so drollig. – Weißt es nicht mehr, Truchtolein? Geh, sei gut: sag' es uns auf.«


 << zurück weiter >>