Lena Christ
Die Rumplhanni
Lena Christ

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Die Hanni geht schmunzelnd dem Häusl ihrer Wabn zu. Dort legt sie ihren Sonntagsstaat an, sagt ihrer Großmutter, daß sie einen freien Tag hätt, und geht summend fort, nach Tuntenhausen. Dort kauft sie einen Bogen Schreibpapier und geht auf die Post, wo sie lange herumdrückt, die Feder immer wieder eintaucht und endlich anfängt zu schreiben:

Ich, Lorenz Hauser von Öd bestättige hiermit, daß mein Sohn Simon Hauser und die lödige Johanna Rumpl von Öd als ein effentliches, hochzeitlich versprochenes Prautbaar von mir angekent sind und daß ich bei Heimkommen meines Sohnes sogleich in die Hohzeit wihligen und den Hauserhof dem jungen Ehepaar übergeben wihl mit alles was dazu gehört an lebendigem und toten Infenthar. Öd, am Liechmeßtag 1915...

Langsam vollendet und überliest sie das Schriftstück. Vorsichtig steckt sie es in die Tasche des Unterrockes. Danach mischt sie sich fröhlich und zufrieden unter die Besucher des Jahrmarkts, besieht sich dies und jenes und geht zu guter Letzt am Abend hinein zum alten Postwirt, wo schon männiglich beieinanderhockt, ißt und trinkt und politisiert. Sie setzt sich ins Nebenzimmer; doch sucht sie den Platz so aus, daß sie die Tür der Gaststube im Auge hat und keinen übersieht, der durch sie aus- oder eingeht. Da bleibt sie, läßt sich eine Suppe geben, ein Stück Braten, trinkt auch ein Krüglein Bier dazu und hat mittendrin einen ersehen, auf den sie schon lang wartet – den Hauser. Er ist schon gutding voll, wie es bei einem Bauern am Abend des Markttags halt so Brauch ist. »Alsdann, guate Nacht beinand!« hört sie ihn sagen. »Guate Nacht, Hauser! Guat Nacht!« tönt's zurück, hell oder brummend, wie es die Freundschaft grad erleidet. Die Hanni steht eilends auf und geht in die Kuchel, wo sie der Kellnerin ihre Schuldigkeit bezahlt. Dann läuft sie durch die Hintertür hinaus auf die Gasse und dahin, dem Hauser nach.

Der stapft tiefsinnig durch den Schnee. Ein beißender Sturm fegt über die Felder, jagt große Flocken in wildem Wirbel durcheinander und pfeift hohl herüber vom Wald. Die Hanni zieht erschauernd den Rock über den Kopf, versteckt den feinen schwarzen Seidenfilz mit den goldenen Borten und Quasten unter der Schürze und trabt hastig aus dem Ort. Immer dichter fallen die Flocken, immer undurchdringlicher wird das Gestöber. Die Hanni hört den Hauser brummen und murmeln. Sie blickt um sich; aber weit und breit ist nichts zu erkennen als dies graue Tanzen und Wirbeln; kein Horcher ist zu fürchten. Da eilt sie entschlossen dem Bauern nach, tritt neben ihn und hält mit ihm Schritt: »Grüaß di Good, Hauser!« Der Alt fährt schier erschrocken herum. »Du!? Hab glei gmoant, dei Gspenst waars! Grad hab i an di denkt.« – »Und bal ma an Esel denkt, kimmt er grennt, hoaßts, gell?« – »Ja, bal man 'hn nennt, hoaßts. Daß du da bist?« – »Weil i heunt ausgstanden bin.« –- »Was!? Ausgstanden?!« – »Ja, auf a Wocha a zwee.« – »Zwegn was denn?« – »No ... mei.... weil i net recht guat beinand bin.« – »Net guat beinand bist?« Der Hauser schaut sie trotz der Dunkelheit forschend an. Sie hält ihr Gesicht ganz nahe an das seine. »Gell, schlecht schaug i aus!« lacht sie lustig. »I siechs net«, meint er ehrlich. Aber die Dirn faßt seine Hand. »Muaßt halt greifa, balst net siechst!« sagt sie lachend und führt seine Hand an ihre eiskalte Wange. »Gell, i bin scho ganz kalt!« scherzt sie; »i brauchet 's Aufwarma!« Der Hauser tappt tastend über ihr Gesicht. »Konn scho sei!« meint er; »a bißl a Bettwarmer kunnt net schadn.« Sie stapfen durchs Holz. »I bin froh, daß d' bei mir bist«, sagt die Hanni; »im Holz fürcht i mi scho recht bei der Nacht!« Sie läßt seine Hand nicht mehr los. »Woaßt, mir hört do oft, daß oana a Madl opackt hat oder umbracht!« Ganz dicht schmiegt sie sich an den Alten. »Ah, bal i dabei bin, nachher brauchst di do net z' fürchtn, Dirndl!« erwidert er. – »Tatst mir du nix toa lassen?« – »Gwiß net!« – »Obst mir aber du selber nix tuast?« Sie drückt seine Hand und zieht seinen Arm um ihre Hüfte. Da lacht der Alte kurz und heiser. Herrgott, das Weibsbild hat eine Art und Weis, den Wildling im bravsten Menschen aufzuwecken... Er drückt sie einen Augenblick heftig an sich. »Ob dir i nixn tua, moanst? ... No... balst es grad selm gern habn tatst ... kunnts scho sei... « – »Bist du so gfahrli?« Sie leidet es willig, daß seine Hand der aufsteigenden Hitze gehorcht; eng schmiegt sie sich an ihn an, lacht, scherzt, schwatzt und peitscht seine Begierde auf dem ganzen Weg, bis sie endlich vor dem Häusl der alten Rumplwabn stehen. »Is schad, daß der Weg scho gar is«, flüstert die Hanni; »heunt waar i no gern mit dir weiterganga!« – »Brauchst mi ja no net weiterz'jagn!« meint der Hauser. »Aber z' gfahrli is 's da am Weg ... « – »Nachher gehn ma halt hinei!« »Moanst, daß 's Eahl schlaft? ... « – »Die hört mi net! I ziag d' Schuach ab!« Die Dirn lacht leise. Und sperrt vorsichtig das Haus auf und schleicht hinein. Ihre Kammer ist gleich linker Hand, indes die Alte ober der Stiege schläft. »Schleich di nur eina!« flüstert die ihm zu und schlingt den Arm um ihn; »'s Bett is scho aufbett' und 's Stuberl schee kehrt, – drum leg di nur eina; es wird dir net gwehrt!« Ganz leise summt sie 's ihm ins Ohr. Da packt er sie wild um die Mitte, hebt sie in die Höhe und trägt sie in die Kammer. »Mach d' Haustür staad zua!« flüstert sie. Er riegelt lautlos ab. Sie legt das Schriftstück und einen Tintenstift auf das Tischlein.

Fiebernd schleicht der Bauer in die Kammer zurück und riegelt ab. »Soll i d' Latern ozünden?« fragt die Hanni, indem sie hemdärmelig vor ihn hinsteht. Er tappt nach ihren entblößten Armen. »Zünd 's halt o, oder aa net.... wiast halt moanst ... Madl ... « Die Hanni macht sich mühsam frei und zündet eine kleine Weglaterne an. »Jetz siech i di guat! Jetz gfallst mir ... Dirndl ... « Er zieht die Dirn auf den Truhensitz nieder. »Konnst mir a weng schee toa?« – »Tua i dir net a so schee? Tua i net a so alles für di?« – »Braucht di aa net z' reun!« flüstert der Tropf; »was i dir Guats toa konn ... dees tua i dir ... « – »No ... ganz glaab i dirs no net! – Woaßt, dees ander Mal hast mirs aa versprocha ... « Der Alt hört kaum, was sie sagt. »Da hast aa gsagt, daß d' mit mir zum Notar gehst. Und daß d' es schriftli machst zwegn mir und an Buam! Aber, gell, du Schlankl, gangen bist nia!« – »I hab ja nia Derweil ghabt!« entschuldigt sich der Bauer und versucht, immer zärtlicher zu werden. »Dees woaß i scho«, sagt die Dirn. »So viel verlang i aa gar net. – I bin scho zfriedn, balst mirs unterschreibst, daß d' fürs Kloane sorgst, wenn i grad Unglück hätt im Wochabett. Gell, Lenz! Geil, dees unterschreibst mir?« – »Freili! – Glei morgn! – Aber jetz geh ... mach ... « Die Hanni zieht ihn zum Bett. »Lenzl balst mirs jetz glei unterschreibst ... nachher ghör i dein ... als a ganzer ...« – »Geh, Herrgott ... lag mir do mein Ruah heunt ... morgn schreib i dir ... was d' magst ... « – »Naa, ... Lenzl, heunt muaßt! Schau ... brauchst ja grad dein Nam hisetzen!« Sie langt ihm den Schrieb her und liest ihm vor.- »Also, mirk auf: »I, der Hauserbauer von Öd verpflichte mich, daß ich für das Kind vom Simmerl und von der Hanni sorgen will, auch für den Fall, daß die Hanni unterm Kindbett stirbt.« Also. Du schreibst jetz dein Nam drunter; siechst, – grad da ... « Sie weist ihm mit dem Zeigefinger die Stelle und gibt ihm den Stift in die Hand. Der Hauser flucht, schimpft, ärgert sich über das närrisch Weibsbild, das ihm die schönste Stund verdirbt mit seinem dummen Getue, – und setzt doch an zum Schreiben: Lorenz Hau ... Himmelherrgott ... Da steht ja – ganz was anderes! Das heißt ja: übergeben! Sich verkaufen! Sich verhandeln um eine Lumperstund! Als ein rechter mißtrauischer Bauer, der seinen Namen unter nichts setzt, was er nicht kennt, hat er mitten unterm Buchstabieren angefangen zu lesen, grad so drunter hinein in das Geschreibsel, und hat den Satz gefunden: »... und den Hauserhof dem jungen Ehepaar übergeben will mit allem was dazugehört ... « In einem Augenblick ist er nüchtern. So stark nüchtern, daß er plötzlich weiß, wer er ist, er, der Hauser von Öd. »Hast gmoant, du konnst mi fanga! Hast dir denkt: Der Depp unterschreibt scho! Gell! Aber, oha. An Hauser fangt ma net wia d'Singvögel und d'Goldfisch! Der is net so dumm, wia er herschaugt! Daß i fürs Kind sorg! Für was für oans denn?! Hast dir denkt: Is der Jung so dumm und kriacht auf den Leim, nachher geht dir der Alt erscht recht drauf! Derweil bist du die Pitschierte mitsamt deiner Gscheitheit – und Schlechtigkeit, du Schlamperl du! Schaam di!« Er nimmt das Schriftstück und steckt's ein, trotz ihrer verzweifelten Anstrengung, es ihm, zu entreißen..»Naa, den Fetzen kriagst mir du nimmer in d' Händ! « sagt er; »der werd aufgspart für mein Buam, zu der Erinnerung an dei Lumperei, du ganz schlechts Weibsbild, du schlechts! So, und da is dei Jahrgeld ... « Er zieht den Geldbeutel und entnimmt ihm zwei Hunderter. »Daß d' net sagn konnst, der Hauser is a hungriger Tropf; aber sehng will i di in mein Haus nimmer, verstanden!« Er schiebt den Zugbeutel wieder ein.

Jetzt ist's doch gut, daß er keinen Stier erriet zum Kauf; kann er wenigstens das Weibsbild gleich hinauszahlen und still machen! »Dei Sach laßt dir holn, – selber kemma tuast mir net! Sinst kunnt sei ... daß ... « Er vollendet nicht.

Die Dirn steht vor ihm, hemdärmelig, in dem hochroten Wollunterrock, die Zöpfe lang herabhängend, weiß wie der Kalk bis in die Lippen, die sie fest aufeinanderpreßt. Ihre Augen sehen ihn an mit einem seltsamen Gemisch von Wut, Haß, Verzweiflung und trotzigem Stolz. Sie sagt kein Wort mehr.

Über den Hauser aber kommt jetzt der ganze Bauernstolz; seine Verachtung für »das Mensch« steigt mit jedem Augenblick, und schließlich gibt er diesem Gefühl Ausdruck, indem er noch einmal vor die Dirn hintritt, sie von oben bis unten betrachtet, wie der Schinder eine nichtsnutzige Kuh, vor ihr ausspuckt und mit den Worten: »Pfui Teife vor dir!« aufriegelt und geht. Hart schlägt hinter ihm die Haustür ins Schloß.

Die Hanni fährt zusammen und löscht eilends das Licht ab. – Droben erwacht die alte Wabn von dem Lärm, kriecht aus dem Bett und ruft hinunter: »Hanni, hast nix ghört? D' Haustür hat gscheppert!«

»Des is der Wind«, sagt die Hanni kurz, riegelt das Haus ab und legt sich zur Ruh, die sie aber nicht finden kann. Verspielt. Alles verspielt! Hundertmal fährt ihr dies Wort durch den Kopf, immer wieder, immer wieder. Herrgott, der verfluchte Ehrgeiz! Wie hatte sie getüpfelt, bedacht, überlegt, gehandelt! Immer wieder wollte das Schicksal trumpfen, sie hatte gestochen; und nun, da alles auf der letzten Karte stand, da Herz Trumpf war, da kam sie mit Schellen. Mit Habgier und Hitze. Ohne Überlegung stieß sie den Krug um, ehe sie trank ... »O i Rindviech!« Ein trockenes Weinen kommt über die Dirn. Wie schön war alles gegangen bisher! Wie sie den Simmerl damals eingefädelt hatte, daß er in sie verschossen war wie ein junger Geißbock! Wie sie das gut herausgebracht hatte, daß er sie angesetzt und unglücklich gemacht hätt und sie heiraten müßt! Und den Alten schon einmal so weit haben, ohne ihn zu fassen! – Und heut wieder! »O i Rindviech!« Noch oft sagt sie so; aber nach und nach wird der Grimm und die Verzweiflung doch milder; ihr Geist ermüdet, und das Weiterbohren und Sinnieren fällt ihr schwer und schwerer. Und endlich fallen ihr die Augen zu, und sie schläft einen schweren, bleiernen Schlaf.


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