Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Viertes Kapitel.

Aus dem Seitengemach eilte, so geschwind die kurzen und dicken Beinchen ihn tragen wollten, der gute König Guntchramn in den Saal. Einen weiten Purpurmantel hatte er um die Schultern geschlagen; das Untergewand, das den Gürtel verloren oder heute noch nicht getragen hatte, hielt er über dem Bauch mit der Linken zusammen; in der Rechten trug er einen zerknitterten Brief. So wenig würdevoll die Haltung des alten Fürsten war, – immerhin lag auf den weichen Zügen, in den heiteren himmelblauen Augen soviel freundliche Herzensgüte, daß man dies Antlitz gern schaute. Und das schneeweiße Haar, das er, nach der Sitte der merowingischen Könige, in langen, langen Lockenringen auf die Schultern wallen ließ, gewährte eine bedeutsame Umrahmung des an sich nicht sehr bedeutenden Kopfes. »Oh, ah,« rief er beim Eintreten. »Uh, ah! Das ist arg, das ist arg, sag' ich. Das ist, – das ist des Teufels Unkraut unter den Lilien!«

Staatsmann und Bischof verneigten sich ehrerbietig.

»Ah! Flavianus! Und Ihr, hochwürdiger Herr Bischof! Euren Segen! – Nachher! – Heilge Chrotehildis, was ist denn da unten so kalt? – Ach so! Ich vergaß – in der Eile! – Gleich, gleich bin ich wieder hier,« Und er humpelte in das Schlafgemach zurück.

»Was ist ihm denn?« fragte der Bischof erstaunt.

»Er hat,« lachte Flavianus, »nur Eine Sandale angebunden. In dem Schlafzimmer, auf den Teppichen, hat er es nicht gemerkt: aber hier auf dem kalten Stein-Estrich!« »Wie eine Krähe!« und der Prälat lachte, bis er vor Vergnügen über seinen eigenen Einfall die Augen zusammendrückte. – »Eine Krähe sah ich jüngst so hüpfen – in dem Schnee!«

»Krähe im Schnee? Ja, ja« – der König stand schon wieder vor ihm; er hatte die andere Sandale angebunden und sich einstweilen den Goldreif, der die Krone ersetzte, auf das runde Haupt gesetzt; nun mühte er sich, den Gürtel um die Hüften zu befestigen. – »Ja, die Krähe! Das ist das jüngste Wunderzeichen. Hast auch schon davon gehört, Bischof. Ja, ja, die Zeichen mehren sich. Weißt noch nicht? Zu Bourges war's. Der Graf Doniko hat eine schöne Tochter – gehabt. So schöne rote Haare: – hast sie nicht gekannt? Schade! – In dem Hof vor ihrem Schlafzimmer sah man tagelang mit erstaunsamer Beharrlichkeit eine Krähe hüpfen in dem frisch gefallenen Schnee. Anfangs waren's lauter Krähentritte, Aber eines nachts hatte die Krähe Spuren hinterlassen – von was? Rate! Aber das rätst du nie! Wie von einem Manne: ganz täuschend ähnlich, sag' ich dir, Bischof. Habe sie selbst gesehen und ausgemessen. Am anderen Morgen – whit, whit!« – der König pfiff unheimlich, »Tochter war fort: Schlafzimmer leer! Die Krähe hat sie entführt. Natürlich: der Üble, der schwarze Wicht, der in Krähengestalt im Hof umhergehoppt hatte. Du zweifelst? Ich sage dir aber: vor dem Hof war – du weißt: Er hat einen Pferdehuf! – deutlich eine Pferdespur: – sogar von vier Hufen! Grauenhaft, nicht? – Hast du schon gehört? Neulich ging wieder von mir eine große Wunderkraft aus. Ich sage mir's nicht zum Lobe! Gott behüte! Wundert mich sogar, daß die Heiligen sich meiner bedienen. Ging da in Prozession psallierend durch die Straßen von Marseille, wo die arge Pest wütete. Viele Dämonen waren in den letzten Tagen ausgefahren aus Besessenen bei meinem Anblick. War da eine arme Frau, deren Sohn litt am viertägigen Wechselfieber. Die Mutter schleicht mir nach, schneidet mir im Gedräng eine goldene Quaste vom Mantel, trägt sie nach Hause, kocht sie in Wasser, giebt ihm den Sud zu trinken und – der Mensch ist geheilt. Nun bitt' ich dich! Eine bloße Quaste von mir! Ich spürte nichts davon! Rein gar nichts! Und er – er war geheilt. Da ist die andere Quaste. Ich schenke sie dir: – ich widme sie auf den Altar deiner Basilika zu Nantes. Schneide ab, Flaviane! Ach so, es ist verboten mit Waffen mir zu nahen, seit ... – Elf Mörder hat Schwägerin Fredigundis schon gegen mich ausgesandt. He, Bischof, die Hartnäckigkeit von dem Weib? Aber ich fürchte mich nicht. Mich schützen die Heiligen.« »Und du verdienst es, Herr König,« sprach Felix, der jetzt zu Worte kam, weil der König nicht mehr Atem fand, »Denn du bist gut. – Allein was hat dich vorhin so aufgebracht? Ich glaube, es war der Brief da in deiner Hand.« Rasch warf ihn König Guntchramn auf den Tisch, als ob das Pergament ihm die Finger brenne. »Ja freilich! – Der Brief! Die Anklageschrift, wie sie's nennen, diese kecken Maikäfer von Mädchen! Der Inhalt selbst: – dummer Schnack! Gar nicht zu verstehen. – Aber die Unterschriften! Das ist was Arges! Was ganz Arges, sag' ich! Vierzig Mädchen! Aus den ersten Häusern! Ich rede nicht von den Hauptspitzbübinnen, meinen lieben Nichten! Aber die andern! Constantina! Und Klara, die Sanfte! Und Helena, die da die Gute heißt! Patricier – Herzoge – Grafen – Oberärzte – Richter sind die Väter. Wie ist das nur möglich, Bischof? Was denkst du davon?« – »Ich habe davon gehört. Ich denke, daß Äbtissin Leubovera schwerlich allein recht hat und vierzig bis dahin brave Mädchen schwerlich allein unrecht haben.« – »Oho! Oho! Brave Mädchen! Oho! Chrodieldis, die Wilde! Und Basina, der Schalk! Und Hukberta aus Westfalaland, der Heidensturm! Und die ungestüme Anna, die Tochter des Forestarius Wepfo! – Und die Herzogstochter, die hochfärtige Anstrudis! Brave Mädchen? Whit!« er Pfiff wieder leise vor sich hin. – »Aber – lies – lies sie einmal herunter, Flaviane! Alle nacheinander! Nicht den Text! – Nur die Unterschriften. Die Zusätze, zur Erklärung, hat wohl meist Basina beigefügt: sie sind oft so mutwillig. Oder Bischof Gregorius und sein dicker Dodo: sie sind oft so einfältig.«

Und der Domesticus nahm den langen Pergamentstreifen vom Tisch auf und las:

»Chrodieldis, Tochter weiland Königs Charibert, Königin. Basina, Tochter weiland Königs Chilverich, Königin. Constantina, Tochter des Herzogs Burgolen. Aldgundis, Tochter des Patricius Eunodius. Genoveva, Tochter des Senators Desiderius zu Amboise. Amanda, Tochter des Grafen Sechellus zu Bruochsala. Anstrudis, Tochter des Herzogs Siggo. Anna, Tochter des Forestarius Wepfo, der schon lange starb. Emma, deren Schwester. Christiana, Tochter des Dosso, der weiland Richter war. Austriberta, Tochter des Domesticus Leonardus, Eugenia, Tochter des Richarius, der weiland Arzt war. Johanna, vor der Taufe Miriam genannt, Tochter des Argentarius Angelus, aus den Tiefen kananitischer Verdammnis zum Lichte des Glaubens emporgeführt. Regina, genannt das Blondköpfchen, Tochter des Villanus, des Kaufherrn. Anna die Jüngere, Tochter des Frimund, der so schön dichtete. Helena, genannt die Gute, Tochter des Benko. Lilia, die Tochter des Karolus, der da ein Vogt ist zu Genf. Hukberta, die Heidin aus Westfalaland, die in der Taufe Tarasia genannt ward, aber nicht auf diesen Namen hört. Machtildis, die Schwägerin des Bezzo, der aus dem Land der Chatten kam. Frida, genannt die Lange, Tochter des Torno, der da unter den Räten des Königs für weise gilt. Lindis und Stephania, die Enkelinnen des Witto. Katharina, die Tochter des Villicus der Villa Gajana an der Athesis bei Mansio Majae. Balthildis, Tochter des Majordomus Mummolus. Richauda, Tochter des Charigisil, des Thesaurarius. Waldrada, Tochter Willachars, des Grafen der Santonen. Ulfia, Tochter des Grafen Faisto zu Patavia an der Donau, genannt die Siebenschläferin: es wird festgestellt, daß sie ganz wach war, als sie unterschrieb. Elisabeth, Tochter des Grafen Wido von den Rheinfranken. Waltpurgis, Tochter des Strako, der bei den Nordmannen war. Emma, Tochter des Brollius, der aus dem Land der Langobarden kam. Klara, Tochter des Grafen Rutto, genannt die Sanfte. Paula, deren Schwester, genannt die Mindersanfte. Johanna, Tochter des Tszarnicho, des Wenden, der, wider Willen, getauft ward und nun im Land der Thüringe, im Auftrag des Herzogs Radulf, alle Wissenschaften in der rechten Ordnung hält. Allberahta, Tochter des Rotho, des Notarius, genannt Rotundula. Gertrudis mit den weizenblonden Zöpfen, Tochter des Alskarius, des Tabellio. Julia, Tochter des Grafen Volkhard, die von allen als die beste gilt, aber sehr krank ist. Arminia, Tochter des Hilarius, der Richter war im Land der Alamannen. Antonia, Tochter des Trollo, des Archiaters, der die Ohren des Königs Guntchramn merklich gebessert hat.« »Das ist die Wahrheit,« unterbrach der Fürst, »ich muß ihn loben.« »Berahta, die Tochter des Fritzo. + Margareta, Tochter des Asparius, des Arztes, hat dieses Kreuz gemacht. Sie kann noch nicht schreiben, weil sie noch nicht sechzehn Jahre alt ist. Sie lernt es aber. Und sie ist von allen die Jüngste. Was ihr beides auf ihren Wunsch bezeugen Chrodieldis und Basina, die Königinnen. X • Castula, die Klausnerin, die nicht schreiben kann, hat dieses gemacht, was ein Kreuz bedeuten soll.«


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