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Viertes Kapitel: Von der Gefahr im Kriege

Gewöhnlich macht man sich, ehe man sie kennengelernt hat, eine Vorstellung davon, die eher anziehend als zurückschreckend ist. Im Rausche der Begeisterung sturmschritts auf den Feind eindringen - wer zählt da die Kugeln und die Fallenden -, die Augen wenige Momente zugedrückt, sich dem kalten Tode entgegenzuwerfen, ungewiß, ob wir oder andere ihm entrinnen werden - und dies alles dicht am goldenen Ziel des Sieges - dicht vor der labenden Frucht, nach welcher der Ehrgeiz durstet - kann das schwer sein? Es wird nicht schwer sein, und noch weniger wird es so scheinen. Aber solcher Momente, die dennoch nicht das Werk eines einzigen Pulsschlages sind, wie sie gedacht werden, sondern wie arzneiliche Mischungen mit Zeit verdünnt und verdorben genossen werden müssen - solcher Momente, sagen wir, gibt es nur wenige.

Begleiten wir den Neuling auf das Schlachtfeld. Wenn wir uns demselben nähern, so wechselt der immer deutlicher werdende Donner des Geschützes endlich mit dem Heulen der Kugeln, welches nun die Aufmerksamkeit des Unerfahrnen auf sich zieht. Kugeln fangen an, nahe vor und hinter uns einzuschlagen. Wir eilen zu dem Hügel, auf welchem der kommandierende General mit seinem zahlreichen Gefolge hält. Hier wird das nahe Einschlagen der Kanonenkugeln, das Zerspringen der Granaten schon so häufig, daß der Ernst des Lebens sich durch das jugendliche Phantasiebild hindurchdrängt. Plötzlich stürzt ein Bekannter - es schlägt eine Granate in den Haufen und bringt einige unwillkürliche Bewegungen hervor - man fängt an zu fühlen, daß man nicht mehr völlig ruhig und gesammelt ist; auch der Bravste wird wenigstens etwas zerstreut. - Jetzt einen Schritt in die Schlacht hinein, die vor uns tobt, fast noch wie ein Schauspiel, zum nächsten Divisionsgeneral; hier folgt Kugel auf Kugel, und der Lärm des eigenen Geschützes mehrt die Zerstreuung. - Vom Divisions- zum Brigadegeneral - dieser, von anerkannter Tapferkeit, hält vorsichtig hinter einem Hügel, einem Hause oder hinter Bäumen; - ein sicherer Exponent der steigenden Gefahr - Kartätschen rasseln in Dächern und Feldern, Kanonenkugeln sausen in allen Richtungen an und über uns weg, und schon stellt sich ein häufiges Pfeifen der Flintenkugeln ein; - noch ein Schritt zu den Truppen, zu der im stundenlangen Feuergefecht mit unbeschreiblicher Standhaftigkeit ausharrenden Infanterie; - hier ist die Luft erfüllt von zischenden Kugeln, die ihre Nähe bald durch den kurzen scharfen Laut verkünden, womit sie zollweit an Ohr, Kopf und Seele vorüberfliegen. Zum Überfluß schlägt das Mitleiden über den Anblick der Verstümmelten und Hinstürzenden mit Jammerschlägen an unser klopfendes Herz.

Keine dieser verschiedenen Dichtigkeitsschichten der Gefahr wird ein Neuling berühren, ohne zu fühlen, daß das Licht der Gedanken sich hier durch andere Mittel bewege und in anderen Strahlen gebrochen werde als bei der spekulativen Tätigkeit; ja, es müßte der ein sehr außerordentlicher Mensch sein, der bei diesen ersten Eindrücken nicht die Fähigkeit zu einem augenblicklichen Entschluß verlöre. Es ist wahr, die Gewohnheit stumpft diese Eindrücke sehr bald ab; nach einer halben Stunde fangen wir an, gleichgültiger gegen alles zu werden, was uns umgibt, der eine mehr, der andere weniger; aber bis zur völligen Unbefangenheit und zur natürlichen Elastizität der Seele bringt ein gewöhnlicher Mensch es immer nicht - und so mag man denn erkennen, daß mit Gewöhnlichem hier wieder nicht auszureichen ist, welches um so wahrer wird, je größer der Wirkungskreis ist, der ausgefüllt werden soll. Enthusiastische, stoische, angeborene Bravour, gebieterischer Ehrgeiz oder auch lange Bekanntschaft mit der Gefahr, viel von allem dem muß da sein, wenn nicht alle Wirkung in diesem erschwerenden Mittel hinter dem Maß zurückbleiben soll, welches auf dem Zimmer als ein gewöhnliches erscheinen mag.

Die Gefahr im Kriege gehört zur Friktion desselben, eine richtige Vorstellung davon ist zur Wahrheit der Erkenntnis notwendig, und darum ist ihrer hier Erwähnung geschehen.


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