Lena Christ
Die Rumplhanni
Lena Christ

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Vor einer dieser Hütten macht die Franzi halt; sie späht erst durch eins der vereisten Fenster, dann drückt sie leise auf die Klinke. Das Haus ist offen, und sie treten ein in den winzigen Hausflöz. Da liegen und stehen Körbe, Kisten, Häfen und Holzscheite herum, auf den ausgetretenen Stufen der geländerlosen Stiege liegt Wäsche und Spielzeug, und vor der Tür, die in die eine Kammer führt, steht das eiserne Zylinderhütlein ihrer Kinder. In der Kammer liegen drei der Hascher in einer mageren Betthaut, einer sitzt hemdärmelig auf dem kalten Stubenboden, hat die Kaffeemühle und etliche Erdäpfel als Spielzeug neben sich und jammert um die Morgensuppe. Ein aufgeschossenes Maidl hockt vor dem alten Sesselofen und bläst aus vollen Backen in die schwelenden, rauchenden Reiser, während ein etwa sechsjähriger Bub auf dem zusammengesessenen, pichigen Kanapee steht und die Herdringe zur Melodie des Münchner Schäfflertanzes schwingt.

Die Hanni bleibt beklommen draußen vor der Stubentür stehen; doch ihre Gastgeberin sagt freundlich: »Trau di nur rei', Hanni! Gschiecht dir nix! Höchstens, daß di d' Arbat opackt. Geh, ziag mir die Gsellschaft o; die derfriern ja! Und koch eahna an Kaffee! Muaßt aber z'erscht d' Goaß melcha!« Die Dirn ist froh um die Arbeit. Sie zieht die schreienden, zappelnden Würmer an, wäscht sie und striegelt ihnen das Haar, hilft der Großen ein Feuer anmachen, daß es knistert und kracht, und stellt den Hafen mit dem Kaffeesatz darauf. »Wo hast dein Stall und a Melchgschirr?« fragt sie danach. Die Weinzierlin wird verlegen. »Mei«, sagt sie, »so nobel wia bei den Bauern gehts bei mir net zua. Da hätt ja i an Platz net dazua. Mir habn halt drei Stuben, und da hab i oane vergebn an an Zimmerherrn. Sand halt doch alle Monat sechs Mark. Und hintn, wo der Stall hingehört, hab i mei Gmüas und mei War. Mir muaß si halt nach der Deckn strecka. Da hint steht a blecherna Eimer, schau, den nimmst zum Melchen. Und da drin ... «, sie öffnet eine niedere Tür ... »Da drin is d' Goaß.«

Die Hanni nimmt den Blecheimer, auf dem noch ein Zettel klebt: »Feinste Aprikosenmarmelade", und will hinein in die Geißenkammer. Aber erschrocken fährt sie zurück. Da liegt auf einem elendigen Lager ein bleicher Mann mit eingefallenen Wangen und fiebernden Augen, der flüstert heiser etwas Unverständliches und winkt mit matter Hand seiner Franzi, wobei ihn ein dürrer Husten peinigt. Neben diesem Siechenbett steht ein alter Waschkorb; und darin kriechts und wurlts, und es winselt ein Häuflein junger Hunde und krabbelt und sucht an der knurrenden Alten herum. Drunten am Fußende der Bettstatt aber ist ein Haufen Laubstreu aufgeschüttet, und darauf liegt, an den Bettfuß gebunden, meckernd eine grobbeinige Geiß, die sogleich aufspringt und nach ihrem Futter schaut. Die Weinzierlin geht an die Liegerstatt ihres Mannes, streicht ihm das Kopfkissen glatt und horcht auf sein Geflüster. »Wo bist denn gwen?« fragt er. – »Da brauchst do net z' fragn! « erwidert sie bitter. »Daß d' di denn alleweil wieder erwischn laßt!« – »Ja no. I hab halt wieder 's Maul net halten könna. Und a Widerstand is schnell beinand. Aber dees is jetz gleich. Dees ghört zum Gschäft. I hab mir wem mitbracht als Aushilf derweil, bis i wiederkimm – von der Straf. Deesmal muaß i sechs Wocha macha.« Ihr Alter seufzt und fragt um den Kaffee. »Glei kriagst 'hn«, sagt seine Franzi und schaut zufrieden auf die Hanni, die sich frisch auf die Streu gekniet hat und nun in flinken Strichen die gelbliche Milch in den Eimer melkt. Danach kocht sie eilig den Kaffee fertig, füttert die Kinder und den Kranken und geht dann hinter in den winzigen Schupfen um Heu für die Geiß. So beginnt sie ihr Tagwerk in der Münchnerstadt, in dem neuen Hoamatl, von dem sie dachte, es würde sich schon eine Kuh drin finden zum melchen. »Macht nix«, denkt sie; »wenns aa koa Kuah is; na is 's halt derweil a Goaß!« Und sie tut singend ihre Arbeit.

 

Kinder warten, Hunde füttern, den Kranken pflegen und der Geiß einstreuen, das Haus versorgen und die Mahlzeit richten, das ist der Hanni ihr Tagwerk; ein paar Stunden Schlaf auf dem hinabgeschelchten Kanapee, das ist ihre Nachtruh. Und eines Morgens sagt die Weinzierlin: »Hanni, heunt muaßt mit zum Handeln. Daß d' dich auskennen lernst in der Stadt, und daß d' mir 's Gschäft weiterführn kannst, wenn i net da bin.« Also holt sie ihren Handkarren aus dem Schupfen, ordnet das Gemüse, die Orangen und die Nüsse darauf und schreibt mit großen Buchstaben die Preise auf die Tafel, die sie auffällig an den Karren hängt. »Franzi, wennst von der Schul hoamkommst, nachher wärmst die Suppen in dem blauen Hafen dort auf!« sagt sie noch zu der Großen; »und a Brot gibst an jeden, und an Vatan a weichs Ei. An Hund net vergessen und d' Goaß! Pfüat enk der Himme!« Sie schließt das Haus und macht sich auf den Weg.

Und so trabt auch die Hanni mit der Händlerin durch die Straßen dahin wie das Kalb am Strick, betrachtet die Stadt mit ihren Häusern und Läden, die Gassen, Plätze und Winkel, schaut auf die Schilder, welche ihr deren Namen weisen, und horcht auf die Rufe der Franzi, die ihre Waren mit beredten Worten anzubieten versteht. »Madam! Schöne goldgelbe Zitrona, viere a Zehnerl!- Geht nix ab? Zuckersüaße Oranschen, Herr Nachbar! – Nehman S' Eahna a paar mit! Fünfe um a Zwanzgerl, Herr! – Neue Nuß! Nix gfällig?« Freilich geht das Geschäft nicht reißend; aber sie kommen auf ihrer Reise doch auch an Plätzen vorbei, wo sie binnen weniger Minuten mehr verkaufen als anderswo in einer Stunde. »Dees muaß i mir merka«, meint die Hanni; »daß i die Plätz no woaß, wann i amal verkaaf. Überhaupts sollt ma glei bloß dahin fahrn, wo si was rührt!«

Aber im selben Augenblick kommt einer, den die Dirn noch gut erkennt als einen Wächter der Gesetze; und sie begreift es schnell, warum ihre Wirtin so geschwind den Karren um die Ecke schiebt und im Trab die nächsten Straßen durcheilt. Ja ja. Breit ist die Straße – zum Verderben; aber es wohnen halt die reichen Leute dort! Und die Franzi meint: »Ja no! Allemal, wenn i mei Straf wieder abgsessen hab, gib i a Zeitlang Obacht auf die Vorschrift. Aber wenn i siech, wia meine Kinder hungri sand und d' Apothekn oa Markl um dees ander frißt für mein Kaschban seine Trankerl – mei, da wird oan alles wurscht. Da hoaßts halt: Hast a Geld? Und balst koans hast, bist verratzt und verkaaft vom Anfang bis zum End. Is 's vielleicht anders? Bringst an Schratzn auf d' Welt – dees erschte is, daß d' Hebamm fragt: Hast a Geld? Wenn s' aa net mit Worten fragt; mir gspürts scho, wann s' siecht, daß ma koans hat. Nachher laßt a so a Grischberl taafa; mei, 's Wasser kost't freili nix. Aber – der Pfarrer möcht lebn, und der Meßmer möcht lebn, und der Magischtrat und d' Gmeinde aa. 's Heiratn ham s' oan aa net umasonst erlaubt; und balst amal einefallst in d' Gruabn, und brauchst an Nasendetscher und an Ewigkeitsfiaker, nachher tat not, du hättst als a Toter no an Geldbeutl in der Hand. Ja ja. – Is mir heunt scho angst, wenn mei Kaschba amal dro glaabn muaß. Bis i dees beinand hab, derf i mi no oft einsperrn lassen! Denn i möcht 'hn doch scho dritter Klass' eingrabn lassen, wenns a bißl geht. – Gnä Frau, was geht ab? Der Karfiol? Sechzig, gnä Frau. – Sonst noch was gfällig? – I dank schön, gnä Frau. A andersmal wieder d' Ehr!« Einmal kehrt die Franzi mit der Hanni auch ein während ihrer Handelsfahrt. Drunten beim Markt und Dultplatz, im Blauen Bock. Da sitzen sie beieinander, die Karrenschieber, essen ihren Brocken Wurst oder Käs, trinken ihre Maß und schwatzen sich die Galle weg, die ihnen so oft im Tag übergeht, wegen der War, wegen der Kundschaft und wegen des Wortes: Verboten. Und die Hanni lernt das Geschäft kennen; den Großhändler, die Reißer und Schlager unter der Ware, die Kundschaft und das Gesetz mit seinen Vertretern. Sie horcht genau auf die Rede des alten, dicken Kartoffeltobias, verfolgt die Ausführungen der rothaarigen Blumenhändlerin und überlegt, was man für die nächsten Tage ankaufen könnt, um wenig zu setzen und viel zu gewinnen.

So lebt sie sich gemach ein in den Beruf ihrer Hauswirtin, der Weinzierlfranzi, und wird schließlich deren Vertraute und rechte Hand. Und das Häusl draußen an dem Berghang wird allmählich hell und freundlich, die Kinder hängen an ihr, dem Baserl, die Hunde springen ihr entgegen, die Geiß kennt sie, und der dahinsterbende Weinzierl macht zufrieden die eingebrochenen Augen zu, wenn ihm die Hanni die Kissen aufschüttelt und die Kammer hinausfegt. – Die Weinzierlin aber geht dahin, wo sie als tote Nummer einer Zelle den grauen Kittel der Verbrecher trägt, Socken strickt und Tüten klebt, Böden schrubbt und Wäsche reibt gegen einen Taglohn von vielleicht zwölf Pfennigen, bis sie den letzten Heller ihrer Strafmandate abgesessen hat.

 

Josefi! Der Tag aller Sepperl und Pepperl! »Heut geh i mit Bleame«, sagt sich die Hanni am Tag vor Josefi; »denn heut bring i sicherli mehr Veigerl und Schneeglöckerl o als wia Blaukraut und gelbe Rüabn.« Und sie legt ihr gutes Gewand an, nimmt den weiten Armkorb statt des Karrens und läuft zur großen Markthalle, wo sie bald das Rechte findet: Anemonen, Schneeglöcklein, Nelken und Veilchen. Auf einer Bank nahe der Isar bindet sie geschwind eine Menge kleiner Sträußlein, und dann eilt sie mit dem Korb stadteinwärts, belebten Straßen zu und großen Häusern. »Herr, ein Sträußerl gfällig? – Schöne Veigerl, Frau, was geht denn ab? A Namenstagbuketterl net vergessen, gnädigs Fräulein!« Ach, sie kommen hart über ihre Lippen, diese Lockrufe und Anpreisungen! Und die Frauen, die vorüberhasten, sehen sie an mit Augen, die ganz unverhohlen sagen: Betteldirn! Tagdiebin! Und die Männer? Ja ja. Die schauen nicht bloß ihre Blumen an und ihren Korb; die gaffen ihr gar oft ins Gesicht, daß sie wähnt, es würde ihr bei solchem Gaffen alles abgezogen, jede Hülle, und sogar die Haut. »Herzerl! – Schatzerl! – Schöns Kind!« Aber das Geschäft geht gut.

Und gegen Abend, da die Straßen und die Läden, die Gaststätten und die Wohnungen hell erleuchtet werden, da hat sie alle ihre Veilchen und die Schneeglöcklein verkauft, und auch von ihren Nelken und Anemonen sind nur noch wenig Büschel übrig. Da kommt ein alter Herr des Wegs, im Pelzrock und Zylinderhut. Der hat kaum die Hanni erblickt, als er sogleich zu ihr in die Toreinfahrt tritt, auf den Rest in ihrem Korb deutet und fragt: »Was kosten sie?« Und dabei gleitet sein Blick über ihre schwarzen Zöpfe, ihren Körper, und bleibt betrachtend stillstehen in ihrem von der kalten Luft geröteten Gesicht und in den Augen, indes sie leise sagt: »Drei Mark, Herr.« Er zieht die Börse und fragt, während er darin herum sucht: »Wie heißt du denn? Bist du Münchnerin? Bist du schon Frau?« Die Hanni bindet mit unsicherer Hand den Strauß zusammen.

Was der alles wissen möcht! Das wär wieder so einer! Aber ein feiner, ein vornehmer Herr ist er doch! Und sicher reich – sehr reich! Seine Börse ist gefüllt mit Silbergeld und Scheinen, und sein Anzug, sein Benehmen sagt ihr, daß er etwas andres ist als alle, die ihr bisher in die Augen sahen, – so begehrlich ... »I bin koa Münchnerin, naa, Herr. I bin aa net d' Frau selber. I bin bloß d' Hanni.« – »Die Hanni. Hast du zu Haus noch Blumen?« – »Naa, Herr. Aber i kann Eahna leicht morgn no oa bsorgn, so viel S' mögn!« Der Herr besinnt sich ein wenig. Dann reicht er ihr eine Banknote hin. »Hier. Laß nur gut sein. Und bring mir morgn noch so einen Strauß. Wart, hier hast du meine Adresse. Um zwei Uhr bin ich zu Haus.« Er gibt ihr eine feine Visitenkarte in die Hand. »Auf Wiedersehen, Fräulein Hanni!« Noch ein kurzer Gruß, ein Lüften des Zylinders, dann ist er in dem Strom von Straßenbummlern verschwunden.

Die Hanni blickt ihm betäubt nach. Dann betrachtet sie abwechselnd die Karte und das Geld. »Zwanzg Mark! Für die paar Bleame! Und a Baron is er, der Herr! Und reich, ganz narrisch reich ... « Sie fährt mit der Trambahn heim. »Heut laaf i nimmer z' Fuaß bis in d' Au! Heut hab i scho mein Wochenlohn verdeant!« sagt sie sich. Und immer wieder betrachtet sie die Karte mit dem vornehmen Namen und der vornehmen Adresse. Und da sie draußen bei der Weinzierlhütten steht und aufschließt, summt sie leise:

»Lusti is auf der Welt,
Zwanzg Gulden in Silbergeld,
Dreißge in Schein –
Bua, mei Herzerl ghört dein!«

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