Felix Dahn
Die schlimmen Nonnen von Poitiers
Felix Dahn

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Erstes Kapitel

Es war – nach urkundlicher Überlieferung – am Frühmorgen des ersten Märztages im Jahre fünfhundertneunundachtzig.

Heftiger Wind warf Regen und Schnee, durcheinandergemischt, an die Holzläden, mit welchen, in Ermangelung von Glas, das Rundbogenfenster des Schlafzimmers im Bischofshause zu Tours geschlossen war. Die Ampel, die, von der Decke herabhängend, in schöner Bronze-Umschalung ruhend, die Nacht über gebrannt hatte, war dem Erlöschen nahe. Daran merkte der hochehrwürdige Herr Bischof von Tours, daß der Tag angebrochen sein mußte. Er wachte schon lange. Sowie der Schlummer von ihm gewichen war, hatte er, fromm und tiefgläubig, mit warmer Inbrunst sein Morgengebet gesprochen. Daran reihte er das Vaterunser. Als er an die schweren Worte kam: »Wie auch wir vergeben unsern Schuldigern,« erhob er die Stimme lauter. Und nach dem Amen sagte er: »Ja, ich vergebe ihnen – allen. Unter den Verstorbenen dem argen, argen Grafen Leudast. (Ob der wohl im Fegefeuer vom Ränkeschmieden lassen kann?) Und unter den Lebenden der bösen Königin Fredigundis, Und sogar – ja, ich will ihm vergeben: es muß sein! – Ihm! Du weißt schon, heiliger Martinus, und du, lieber Gott, weißt es wohl auch, wen ich meine. Den Namen spreche ich nicht gern aus. Denn der Name reizt mich und ärgert mich und erschwert mir das Vergeben.

Es ist aber wohl keine Sünde, wenn ich bei dem: ›Erlöse uns von dem Übel‹ auch bete und wünsche, daß er von allen seinen Übeln erlöst werden möge: von seiner Hoffart nämlich und von seinem Dünkel, von seiner aufgeblasenen Überhebung, mit der er auf Amtsbrüder herabblickt, die ... – ich behaupte ja nicht, daß mein Latein so zierlich sei wie das seinige: aber macht denn das allein den Bischof, den Priester aus? Mag er ein besserer Grammatiker sein, ich bin ein besserer Christ. Wer weiß, ob er heute in aller Frühe schon für mich gebetet hat, so liebevoll wie ich für ihn! –

Was ist denn heute alles zu thun? – Nach der Messe kommt Dodo, mein Ökonom, mit den Rechnungen des abgelaufenen Monats. Und dann die Antwort auf des Herrn Königs Brief! Das will erwogen sein! Und dann – ei, was ist das für ein Lärm im Hofe? Welch Geschnatter! Wie eine Herde Gänse! Sollten die aus dem Verschlag entwischt sein? Heiliger Martinus, fang dein Geflügel wieder ein!«

Da ward die Thüre des Schlafgemaches heftig aufgestoßen: – der Bischof durfte nicht bei geschlossenen Thüren die Nacht verbringen und zwei Priester mußten, wenn nicht in seinem Schlafgemach, wenigstens in dem Vorzimmer schlafen: – herein stürmte Dodo, der Ökonom, das heißt der Vorsteher und Verwalter des bischöflichen Hausvermögens, mit ganz verstörten Mienen und rief: »Herr Bischof! Helft! hochwürdiger Herr Bischof! Der Teufel ist los! Der Teufel hat sie losgelassen! Der Teufel hat sie zu uns hergeführt. Sie stehen im Hofe! Ich weiß mir nicht zu helfen.«

Bischof Gregor, so rundlich und so behäbig-langsam er sonst war in Gedanken und Bewegung, fuhr ganz geschwind aus den Decken, schlug, entsetzt über die wiederholte Erwähnung des Erzfeindes, ein Kreuz, stand, nur vom langen Nachthemd bedeckt, vor seinem Diakon und rief: »Wer ist los? Wer steht im Hofe? Wirklich – Er?« – er ward ganz rot im Gesicht, als er zögernd beifügte – »Bischof Felix von Nantes?« – »Ach, was viel ärgeres!« »Das giebt es nicht,« sagte Gregor überzeugt. »Doch! Schaut nur selbst!« – Er zog den Riegel am Fenster zur Seite und stieß den Laden hinaus.

Gregor trat an die Öffnung, steckte den Kopf ein wenig vor, fuhr aber gleich, wie vom Blitz getroffen, zurück: »Barmherziger Heiland!« rief er. »Was ist das? Weiber? Lauter junge Weiber! Eine ganze Herde! Hilf, Sankte Martine.« Aber so flüchtig er sich gezeigt hatte an dem Fenster, er mußte erkannt worden sein: denn sofort rief vom Hofe aus eine helle Frauenstimme: »Guten Morgen, lieber Oheim! Wie hast du geschlafen?« Und eine noch lieblichere fügte bei: »Ei, der Herr Pate! Gleich, gleich! Wir kommen schon.« – »Gerechter Gott! Sie sind es im stande! Dodo, schließe die Thüre zu!« – »Aber Ihr wißt ja, sie ist nicht verschließbar.« – »Da hör' ich sie schon auf dem Gang! Dodo! Wirf dich ihnen entgegen.« Aber zu spät: – schon standen auf der Schwelle zwei sehr schöne, ganz auffallend schöne junge Mädchen.

Mit gewaltigem Satze sprang der Rundliche auf sein Lager und zog sich die Decke bis unter das Kinn.

»Aber Mädchen! Unglückskinder!« rief der Bischof. »Wo kommt ihr her?« »Geradeswegs von Poitiers,« antwortete die Größere der beiden. »Ist das Kloster der heiligen Radegundis abgebrannt?« »Nein! Aber wir sind durchgebrannt!« erwiderte die Kleinere lustig. »Ist der Feind im Kloster, Chrodieldis?« – »Nur der böse Feind!« – »Um Gott! Wen meinst du?« »Die Frau Äbtissin,« riefen beide zugleich. »Sie reden irre, Dodo,« rief Herr Gregorius und fuhr sich durch die spärlichen grauen Haare. »Und allein? – Sprich du, Basina! Du warst immer artiger.« – »O nein, wir haben noch neununddreißig mitgenommen!« »Ich dachte, es sind viel mehr,« sprach Dodo zum Fenster hinausblickend, »solchen Lärm vollführen sie.«

»Und in weltlicher Tracht,« klagte Gregor. »O Chrodieldis!« »Leider nur von außen,« lachte die Größere und schlug den braunen Mantel auseinander, »damit man uns nicht so leicht kennt und aufgreift. Unten trag ich es noch, das verhaßte weiß und graue Nonnenkleid ... –« »Das Pfeffer- und Salzgewand,« fügte die Jüngere bei, »Aber nicht mehr lang, beim Schwerte Chlodovechs, meines Ahnherrn.«

Einstweilen hatte sich der Bischof soweit besonnen, daß er begriff, was geschehen war. Das war ein Fortschritt, Das Geschehene war unerhört, war entsetzlich. Aber es war ein Fortschritt, es zu verstehen. Er richtete sich ein wenig auf, stützte sich auf den linken Ellbogen und sprach: »Vor allem hebet euch hinweg aus meinem Schlafgemach, damit ich aufstehen kann. Dann werd' ich über euch richten. Dodo, – du sperrst sie ein.«

»Nein, Oheim,« sprach Chrodieldis ruhig, »das geschieht nicht.« »Da hätten wir zu Poitiers bleiben können,« lachte Basina, »Eingesperrt waren wir lang genug.« – »Gieb uns lieber was zu essen, Dodo.« »Ja, guter Dodo, lieber Dodo, Herzens-Dodo,« schmeichelte die Jüngere, aus braunen Schelmenaugen zu ihm aufblickend, »Wir sind so hungrig!« Jede hing sich an einen Arm des Alten und lachend zogen sie ihn gegen die Thüre hin. »Hungrig seid ihr? Arme Kinder! Das soll nicht sein im Hause des heiligen Martinus. Kommt nur mit mir.« »Aber die anderen auch,« bat Basina. »In Gottes Namen.« »Dodo, werd' nicht schwach!« mahnte der Bischof, aus dem Bette warnend. »Laß sie doch hungern, die Ausreißerinnen.« »Was?« rief Chrodieldis, drehte sich blitzschnell um, daß die Mantelkapuze herabfiel und ihre prachtvollen schwarzen Haare in breitem Strom herabrieselten: stolz und zornig leuchteten ihre dunkeln Augen. »Was?« wiederholte sie, »Königinnen sind wir.« »Oder doch Fürstinnen,« sprach Basina. »Nein, Königinnen: Reginae! So dürfen wir uns nennen: das ist unser Recht. Und als Königinnen wollen wir behandelt sein. Das merkt Euch nur gleich für diesen ganzen Handel und ... –« – »Und ins Kloster gehen wir nie mehr zurück!« – »Und wollt Ihr uns nicht zu unserm Recht verhelfen ... –« »So gehen wir zu unsern Vettern, den Königen ... –« – »Ich gehe zu dem alten König, zu Oheim Guntchramn nach Orléans.« – »Und ich zu dem jungen! Zu Vetter Childibert! Da soll es noch viel lustiger sein, am Hof zu Metz.« »Und find' ich kein Recht in diesem Reich der Franken,« fuhr Chrodieldis fort, »darin mein Oheim und mein Vetter Könige sind, so schüttle ich den gallischen Staub von meinen Schuhen und geh hinüber nach Britannien, wo meine Schwester Aldeberga unter Krone geht zu Kent, des tapfern Königs Üthelbert Königin: dort find ich Zuflucht, Schutz und – Rache.« »Lebte nur mein Vater noch, König Chilperich,« rief Basina. »Ich war sein Liebling! Ich wollte auf seinem Schose sitzen und seine Wange streicheln so lange, bis er das verrottete Klosternest säuberte.« Angstvoll sah Gregor auf die beiden: dann rief er: »Wißt ihr, was ihr seid? Besessen seid ihr.«

»Nein!« zürnte Chrodieldis, »Königinnen sind wir.«

»Aber sehr hungrige,« lachte Basina, Und damit zog sie Dodo über die Schwelle hinaus.


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