Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Wunderschön war's in dem stillen Bischofsgarten. Ein warmer feuchter Maiabend: die Blumen dufteten gar stark; der Mond warf sein bleiches Licht auf die Büsche. Die erste Nachtigall versuchte ihren Schlag.

Die beiden Liebespaare wandelten in den breiten Laubgängen. Lustwandeln konnte man es aber nicht nennen; was der folgende Tag brachte, konnte der Tod, konnte Trennung fürs Leben sein.

Schon ging es gegen Mitternacht, da ward ein Besuch, ein Freund, wie er sich nannte, gemeldet, der nach den beiden Paaren und nach der Klausnerin fragte. In einer kleinen Kapelle erwarteten die Fünf den späten Gast; er kam mit wuchtigem Gang, bei jedem Schritt einen Speer klirrend aufstoßend. »Ihr, Bischof Truchtigisel?« rief Basina erfreut, ihm entgegenhüpfend und ihm beide Hände küssend. »Ihr seid der Beste von allen! Ihr bringt nichts Schlimmes.« »Nein, was Gutes, braunes Schmeichelkätzlein. Aber für mich wird's hart! – Arg hart! – Muß viel, viel reden! Erschwert mir's nicht durch Dummheit.« Er setzte sich mit Gedröhn in einen Stuhl, den ihm die Jünglinge eilfertig bereitschoben.

»Erst höre du, Klausnerin. Klausnerin bist lang genug gewesen. Und nicht gerade besser dadurch geworden. Jetzt paß auf! Dein Kind, deine Desiderata, – die lebt.« – »O Gott! Dank, Herr Bischof. Dank! Aber wohl als Nonne?« – »Im Gegenteil. Als Mutter! Als Ehefrau – hätt' ich wohl zuerst sagen sollen. Seelenvergnügt. Bist Großmutter. Dreimal.« – »Wo? Wo lebt sie?« »Bei mir daheim. In Bajuvarien. Am Chiemsee. Zu Truchtilinga. In meinem Haus. Backt vortrefflich Asch': – aber das verstehst du nicht. Ihr Mann ist mein Falkner. Ein Wunder? Nein. Oder ja! Wie du willst. Vor zwanzig Jahren etwa – noch nicht ganz – ritt ich mit meiner lieben Frau – Irmentraut heißt die! – auf der Straße bei Soissons. Da kamen zwei Mönche daher. Hatten ein etwa zehnjährig Kind auf einem Maultier. Das weinte und schrie in einem fort: ›Mutter! Mutter!‹ Das konnte ich nicht mit anhören. Und Frau Irmentraut noch viel weniger. Kurz: wir hielten die Mönche an. Die sagten, sie sollten das Kind, das ein Kind der Sünde sei, – Desiderata nannte sich die Kleine, – in ein Frauenkloster bringen. Frau Irmentraut mag die Kloster wenig. Und ich gar nicht. Warum? Weil die Menschen heiraten sollen. Das ist des Herrgotts Wille. Sonst hätte er lauter Männer geschaffen. Oder lauter Weiber. Frau Irmentraut sagte, das holde Kind könne nichts für die Sünde seiner Eltern, und befahl mir, – heißt das: sie bat mich! – den Mönchen das Kind abzuhandeln. Die gaben es gar billig! Und wir nahmen das Kind mit uns nach dem Chiemgau. Und Frau Irmentraut hat es erzogen zu einem trefflichen Mädel. Und bildsauber ist sie auch geworden, die Siderie. Und so hat sie mein schmucker Falkonier geheiratet. Drei Kinder. Ah, ich sagte es schon. Und ich ziehe morgen aus Gallien hinweg in den Chiemgau, dort meine Tage zu beschließen. Und du – du gehst mit. Ist's recht so?«

Da sank die Klausnerin dem Bischof zu Füßen und umklammerte seine Kniee und weinte. – –

Eine Zeitlang ließ er sich das gefallen. Dann sagte er: »So! Jetzt ist's genug. Steh' auf. Jetzt kommen die andern. – Ihr zwei Schwaben: ihr seid recht. Bei euch hilft Zureden. Der Goldammer und der Rotkopf – eh? Die Schwarze und die Braune – eh? – Recht, recht. Aber jetzt gebt acht. Jetzt kommt's. Ihr habt ein Scandalum Magnatum angefangen gehabt, ihr Mädchen – einen Scandalus oder ein Scandalum Scandalarum oder Scandalorum? (Dies Latein ist eine boshaftige Sprache. Sowie ich überm Rhein bin, geb' ich ihm einen Schlag in den Nacken für immerdar!) Es war arg. Schlecht hat's ausgesehen, eine Zeitlang. Ganz schlecht! Und obwohl zwei Könige und der Domesticus von Burgund und sein Schlingel von einem Herrn Sohn und der Senator Frontinus und sein Herr Schlingel von einem Sohn und alle Bischöfe, von dem klugen Herrn Felix angefangen bis auf mich herunter (– Bruder Gundigisel von Bordeaux, der ein wenig brummte, – noch brennt ihn die Kopfwunde! – den hatte ich euch gewonnen: ich habe ihn einmal herausgehauen aus den Slavenen im Pusterthal –) und obwohl also alle Leute euch gut waren – ich weiß wirklich nicht warum? denn ihr seid schon recht schlimme Dinger! – und euch heraushelfen wollten mit bestem Willen – immer, immer wieder habt ihr euch aufs neue hineingerannt, wie die Gäul' immer wieder hineinlaufen ins Feuer und ob man sie am Schweif herauszerrt! Und zwischen dieser schwarzhaarigen Chrodieldis da, die von Eisen ist, und der weißhaarigen Leubovera dort, die von Stein ist, hättet ihr alle miteinander ganz sinnlos zu Grunde gehen müssen. – Denn es ist wahr: die Alte ist so dumm, wie eine taube Rohrdommel. – Aber ich – oder vielmehr: meine liebe Frau – Irmentraut heißt sie – hat euch gerettet. Ja, sag' ich! Beim Hammer des Donners, ihr seid's, sag' ich. Nicht einmal du, schwarze Mauerschwalbe, kann das mehr verderben. Also wie ich nach Hause komme – ich wohne nie mit den andern Bischöfen, weil – da stets getrunken wird: ich wohne stets in besonderem Gelaß mit meiner Frau, – erzähl' ich ihr die ganze Geschichte. Amtsgeheimnis? Meine Frau ist viel mehr Bischof als ich! Und wie ich fertig bin, sag' ich: ›ich hab' all meine Gedanken erschöpft und alle meine Heilmittel überlegt. Aber ich weiß in diesem Falle keines als: – Verheiraten‹. Sagt meine Trautel: ›Aber Truchtel!‹ sagt sie, ›du weißt aber schon gar nichts als den Einen Spruch. Wen willst du denn jetzt wieder verheiraten?‹ ›Wen?‹ sag' ich. ›Die Nichte,‹ sag' ich. ›Die mit dem Testament. Wenn die der alten Habergeiß, der bockbeinigen, den Tort anthut, und nicht ins Kloster geht, vielmehr im Gegenteil heiratet und dann all' ihr reiches Sach natürlich ihrem Mann und ihren Kindern zuwendet, dann muß sogar diese Erzbischöfin des Eigensinnes einsehen, daß sie in schwerem Irrtum und Unrecht war über ihre Nichte, um deren und um deren Geldes willen sie vierzig arme Jungfräulein in die arge Welt hinausgetrieben hat.‹ ›Mann,‹ sagt da die Meinige, ›du hast zwar nur Ein Heilmittel, aber es hilft. – Es hilft vielleicht auch diesmal. Jedoch,‹ sagt sie, ›du bist nicht pfiffig genug für diese Sach,‹ sagt sie, die Trautel. ›Und woher so geschwind einen Mann für die Leuba finden? Sprich mit dem Herrn Felix. Das ist ein feiner.‹

Ich gehe also zu Herrn Felix. Der ist aber bei dem Herrn Domesticus. Ich geh also zu dem Herrn Domesticus. Und wie ich vor diesen beiden Hauptgescheiten anfange von dem Verheiraten und daß ich damit das Scandalum Magnatorum in Burgundia lösen will, da werden sie beinah schon ein wenig grob. – Wenigstens der Domesticus. Der war ohnehin sehr, sehr übler Laune, weil nämlich sein Herr Sohn wieder soviel Schulden hat als Haare und weil kein Jude mehr die Sieblocher stopfen will. – Wie ich aber Leuba nenne und ihr unsinnig vieles Geld, da springt der Herr Domesticus auf und umarmt mich und läßt Trompeten blasen. Daß nämlich das Fechten aus sein soll. Und ruft seinen Sohn. Und der geht auf die Hochzeit zur Frau Genoveva. Und verlobt sich sofort mit Leuba: – die Äbtissin hat zum allergrößten Glück nichts darein zu sagen. Leubas Vormund ist Bischof Gundigisel, mein alter Zeltgenoß, und den hatte ich gleich herum! – Und Leuba sagte, natürlich nehme sie nun sofort ihr Testament zurück. Und noch spät am Abend – der Herr Domesticus war gar eifrig dahinter her! – mußte es die Stadtbehörde herausgeben aus ihren Akten. Und das junge Paar ging – von uns allen begleitet – zu der Äbtissin, die noch die Stadt nicht wieder verlassen hatte. Und vor ihren Augen warf Leuba das Testament ins Herdfeuer, daß es gar lustig brannte. Da fiel die Äbtissin um. Sie hatte geglaubt, dumme Dommel, ein Testament sei ein Vertrag und unwiderruflich. Aber ein Testament ist –. Wißt ihr, was das ist? Nein? Nun: so merkt's euch! – ein Testament ist das Gegenteil von einem Vertrag. – Und wir meinten, sie sei tot. Vor Giftzorn. War aber nicht tot. Sprang bald wieder auf und schalt Leuba eine Rabennichte hin und eine undankbare Beißviper her um die andere. Der aber machte das wenig Eindruck. Sie lachte und küßte ihren Bräutigam in einem fort. Und je mehr sie ihn küßte, desto giftiger schalt die Alte. Und als sie auf dem Schaumgipfel des Zornes war, da fragte sie auf einmal Herr Felix, gar betrübt und teilnehmend: ›Seht Ihr jetzt ein, arme Frau Äbtissin, daß Ihr bezüglich Eurer Nichte im Irrtum waret? Und daß Ihr um ihretwillen vierzig andern Mädchen unrecht gethan habt?‹ ›Ja, ja,‹ schrie die Äbtissin. ›Ich war mit Blindheit geschlagen! Ich überschätze sie maßlos, die Undankbare. Ich war über sie in schwerem Irrtum! O wehe, daß ich um ihretwillen den andern unrecht gethan! Das wissen alle Heiligen und alle Menschen sollen's hören.‹ Da verneigte sich Herr Felix vor ihr gar zierlich, lächelte und sprach: ›Alle Menschen brauchen's nicht zu hören! Es ist genug, daß wir's gehört haben.‹ Und er erzählte ihr, daß sie mit diesem Ausspruch bereits gethan, was Chrodieldis von ihr verlange. Und da wir ihr sagten, jetzt würdet wohl auch ihr erklären, daß ihr mit eurem Ausbrechen aus dem Kloster unrecht gethan ... –« »Aber bereuen können wir's nicht,« lachte Basina und strich leise über Sigberts rote Locken hin. »Da nahm sie die Anklage beim König und bei den Bischöfen zurück. Aber auf einmal fing es an, sie zu reuen, so schien es. Denn sie fragte plötzlich, wie viele von euch zu ihr ins Kloster zurückkehren würden? Und da wir ihr sagten, nicht Eine, soviel wir wüßten: – da ward sie rückfällig. Nämlich sie ist offenbar nicht gutartig, diese sehr unwürdige Nachfolgerin der heiligen Radegundis und der heiligen Agnes! – Und sprach: Eine wenigstens muß zurück ins Kloster. Das verlangt die Ehre der Heiligen. Ein Sühnopfer muß fallen. Sonst streite ich weiter.‹ Da standen wir denn wieder aufs neue in großer Hilflosigkeit. – Sogar mir versagte jeder Rat: denn hier galt es ja das Gegenteil von meinem sonstigen Mittel! – Und je mehr wir in sie drangen, desto eigensinniger wurde sie.

Da that sich plötzlich der Vorhang der Halle auf, herein trat ein schlankes, blasses Kind, sank in die Knie vor der Äbtissin und sprach: ›Ich kehre zurück ins Kloster. Verzeihe nur, daß ich ohne deine Erlaubnis den Verlobten gepflegt habe, bis er starb. Mit ihm starb mein Leben. Ich, Constantina, gehöre fortan nur der heiligen Radegundis. Und auch der andern verzeihe, die meine Flucht geteilt, Julia. Sie kann dir nicht wiederkommen. Neben dem Geliebten hab' ich unter Cypressen sie bestattet. Sie trug den Stachelgürtel, den du ihr angelegt, bis in das Grab, Und ich, – ich trag' ihn noch zu dieser Stunde.‹ Da wurden aber Herr Gundigisel von Bordeaux und Herr Marovech von Poitiers, des Klosters Vorgesetzte, sehr gerührt und sehr zornig! Und sie befahlen Constantina, augenblicklich den Gürtel abzulegen. Und Herr Gundigisel ballte die Faust, gleichsam wie um den Griff des Schwertes, und schrie die Äbtissin an: ›Ich werde dem Herrn König was berichten.‹ Und ich glaube, bald wird eine andere als Frau Leubovera die Binde der Äbtissin tragen in jenem Kloster.

Und so werden morgen früh zwar wir Bischöfe wieder hier vor euch erscheinen. Aber nicht, um den Kirchenbann über euch auszusprechen, sondern um ganz was anderes laut und fröhlich zu verkünden.

Ich habe nämlich schon lange gehört, wie's mit euch Vieren steht. Ihr habt es auf dem Wege nach Paris, an jenem Hof und seither derart getrieben, daß es ohne sonderlichen Scharfsinn zu entdecken war: ihr habt meine Wünsche, – natürlich nur mir zu Lieb! – erfüllt. Und der gute König Guntchramn, dieser schlimmen Mädchen Muntwalt, hat mich (schon lang!) ermächtigt, an seiner Statt euch euren Schwaben zu verloben. Das soll morgen geschehen, auf den Stufen der Basilika, vor allem Volk, gar feierlich und unter großem Psallieren.

So! – Jetzt geh' ich aber heim zu Frau Irmentraut. Sie hat mir einen tiefen, tiefen Becher Weins versprochen zum Lohn für meinen klugen, mannigfaltigen Rat und für meinen Eifer. Und vor allem: für das viele Reden, Denn dieses war das schwerste.«


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