Lena Christ
Die Rumplhanni
Lena Christ

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Grad will er über die Straße, da hört er hinter der Kirche her Ziehharmonikaspielen, Juchzen, Singen und Lachen. Die Reservisten und Burschen ziehen noch zum Wirt, zum Ödenhuber, um dem Jackl seinen Leuten noch mit einer letzten Stehmaß Bescheid zu tun. Dem Simmerl kommt ein Zusammentreffen recht ungelegen; darum schlupft er schnell durch den Stangenzaun und versteckt sich hinter dem Backofen vom Wirt. Aber da fährt er zusammen; grad vor ihm stößt eine Weiberstimm einen unterdrückten Schrei aus, und jemand lehnt sich in den hintersten Winkel der Türnische. »Was gibts? Wer is da?« fragt der Simmerl halblaut; im selben Augenblick aber fährt ihm auch schon das Erkennen durchs Hirn: Die Wirtsleni! – Da flüstert sie auch schon.- »Nixn is's. Bins grad i. D' Leni.« – »Ah so.« Der Simmerl sagts verächtlich. Und es ist ihm zuwider, daß er von ihr auf dem Grund und Boden ihres Vaters angetroffen wird, mit dem er und seine Eltern verfeindet sind; auf dem Grund des Ödenhubers, dessen Alter schon dem einstigen Hauservater, Gott schenk ihm die Ruh, einen Prozeß um den andern angehängt hatte, ihm einen Schabernack um den andern spielte, bloß aus dem Grund, weil einmal einer von den Ödenhuber-Vorfahren eine Hausertochter hätt zum Weib wollen und sie nicht bekam, weil dem Hauserischen der Guldensack des Ödenhubers nicht feist genug war und er seine Mirl lieber dem sündreichen Höchentalerbuben gab, der sie dann leider schandbarlich behandelte und nach kurzer Ehe in die Grube brachte. – Und der Simmerl ist unschlüssig, ob er nicht lieber gehen soll, trotz des Gespötts der Tropfen da drüben. Da fragt die Leni: »Muaßt aa furt?« Worauf er erwidern will: »Dees geht do di nixn o!«, aber keine Silbe herausbringt. Die lärmende Gesellschaft ist derweil von der Kirche her auf das Wirtshaus zugekommen und zieht nun singend in die Gaststube. Da sagt die Leni: »I hätt dir no gern an Gruaß gebn, Simmerl. Pfüate Good! – Viel Glück!« Und legt ihm einen kleinen Büschel Rosen in die Hand und läuft weg. Der Simmerl starrt ihr nach. »Jetz woaß i net ... hats dee dawischt ... oder möcht s' mi grad für an Narrn haltn ...« Er schaut unschlüssig auf die Rosen. »Was eahm die denkt hat! ... Für koan andern hat s'mi net ghaltn; Simmerl hat s' gsagt ...« Geringschätzig will er den Büschel wegwerfen. Aber plötzlich schiebt er ihn rasch in den Sack und rennt dahin.

Drüben beim Wegkreuz wartet die Hanni auf ihn. »Simmerl!« – »Ah so ... du.« – »Scho lang wart i.« – »Was is's denn no?« – »Wia stehts?« – »Was?« – »No – zwegn meiner?« Der Simmerl schaut sie von der Seite an. Die Hanni wartet auf seine Antwort. – »Gricht' is's. Der Alt werd dirs scho sagn.« – »Gibt ers zua, daß d' mi heiratst?« – »Gsagt hat ers.«

Die Hanni will sich plötzlich an ihn hängen und ihn halsen. Aber er hat mittendrin was im Kopf. – Was andres. Und er schiebt die Hand in den Sack und greift nach was. Nach den Rosen. Und sagt auf einmal unwirsch: »Es is scho recht, Hanni. I hab nimmer Derweil zum Scheetoa. I muaß roasn.« Worauf er rasch ihre Händ von seinem Hals löst und forteilt, ohne nochmals umzuschauen.

Eine Weile steht die Hanni und starrt ihm nach. Dann lacht sie leise und geht langsam die Straße zurück gegen Öd.

 

Der Ödenhuber zündet gemach die große Hängelampe in der Gaststube an, so daß ein trüber rötlicher Schein über die blankgescheuerten Tische und Bänke leuchtet, die braunen Kacheln des alten Ofens hie und da aufblitzen läßt und sich in den drei – vier Glastafeln zwischen den Schützenscheiben und Rehgewichteln an den Wänden matt spiegelt. Und die Resl läßt vorsorglich einen um den andern von den grünen Rollvorhängen herab, so daß die Efeustöcke samt den blühenden Geranien dahinter im Dunkeln stehen; und man sieht statt der leuchtendroten Blüten und der großgetüpfelten Gingangvorhänge plötzlich allerhand Burgen auf grellgemalten Felsen, bunte Schweizeralmhütten mit Wasserfällen und Sennerinnen, springende Gemsen und weidende Kühe mit flötenblasenden Hirten.

Aus der Wirtskuchel aber dringt lautes Schelten, lärmendes Hantieren mit Tiegeln und Deckeln, mit Herdringen und Schürhaken und das Klappern von Tellern und Schüsseln. Und die Ödenhuberin steht am Hacktisch, zerteilt einen langen Schweinsrücken in gleichmäßige Rippen, schwingt den Holzschlegel und schlägt aufs Fleischbeil, daß die Brüh aufspritzt; und dazu grandelt und schimpft sie giftig: »A saubere Arbat! Der ganze Bratn is no roh und bluatig! Hab i net gsagt, es soll richti eingfeuert werdn! Hab i net gsagt, um halbe achte kemman s'! Aber ös habts ja net Derweil zum Aufpassen! Ös müaßts ja an d' Lumperei denka! Eini damit nomal in d' Rain, sag i! Gwaffa überanand!« Die Kucheldirn rennt hastig und beflissen mit der Bratraine an den Hackstock. »I hab ja a so eingschürt, was i nur grad kinna hab!« sagt sie weinerlich; »'s Röhrl brat't halt nimmer, wia si's ghört!« Damit streift sie die Ripperl mit dem langen Tranchiermesser in die Raine und wischt auch die Brüh mit der Hand hinein, damit der Saft beim Fleisch bleibe; – indes die Ödenhuberin wütend mit dem Schüreisen in der Glut herumfährt, so daß ihr feistes Gesicht mit den kohlschwarzen Augen voller Feuer scheint und die unter einem seidenen Netz aufgesteckten reichen schwarzen Zöpfe rötlich schillern. Und sie werkt, daß ihre schweren, traubenartigen Ohrgehänge zitternd hin und her schwingen; danach blickt sie zornig auf die Magd, trinkt hastig aus einem bemalten Steinkrügl, wischt sich mit der härwenen Schürze den Mund und die schier bärtige Oberlippe trocken und brummt: »Grad daß ma enk für's Fressen zahlt!« Worauf sie in die Gaststube geht, indes die Kucheldirn erlöst ein Kreuz hinter ihrem Rücken schlägt: »Herrvergeltsgott, daß s' geht!«-

Drin nimmt der Ödenhuber eben ein volles Zigarrenkistl vom Schenkkasten und riecht prüfend am Inhalt. »Aha. Die san net so rass' wia die andern«, sagt er; »die schmecken net so hantig.« Die Ödenhuberin nimmt ihm das Kistl aus der Hand und geht zum Licht. »Sand dös die vom Juden?« – »Ja.« – »Wenn hat er denn die gschickt?« – »Die verganga Woch.« – »Hast von die andern koa mehr?« – »Jo, schon. Aber sie taugn nixn.« – »Sand s' wirkli so hantig?« – »Gallhantig san s'!« – Sie gibt ihm das Kistl wieder zurück. »Ja no, wegschmeißen ko ma s' aa net.« – »Freili net!« – »Muaßt es halt billiger herlassen!« Sie sucht nach der Schachtel mit den bitteren. Er schneidet das Band eines Bündels von den neuen entzwei und sagt gar nichts. »Konnts es net herschenka?« – »Ah mei; a Glump is's halt.« Er zählt der Resl fünfzig von den Judenzigarren in die Schublade des Gläserkastens. »Zum Herschenka werdn sie's scho toa«, meint jetzt die Wirtin und mustert etliche von den rassen; »muaßt es halt heunt die Mannsbilder mitgebn auf d' Roas'.« – »Da kunnt i no so a Ehr aufhebn!« – »Ah, was! An gschenktn Gaul ... hoaßts ... schaut ma net ins Maul!« Sie trägt das Kistl an den Ofentisch und leert es aus. »Waar net zwider! Schaugn do ganz schee her!« Der Wirt folgt ihr brummend. »Geh, laß do die Giftstengl jetz in der Ruah!« Aber sie zählt schon aus: »Drei ... sechs ... nei... zwülf ... i woaß's gar net, was d' hast? ... fufzecha... achzecha ... warum soll ma s' denn net hergebn, bals a so nix taugn ... oasazwanzg ... nacha sans glei gar. – Die raachan s' scho, wenn s' sinst nix habn! ...« Der Ödenhuber geht unwillig auf und ab. »Laß di do net auslacha!« – »Warum? Daß s' fei net guat gnua san!« Die Resl schwenkt Krüge und Gläser. Jetzt mischt sie sich drein: »Du, Ödenhuaberin, daß d' es woaßt: i gib s' eahna fei net, dees Gift! Da kannst di scho selber damit auslacha lassen!« Die Wirtin wirft voller Zorn die leere Schachtel auf den Tisch. »Du haltst dei Schnappen! Du hast gar nix z' redn! Was gehts denn di o? Schaug sie net o ... d' Schnappen, die vorlaut!« Sie läßt alles liegen und geht wieder hinaus in ihre Kuchel.

Die Resl lächelt leise. Plötzlich aber verzieht sie das Gesicht zum Trauern und Seufzen und schwenkt wieder weiter, indes der Wirt eilends die ganzen Giftstengel ins Kistl wirft und wegräumt. – Mittlerweile kommt der Hufschmied in die Gaststube, stellt seinen Maßkrug an den Schenktisch zum Neueinfüllen und setzt sich danach an den Tisch beim Herrgottswinkel. »I woaß's net«, sagt er, »daß s' denn gar so lang ausbleibn! Jetz is's scho achte vorbei! Geh, Ödnhuaber, magst net dei Leni a bißl umanandsuacha lassen, wo s' sand? I fürcht, sie versaamen si!« Der Wirt schaut besorgt nach der Uhr: »Dees versteh i selber net«, meint er; »sie werden do net a so davon sei!« Und er ruft hinaus in die Kuchel: »Leni! Is d' Leni net da?« Worauf die Ödenhuberin mürrisch erwidert: »Was woaß i! Suach dir s'! Dees is bei uns alleweil scho a so der Brauch gwen, daß koans da is! Für dees hat ma ja Kinder, daß ma s' gar nia net hat, bal mir s' braucht!« Sie nimmt den Bratspieß und zieht die Raine aus der Bratröhre. »Was is's denn überhaupts anderschts?« fährt sie fort, indem sie prüfend ins Fleisch sticht; »grad für ander Leut ziagst dir s'! Hängst dro hin und opferst hin und ziagst es groß, und was hast nachher? – Nix. Gar nix!« Sie schiebt die Raine wieder ins Rohr. »Is's a Madl, na heirat s'; und is's a Bua ... jeß ... der Bua! Der Jackl! Er muaß do furt mitn Halbezehnezug!« Sie bricht plötzlich in ein hartes Weinen aus. »Daß aa grad alls über mi kimmt! – Jetz waar er hergwachsen ... und jetz kimmt der Kriag ...« Der Ödenhuber geht ans Kuchelfenster und starrt zwischen den Obstbäumen durch hinüber zum Hof des Hauser. »Ja no«, murmelt er halb für sich; »geht halt koan' anderscht. Dem da drent der seinige muaß aa furt.« Die Wirtin wischt sich rasch die Augen trocken. »Warum? Soll der vielleicht net furtmüassen! Solls für den vielleicht epps anderschts gebn? Is der mehra wia der unser? Der Lackl is groß gnua dazua! Ja – dem vergunn i's!«

Von der Kirche her ertönt plötzlich das Singen und Lärmen. Da nimmt die Ödenhuberin eilig einen hohen Stoß von Tellern aus dem Geschirrschrank, reiht sie klappernd auf der Kupfereinfassung des Herdes nebeneinander und reißt die Bratraine heraus. Und ruft. »Resl! Zähl glei, wieviel daß kemman! A jeder kriagt an Bratn, an Salat und a Maß! Was oana mehra hat, zahlt er!« Der Ödenhuber wendet sich um. »Ja, freili! Was dir net eifallt! Nix werd zahlt heunt! Gar nix; verstanden! Den letzten Trunk braucht mir koana z' zahlen! Gar koana!« – »No, wennst du so viel übrigs Geld hast ... mir konns ja recht sei! Aber bal jetz a jeder fünf Maß hat? ...« – »Nachher hat ers. Wer woaß's, obs net die letzten fünfe san bei dem oan oder andern.« Die Wirtin hantiert wütend mit dem Geschirr. »Ah, was! Du mit dein Getua! Werd net so gfahrli werdn! Die gehngan scho net so nahend zuawe! Vo mir aus tuast, was d' magst. Mit mein Geld konnst ja leicht umwirtschaften! Mit dem dein' alloa gangs scho net!« Sie spießt voll Erregung die Bratenstücke aus der Raine und wirft sie auf die Teller. »Meine Leut wanns no inne wordn waarn, wias du mit mein Sach umhaust, ... die kehratn si heunt no im Grab um!« – »Geh, laß mir do mein Ruah mit dem Gschwatz, narrischs Weibsbild! Mit dir is ja net zum redn ...« – Der Wirt geht verärgert in die Stube. Da steht schon die Resl in der matt erleuchteten Schenke und füllt Krug um Krug, indes das Juchzen und Singen immer deutlicher ins Haus dringt. »Herrvergeltsgott, daß s' da sind!« murmelt der Hufschmied.

Da kommen sie auch schon herein mit Ungestüm, – schreiend, lachend, lärmend, ihre Hüte schwingend und ihre Koffer und Päcklein. Und allerhand Maidln und Jungfern begleiten sie, kichernd und scherzend, und halten ihre Schürzen voller Blumen, die Burschen damit zum Abschied zu schmücken. Die Resl rennt und läuft mit den vollen Krügen und trägt ihrer fünf in einer Hand; die Kucheldirn bringt den Braten und stellt jedem einen Teller hin, der Ödenhuber hilft rasch dazu; allein Eile tut not, und so packt der Jackl, der Wirtssohn, frisch mit an und trägt den Salat auf, indes die Wirtin gellend durchs Haus schreit: »Leni! – Lenih!!« Da kommt das Maidl auch schon zum hintern Tor herein, brennrot übers ganze Gesicht; und sie läuft sogleich in die Gaststube, packt etliche Krüge und bedient die Gäste, ohne der Ödenhuberin zu antworten auf das erboste: »Wo kimmst her? Wo bist gwen?«


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