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7. Kapitel

Als Harding nach seiner Unterredung mit Chipperfield seine Wohnung verließ, um sich in die Zeitungsexpedition zu begeben, sah er einen etwas schäbig gekleideten Mann am Torweg stehen, der ihm, wie er bald merkte, heimlich nachging.

»Aha!« dachte der junge Literat, »Reverend Mauler hat also wirklich den Detektiv Pinkerton angestellt. Na, ich gratuliere dem Spürhund heute zu seinem Tagewerk. Bin gerade in der Stimmung, einen tüchtigen Spaziergang zu machen und ihn ordentlich in Atem zu halten.«

Er gab sein Inserat ab und schlenderte dann gemächlich durch den »Strand« bis zur Katharine Street. Hier suchte er einen Kollegen auf, durch den er Hamilton Ferrars telephonisch bitten ließ, ihn zu einer bestimmten Stunde am Hammersmith Platz zu treffen.

Nachdem er alsdann in einem Restaurant ein gutes Frühstück eingenommen hatte, begab er sich, seinen Verfolger stets hinter sich, nach Hammersmith, wo Ferrars ihn bereits erwartete.

»Tut mir leid, Freund, Dich so weit hierher bestellt zu haben,« begrüßte er den jungen Maler, »allein ich darf es nicht mehr wagen, Dich zu besuchen. Ich stehe nämlich unter Überwachung. Wie geht es – – –« Er brach ab, der aufleuchtende Blick seiner Augen jedoch verriet, was er nicht aussprach.

»Es geht ihr gut,« versicherte Ferrars, aus Vorsicht keinen Namen nennend, »natürlich etwas ängstlich und niedergeschlagen, aber doch froh, Schutz gefunden zu haben. Doch Du sprachst von Überwachung. Wo ist denn Dein Schatten?«

»Still! Siehst Du nicht dort drüben auf der anderen Seite der Straße den gelbsüchtig aussehenden Gesellen?« flüsterte Harding. »Ich habe ihn ordentlich auf dem Strich und mach' ihm seine Arbeit nicht leicht. Wir dürfen übrigens ungestört plaudern, denn er wird sich schwerlich so nahe wagen, um uns verstehen zu können. Vor allem möchte ich Dir sagen, daß ich ein Inserat für den Vermißten einrücken ließ.«

»Und Du versprichst Dir Erfolg davon?« warf Ferrars zweifelnd ein. »Wird er zwangsweise zurückgehalten, dürfte er Dir schwerlich schreiben können; im anderen Falle, wenn er sich aus persönlichen Gründen fern hält, glaube ich kaum, daß er von Deinem Inserat Notiz nehmen würde.«

»Diese Ansicht teile ich nicht,« entgegnete Harding. »Ich nehme vielmehr an, daß einer von der Bande – und wir kennen deren bereits drei – die Annonce sicher lesen und darauf antworten wird, natürlich in Erwartung eines guten Lohnes für seine Angaben betreffs des Vermißten.«

»Wäre es nicht möglich, daß Herr Windham auf eigene Faust fortgegangen ist, weil er es zu Hause nicht mehr aushielt?«

Harding mußte unwillkürlich lachen. »Der auf eigene Faust fortgehen? Niemals. Das eiserne Regiment seiner gestrengen Ehehälfte mag ihn ja sehr drücken, allein bei seinem Mangel an Willenskraft, seiner angeborenen Schüchternheit würde er es nie wagen, einen Skandal zu provozieren.«

»Dann bleibt das Rätsel vorläufig ungelöst,« bemerkte Ferrars. »Das Fehlen jeglichen Anhaltspunktes für unsere Recherchen zwingt uns, eine abwartende Stellung einzunehmen, denn es ist völlig unmöglich, Windhams Spur zu finden. So groß auch meine Passion für mysteriöse Kriminalfälle ist, so gern ich mich mit der Ergründung geheimnisvoller Ereignisse beschäftige – diesmal muß ich, – vorläufig wenigstens – die Sache aufgeben. Sie ist mir zu unverständlich, zu unfaßbar. Man wird beinahe geneigt, der Meinung des ehrenwerten Chipperfield, sein Herr sei dem Satan in die Hände gefallen, beizustimmen.«

Harding seufzte. »Auf jeden Fall ist die Entführung Herrn Windhams ein satanischer Streich, der mich auf wer weiß wie lange von Evelyn trennt. Und für sie selbst ist ihre jetzige Lage gewiß auch keine angenehme. Wie fühlt sie sich in der Pension?«

»Nun, Frau Carter tut, was sie kann,« berichtete Ferrars, »allein, es ist immer peinlich für ein junges hübsches Mädchen, gewissermaßen von einem Geheimnis umgeben, in einer Fremdenpension zu wohnen. Dadurch wird sie oft einer unliebsamen Kritik unterzogen und namentlich ein dort lebendes altes Fräulein macht bei jeder Gelegenheit anzügliche Bemerkungen.«

»Das ist ja ganz abscheulich,« fuhr Harding erregt auf. »Weshalb hast Du mir dann diese Pension für Evelyn empfohlen?«

Ferrars zuckte die Achseln. »Weil es für den Augenblick doch noch der beste Zufluchtsort war. Auch hatte ich geglaubt, Du würdest mit der Heirat nicht so lange warten. Warum zögerst Du eigentlich?«

»Offen gestanden, weil es mir wie eine Hinterlist erscheint, die Abwesenheit ihres Onkels zu benutzen; außerdem – –«

»Fürchtest Du die Verantwortlichkeit,« ergänzte Ferrars. »Wie kannst Du so kaltblütig überlegen, wenn das Mädchen, das Du liebst, Deines Schutzes bedarf, den Du ihr nur geben kannst, wenn Ihr den Bund der Ehe geschlossen habt.«

»Du magst ja recht haben,« nickte Harding, »allein Du vergißt, daß ich überwacht werde. Man würde mir vielleicht noch an der Kirchentür einen Skandal machen, was ich um Evelyns willen nicht zugeben könnte.«

»O, über diese Schwierigkeit vermag ich Dir hinwegzuhelfen. Einige Stunden von hier, in Fillingsley, wohnt mein Onkel, Reverend James Norman. Er ist der gutherzigste Mensch unter der Sonne; wenn ich Dir einen Brief an ihn mitgebe, wird er Dir in jeder Weise helfen. Inzwischen besorge ich Dir eine Lizenz und führe Dir die Braut zur festgesetzten Stunde zu.«

Harding zögerte noch immer. »Das klingt sehr schön,« sagte er, »allein man könnte mir auch nach Fillingsley folgen und die Trauung im letzten Augenblick stören.«

»Läßt sich alles umgehen,« lautete die zuversichtliche Entgegnung. »Fahre geradeswegs von hier, d. h. vom nächsten Bahnhof, zu meinem Onkel. Steige im Buffalohotel ab, wohin ich Dir den Einführungsbrief schicke, sodaß Du ihn morgen früh hast. Brauchst Du Geld?«

»Nein, danke! Dafür reicht's. Doch was mache ich mit meinem Verfolger?«

Ferrars lachte. »Auf mein Wort! Der soll Dich nicht belästigen. Komm!«

Die beiden jungen Leute setzten noch eine Weile ihren Weg fort. Dieser führte jetzt durch einen ländlichen Teil der Vorstadt; rechts und links dehnten sich Obst- und Gemüsegärten aus; nur vereinzelt stand ein Häuschen abseits von der Straße.

Für Hardings Verfolger, der bisher genügend Deckung gefunden hatte, erwuchsen dadurch ungeahnte Schwierigkeiten; er mußte weit zurückbleiben, wollte er in dieser menschenleeren Gegend nicht die Aufmerksamkeit der Freunde auf sich ziehen. Dennoch gelang es ihm, sein Wild im Auge zu behalten, allerdings nur dadurch, daß er alle Unebenheiten des Bodens benutzte und sich verschiedene Male in den ausgetrockneten Straßengräben verbarg.

An einer Wegecke blieb Ferrars plötzlich stehen. »So« sagte er halblaut, »ich überlasse Dich jetzt Deinem Schicksal. Geh' noch eine Viertelstunde geradeaus, dann kommst Du zur Ealing-Station. Von dort kannst Du direkt nach Fillingley fahren. Am Deinen »Schatten« kümmere Dich nicht; den werde ich Dir schon fern halten. Adieu und guten Erfolg!«

Er drückte Harding warm die Hand und während dieser weiterging, schickte er sich an, den Rückweg anzutreten.

Dieses Manöver setzte den Detektiv in nicht geringe Verlegenheit. Wem von den beiden sollte er folgen? »Hm,« überlegte er, »den Harding weiß ich jederzeit zu finden. Wette 100 gegen 1, daß er jetzt von der Ealing-Station nach Hause fährt. Möcht' aber wissen, wo der andere Bursche hingehört. Scheint mit Harding dick Freund zu sein; folglich steckt er mit ihm unter einer Decke. Werd' ihn mal näher betrachten.«

Vorläufig jedoch machte er das Wort nicht zur Tat, denn er duckte sich in den Straßengraben, um Ferrars vorübergehen zu lassen. Wie unangenehm sah er sich aber überrascht, als dieser plötzlich neben ihm stand, ihn mit seinem Spazierstock in den Rücken stichelte und in ironisch vorwurfsvollem Ton sagte: »Auf, auf, mein Freund! Dies ist nicht die richtige Zeit für einen ehrbaren, nüchternen Mann, der Sie doch zweifellos sind, im Straßengraben zu liegen.«

Der Detektiv richtete sich aus seiner gebückten Stellung auf, doch trotz der lächerlichen Situation blieb Ferrars völlig ernst. »Mein Freund Harding,« fuhr er mit scharfer Betonung fort, »hegt durchaus kein Verlangen, auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden; da er aber keine Lust hat, sich mit einem Schleicher und Spion einzulassen, so beauftragte er mich, Ihnen dies mitzuteilen. Mir geht es genau wie ihm; auch ich vertrage kein Ausspionieren. Daraus ergibt sich, daß Sie vorläufig hier bleiben müssen, denn weder Harding noch ich wünschen Ihre unerbetene Begleitung.«

»Was für Redereien!« entgegnete der Detektiv mürrisch. »Wer sagt denn, daß ich Ihnen nachgehe?«

Ferrars lachte. »So viel ich weiß, war das heute Ihre einzige Beschäftigung. Wie es scheint, sind Sie sich aber gar nicht recht klar über Ihre Handlungen und so muß ich mich schon Ihrer annehmen. Das Kürzeste wäre ja, Sie an der weiteren Ausübung Ihrer ersprießlichen Tätigkeit dadurch zu verhindern, daß ich Sie die Bekanntschaft meines Stockes machen ließe, allein ich bin kein Freund von Gewaltmaßregeln. Muß also etwas anderes ausdenken.«

»Sie sprechen ja sehr frei heraus, was Sie tun möchten,« bemerkte der Detektiv höhnisch. »Halten Sie mich für einen solchen Dummkopf, daß ich mir von Ihnen etwas gefallen ließe?«

Ferrars beachtete seine Worte nicht im geringsten. »Ah, ich hab's!« rief er sichtlich erfreut aus, als er in geringer Entfernung einen kleinen Teich gewahrte, auf dessen trüber Oberfläche eine grüne Schlammdecke lagerte.

»Haben Sie jemals erprobt, wie schlecht es sich in nassen Stiefeln geht?« wandte er sich zu dem Detektiv, indem er ihn, ohne eine Antwort abzuwarten, am Kragen faßte und an den Rand des Teiches hinzerrte. Hier hob er ihn mit der Gewandtheit und Kraft eines geübten Sportsmannes in die Höhe und im nächsten Augenblick schloß sich das schlammige Wasser über dem zappelnden Körper des unglücklichen Opfers.

Nach kaum einer Minute tauchte der mit Schlingpflanzen und Unkraut behaftete Kopf des Detektivs gleich dem Haupte eines Flußgottes empor, aber es dauerte eine gute Weile, bis der durchnäßte Spion dem unfreiwilligen Bade entronnen war und sich im nächsten Wirtshaus von den Spuren des mißlichen Abenteuers befreit hatte. Der Attentäter befand sich inzwischen schon weit von dem Schauplatz seines Racheaktes, innerlich erfreut, Harding einen guten Dienst geleistet und dem Reverend Mauler einen Streich gespielt zu haben.

Wohlgemut wanderte er nach dem Grile Platz in der Absicht, Evelyn Burton zu besuchen. Im Hausflur der Pension begegnete ihm das gefürchtete ältliche Fräulein, das ihn mit scharfen, mißbilligenden Blicken musterte. Ehe die Dame jedoch noch eine ihrer gewohnten spitzen Bemerkungen machen konnte, erschien Frau Carter, die den jungen Maler sofort in ihr Privatwohnzimmer führte.

»Schade, daß Fräulein Holt Sie gesehen hat, Hamilton,« sagte sie bedauernd. »Sie ist so entsetzlich prüde und dabei so rücksichtslos in ihren Äußerungen, daß niemand es mit ihr aushält. Ich werde ihr wohl kündigen müssen, obgleich sie gut zahlt. Sie treibt es aber wirklich zu arg. Erst gestern bei Tisch hat sie beständig über zweifelhafte weibliche Personen gesprochen, die sich in anständige Häuser eindrängten, junge Herren empfingen usw. Das ärgerte Major Chickley, weil er glaubte, sie spiele auf seine Nichte an, die vor einigen Wochen vorübergehend hier war und so kam es wieder zu einem gewaltigen Wortwechsel zwischen den beiden. In Wirklichkeit hatte sie es auf Fräulein Burton abgezielt.«

»O, was diese anbetrifft,« fiel Ferrars rasch ein, »so werden Sie bald aller Verlegenheit enthoben sein, da sie nur noch eine Woche hier bleibt. Kann ich sie sehen? Ich habe ihr etwas Wichtiges mitzuteilen.«

»Gewiß können Sie sie sprechen; ich schicke sie gleich her,« versprach Frau Carter, eilfertig das Zimmer verlassend.

Nach wenigen Minuten trat Evelyn ein.

»Heute komme ich nicht nur als Hardings Stellvertreter,« begrüßte Ferrars sie im scherzenden Ton, sondern auch als sein Brautwerber.«

Evelyn errötete. »Wie meinen Sie das?« fragte sie schüchtern. »Ich verstehe mich schlecht auf Rätsel.«

»Nun, ich meine,« erwiderte Ferrars lächelnd, daß Harding alles vorbereitet, um Hochzeit zu halten. Binnen einer Woche hofft er das Recht zu haben, Sie vor jeder Fährlichkeit zu schützen.«

»Ist das wirklich wahr?« stammelte Evelyn.

»Gewiß!« versicherte Ferrars. »Ich komme soeben von Ambrose.« Er erzählte ihr nun seine Zusammenkunft mit Harding, sowie sein Abenteuer mit dem Detektiv und schloß seinen Bericht mit den Worten: »Binnen einer Woche werde ich wohl das Vergnügen haben, Sie als ›Frau Ambrose Harding‹ anreden zu dürfen.«

Evelyn errötete vor Freude. »Bitte teilen Sie Ambrose mit,« sagte sie strahlenden Blickes, »daß er mich in acht Tagen bereit finden wird und –« sie nahm eine geheimnisvolle Miene an – »wer weiß, ob nicht Onkel Percy dann doch bei meiner Hochzeit zugegen ist.«

»Herr Windham bei Ihrer Hochzeit?« wiederholte Ferrars überrascht. »Das verstehe ich nicht. Haben Sie Nachricht von ihm erhalten? Doch, wie kann ich so fragen! Woher hätten Sie hier in Ihrem Versteck etwas über ihn erfahren?«

»Gehört habe ich ja noch nichts von ihm,« gestand Evelyn zu, »allein, nachdem Sie mir erzählten, daß Ambrose einen Aufruf an ihn in die Zeitung setzen wollte, habe ich es ihm nachgemacht und –«

»Sie?« fiel Ferrars ein, indem er das junge Mädchen verblüfft anstarrte.

»Nun ja,« entgegnete Evelyn mit unschuldiger Miene. »Ich besprach mich erst mit Frau Carter. Sie stimmte mir bei und so fuhren wir heute morgen in die Expedition des »Semaphore«, wo ich ein Inserat abgab, in welchem ich Onkel Percy meine Adresse mitteilte.«

Ferrars war sprachlos vor Entsetzen. Dieser unbesonnene Schritt drohte ja alle seine und Hardings wohlüberlegte Pläne über den Haufen zu werfen.

»Frau Carter muß von Sinnen gewesen sein, Ihnen dazu geraten zu haben,« sagte er endlich kopfschüttelnd.

»O, wir waren sehr vorsichtig,« bemerkte Evelyn harmlos. »Außer Onkel Percy kann niemand das Inserat verstehen und die Tante liest das Blatt nicht; das ist ihr zu weltlich.«

»Haben Sie eine Abschrift Ihrer Annonce?« fragte Ferrars, bemüht, seine Unruhe zu verbergen.

»Gewiß,« entgegnete Evelyn eifrig, indem sie ihr Portemonnaie hervorzog und demselben einen Streifen Papier entnahm, den sie Ferrars reichte. Dieser überflog hastig die wenigen Zeilen.

»Frau Ponsonby-Carter, Grile Platz,« lauteten dieselben, »teilt P. W. mit, daß E. sich wohlgeborgen bei ihr aufhält und um baldige Nachricht bittet.«

»Waren wir nicht sehr vorsichtig?« fragte Evelyn, die mit Verwunderung sah, wie der junge Maler die Stirn runzelte.

Ferrars schaute auf seine Uhr. »Zu spät!« murmelte er, »läßt sich nicht mehr zurückziehen, und,« sich zu Evelyn wendend, fuhr er fort, »das Inserat ist für jeden, auch den Ihnen feindlich Gesinnten, so leicht zu verstehen, daß es recht unangenehme Folgen für Sie haben könnte. Nun,« fügte er, ihren ängstlichen Blick bemerkend, rasch hinzu, »wir wollen hoffen, daß Ihnen kein Schaden dadurch entsteht. Jedenfalls aber muß ich Sie bitten, in den nächsten Tagen nicht auszugehen und auf keine Zuschrift zu antworten, bevor Sie mich zu Rat gezogen haben.«

»Habe ich denn wirklich eine Dummheit begangen?« fragte das junge Mädchen betroffen.

»Sie haben einfach Ihren Aufenthalt verraten. Wer auf der Suche nach Ihnen ist, würde sofort herausfinden, daß sich das Inserat auf Sie bezieht. Sie brauchen sich jedoch nicht zu fürchten,« beruhigte er sie. »Ambrose und ich werden schon sorgen, daß Ihnen kein Leid geschieht.«

»Wie gut Sie sind!« sagte Evelyn, ihm dankbar die Hand drückend. »Ich verspreche Ihnen, nichts ohne Ihren Rat zu tun.«

»Das ist recht,« nickte Ferrars. »Verlieren Sie nur nicht den Mut; es wird noch alles gut werden.«

Er verabschiedete sich von Evelyn, wurde aber im Hausflur durch lauten Lärm aufgehalten. Das klägliche Winseln eines Hundes mischte sich in das Wortgezänk zweier Personen, die an der offenen Türe ihrer beiderseitigen Zimmer standen. »Wie dürfen Sie es wagen, mein armes Engelchen mit Fußtritten zu traktieren?« kreischte Fräulein Holt in den höchsten Tönen.

»Schönes Engelchen!« polterte Major Chickley. »Das infame kleine Biest versuchte, mir in die Waden zu beißen. Soll ich mir das ruhig gefallen lassen?«

»Schämen Sie sich nicht, so etwas vor einer Dame auszusprechen?« rief das Fräulein entrüstet aus. »Doch – ich will mich nicht länger mit Ihnen herumzanken. Wo ist Frau Carter? Noch heute verlasse ich das Haus. Solche Brutalitäten kann ich nicht ertragen, mein Herr.«

»Ich auch nicht, Madame!« knurrte der Major. »Wo ist Frau Carter? Wenn der Hund nicht fortgeschafft wird, bleibe ich nicht hier.«

Wie gewöhnlich bei solchen Anlässen war Frau Carter für den Augenblick nicht zu finden, und nachdem die Kriegführenden sich noch einige Liebenswürdigkeiten an den Kopf geworfen hatten, zogen sie sich grollend zurück, um den Streit bei nächster Gelegenheit wieder aufzunehmen.

Ferrars, der von den zornigen Parteien nicht bemerkt worden war, hatte belustigt zugehört und sich erst nach eingetretener Ruhe entfernt. Auf der Straße jedoch beschäftigten sich seine Gedanken wieder mit Evelyn und deren unvorsichtigem Schritt, den er gern verhindert hätte, weil er fürchtete, daß die Bande, nicht zufrieden, Herrn Windham zu Schaden gebracht zu haben, auch Evelyns Sicherheit gefährden werde, abgesehen von den Machinationen des Reverend, der seinerseits auch versuchen würde, Evelyn wieder in die Gewalt ihrer Tante zu bringen.

So vertieft war Ferrars in seine Betrachtungen, daß er beim Überschreiten der Straße den Warnungsruf eines herannahenden Fleischerwagens überhörte. Im letzten Augenblick die Gefahr erkennend, sprang er zur Seite, stolperte jedoch und fiel zu Boden, wobei er sich den Fuß so erheblich verstauchte, daß er nach Hause gefahren werden mußte. Obgleich ärztliche Hilfe rasch zur Stelle war, schwoll der Fuß doch sehr an und der junge Maler sah sich gezwungen, während der nächsten Tage das Bett zu hüten.

Dieses Mißgeschick verstimmte ihn im höchsten Grade. Still liegen zu müssen, während die ihn so lebhaft interessierende Herzensangelegenheit seines besten Freundes einer entscheidenden Wendung entgegenging, deren günstiger Erfolg zum Teil von seiner, Ferrars, Mitwirkung abhing – das war mehr als ärgerlich. Dennoch blieb nichts anderes übrig, als sich geduldig zu fügen und die Heilung des verletzten Gliedes abzuwarten. Er schrieb an Harding, der sich noch in Fillinglay aufhielt, sowie an Evelyn Burton, sie nochmals eindringlich zur Vorsicht ermahnend.

Zwei Tage nach seinem Unfall wurde er durch den Besuch von Frau Carter überrascht. Ihr verstörtes Aussehen fiel ihm sofort auf.

»Was ist geschehen?« fragte er.

Die kleine Frau brach in Tränen aus. »Ach, Hamilton,« schluchzte sie, »ich fürchte, Sie werden mir das nie verzeihen. Sie ist fort.«

»Fort?« wiederholte Ferrars in jähem Erschrecken »Wieso?«

»Evelyn ist fort,« jammerte Frau Carter, »und das ist noch nicht das Schlimmste.«

»Noch Schlimmeres?« fragte Ferrars bestürzt.

»Ja. Ein fremder Herr – er nannte sich Oberst Garda Torena und war erst gestern eingezogen – ist gleichfalls verschwunden!«


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