Anton Tschechow
Von Frauen und Kindern
Anton Tschechow

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III

Am zweiten Pfingstfeiertag kaufte Dymow einige Delikatessen und Konfekt und fuhr am Nachmittag zu seiner Frau in die Sommerfrische hinaus. Er hatte sie schon seit zwei Wochen nicht gesehen und sehnte sich nach ihr. Während er im Eisenbahnwagen saß und später im Walde seine Sommerwohnung suchte, fühlte er Hunger und Müdigkeit und dachte nur daran, wie er mit seiner Frau zu zweit zu Abend essen und dann fest einschlafen würde. Mit Vergnügen betrachtete er sein Paket, das Kaviar, Käse und Weißlachs enthielt.

Als er endlich seine Sommerwohnung fand und erkannte, ging schon die Sonne unter. Die alte Dienstmagd sagte ihm, daß die Gnädige nicht zu Hause sei und wohl bald kommen würde. Das recht unansehnliche Landhaus mit den niederen, mit Papier beklebten Decken und unebenen Fußböden voller Ritzen enthielt bloß drei Zimmer. In dem einen stand ein Bett, im zweiten lagen auf Stühlen und Fensterbänken Keilrahmen, Pinsel, fettige Papiere und Herrenmäntel und Hüte herum, und im dritten traf Dymow drei ihm unbekannte Männer. Zwei von ihnen hatten schwarze Vollbärte, der dritte aber war bartlos und dick, anscheinend ein Schauspieler. Auf dem Tische kochte ein Samowar.

»Was wünschen Sie?« fragte der Schauspieler mit einer Baßstimme, Dymow recht unfreundlich musternd. »Sie suchen wohl Olga Iwanowna? Warten Sie eine Weile, sie muß gleich kommen.«

Dymow setzte sich hin und begann zu warten. Der eine von den Schwarzbärtigen blickte ihn verschlafen und gleichgültig an, schenkte sich ein Glas Tee ein und fragte:

»Wollen Sie vielleicht Tee?«

Dymow hatte zwar Hunger und Durst; da er sich aber den Appetit nicht verderben wollte, verzichtete er auf den Tee. Bald darauf erklangen Schritte und ein ihm wohlbekanntes Lachen; die Tür ging auf, und ins Zimmer stürzte Olga Iwanowna in einem weitkrempigen Hut, mit einem Malkasten in der Hand; ihr folgte mit einem großen Schirm und einem Klappstuhl, lustig und rotbäckig, Rjabowskij.

»Dymow!« rief Olga Iwanowna und wurde vor Freude ganz rot. »Dymow!« rief sie noch einmal und schmiegte ihren Kopf und beide Hände an seine Brust. »Du bist es! Warum bist du so lange nicht gekommen? Warum? Warum?«

»Wann soll ich denn herkommen, Mama? Ich bin immer beschäftigt, und wenn ich mal freie Zeit habe, so paßt der Fahrplan nicht.«

»Aber wie freue ich mich, dich zu sehen! Die ganze Nacht träumte ich von dir und fürchtete immer, du seist erkrankt. Ach, wenn du nur wüßtest, wie lieb, wie willkommen du mir bist! Du wirst mein Retter sein. Du allein kannst mich retten! Morgen soll hier eine höchst originelle Hochzeit stattfinden,« fuhr sie fort, lachend und ihrem Manne die Krawatte bindend. »Der Bräutigam ist ein junger Telegraphist von der Bahnstation, ein gewisser Tschikeldejew. Ein hübscher junger Mann, gar nicht dumm, und hat im Gesicht etwas Starkes, weißt du, etwas von einem Bären . . . Er könnte als Modell zu einem Warjagen dienen. Wir, alle Sommerfrischler, nehmen an ihm großen Anteil und gaben ihm das Ehrenwort, zu seiner Hochzeit zu kommen . . . Der Mann ist nicht reich, einsam, und schüchtern, und es wäre Sünde, ihm die Anteilnahme zu verweigern. Denke dir nur: gleich nach der Morgenmesse ist die Trauung, dann gehen alle zu Fuß von der Kirche zum Hause der Braut; stell' es dir nur vor: wir gehen durch den Wald, die Vögel singen, überall im Grase Sonnenreflexe, und wir alle bilden bunte Flecken auf grellgrünem Grund – furchtbar originell, ganz im Stile der französischen Impressionisten. Dymow, was soll ich aber zur Trauung anziehen?« fragte Olga Iwanowna mit klagender Miene. »Ich habe hier nichts, buchstäblich nichts! Weder ein Kleid, noch Blumen, noch Handschuhe . . . Du mußt mich retten. Wenn du schon mal hergekommen bist, so will es wohl das Schicksal, daß du mich rettest. Liebster, nimm die Schlüssel, fahr' nach Hause und hol' aus der Garderobe mein rosa Kleid. Du kennst es, es hängt gleich vorn . . . Dann findest du in der Kammer rechts auf dem Fußboden zwei Pappschachteln. Wenn du die obere aufmachst, so siehst du nur Tüll und Tüll und allerlei Reste, und darunter liegen die Blumen; nimm die Blumen vorsichtig heraus, gib dir Mühe, sie nicht zu zerdrücken und bring' sie her, ich werde selbst die richtigen auswählen . . . Und dann kauf mir auch Handschuhe.«

»Gut!« sagte Dymow. »Ich fahre morgen in die Stadt und schicke alles her.«

»Wieso morgen?« fragte Olga Iwanowna und blickte ihn erstaunt an. »Ist denn morgen noch Zeit! Der erste Zug geht um neun Uhr, und die Trauung ist um elf. Nein, Schatz, es muß heute geschehen, unbedingt heute! Wenn du morgen keine Zeit hast, so schicke die Sachen mit einem Dienstmann. Geh nun . . . Gleich muß der Personenzug abgehen. Komm nicht zu spät, Liebster!«

»Ach, wie leid es mir tut, dich wieder fortzuschicken,« sagte Olga Iwanowna mit Tränen in den Augen. »Und warum habe ich dumme Gans dem Telegraphisten das Wort gegeben?«

Dymow trank schnell sein Glas Tee aus, nahm einen Kringel und ging, mild lächelnd, zur Station. Den Kaviar, den Käse und den Weißlachs verzehrten aber die beiden Schwarzbärtigen und der Schauspieler.


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