Lena Christ
Die Rumplhanni
Lena Christ

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Nach einer Zeit tönt abermals der Lärm des Schlüsselbundes, das Stoßen der Türriegel. »Kübel raus! Krug raus!«

Bleiche Gesichter, freche, trotzige Mienen, vom Weinen verschwollene Augen, graue Büßerkittel, feine Schlafröcke: Für einen Augenblick huschen bunt zusammengewürfelt die Bewohnerinnen des Stockwerks aus ihren Zellentüren; mit scheuer Neugierde wandern schnelle Blicke den Gang hinauf, hinunter, und flüchtig werden hier und dort mit Augen und Händen Zeichen geheimen Einverständnisses gewechselt, indes zwei grobgewandete Mädchen Wasser in die Krüge füllen und das Brot verteilen und eine finster schauende Aufseherin alles bewacht, beobachtet, hier eine Erkrankte für die Sprechstunde beim Arzt vormerkt, dort ein Versehen rügt, eine Gefangene scharf anläßt und schließlich klappernd und rasselnd eine Zellentür um die andere zuschlägt und verriegelt.

Die Hanni hockt stumpf auf ihrem Bänklein; wie ein harter Traum kommt ihr das Ganze vor. Aber wieder und wieder schreckt sie das Geklirr der Schlüssel, das Schlagen der Riegel und Türen auf; und da plötzlich eine Klappe in ihrer Tür laut schallend geöffnet wird, springt sie mit einem dumpfen Schrei in die Höhe und fährt sich an den Hals. Doch ist's bloß abermals eine Aufseherin und zwei Gefangene, die das Essen verteilen, eine dicke Erbsenbrüh mit einem schwarzen Brotknödel. Die Hanni berührt es kaum. Sie stützt die Arme auf den Tisch und schaut durch den kleinen Spalt des halb geöffneten Fensters hinauf in das Stücklein Himmel, in die jagenden Wolken, die durch die dicken, schwarzen Gitterstäbe noch blendender, weißer erscheinen.

Rrumm! »Gschirr raus!« Mit müden Schritten trägt die Hanni ihre Schüssel hin zur Türklappe. Eine Hand nimmt sie weg, und eine derbe Stimme sagt: »Nummer achtundzwanzig hat auch nix g'gessen!« – Nummer achtundzwanzig, – bin dees net i? denkt die Hanni; da erscheint auch schon der Kopf der Wärterin in der Türklappe. »Warum essen Sie nicht?« – »Weil i net kann.« – »Warum nicht?« – »Weil i koan Appetit net hab.« – »Aha! Koan Appetit hat s' net! Da kann man abhelfen: heut nachmittag tun S' Böden abreiben, dann wird's Ihnen morgen schon besser schmecken!« Rratsch. Die Klappe ist zu.

Eine Weile ist es still auf dem Gang. Nur von ferne hört man Klappern, Bürsten, Wasser schütten. Dann werden wieder Tritte laut. Und jemand rollt leise summend Fässer oder Blechtonnen vor die Zellentüren. Irgendwo schwatzen und lachen Frauen, vielleicht Aufseherinnen. Und dann ist wieder Stille; eine schwere, beengende Stille, die durch nichts unterbrochen wird als durch das klagende Läuten der Mittagsglocke drüben in der Kirche, durch den dumpfen Laut einer zugeschlagenen Tür in einem andern Stockwerk, durch einen schrillen Schrei, ein lautes Weinen.

Endlich klirren wieder die Schlüssel, knarrt das Gitter, kommt Leben in das Haus. Die Zellen werden geöffnet. »Kübel 'nei! Anstellen in den Hof!« Da kriechen sie aus ihren Zellen wie die Schnecken aus den Häuslein! Hier humpelt eine dürre, bucklige Alte mit einem winzigen schneeweißen Haarschwänzlein, durch das eine große Beinnadel gesteckt ist, die wohl gewohnt war, einen schweren Zopf oder ein Gesteck aus Roßhaaren zu halten. Die große Hakennase macht das faltige Gesicht schier hexenhaft, und die Augen blitzen giftig von der Aufseherin zum Gitter. Daneben tritt eine große, stattliche Dame in Trauerkleidung aus einer Tür, und sie schaut scheu von einem Gesicht zum andern, ob nicht jemand da ist, der sie erkennen möcht. Ihr gegenüber lehnt eine einäugige Bauerndirn mit pichigem, rotblondem Haarschüppel in ihrer grauen Sträflingskutte und schmutzigweißen Strümpfen an der Mauer, bohrt in den Zähnen und betrachtet gelangweilt das Getriebe um sich her.

Die Hanni geht gedrückt zu dem Häuflein, das am Gitter steht, und sie schielt verstohlen hin zu den andern Gefangenen; zu der kleinen schwarzen Frau im roten Schlafrock mit ihren lebhaften Augen und dem hochfahrenden Wesen; zu der alten gebeugten Mutter mit dem bunten Kopftuch und der tröpfelnden Nase; zu den beiden jungen Mädchen mit den frischgekräuselten Locken und den herausfordernden Gesichtern, zur Aufseherin, die mit kalter, strenger Miene vor dem Gitter steht, mit den Schlüsseln klirrt und ungeduldig mit dem spitzen Schuh den Boden tritt. »Wird's bald?! Wollt ihr euch ordentlich anstellen da vorn! Marsch, vorwärts jetzt!« Das Gitter öffnet sich, und stumm gehen die Paare hinaus ins Freie, in ein kleines Viereck mit hohen Mauern, etlichen knospenden Sträuchern und einem jungen Grasfleck in der Mitte. Und die Paare lösen sich auf; immer eine hinter der andern, jede durch einen Zwischenraum von ihrer Vordnerin getrennt, so beginnt der Umgang. »Abstand halten! Was haben denn Sie zu gaffen! – Wer schwätzt da! Sie, da hinten! – Wissen Sie nicht, daß Winken und Zeichengeben verboten ist! – Nachgehen da drüben! – Abstand da herüben!« Die Hanni tappt stumpf und gleichgültig hinter der zwerghaften, verkrüppelten Gestalt mit dem großen, knochigen Schädel und dem faltigen, leberfleckigen Gesicht drein; und sie sieht gar nicht, daß diese schon eine Weile scheinbar den härwenen Rock rückwärts hochhebt, um ihn nicht zu beschmutzen, wenn sie in die vielen Wasserlachen patscht, in Wirklichkeit aber mit großer Behendigkeit mit den Fingern Zeichen macht, die nur ein Eingeweihter kennt. Da tönt's plötzlich an ihr Ohr: »He da! Sie von Nummer achtundzwanzig! Was haben Sie da für eine Unterhaltung mit Ihrer Vordnerin?« Die Hanni fährt erschrocken zusammen; ihre Gedanken waren weit weg, in einer armen Hütten in Öd, bei ihrer alten Wabn ... Da kommt abermals die barsche Frage: »Was haben Sie eben verhandelt mit Nummer sechzehn?« – »I? Gar nix! I kenn ja gar neamd da herin ... « – »Aha! Gar nix! Sie kennt niemand! Raus da, alle zwei! Sie da! Was haben Sie eben der Gefangenen da für ein Zeichen gemacht?« Die Leberfleckige schaut dreist von der Aufseherin zur Hanni und von der Hanni hin zu einer rothaarigen Dirn mit frechem Wesen. »I? Mit dera? Dees taat i scheucha! I hab grad meiner Freundin an Servus zuagwunken!« Worauf die Rothaarige sofort ungefragt dazwischenfährt: »Teats enk fei nix! Daß ma si fei nimmer grüaßen derf, da herin. Da kannts weiter net zuageh!« Die Hanni schnauft erlöst auf. Die Aufseherin aber läßt die beiden bös an und übersieht darüber ganz, daß unterdessen die Abstände zwischen verschiedenen immer kleiner werden, daß da und dort die Hände und die Augen reden, ja, daß sogar geflüstert wird! – »Wia lang hast? ... Wo bist? ... Numero? ... Wann wirst frei? ... Wennst mein Altn siechst, sagst eahm, i laß 'hn grüaßn ... « Unterdessen kann die Hanni wieder eintreten; die beiden andern aber werden immer frecher, immer schnippischer in ihren Antworten, bis die Aufseherin plötzlich zur Tür geht und scharf läutet. Es erscheint eine andere Wärterin, und die Weiber werden augenblicklich abgeführt. Und die in der Reihe flüstern: »Jetz gibts 'Dunkel' und Kostabzug!«, blicken scheu den beiden schreienden und schimpfenden Mädchen nach und schlurfen gedankenvoll ihren Weg weiter, bis es heißt: »Anstellen!« Da kehren sie zu Paaren wieder zurück in ihre Zellen und machen andern Platz zur Promenade.

Nun beginnt die Arbeit, das Bödenreiben. Die Hanni wird mit noch vier anderen von einer Wärterin zurückgeführt in einen Raum, wo Putzzeug aller Art vorhanden ist. »So, Maidli! – Nehmet nur eir Sach! – 's isch alles da, was d' ihr brauchent! – Allens! Allens! – Machent e bissele rascher, ihr säumige Schlämpli! – Bis ich wiederkomm, will ich epps Gschafftes sehe! – Und daß d' ihr mir ja grindlich schrubbe wellet! Sonsch laß ich eich das ganze Werk nomahl beginne! – Allens! Allens! – Nit so säumselig! – Die Arm a bissele brauche, ihr Gschößli!« Sie steht noch eine Weile und sieht der Arbeit zu, geht dann leise von Tür zu Tür und schaut durch das kleine Guckloch, sperrt unvermutet eine Zelle auf und ruft zornig: »Nix wird gschlafe! Uf der Bode flakke am helle Tag, sell könnt 'ne passe! Her da zum Schrubbe! Zum Schlafe braucht mer die Nacht! Bei Tag mueß mer schaffe!« Damit läßt sie die Gefangene gleichfalls einen Wuschel Stahlspäne nehmen und heißt sie fleißig mitarbeiten. Dann geht sie langsam zum Gitter, schließt hinter sich ab und ist verschwunden.

»Alleluja Löffelstiel, alte Weiber schwätzet viel ... « murmelte eine der Putzerinnen. »jetz ham mir unsern Grüabigen für a halbe Stund! Herrgott, meine sechs Wochen wenn amal um sand ... « – »Nachher zahlst an Rausch, gell!« ergänzt ihre Nachbarin, die Einäugige. Aber: »Da wirst di schneiden! Den sauf i mir scho selber an!« erwidert die erste, eine dicke Person von vielleicht dreißig Jahren. »Du bist aa net so nobel, daß d' amal an Taler springa liaßest!« – »Was? I! Auf an Taler gehts mir gar nia net zsamm! Da kann mi a jeds beim Wort nehma!« Eine robuste Alte mischt sich ein. »Dir schneibts gwiß 's Geld, oder findst es auf der Straßen?« Die Einäugige schmunzelt. »Kannst gar net so unrecht habn! I hab scho hie und da oans gfunden.« – »Auf der Straßen?!« – »Ja, auf der Straßen.« – »Du?! – »Ja, i.« – »Mit dem Kopf!« – »Warum?« Die Einäugige fährt in die Höhe. Die Alte betrachtet sie eine Weile aufmerksam und meint dann mit großer Geringschätzung: »Naa. Mi drahst net o! So farbenblind san nachher d' Mannsbilder do no nett« – »Di schaugt freili koana mehr o!« – »Brauchts aa net. I hab mei Sach.«

Eine Jüngere mischt sich ein: »Aber ihr habts amal an damischn Dischkurs! Dees Mannsbild möcht i kenna, dees wo sein Madl 's Geld glei häufaweis nachschmeißt, der mei is net so dumm!« – »Aber du bist, scheints, no ganz dumm!« meint die Einäugige. »Warum hängst di denn hi an oan, der nix hat? Muaß 's denn grad der sein? Als ob net a andere Muatta aa wieder a liabs Kind hätt! Naa, mei Liabe: zwegn oan Mannsbild traurig sein, dees fallt mir gar net ein! Allweil überecks, überecks, – alleweil fünf, sechs!« – »Wia machst nachher du dees, daß si so viel ohängen?« Die Einäugige lacht belustigt. »Wia i dees mach! Ja, gibts denn dees aa, daß oans no so dumm is! Paß auf, i zoag dirs amal, wenn i wieder in Freiheit bin!« Die Dicke aber meint: »Zoags uns nur jetz glei! Mir möchten aa was profitiern davo!« –»Dees könnts enk denka! Wenn nachher grad 's Auge Gottes daher kommt, nachher hoaßts: Drei Tag Dunkel!« Aber die andern hören nicht auf zu betteln. Und die Alte deutet auf die Hanni. »Da is oane, die soll derweil luren, ob wer kommt. Di soll si derweil ans Gitter stelln!« Die Hanni schüttelt den Kopf. »Naa, so was mach i net. Zwegn dene drei Tag, die ich hab, is 's net der Müh wert, daß i mir an Dunkelarrest hol. So an Schlüsselbund hört man von da aus aa scheppern.« Ein höhnisches Lachen ist die Antwort darauf. »Aha! A Greane! Die hat ihre ersten drei Tag Eiskasten! Na, bals amal öfter da war, vergehts ihr scho besser, 's Zwirma!«

Die Einäugige wirft ihren Wuschel weg und steht auf. »Also paßts auf, nachher zoag i 's enk, wia ma Gimpel fangt!« Sie bewegt kokett ihren Kopf, zwinkert mit dem Auge, reckt sich, macht sich elegant in der Erscheinung, indem sie aus den Pantoffeln schlüpft, sich auf die Zehen stellt, die Büste zur Geltung bringt und sich in den Hüften wiegt. »Das is doch furchtbar einfach!« sagt sie. »Da geht ma fesch austapeziert mit Federnhuat und Lackschuah durch d' Neuhauserstraß, stellt si beim Oberpollinger an a Straßenlatern, schwingt 's Handtascherl und hebt 'n Rock, daß ma d' Spitzerl siecht. Kommt nachher so a Stieglitz daher, nachher brauchst bloß recht freundlich schaugn, mit die Augndeckl z' winkn und –« – »Vorsicht! Strohhalm! Der Schlüsselbund!« flüstert im selben Augenblick eine der Putzerinnen; und alles schrubbt und reibt, daß der Staub fliegt. Aber es ist nichts Gefährliches. Die Aufseherin eines andern Stockwerks stellt außerhalb des Gitters einen Arbeitskorb nieder und geht wieder. Also kann die Unterhaltung gut noch fortgesetzt werden. Und die Alte meint: »Du bist gwiß deswegen da, zwegn die Augndeckl?« Die Einäugige erwidert sehr von oben herab: »Da werst di aber täuscht habn! Dumm wer i sein! Naa, i bin bloß da, weil i an Geldbeutl gfunden hab!« – »Ah so!« – Alle schmunzeln. Nur die Dicke bleibt ernst und meint: »Ja ja. Wias halt geht. Bin i jetz fünf Jahr Kellnerin beim Mathäser und muaß mi rein zwegn nix und wieder nix zwoa Monat da 'reihocka! Bloß weil i an den Kerl a bißl mitn Maßkrug hinkomma bin ... wo er behauptet hat, i hätt 'hn bschissen um a Markl! Körperverletzung! Dem hats gar net gschadt, daß er a bißl was verlorn hat von seim boshaftn Bluat! Und überhaupts, i bin ja net amal richtig dro hinkomma, an sein Wasserkopf!« – »Mei, es gibt halt überall a Ungerechtigkeit auf der Welt«, sagt da die Alte; »geht mir aa net anders. Drei Scheitl Holz hab i weg von an Lagerplatz; sechs Wocha habn s' mir auffeghaut. Und der ander, der scheene Herr Baumoasta, hat mir aa no dees ganze Holz wieder gnomma! Trotz 'm Einsperrn! Und hätt ma den ganzen Winter so schee brenna könne dro!« – »An dene drei Scheitl.« Die eine sagts, die zuvor beim Schlafen erwischt wurde. Die Alte wirft ihr einen giftigen Blick zu. »Di wern s'aa net zwegn an Rosenkranzbetn da 'rei habn!« – »I woaß's net. Wenn a Widerstand dees nämliche is, nachher scho.« Ein Widerstand! Die Hanni horcht auf. Und sie getraut sich zu fragen: »Habts ees aa an Schandarm beleidigt?« – »I? Naa. Aber a paar Schutzleut.« Und dann erzählt sie, daß sie an Dienstboten Stellen vermittelt, daß sie grad jetzt das beste Geschäft gehabt hätte und die schönsten Plätze. »Was moanst denn, was mir dees für a Schadn is!« sagte sie. »Jetz sollt i fürn Mohrenwirt zwoa Kellnerinnen suacha und fürn Martlbräu a Küchenmadl, fürn Schlickerwirt a Zimmermadl ... « Die Schlüssel klirren, die Aufseherin kommt. »Ei, ischts nur meeglich! Die Frauenzimmer hent no nit gar! Wie lang wellet ihr denn da no rumknocke, ihr lahme Flitschli! Allens jetzt, oder es geit e Dunnerwetter!« – »Wenn mir a so tean, was mir könnan!« murmeln ein paar der Putzerinnen; die Hanni aber schrubbt und werkt und hat etwas im Kopf, das geht herum, wie ein Mühlrad: ... fürn Martlbräu a Küchenmadl ... fürn Schlickerwirt a Zimmermadl ... Daß doch die drei Tag schon um wären!


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