Lena Christ
Die Rumplhanni
Lena Christ

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Der Bahnhof zu Ostermünchen steht öd und verlassen, da die Hanni dort ankommt. Etliche Lichter scheinen trüb durch den dichten Nebel, der ringsum schwer über dem Boden hängt, und ein alter Griesgram macht scheltend und brummend seinen Dienst. Die Uhr zeigt auf sieben.

Die Dirn tritt in die Halle und zum Schalter. Mit festem Knöchel klopft sie an die Scheibe. »He da! Eisenboh! I muaß auf Münka!« Ein Ruck, das Fenster wird scheppernd in die Höhe gerissen. Der Kopf des Herrn Bahnvorstands erscheint einen Augenblick in dem Guckloch. »Jetz geht kein Zug!« Rratsch. Der Kopf ist verschwunden, das Guckloch fällt zu. »Nachher wart i halt, bis oana fahrt, Rüappel!« sagt die Hanni gelassen und geht langsam und betrachtend in dem Raume auf und ab.

Nach geraumer Zeit kommt noch einer, der mit möchte – ein Soldat. Den fragt sie: »Wann fahrt er denn scho, der Zug?«

»In ana halben Stund«, sagt der Bursch; »i kaaf mir derweil no gschwind a Halbe, drent, beim Wirt.« Damit läßt er sie wieder allein mit ihren Gedanken, Plänen und Wünschen. Und sie überdenkt kurz ihre Zeit im Hauserhof, spürt noch einmal die Röte und Hitze einer zornigen Scham, die ihr jäh ins Gesicht fährt, da sie überlegt, wie sie den Karren hätt heimgebracht, wenn sie nicht so narret hätt am Zügel gerissen. Nun heißt's wieder von vorn anfangen. Aber: Fang ma halt nomal an! denkt sie. Glei frisch drauf los und mitten eine ins Glück! Wer woaß 's: hat mir koa Bauernhof ghört, werd mir scho a Stadtpalast ghörn, oder gar a Gschloß. Ein leises Lachen kommt sie an. »Is mir net angst! Wenns aa 's erschtemal is, daß i in d' Stadt kimm! Da werds scho aa ein Orts a Platzl gebn, wo i hinpaß.«

Etliche Reisende kommen an und bringen die Dirn aus ihren Betrachtungen. Sie löst ihre Karte für die Fahrt. Der Zug fährt ein. »Herrgott!« Ein Riß geht der Hanni durch die Brust!

Aber sie steigt frisch ein und setzt sich breit neben etliche Soldaten, die gleich ihr nach München fahren. Einer von ihnen, ein langer, schwarzäugiger Bursch, schielt sogleich begehrlich zu ihr herüber. »Wo fahrst aus, scheens Kind?« – »Mit der Postscheesn in Himmi!« sagt die Hanni lachend. Die andern schmunzeln. Der Lange aber meint: »Dees muaß aber a abscheulige Himmelfahrt sein, – so alloanig! – I moan, wennst mi als Schutzengel mitnahmst...« – »Nachher kaam i ganz sicher in d' Höll! Dees glaab i gwiß! Naa, i fahr liaber oaspanni, nachher werd mir doch mei Gaul net scheuch!« – »Aha, die kennt di, Brüaderl!« sagt dem Langen sein Nachbar. »Die bandelt net gern o mit an sechsfachen Raubmörder!« – »Aber mit so an Schinderhansl, wias du oana bist!« erwidert der andere grimmig; »mit so an boarischn Hias laßt sie si ein! Naa, Frailein, da bleibns scho liaber ledig und wern s' a Klosterfrau! – Dees hoaßt: wanns vielleicht doch a bisserl a Liab hätten zu an ordentlichen Menschen? ... « Die Hanni lacht vergnügt. »Dees müaßt i mir wohl erscht no a Zeitl überlegn!« sagt sie; »und bis dahin kunnt i dir leicht z' alt sein.« –

Der Zug hält. Allerhand Leute steigen aus und ein, und die Hanni betrachtet neugierig das Getriebe. Da hört sie hinter sich einen rufen: »Ja, was is denn dees! Der Knittl! Ja, grüaß di Good, Knittl! Wo fahrst zua, alter Pfannaflicker?« Sie fährt erschrocken zusammen. Der Knittl! Der Pfannenflicker! Ihr Vater!

Herrgott, das ging ihr jetzt gerad ab, daß der Alte sie sieht. Ängstlich duckt sie sich zusammen. Hinter ihr sagt der, den sie von Rechts wegen Vater nennen sollt, eben: »Ja, grüaß di Good aa, alter Spezl! Fahrst aa Münka zua?« Er fährt also auch nach der Münchnerstadt! Der Hanni steigt's schwül auf, und sie sucht mit den Blicken die Wagentür. Indes ihre Nachbarn scherzend fragen: »Alsdann, was is 's, scheens Kind? Wer derf mittoa bei dera Himmelfahrt?« Sie antwortet nicht; ihre Lippen pressen sich fest aufeinander, ihre Finger rupfen und zerren an den Fransen des Wolltuchs.

Und jetzt steht er auch schon da, der alte, vollbärtige Krauterer mit dem verpichten Gewand, dem der Schnupftabak in den Barthaaren hängt und das Wasser stetig aus den Augen tropft vom vielen Saufen. »Gibt's da aa koan Platz mehr für an oaschichtigen Handwerksburschen?« Die Hanni steckt den Kopf tief zwischen die Schultern; ihre Hände wischen im Gesicht herum. Aber: – »Jessas ... was siech i ... is dees net ... bist du net ... mei Hanni?« tönt's wie eine Posaun vom letzten Elend an ihr Ohr; »bist du net mei Hanni? ... Von der Rumplkathl a Tochta?« Ach, daß kein Spältlein in der Erden, kein Mausloch Erbarmen hat mit ihr! Gibt's denn keine Mauer, die sich herabsenkt vor ihr und sie unsichtbar macht vor ihm, dem alten Tropfen! Schaut nicht schon alles auf sie, auf ihr festliches Gewand – und betrachtet dann ihn und seine Haderlumpen! Ja, man schaut und horcht freilich! Sie spürts deutlich. Und denkt daran, daß sie, die Rumplhanni, zwar wohl das Kind dieser beiden Menschen ist, aber dennoch ein Waisl, das sein Lebtag jede Suppe allein auslöffeln mußte, und jeden Strumpf selber flicken, wenn er ein Loch hatte! Wer hat mir gholfa, wia i als arms Haderlumpadirndl auf Gemeindekosten von ana alten Bißgurrn schlecht gfuttert und schlecht ghalten wordn bin? – Neamd. I selber bin davon. Und daß mi d' Hauserin gnomma hat, is aa koa Werk von dene gwen, die heunt gern Kind zu mir sageten! So denkt die Dirn. Und da der Alte abermals fragt: »He, du, Dirndl! Di moan i! Bist du net d' Rumplhanni von Öd?«, da richtet sie sich straff auf und sagt eisigkalt: »Naa, da bist irr. So hoaß i net.« – »Bist du net beim Hauser von Öd Dirn gwen?« – »I kenn koan Hauser. I bin vo Rosenhoam.« Der Alte schaut sie immer noch an, forschend, fragend, wehmütig, enttäuscht. »Vo Rosenhoam. Ja, nachher hab i falsch gsehgn. Nachher sag i halt: Nix für unguat.«

Er kann sich nur schwer abwenden. Und da ers tut, rinnen ihm die Tränen dick über seine blauroten Backen, und er sagt: »Mei, wenn sie's aa waar,... mit mir kunnt s' alleweil koan Staat macha, mit mir alten Hallodri ... « Damit zieht er ein Schnapsglas aus dem Sack und trinkt, indes die Hanni bleich und rot wird und sich wie von tausend Hunden gehetzt vorkommt. Er setzt sich nun zu seinem Kameraden, der Pfannenflicker. Mit zitternder Hand bietet er ihm die Schnupfdose, das Schnapsglas. »Da, alter Spezl, schnupf amal. Und trink amal. Is a guater Enzian. Weils gleich is. Weil i heunt amal wieder woaß, daß i a alter Lump bin und a Lump war meiner Lebtag. Bist no alleweil billiger Jackl?« Der Freund bejaht. Und schnupft und trinkt.

Da hält der Zug in Grafing. Allerhand Reisende, Bauern, Bäuerinnen, Soldaten und junge Weiberleut steigen ein, so daß der Wagen gedrückt voll wird. Der alte Knittl lacht. »Da schau her, Jackl! Da gehts zua, wia wenn Kirtamarkt wär oder d' Jakobidult!« Der billige Jakob nickt. Und trinkt wieder von dem Enzian des Freundes. Da steigt einer ein, der hat kaum den billigen Kaufmann erblickt, als er auch schon schreit: »Ei, ei! Wen siech i da! An Jackl, den Spitzbuam! Was hast gsagt, wiast mir die selbig Bettdeckn aufghängt hast? 'Da legst di eine mit deiner Bäuerin', hast gsagt, 'und raus gehst nimmer, bis daß der Kriag gar is!' Und jetz muaß i einrucka!« Der Jackl schmunzelt. »Jetz der is guat!« meint er. »Der denkt, wann er bei mir Kundschaft is, nachher wird er für unabkömmlich erklärt! Mei Liaber, du gfallst mir! Du hast dir dein Orden scho verdeant! Für di waars schad, wann s' di amal derwischetn, d' Franzosen oder d' Russen!« Er gibt dem alten Knittl die leere Flasche wieder zurück. »Da, alter Schwed. Guat is er gwen. Der macht an Toten lebendig.« Bald ist eine gute Unterhaltung zwischen den dreien im Gang, der Kaufmann macht seine trockenen Witze, und der alte Pfannenflicker vergißt vor lauter Lachen, daß er vor kaum einer halben Stunde erinnert wurde an seine Jugend, an eine bewegte Zeit und an ein Maidl, das da zu ihm sagen müßt: Vater.

Die Hanni aber ist verschwunden. In Grafing ist sie ausgestiegen, hat sich einen andern Wagen ausgesucht und sitzt nun mit ihren Gedanken und Plänen einsam in einem Abteil für Frauen. Und der Zug eilt dahin und bringt sie der Stadt immer näher, immer näher ihrem ferneren Geschick, Glück oder Unglück. Nachdenklich lehnt sie am Fenster und blickt hinaus in die schweigende Nacht, sieht die Lichter der Wohnstätten an sich vorübergleiten und gewahrt weit hinten im Nebel die leuchtende Helle der Großstadt mit ihren ungezählten Lichtern. Und plötzlich beginnt ihr das Blut laut und stürmisch in den Adern zu schlägeln, eine große Angst vor der weiten, fremden Stadt kriecht in ihr herauf. Doch tapfer wehrt sie dem Gefühl und würgt es hinab.

Und da der Zug immer näher dem rötlichen Schein des Lichtmeers kommt, da der Schattenriß der Münchnerstadt sich immer weiter vor ihren Augen ausbreitet, da wird ihr Blick wieder klar, ihr Gesicht hart und entschlossen. Sie richtet sich zum Aussteigen und erwartet stehend das Ende der Fahrt. Und als endlich der Ruf: »Ostbahnhof! München Ostbahnhof!« an ihr Ohr dringt, da reißt sie ungeduldig an der Tür, springt frisch aus dem Wagen und trabt wohlgemut den andern Reisenden nach, die hastend aus dem Bahnhof und über den Platz zur Straßenbahn eilen.

Schreiend und scheltend drängt sich die Menge in die Wagen; die Hanni aber spürt keine Lust, ins Ungewisse hineinzufahren, hebt vielmehr vorsorglich den Rock hoch, damit der Straßenkot ihn nicht bespritze, und stapft den Schienen entlang die Straßen dahin bis zur Isarbrücke. Da bleibt sie staunend stehen. Glitzernd und schillernd eilen die Wasser des Isarflusses dahin; Türme, Giebel und hohe Paläste ragen in die neblige Nacht, indes Hunderte von Lampen und Lichtern die Straße taghell machen und das Auge blenden. Hastend und unruhig wogt der Strom von Menschen an ihr vorüber, Karossen und Wagen eilen hin und wider, und mit viel Lärm bringt die Straßenbahn ihre Fahrgäste dahin, dorthin, irgendwohin. Lange steht sie da, die Dirn, und schaut. Und kommt sich klein und immer kleiner vor in diesem endlosen Gewurle und Getriebe. Wieder steigt die Angst in ihr auf. Aber wieder drückt sie das Gefühl nieder und geht frisch weiter, dem Isartor zu. Und denkt: »Groß is s', d' Stadt, und weit is s' aa; nachher wird si scho für mi aa ein Orts a Hoamatl finden und a Kuah zum melken!«

 

Grasgrea is die Hollerstaudn,
Schneeweiß is die Blüah,
Dirnderl, i hätt di gern,
Wia is denn dir?

D' Kerschbaam blüahn aa wia Schnee,
Is Liabn braucht an Fleiß,
Dirn, trau dem Büaberl net,
Er führt di aufs Eis!

 

Die Hanni steht zaghaft vor dem alten Gasthof, drunten im Tal. Schreien und Lachen dringt daraus, Gäste kommen und gehen, eine laute Musik übertönt zeitweise den Lärm. Ein altes Weib mit pergamentenen Zügen und langen Ohrgehängen kniet in der Toreinfahrt vor einem Ofen, fächelt mit einem rußigen Flederwisch in die schlafende Glut, daß sie zur bläulichen Flamme auflebt, und sagt dazu, so oft jemand vorbeigeht: »Heiße Maroni, Herr! Gute, heiße!« An diese Alte wendet sich die Hanni. »Muada, woaßt nix, ob i da drin über Nacht bleibn konn?« – »Da drin? O ja! Freilich wohl! Ganz gut!« Sie steht auf und schüttelt die Kastanien auf dem Röstblech durcheinander. Die Hanni schaut ihr unschlüssig noch eine Weile zu, dann tritt sie ein in die Gaststube.


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