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Drittes Kapitel: Das Gefecht überhaupt

Das Gefecht ist die eigentliche kriegerische Tätigkeit, alles übrige sind nur die Träger derselben. Werfen wir also auf seine Natur einen aufmerksamen Blick.

Gefecht ist Kampf, und in diesem ist die Vernichtung oder Überwindung des Gegners der Zweck; der Gegner im einzelnen Gefecht aber ist die Streitkraft, welche uns entgegensteht.

Dies ist die einfache Vorstellung, wir werden zu ihr zurückkehren; aber ehe wir das können, müssen wir eine Reihe anderer einschalten.

Denken wir uns den Staat und seine Kriegsmacht als Einheit, so ist die natürlichste Vorstellung, uns den Krieg auch als ein einziges großes Gefecht zu denken, und in den einfachen Verhältnissen wilder Völker ist es auch nicht viel anders. Unsere Kriege aber bestehen aus einer Unzahl von großen und kleinen, gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Gefechten, und dieses Zerfallen der Tätigkeit in so viel einzelne Handlungen hat seinen Grund in der großen Mannigfaltigkeit der Verhältnisse, aus denen der Krieg bei uns hervorgeht.

Schon der letzte Zweck unserer Kriege, der politische, ist nicht immer ein ganz einfacher, und wäre er es auch, so ist die Handlung an eine solche Menge von Bedingungen und Rücksichten gebunden, daß der Zweck nicht mehr durch einen einzelnen großen Akt, sondern nur durch eine Menge größerer oder kleinerer, die zu einem Ganzen verbunden sind, erreicht werden kann. Jede dieser einzelnen Tätigkeiten ist also ein Teil eines Ganzen, hat folglich einen besonderen Zweck, durch welchen sie an dieses Ganze gebunden ist.

Wir haben früher gesagt, daß sich jede strategische Handlung auf die Vorstellung eines Gefechts zurückführen läßt, weil sie eine Verwendung der Streitkraft ist und dieser die Idee des Gefechts immer zum Grunde liegt. Wir können also im Gebiete der Strategie alle kriegerische Tätigkeit auf die Einheit einzelner Gefechte zurückführen und uns nur mit den Zwecken dieser letzteren beschäftigen. Wir werden diese besonderen Zwecke erst nach und nach kennenlernen, sowie wir von den Gegenständen sprechen werden, die sie hervorrufen. Hier ist es uns genug, zu sagen: jedes Gefecht, groß oder klein, hat seinen besonderen, dem Ganzen untergeordneten Zweck. Ist dieses der Fall, so ist die Vernichtung und Überwindung des Gegners nur als das Mittel für diesen Zweck zu betrachten. So ist es allerdings.

Allein dieses Resultat ist nur in seiner Form wahr und nur um des Zusammenhanges willen wichtig, welchen die Vorstellungen unter sich haben, und es ist gerade, um uns von demselben wieder loszumachen, daß wir es aufgesucht haben.

Was ist die Überwindung des Gegners? Immer nur die Vernichtung seiner Streitkraft, sei es durch Tod oder Wunden oder auf was für eine andere Art, sei es ganz und gar oder nur in einem solchen Maße, daß er den Kampf nicht mehr fortsetzen will. Wir können also, so lange wir von allen besonderen Zwecken der Gefechte absehen, die Vernichtung des Gegners ganz oder teilweise als den einzigen Zweck aller Gefechte betrachten.

Nun behaupten wir, daß in der Mehrheit der Fälle, und besonders bei den großen Gefechten, der besondere Zweck, wodurch das Gefecht individualisiert und mit dem großen Ganzen verbunden wird, nur eine schwache Modifikation jenes allgemeinen Zweckes oder ein mit demselben verbundener Nebenzweck ist, wichtig genug, um das Gefecht zu individualisieren, aber immer nur unbedeutend im Vergleich mit jenem allgemeinen Zweck; dergestalt, daß, wenn jener Nebenzweck allein erreicht werden sollte, nur ein unwichtiger Teil seiner Bestimmung erfüllt ist. Wenn diese Behauptung richtig ist, so wird man einsehen, daß jene Vorstellungsart, wonach die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte nur das Mittel, und der Zweck immer irgendein anderer ist, nur in ihrer Form wahr sei, daß sie aber zu falschen Folgerungen führen würde, wenn man sich nicht erinnerte, daß eben diese Vernichtung der feindlichen Streitkraft sich in jenem Zweck auch wieder findet, und daß dieser nur eine schwache Modifikation derselben sei.

Dieses Vergessen hat vor der letzten Kriegsepoche in ganz falsche Ansichten hineingeführt und Tendenzen sowie Fragmente von Systemen erzeugt, womit die Theorie sich über den Handwerksgebrauch um so mehr zu erheben glaubte, je weniger sie meinte, des eigentlichen Instrumentes, nämlich der Vernichtung der feindlichen Streitkräfte, zu bedürfen.

Freilich würde ein solches System nicht entstehen können, wenn nicht andere falsche Voraussetzungen dabei gebraucht und an die Stelle der Vernichtung der feindlichen Streitkräfte andere Dinge gesetzt würden, denen man eine falsche Wirksamkeit zuschrieb. Wir werden diese bekämpfen, wo uns der Gegenstand dazu veranlaßt, aber wir können nicht von dem Gefecht handeln, ohne die Wichtigkeit und den wahren Wert derselben reklamiert und vor dem Abweg gewarnt zu haben, den eine bloß formelle Wahrheit veranlassen könnte.

Aber wie werden wir es nur beweisen, daß die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte in den meisten und wichtigsten Fällen die Hauptsache ist? Wie werden wir nur der äußerst feinen Vorstellung begegnen, welche sich die Möglichkeit denkt, durch eine besonders künstliche Form mit einer geringen unmittelbaren Vernichtung feindlicher Streitkräfte eine größere mittelbar zu erreichen oder vermittelst kleiner, aber besonders geschickt angebrachter Schläge eine solche Lähmung der feindlichen Kräfte, eine solche Lenkung des feindlichen Willens hervorzubringen, daß dieses Verfahren als eine große Abkürzung des Weges zu betrachten wäre? Allerdings ist ein Gefecht auf einem Punkte mehr wert als auf einem anderen, allerdings gibt es eine kunstvolle Ordnung der Gefechte untereinander auch in der Strategie, und diese ist sogar nichts als diese Kunst; das zu verneinen, ist nicht unsere Absicht, aber wir behaupten, daß die unmittelbare Vernichtung der feindlichen Streitkräfte überall das Vorherrschende ist. Diese vorherrschende Wichtigkeit und nichts anderes wollen wir dem Vernichtungsprinzip hier erkämpfen.

Indessen müssen wir daran erinnern, daß wir uns in der Strategie und nicht in der Taktik befinden, daß wir also nicht von den Mitteln sprechen, welche jene haben mag, mit wenig Kraftaufwand viel feindliche Streitkräfte zu vernichten, sondern daß wir unter unmittelbarer Vernichtung die taktischen Erfolge verstehen, und daß also unsere Behauptung ist, daß nur große taktische Erfolge zu großen strategischen führen können, oder, wie wir es schon einmal bestimmter ausgedrückt haben, daß die taktischen Erfolge von vorherrschender Wichtigkeit in der Kriegführung sind.

Der Beweis dieser Behauptung scheint uns ziemlich einfach; er liegt in der Zeit, welche jede zusammengesetzte (kunstvolle) Kombination erfordert. Ob ein einfacher Stoß oder ein mehr zusammengesetzter, kunstvoller größere Wirkungen hervorbringt, mag unzweifelhaft für den letzteren entschieden werden, solange der Gegner als ein leidender Gegenstand gedacht wird. Allein jeder zusammengesetzte Stoß erfordert mehr Zeit, und diese Zeit muß ihm gegönnt werden, ohne daß durch einen Gegenstoß auf einen der Teile das Ganze in den Vorbereitungen zu seiner Wirkung gestört werde. Entscheidet sich nun der Gegner zu einem einfacheren Stoß, der in kurzer Zeit ausgeführt ist, so gewinnt er den Vorsprung und stört die Wirkung des großen Planes. Man muß also bei dem Werte eines zusammengesetzten Stoßes alle Gefahr in Betrachtung bringen, welche man während seiner Vorbereitung läuft und kann ihn nur anwenden, wenn man von dem Gegner nicht fürchten darf, durch einen kürzeren gestört zu werden; sooft dies der Fall ist, muß man selbst den kürzeren wählen und in diesem Sinne soweit hinuntersteigen, als es der Charakter, die Verhältnisse des Gegners und andere Umstände nötig machen. Verlassen wir die schwachen Eindrücke abstrakter Begriffe und steigen ins wirkliche Leben hinab, so wird ein rascher, mutiger, entschlossener Gegner uns nicht Zeit zu weitaussehenden künstlichen Zusammensetzungen lassen, und gerade gegen einen solchen würden wir der Kunst am meisten bedürfen. Hiermit, scheint es uns, ist das Vorherrschen der einfachen und unmittelbaren Erfolge vor den zusammengesetzten schon gegeben.

Unsere Meinung ist also nicht, daß der einfache Stoß der beste sei, sondern daß man nicht weiter ausholen dürfe, als der Spielraum erlaubt, und daß dies immer mehr zum unmittelbaren Kampf hinführen wird, je kriegerischer der Gegner ist. Also weit entfernt, den Gegner überbieten zu dürfen nach der Richtung zusammengesetzter Pläne hin, muß man vielmehr suchen, ihm nach der entgegengesetzten Richtung hin immer voran zu sein.

Wenn man die letzten Fundamentalsteine dieser Gegensätze untersucht, so wird man finden, daß es in dem einen die Klugheit, in dem anderen der Mut ist. Nun ist es sehr verführerisch, zu glauben, daß ein mäßiger Mut, mit einer großen Klugheit gepaart, mehr Wirkung hervorbringen werde als eine mäßige Klugheit mit einem großen Mut. Wenn man sich aber diese Elemente nicht in unlogischen Mißverhältnissen denkt, so hat man auch kein Recht, der Klugheit diesen Vorteil über den Mut einzuräumen in einem Felde, welches Gefahr heißt, und welches als die eigentliche Dämone des Mutes betrachtet werden muß.

Nach dieser abstrakten Betrachtung wollen wir nur noch sagen, daß die Erfahrung, weit entfernt, ein anderes Resultat zu geben, vielmehr die einzige Ursache ist, welche uns in diese Richtung hineingedrängt und zu solchen Betrachtungen veranlaßt hat.

Wer die Geschichte unbefangen liest, wird sich der Überzeugung nicht enthalten können, daß von allen kriegerischen Tugenden die Energie der Kriegführung stets am meisten zum Ruhm und Erfolg der Waffen beigetragen hat.

Wie wir unseren Grundsatz, die Vernichtung der feindlichen Streitkräfte nicht nur im ganzen Kriege, sondern auch im einzelnen Gefecht als die Hauptsache zu betrachten, durchführen und allen den Formen und Bedingungen anpassen werden, welche die Verhältnisse, aus denen der Krieg hervorgeht, notwendig fordern, wird die Folge lehren.

Vorderhand war es uns nur darum zu tun, ihm seine allgemeine Wichtigkeit zu erkämpfen, und mit diesem Resultat kehren wir zu dem Gefecht zurück.


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