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Elftes Kapitel: Fortsetzung

Der Gebrauch der Schlacht

Wie sich auch die Führung des Krieges im einzelnen Fall gestaltet, und was wir auch in der Folge davon als notwendig anerkennen müssen, wir dürfen uns nur an den Begriff des Krieges erinnern, um folgendes mit Überzeugung zu sagen:

1. Die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte ist das Hauptprinzip desselben und für die ganze Seite des positiven Handelns der Hauptweg zum Ziel.

2. Diese Vernichtung der Streitkräfte findet hauptsächlich nur im Gefecht statt.

3. Nur große und allgemeine Gefechte geben große Erfolge.

4. Am größten werden die Erfolge, wenn sich die Gefechte in eine große Schlacht vereinigen.

5. Nur in einer Hauptschlacht regiert der Feldherr das Werk mit eigenen Händen, und es ist in der Natur der Dinge, daß er es am liebsten den seinigen anvertraut.

Aus diesen Wahrheiten ergibt sich ein Doppelgesetz, dessen Teile sich gegenseitig tragen: nämlich, daß die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte hauptsächlich in großen Schlachten und ihren Erfolgen zu suchen ist, und daß der Hauptzweck großer Schlachten die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte sein muß.

Freilich findet sich das Vernichtungsprinzip auch in anderen Mitteln mehr oder weniger, freilich gibt es Fälle, wo durch eine Begünstigung der Umstände in einem kleinen Gefecht unverhältnismäßig viel feindliche Streitkräfte vernichtet werden können (Maxen); auf der anderen Seite kann in einer Hauptschlacht oft die Gewinnung oder Behauptung eines Postens als ein sehr wichtiger Zweck vorwalten, aber im allgemeinen bleibt es vorherrschend wahr, daß Hauptschlachten nur zur Vernichtung der feindlichen Streitkräfte geliefert, und daß diese nur durch die Hauptschlacht erreicht wird.

Die Hauptschlacht ist daher als der konzentrierte Krieg, als der Schwerpunkt des ganzen Krieges oder Feldzuges anzusehen. Wie sich die Strahlen der Sonne im Brennpunkt des Hohlspiegels zu ihrem vollkommenen Bilde und zur höchsten Glut vereinigen, so vereinigen sich Kräfte und Umstände des Krieges in der Hauptschlacht zu einer zusammengedrängten höchsten Wirkung.

Die Versammlung der Streitkräfte zu einem großen Ganzen, welche mehr oder weniger in allen Kriegen stattfindet, deutet schon die Absicht an, mit diesem Ganzen einen Hauptschlag zu tun, entweder freiwillig wie der Angreifende, oder durch den anderen veranlaßt wie der Verteidiger. Wo nun dieser Hauptschlag nicht erfolgt, da haben sich an das ursprüngliche Motiv der Feindschaft andere ermäßigende und aufhaltende angehangen und die Bewegung geschwächt, verändert oder ganz gehemmt. Aber selbst in diesem Zustande des gegenseitigen Nichthandelns, welcher in so vielen Kriegen der Grundton gewesen ist, bleibt auch die Idee der möglichen Hauptschlacht für beide Teile immer ein Richtungspunkt, ein weit entlegener Brennpunkt für die Konstruktion ihrer Bahnen. Je mehr der Krieg wirklicher Krieg, je mehr er eine Erledigung der Feindschaft, des Hasses, ein gegenseitiges Überwältigen wird, um so mehr vereinigt sich alle Tätigkeit in blutigem Kampf, und um so stärker tritt auch die Hauptschlacht hervor.

Überall, wo ein großer, positiver, also in das Interesse des Gegners tief eingreifender Zweck das Ziel ist, bietet sich die Hauptschlacht als das natürlichste Mittel dar; sie ist darum auch das beste, wie wir in der Folge noch näher zeigen werden, und es bestraft sich in der Regel, wenn sie aus Scheu vor der großen Entscheidung umgangen worden ist.

Der positive Zweck gehört dem Angreifenden, und so ist die Hauptschlacht auch vorzugsweise sein Mittel. Aber ohne die Begriffe von Angriff und Verteidigung hier näher bestimmen zu können, müssen wir doch sagen, daß selbst der Verteidiger in den meisten Fällen nur dies eine wirksame Mittel hat, um früh oder spät damit den Bedürfnissen seiner Lage zu entsprechen, seine Aufgaben zu lösen.

Die Hauptschlacht ist der blutigste Weg der Lösung; zwar ist sie kein bloßes gegenseitiges Morden und ihre Wirkung mehr ein Totschlagen des feindlichen Mutes als der feindlichen Krieger, wie wir das im nächsten Kapitel näher betrachten wollen, allein immer ist Blut ihr Preis und Hinschlachten ihr Charakter wie ihr Name; davor schaudert der Mensch im Feldherrn zurück.

Aber noch mehr erbebt der Geist des Menschen vor dem Gedanken der mit einem einzigen Schlag gegebenen Entscheidung. In einen Punkt des Raumes und der Zeit ist hier alles Handeln zusammengedrängt, und in solchen Augenblicken regt sich in uns ein dunkles Gefühl, als ob sich unsere Kräfte in diesem engen Raum nicht entwickeln und tätig werden könnten, als ob wir mit der bloßen Zeit schon viel gewonnen hätten, wenn auch diese Zeit uns gar nichts schuldig ist. Dies ist eine bloße Täuschung, aber auch als Täuschung ist es etwas, und eben diese Schwäche, welche den Menschen bei jeder anderen großen Entscheidung anwandelt, kann sich im Feldherrn stärker regen, wenn er einen Gegenstand von so ungeheurem Gewicht auf eine Spitze stellen soll.

So haben denn Regierungen und Feldherren zu allen Zeiten stets Wege um die entscheidende Schlacht herum gesucht, um entweder ihr Ziel ohne dieselbe zu erreichen, oder es unvermerkt fallen zu lassen. Die Geschichts- und Theorienschreiber haben sich dann abgemüht, in diesen Feldzügen und Kriegen in irgendeinem anderen Wege nicht bloß das äquivalent der versäumten Schlachtentscheidung zu finden, sondern selbst eine höhere Kunst. Auf diese Weise sind wir in unserer Zeit nahe daran gewesen, in der Ökonomie des Krieges die Hauptschlacht wie ein durch Fehler notwendig gewordenes Übel anzusehen, wie eine krankhafte Äußerung, zu der ein ordentlicher, vorsichtiger Krieg niemals führen müßte; nur diejenigen Feldherren sollten Lorbeeren verdienen, die es verständen, den Krieg ohne Blutvergießen zu führen, und die Theorie des Krieges, ein wahrhafter Brahminendienst, sollte ganz eigens dazu bestimmt sein, dies zu lehren.

Die Geschichte der Zeit hat diesen Wahn zerstört, aber kein Mensch kann dafür einstehen, daß er nicht hier und da auf kürzere oder längere Zeit zurückkehrt und die Führer der Angelegenheiten zu solchen Verkehrtheiten hinzieht, die der Schwäche zusagen, also dem Menschen näher liegen. Vielleicht, daß man in einiger Zeit Bonapartes Feldzüge und Schlachten wie Rohheiten und halbe Dummheiten betrachtet und noch einmal mit Wohlgefallen und Zutrauen auf den Galanteriedegen veralteter, zusammengeschrumpfter Einrichtungen und Manieren sieht. Kann die Theorie davor warnen, so hat sie denen, welche ihrer Warnung Gehör geben, einen wesentlichen Dienst geleistet. Möchte es uns gelingen, denen, die in unserem teuren Vaterlande berufen sind, eine wirksame Meinung in diesen Dingen zu haben, die Hand zu reichen, um ihnen als Führer in diesem Felde zu dienen und sie zu einer redlichen Prüfung der Gegenstände aufzufordern.

Nicht bloß der Begriff des Krieges führt uns dahin, eine große Entscheidung nur in einer großen Schlacht zu suchen, sondern auch die Erfahrung. Von jeher haben nur große Siege zu großen Erfolgen geführt, bei dem Angreifenden unbedingt, bei dem Verteidiger mehr oder weniger. Selbst Bonaparte würde das in seiner Art einzige Ulm nicht erlebt haben, wenn er das Blutvergießen gescheut hätte, vielmehr ist es nur als eine Nachmahd der Siegesfälle seiner früheren Feldzüge anzusehen. Es sind nicht bloß die kühnen Feldherren, die verwegenen, die trotzigen, die ihr Werk mit dem großen Wagstück entscheidender Schlachten zu vollbringen gesucht haben, es sind die glücklichen insgesamt; und von diesen können wir uns bei einer so umfassenden Frage die Antwort gefallen lassen.

Wir mögen nichts hören von Feldherren, die ohne Menschenblut siegen. Wenn das blutige Schlachten ein schreckliches Schauspiel ist, so soll das nur eine Veranlassung sein, die Kriege mehr zu würdigen, aber nicht die Schwerter, die man führt, nach und nach aus Menschlichkeit stumpfer zu machen, bis einmal wieder einer dazwischen kommt mit einem scharfen, der uns die Arme beim Leibe weghaut.

Wir betrachten eine große Schlacht als eine Hauptentscheidung, aber freilich nicht als die einzige, welche für einen Krieg oder Feldzug nötig wäre. Nur in der neueren Zeit sind die Fälle häufig gewesen, wo eine große Schlacht über einen ganzen Feldzug entschieden hat; die, wo sie über einen ganzen Krieg entschied, gehören zu den seltensten Ausnahmen.

Die Entscheidung, welche durch eine große Schlacht bewirkt wird, hängt natürlich ab nicht nur von ihr selbst, d. h. von der Masse der in ihr versammelten Streitkräfte und von der intensiven Stärke des Sieges, sondern auch von einer Menge anderer Verhältnisse der gegenseitigen Kriegsmacht und der Staaten, welchen diese angehören. Allein indem die Hauptmasse der vorhandenen Streitkraft zum großen Zweikampf hingeführt wird, wird auch eine Hauptentscheidung eingeleitet, deren Umfang sich zwar in manchen Beziehungen vorher übersehen läßt, aber nicht in allen, und die, wenn sie auch nicht die einzige, doch die erste Entscheidung ist und als solche auch auf die folgenden einen Einfluß behält. Darum ist eine beabsichtigte Hauptschlacht nach ihren Verhältnissen mehr oder weniger, in gewissen Graden aber immer als der vorläufige Mittel- und Schwerpunkt des ganzen Systems zu betrachten. Je mehr der Feldherr mit dem eigentlichen Geist des Krieges wie jedes Kampfes auszieht, mit dem Gefühl und dem Gedanken, d. h. mit dem Bewußtsein, er müsse und werde seinen Gegner niederschlagen, um so mehr wird er alles in die Waagschale der ersten Schlacht legen, in ihr alles zu erringen hoffen und streben. Bonaparte ist wohl kaum in einem seiner Kriege ohne den Gedanken ausgezogen, seinen Gegner gleich in der ersten Schlacht niederzuschlagen; und Friedrich der Große, in kleineren Verhältnissen und beschränkteren Krisen, dachte ebenso, wenn er an der Spitze eines kleinen Heeres sich im Rücken gegen die Russen oder die Reichsarmee Luft machen wollte.

Die Entscheidung, welche die Hauptschlacht gibt, hängt zum Teil von ihr selbst ab, haben wir gesagt, d. h. von der Menge der Streitkräfte, mit welchen sie geliefert wird, und von der Größe des Erfolges.

Wie der Feldherr in Beziehung auf den ersten Punkt ihre Wichtigkeit steigern kann, ist an sich klar, und wir wollen nur bei der Bemerkung stehenbleiben, daß mit dem Umfang der Hauptschlacht die Menge der Fälle wächst, welche durch sie mitentschieden werden, und daß deshalb Feldherren, welche im Vertrauen zu sich die großen Entscheidungen liebten, es immer möglich gemacht haben, den größten Teil ihrer Streitkräfte darin zu verwenden, ohne auf anderen Punkten dadurch wesentlich zu versäumen.

Was den Erfolg oder, genauer gesprochen, die intensive Stärke des Sieges betrifft, so hängt diese hauptsächlich von vier Verhältnissen ab:

1. Von der taktischen Form, in welcher die Schlacht geliefert wird.

2. Von der Natur der Gegend.

3. Von dem Waffenverhältnis.

4. Von dem Machtverhältnis.

Eine Schlacht mit gerader Front und ohne Umgehung wird selten einen so großen Erfolg geben als eine, in welcher der Besiegte umgangen war, oder die er mit mehr oder weniger verwandter Front liefern mußte. In durchschnittener oder bergiger Gegend ist der Erfolg ebenfalls geringer, weil die Stoßkraft überall geschwächt ist.

Hat der Besiegte eine gleiche oder überlegene Reiterei, so fallen die Wirkungen des Verfolgens und damit ein großer Teil der Siegeserfolge weg.

Endlich ist es an sich verständlich, wie ein Sieg, welcher mit Übermacht erfochten wird, wenn diese zur Umgehung oder Frontveränderung benutzt worden ist, einen größeren Erfolg geben wird, als wenn der Sieger schwächer war als der Besiegte. Die Schlacht von Leuthen möchte zwar an der praktischen Richtigkeit dieses Grundsatzes zweifeln lassen; aber es sei uns erlaubt, hier einmal zu sagen, was wir sonst nicht lieben: keine Regel ohne Ausnahme.

In allen diesen Wegen hat also der Feldherr das Mittel, seiner Schlacht einen entscheidenden Charakter zu geben; freilich wachsen damit die Gefahren, denen er sich aussetzt, aber diesem dynamischen Gesetz der moralischen Welt ist sein ganzes Handeln unterworfen.

So ist denn der Hauptschlacht im Kriege nichts an Wichtigkeit zu vergleichen, und die höchste Weisheit der Strategie offenbart sich in der Beschaffung der Mittel zu ihr, in ihrer geschickten Feststellung nach Ort, Zeit und Richtung der Kräfte und in der Benutzung ihres Erfolges.

Aus der Wichtigkeit dieser Gegenstände erfolgt aber nicht, daß sie sehr verwickelter und verborgener Natur wären, vielmehr ist hier alles sehr einfach, die Kunst der Kombination sehr gering, aber groß das Bedürfnis an scharfer Beurteilung der Erscheinungen, an Energie, an fester Konsequenz, an jugendlichem Unternehmungsgeist: heldenmütige Eigenschaften, an die wir uns noch oft werden wenden müssen. Es ist also hier wenig von dem nötig, was sich in Büchern lehren läßt, und viel von dem, was, wenn es je gelehrt werden kann, durch einen anderen Leiter als den Buchstaben in den Feldherrn kommen muß. Der Impuls der Hauptschlacht, die freie sichere Bewegung zu ihr, muß von dem Gefühl eigener Kraft und dem klaren Bewußtsein der Notwendigkeit, mit anderen Worten, er muß von dem angeborenen Mut und von dem durch große Lebensverhältnisse geschärften Blick ausgehen.

Große Beispiele sind die besten Lehrmeister, aber freilich ist es schlimm, wenn sich eine Wolke von theoretischen Vorurteilen dazwischenlegt, denn auch das Sonnenlicht bricht und färbt sich in Wolken. Solche Vorurteile, die sich in mancher Zeit wie ein Miasma bilden und verbreiten, zu zerstören, ist eine dringende Pflicht der Theorie, denn was menschlicher Verstand fälschlich erzeugt, kann auch bloßer Verstand wieder vernichten.


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