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Das Volk

Das kleine Volk

»Sie haben gesagt, daß zum Staat und zur Kirche in neuerer Zeit auch das Volk als politischer Hauptfaktor hinzugekommen ist.«

Ja, aber sehr spät. Nationalismus und Sozialismus sind die jüngsten politischen Kräfte; daher ist noch soviel Gährung in ihnen. Früher gab es keine nationalen Fragen; die Kirche verband durch ihren Universalismus alle Nationen, die Staaten waren dynastisch und territorial, aber nicht national. Gewiß, es gab eine Xenophobie, man findet sie schon bei unserem Dalimil Das erste in tschechischer Sprache verfaßte historische Werk, eine gereimte Chronik aus dem 14. Jahrh. (Anm. d. Übers.); aber der bewußte Nationalismus ist erst ein Kind des verflossenen Jahrhunderts. Heute sind alle Staaten im Wesen national; heute gibt es, wenigstens in Europa, nicht mehr das brennende Problem von freien und unfreien Nationen, sondern von großen und kleinen Nationen, von mächtigen und zahlenmäßig schwächeren Staaten.

Ich weiß, daß die Quantität bei einem Volke viel bedeutet. Die Zahl der Soldaten und die Wucht der Zahl sind einleuchtend; auch die wirtschaftliche Kraft hängt von der Anzahl der Arbeitenden ab. Alle Arbeit, die körperliche wie die geistige, läßt sich bei einer größeren Anzahl von Händen und Hirnen besser einteilen; das beeinflußt die Quantität und die Qualität der Erzeugung, die Fähigkeit zum Wettbewerb und so weiter. Und schließlich die Größe des Gebietes – auch ein ausgezeichneter Vorteil!

Dennoch entscheidet die Zahl nicht in allem. Wir haben Beispiele genug, daß kleinere Staaten größeren erfolgreich Widerstand geleistet und sie geschlagen haben; ebenso hängt in der Literatur und Kunst, im ganzen Bereich der Kulturarbeit die Qualität nicht von der zahlenmäßigen Kraft ab. Man weist da auf die Bedeutung der italienischen Städte oder der deutschen Hansa hin, auf das alte Athen, die alten Juden und so weiter. Man hat auch die Frage gestellt, ob die großen oder die kleinen Nationen glücklicher seien; man vergleicht Holland, Dänemark und andere mit Rußland, China, Indien. Aber wer und womit kann man das menschliche Glück messen?

In Europa gibt es fünf Großmächte der großen Nationen, zwei sind mittelgroß und fast dreißig klein. Um es in einem Wort zu sagen: es handelt sich darum, daß die Großen den Kleineren und Kleinen Ruhe geben! Schon vor dem Krieg hat mich das Schicksal der kleinen Nationen angezogen; ich habe nur den einen Weg gesehen – politische Zusammenarbeit und wirtschaftliche und kulturelle Wechselseitigkeit. Während des Krieges hielt ich es für selbstverständlich, daß alle unterdrückten Nationen befreit werden müßten, wenn wir selbst befreit werden sollten; die Frage der kleinen Nationen war mir eben eine Weltfrage. Ich möchte das so sagen: Die großen Staaten und Völker sind Weltstaaten und -völker durch ihre eigene Kraft und Zahlenstärke; die kleineren Völker müssen es eben wegen ihrer relativen Kleinheit und Schwäche sein. Ein gutes Beispiel für das, was ich meine, ist die Kleine Entente, heute auch schon der Balkanbund und anderes.

Wichtig ist, zu verstehen, daß sich das moderne Nationalgefühl gleichzeitig mit dem Gefühl der Internationalität entwickelt hat. Nationalität und Internationalität schließen sich nicht aus, sondern gleichen sich aus. Die Völker sind nicht durch die Internationalität bedroht, sondern durch andere, wie wir zu sagen pflegen, expansive Nationalismen. Die moderne Internationalität, wie sie vom Völkerbund und anderen Organisationen vorgestellt wird, ist ein bedeutungsvoller Vorteil gerade in nationalem Betracht.

Große und kleine Nationen sind schließlich nicht mit unwandelbarer Gültigkeit gegeben; die großen können mit der Zeit relativ klein werden, die kleinen größer und groß. Wir haben heute schon verheißungsvolle Anfänge wissenschaftlicher Bevölkerungspolitik; die Statistik bietet den Staatsverwaltungen, Staatsmännern und Historikern wichtige Zahlen. Heute läßt sich Verwaltung und Politik nicht mehr aufs Geratewohl betreiben; wir müssen damit rechnen, wieviel und was für Einwohner da sind, wieviel Arbeiter, wieviel Arbeitslose, wieviel Einwohner jährlich auswandern können und so weiter. Wir spüren bereits, daß Amerika nicht mehr unsere Emigranten aufnimmt wie früher; an Italien, Japan, Deutschland sehen wir, wie die Furcht vor Übervölkerung sich auswirkt. Heute kann kein Staatsmann und Administrator den Bevölkerungsproblemen aus dem Weg gehen, auch Ethiker, Geistliche und Ärzte befassen sich mit ihnen. Das ist ein weiterer Beweis dafür, daß die Politik, ob sie will oder nicht, wissenschaftliche Politik werden muß.

Vor dem Krieg berechnete man, wie die einzelnen Nationen in fünfzig, hundert Jahren sich vermehrt haben würden, die Franzosen wurden als ein zahlenmäßig niedergehendes Volk angesehen. Heute weisen Statistiker, und zwar gerade deutsche, darauf hin, daß die zahlenmäßige Stärke der deutschen Nation auch bereits sinke; das künftige Europa werde überwiegend slavisch sein. Für uns ist es wichtig, daß in der Slovakei die Bevölkerung schneller zunehmen wird als in den historischen Ländern; unsere Deutschen sind etwas weniger fruchtbar als die Tschechen. Das alles hat für die nicht ferne Zukunft eine beträchtliche politische Bedeutung, und voraussehende Regierungen werden daran denken.

»Rechtfertigt diese zahlenmäßige Zunahme der Slaven ein panslavisches Programm?«

Vorsicht mit dem Wort: Programm. Gewöhnlich pflegt es schrecklich unbestimmt zu sein – schon Neruda hat »das slavische Geschwätz« mißfallen. Es gibt ja soviel Gegensätze unter den slavischen Völkern; auch wir haben sie. Heute sind alle slavischen Völker bis auf die Lausitzer frei, wir werden uns deshalb jeder vor allem um die Hebung seines Volkes kümmern. Als selbständiger Staat werden wir uns um die Freundschaft mit den Slaven bemühen; dazu zwingt uns auch der Umstand, daß wir gemeinsame Gegner haben.

Ich unterschätze nicht den Gefühlswert der slavischen Wechselseitigkeit; aber ich sehe in ihm eine Stufe zu einer breiteren und der breitesten Wechselseitigkeit. Schon Kollar verkündete neben der slavischen auch die Wechselseitigkeit mit den nichtslavischen Nationen!

Die Liebe zum Volke

»Oft wird bei uns die Frage nach unserem nationalen Charakter gestellt. Die Romantiker sprachen von der Taubennatur; heute legt man mehr Nachdruck auf die nüchternen, praktischen Züge unseres Wesens. Wie sind wir also eigentlich?«

Das ist schwer zu sagen. Ich bin skeptisch gegenüber den geläufigen Definitionen des nationalen Charakters; auch denen gegenüber, die andere Nationen von sich geben. Waren Žižka oder Hus, Chelčický und Komenský echte Tschechen? Dobrovský, Palacký und Havlíček oder Hanka und Jungmann? Ich habe das Buch eines Schweizer Autors über das »doppelte Frankreich« gelesen. Man klagt über unsere Zwietracht, als wäre sie bezeichnend tschechisch und slovakisch, aber die Deutschen erheben wörtlich dieselbe Klage und so weiter. Das Problem wird verwickelter, wenn wir fragen, wo und wie sich der nationale Charakter in verschiedenen Zeiten ändert und ob es charakteristische Eigenschaften gibt, die unverändert bleiben. Auch fällt ins Gewicht, daß seit den ältesten Zeiten bis heute die Völker und Rassen sich stark vermengen.

Und weiter: wie und bis zu welchem Grade schafft der nationale Charakter die wirtschaftlichen Verhältnisse, Wohlstand, Armut, Ernährung und Beschäftigung, Technik, Kultur, Religion und Sittlichkeit, Hygiene und so weiter? Und andererseits muß man überlegen: wie sind die wirtschaftlichen Verhältnisse, wie Religion und Sittlichkeit, wie die Kultur überhaupt und bis zu welchem Grade durch den Nationalcharakter bestimmt? Ist zum Beispiel die Mathematik national bestimmt, hat die französische oder englische Mathematik irgendeinen bestimmten Wesenszug und welchen? Ist der Katholizismus wesentlich romanisch, der Protestantismus germanisch, die Rechtgläubigkeit slavisch?

Ich bestreite nicht, daß die Völker ihren geistigen und körperlichen Charakter haben, aber ich halte die anthropologischen und ethnologischen Erkenntnisse noch nicht für sicher genug, um aus ihnen die Geschichte der Völker zu erklären und die richtige Politik aufzubauen.

In unserer Geschichte fehlen vor allem fast drei Jahrhunderte des vollen und freien politischen und geistigen Lebens; daraus erkläre ich mir eine gewisse Unfertigkeit unserer Politik; ich führe unsere Mängel in der Politik nicht auf den Charakter des Volkes zurück.

»Dann: als Gesellschaft sind wir ohne Tradition. Die populäre Bauerntradition ist gebrochen, und eine andere haben wir nicht. Fast alle sind wir aus Bauernhütten hervorgegangen und hatten bisher keine Zeit, uns zu formen.«

Und weiter: wie lange ist es her, daß die Mähren sich für etwas anderes hielten als die Tschechen und daß man vom mährischen Volk gesprochen hat? Und jetzt sind die Slovaken zu uns gekommen, und man spricht von zwei Völkern. Es handelt sich nicht nur um die Erfassung des Charakters der Nation, sondern auch des Charakters verschiedener Gegenden. Was für ein Unterschied ist zum Beispiel zwischen einem mährischen Wallachen und einem Hanaken? Ich wiederhole deshalb: Wir haben in Unfreiheit gelebt, und jede Unfreiheit hindert den Charakter, sich nach seinem inneren Gesetz voll zu entwickeln und zu entfalten.

»Das sieht man auch in unserer Literatur. Wir haben eine gute Lyrik, aber Roman und Drama fehlen uns. Zur Lyrik genügt das persönliche Leben; Roman und Drama setzen die gesammelte Erfahrung von Generationen voraus; Romane sind das Werk eines ganzen Jahrhunderts.«

Ja – ein kleines Gedicht, das aus einem echten starken Gefühl quillt, gelingt vielen Dichtern. Aber es ist eben nur der Ausdruck eines bestimmten persönlichen Gefühls; etwas anderes ist der Roman und das Drama, auch das Epos, das die künstlerische Beobachtung des Volkes, der Gesellschaft, der Klassen, Stände und so weiter voraussetzt. Ausländer sagen von uns, daß wir begabt, praktisch, arbeitsam seien – nun Gott sei Dank auch dafür. Unser Bauer und unser Arbeiter gehören wirklich zu den besten; die städtischen und intellektuellen Schichten sind noch unfertig; aber wir Tschechen haben ja erst vor sechzig, achtzig Jahren angefangen, uns zu verstädtern. Ich erinnere mich noch, was das für bescheidene Anfänge waren und kann sagen, was für ein beträchtliches Stück Weges wir seither zurückgelegt haben.

Wir brauchen fünfzig Jahre ungestörter Entwicklung, um dort zu sein, wo wir schon heute sein möchten. Das ist kein blindes Vertrauen in unsere Fähigkeit und Zähigkeit – unsere Geschichte, wenn sie auch etwas unregelmäßig ist, die Tatsache, daß wir uns in großen politischen Stürmen gehalten und daß wir im Weltkrieg den Staat zu erneuern verstanden haben, das alles zeugt von unserer politischen Fähigkeit. Ich glaube, nicht zu übertreiben, wenn ich sage, daß unsere Geschichte eine der interessantesten ist; wir sind tüchtige Leute, treten aber häufig daneben. Ich finde bei deutschen Anthropologen Indices von Schädeln und Gehirnen, die uns unter die ersten Nationen einreihen; wir sind begabt, das ist wahr, sind aber etwas unbeständig, nicht besonnen genug und politisch sozusagen grün. Die politische Unerfahrenheit ist ein Nährboden der Demagogie, und von der haben wir mehr als genug. Das Gerede über eine Krise der Demokratie und die Mängel des Parlamentarismus hat in hohem Maße seinen Ursprung in der unzulänglichen Erfahrung; daher auch die Nachäffung fremder politischer »Ismen« – kurzum, man denkt nicht genug selbst und nach eigener Weise. Wir haben uns in Österreich an die Verneinung des Staates gewöhnt, das war eine Folge der Knechtschaft; wir haben uns gar eingebildet, nicht mehr selbständig sein zu können. Das ging zu weit, mit dieser Ansicht habe ich mich niemals befreunden können; aber ich habe gewußt, daß unterdrückte, unfreie, durch Knechtschaft deformierte Menschen nicht leicht und nicht im Handumdrehen auch geistig frei werden. Deswegen negieren noch heute soviel Menschen bei uns den Staat, aus Mißtrauen, aus Abneigung gegen die Staatsverwaltung, aus einem falschen Verhältnis zu ganzen Schichten von Mitbürgern – drastisch gesagt: Es gibt noch Leute, die eher zum Dieb als zum Schutzmann halten. Unsere Menschen haben gewiß eine patriotische Tradition, sind aber oft zu unstaatlich, antistaatlich, geradezu anarchisch; sie werden sich nicht bewußt, daß das der Zustand des alten Österreichertums ist. Sich entösterreichern, das bedeutet, den Sinn für Staat und Staatlichkeit, für die demokratische Staatlichkeit gewinnen. Das müssen wir nicht allein von der Bürokratie und der Armee fordern, sondern von der ganzen Bevölkerung. Und nicht nur von der tschechischen und slovakischen.

Die Demokratie muß lebendiger und flinker sein als das alte Regime, besonders bei uns. Wir müssen immer daran denken, daß wir eine kleine Nation in ungünstiger geographischer Lage sind; praktisch fordert das von uns, wacher zu sein, mehr zu denken, mehr zu können als die anderen oder nach Palacký: jeder bewußte Tscheche und Slovak muß dreimal soviel tun wie die Mitglieder großer, in vorteilhafter Lage befindlicher Nationen. Bedenken Sie nur, daß jeder Gebildete bei uns wenigstens zwei fremde Sprachen lernen muß. Was kostet das an Zeit und Arbeit, aber was ist es auch für ein Gewinn nicht nur für die Bildung, sondern auch für die praktische Beziehung zu den Nationen! Und so ist es mit allem: wenn wir in Ehren bestehen sollen, müssen wir unser großes politisches und kulturelles Streben intensivieren. Das kostet Mühe, aber wer sie sich nicht nehmen will, der rede nicht von Nation und Patriotismus.

Die wahre Liebe zum Volke ist etwas sehr Schönes; bei einem anständigen und ehrenhaften Menschen versteht sie sich von selbst; darum redet er nicht viel von ihr, so wie ein anständiger Mann seine Liebe zur Frau, zur Familie und so weiter nicht in die Welt hinaustrompetet. Die echte Liebe gewährt Schutz, bringt Opfer – und vor allem arbeitet sie. Zur Arbeit für Nation und Staat bedarf es eines klaren, vernünftigen, politischen und kulturellen Programms, das bloße Eifern und Sichaufregen genügt nicht. Es ist ja ein Unterschied zwischen Patriotismus und Patriotisiererei.

Unsern Patriotismus müssen wir jetzt in bewußter Staatlichkeit äußern. Zwar gehört der Staat uns, ist unser nach dem historischen Recht, nach dem Mehrheitsprinzip und aus dem Titel, daß wir ihn errichtet haben, doch haben wir bedeutende Minderheiten, und deshalb müssen wir uns des Unterschieds zwischen Staat und Volk bewußt sein. Das Volk ist eine kulturelle Organisation, der Staat eine politische. Wir haben Aufgaben für das Volk und Aufgaben für den Staat. Selbstverständlich können sie nicht im Gegensatz zueinander stehen. Diesen Staat haben wir errichtet, wir müssen ihn führen und verwalten können; es ist unsere Aufgabe, für die Idee unserer demokratischen Republik die Minderheiten, mit denen wir leben, zu gewinnen. Ihre Stärke und Kultur legt uns und ihnen die Notwendigkeit einer demokratischen Verständigung auf. Das Vorgehen gegenüber den Minderheiten ist uns praktisch durch unsere Erfahrung in Österreich-Ungarn vorgezeichnet; was wir nicht wollten, daß uns geschehe, werden wir den anderen nicht antun. Das Programm des Vaters der Nation, Palackýs, gilt für uns und die Zukunft. Unsere Geschichte, die Politik der Přemysliden, des heiligen Wenzel, Karls IV., König Georgs muß das Vorbild unserer Politik gegenüber unseren Deutschen sein. Die Tatsache, daß wir rings vom großen deutschen Nachbar umgeben sind, nötigt den denkenden Tschechen zu einer umsichtigen und geradezu weisen Politik.

»Gibt es nicht manchmal einen Konflikt zwischen der Liebe zur Nation und der Humanität oder sagen wir anders: zwischen dem Nationalismus und humanitären Idealen wie Pazifismus, Völkerverständigung und dergleichen?«

Zwischen der Liebe zum Volke, der Liebe zum Vaterland und der Humanität besteht kein Gegensatz; zwischen modernem Nationalismus und der Humanität kommt er vor. Schon das fremde, neue Wort deutet an, daß der Patriotismus, wie unsere Erwecker ihn gefordert und gelebt haben, etwas anderes ist als der heutige Nationalismus.

Was unser nationales Programm betrifft, so erinnern Sie sich dessen, was ich Ihnen über die Entwicklung Europas und unserer Geschichte gesagt habe, daß wir nämlich Weltpolitik treiben müssen, also in lebendiger und freundschaftlicher Beziehung stehen zu den anderen Nationen. Unsere nationale Erweckung ist ein Kind der Aufklärung und der späteren Romantik, sie wurde aus den Humanitätsidealen des 18. und 19. Jahrhunderts geboren, die in Frankreich, Deutschland und überall verkündet wurden. Die Humanität ist unser nationales Programm, das Programm Dobrovskýs, Kollars, Palackýs, Havlíčeks und schon Komenskýs, der Könige Georg und Karl und des Heiligen Wenzel.

Die Humanität schließt die Liebe zur Nation nicht aus, noch schwächt sie sie; ich kann, ja ich muß mein Volk positiv lieben, muß aber deswegen nicht andere Nationen hassen. Echte Liebe wird nicht durch Haß, sondern nur durch Liebe bewiesen. Die Menschheit ist die Zusammenfassung der Nationen, sie ist nicht etwas außerhalb ihrer und über ihnen. Die Humanität, die Liebe nicht nur zu den Nachbarn, sondern zur Menschheit – wie soll ich mir diese Menschheit konkret vorstellen? Ich sehe ein armes Kind, dem ich helfen kann – das Kind ist mir die Menschheit. Die Gemeinde, mit der ich ihre Sorgen trage, das Volk, mit dem ich durch Sprache und Kultur verbunden bin – sie sind die Menschheit. Die Menschheit ist einfach die größere oder kleinere Zusammenfassung der Menschen, für die wir faktisch, durch die Tat und nicht nur durch Worte etwas tun können. Menschlichkeit liegt nicht darin, daß wir uns über die ganze Menschheit ereifern, sondern daß wir stets menschlich handeln. Wenn ich von der Politik fordere, sie solle der Menschheit dienen, so sage ich dadurch nicht, sie solle nicht national, sondern sie solle gerecht und anständig sein. Das ist alles.

Sowohl als Einzelmenschen als auch als Nationen sind wir nicht nur dazu da, unseren egoistischen Zwecken nachzugehen. Ein Volk, das nur für sich leben würde, wäre ebenso erbärmlich wie ein Mensch, der nur für sich lebt. Ohne Glauben an Ideen und Ideale ist das Leben des einzelnen sowie der Völker nur ein Vegetieren.

»Das ist allerdings das politische Credo eines Idealisten.«

Keineswegs, sondern eines Realisten in der Philosophie und in der Politik. Politisch bedeutet der Realismus für mich: Verliere dich nicht in Erinnerungen an eine ruhmreiche Vergangenheit, bemühe dich um eine ruhmreiche Gegenwart; halte dich nicht nur an Losungen und Worte, sondern an Dinge, denn dann kannst du die Dinge verbessern und in Ordnung bringen; fliege nicht in den Wolken, sondern halte dich an die Erde, sie ist das Sicherste und Unzweifelhafteste. Welcher Sache du auch immer dienst, halte dich an die Realität.

»Nur an die Realität?«

Ja, aber die Realität ist doch auch das Geistige, die Seele, die Liebe, die sittliche Ordnung, Gott und Ewigkeit. Erst mit ihnen leben wir ein volles Leben in voller, ganzer Wirklichkeit, ob es sich nun um das Leben des Einzelnen oder die Geschichte der Nationen handelt. Erst dieses volle Leben ist ohne inneren Widerspruch, erst ein solches Leben hat einen wahren und klaren Sinn ...

»– und ist ein glückliches Leben.«

Jawohl.


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