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Die hölzerne Hütte

Gemächlich zieht sich Imst, die stattliche Ortschaft, am Pigerbache hin. Heute ist der Ort eine Stadt, damals war er noch ein Markt, aber ob Stadt oder Markt, er hat eine einzige Gasse, die in sanfter Steigung hinaufführt zur prächtigen neuen Pfarrkirche. Damit man's indessen mit dem Kirchengehen nicht zu beschwerlich habe, sind die Imster auf den guten Einfall gekommen, just in der Mitte der endlos langen Ortschaft ein zierliches Kirchlein zu erbauen, dem heiligen Johannes geweiht. Und wem die Pfarrkirche zu entlegen ist, der mag hier seiner Andacht genügen.

So hielten es auch der Hans und die Barb vom Steigerhüttl, die fromme Leut waren und keinen Tag die Messe versäumen mochten. Das Hüttl hatten sie als Neuvermählte von einem alten Vetter ererbt und waren darob so selig, als sei es ein Palast. Und war doch ein gar ärmlich Ding, an dem seinerzeit der Maurer keinen Kreuzer verdient hatte, die Wände von Holz und das Dach mit Schindeln gedeckt. Aber ein eigenes Heim ist eben doch etwas Schönes und als nun gar ein kleines Seppele einstand, da war das Glück voll. Solch volles Glück ist freilich nicht von Dauer und ehe noch der Seppele die Kinderschuhe ausgezogen hatte, raffte ihn eine böse Krankheit weg.

Das war ein großer Schmerz für die Steigerleute gewesen, aber sie hatten ihn vereint getragen und das macht jedes Kreuz ringer. Schier fünfzig Jahre waren sie nun beisammen und hatten in dieser Zeit sich nie ein schiefes Wörtlein gegeben, waren also ein gar einträchtiges und zufriedenes Paar. Mit Glücksgütern freilich waren sie nicht gesegnet. Wohl herrschte damals in Imst ein schöner Wohlstand: der Bergsegen war noch nicht völlig aus der Gegend gewichen und eine große Baumwollspinnerei brachte Arbeit und Geld in den Markt, auch zogen über den Fernpaß hin und wieder zahlreiche Fuhrleute und Reisende aus aller Herren Länder, die den Imster Wirten viel zu verdienen gaben. Doch von all dem Goldregen war für die Steigerleutchen nichts abgefallen: kaum daß sie sich trotz Fleiß und Sparsamkeit einen kleinen Notpfennig zurückgelegt hatten. Kein Wunder, daß die beiden Nachbarn, der hochmütige Fleischhauer auf der einen und der steinreiche Krämer auf der andern Seite aus ihren stolzen Behausungen geringschätzig auf das hölzerne Hüttl niederschauten; der Hans und die Barb aber lebten darin vergnügt, lebten vom Gottvertrauen und von der Freude an stillem Wohltun. Ei freilich, große Wohltäter waren die beiden in ihrer Art und waren auch als solche bekannt. Und das war so gekommen.

An einem Winterabend, als der Schnee durch die Marktgasse wirbelte, saßen die zwei behaglich in ihrem Stübchen und dachten dankbar, wie schön es doch sei, bei solchem Wetter ein Dach über dem Kopfe und ein paar flammende Scheiter im Ofen zu haben. Da klopfte es ganz verschämt an der Haustür und als die Barb auftat, stand einer draußen, der aufs Haar einem Schneemandl glich, so fest hatten ihn die neckischen Flocken in ihren weißen Sammetmantel gehüllt. Ein Handwerksbursche war's, wie sie damals zu Hunderten durchs Land zogen, immer zu Fuß mit ihrem Felleisen, denn Bahnen gab's noch keine und ein Platz im Eilwagen war für solche Leute unerschwinglich. Der arme Mensch schien ganz durchfroren und bat nur bescheiden, sich am Stubenofen etwas wärmen zu dürfen. Das erlaubte man ihm gern; doch während er so stand und sich der Wärme freute und ihm der Schnee von den Kleidern tropfte, zog die Barb ihren Hans ins Kämmerlein nebenan und fragte, ob man den Häuter nicht über Nacht behalten solle. Dem Hans war's recht und so überließ man dem Armen Kämmerlein und Bett, darin einst der Seppele geschlafen hatte. Und wenn's dem Mutterherzen auch schwerfiel, einem Landfremden ihres Sohnes Bett anzubieten, sie fühlte sich doch still glücklich dabei und der Hans auch.

Wie der arme Mensch dankte! Gar nicht genug Vergeltsgott sagen konnte er. Und Hans und Barb sahen einander an und dachten: »Die Vergeltsgott sind schon etwas wert!«

Es mußte aber der dankbare Bettgeher die Gastfreundschaft der Steigerleute weit herumposaunt haben, denn von nun an kamen des öfteren solch ungeladene Gäste. Und immer wurde ihnen aufgetan und immer ihnen das Bett in der Kammer angewiesen. Und wenn ihrer etwa gar zwei waren, ei, da mußten sie sich eben in die Liegerstatt teilen.

Wieder war ein Winter gekommen und gegangen und hatte dem hölzernen Hüttl reichliche Einquartierung gebracht. Nun aber war der Sommer da, ganz unversehens und viel früher als in anderen Jahren, wo sich im rauhen Oberland die Maienlüfte oft gar kühl anlassen und der Schnee zuweilen bis Mitte Juni auf den Berghalden liegt. Dieses Jahr aber – man schrieb 1822 – war's anders. Eine wahre Gluthitze hatten die ersten Maientage über das Oberland gebreitet und die alten Leute, die etwas vom Wetter verstanden, meinten, das sei nicht gut.

Gerade am 7. Mai war es. Vom Imster Turm läutete es zum Englischen Gruße. Die Leute am Wege blieben stehen, um zu beten, die Männer nahmen die Hüte vom Kopfe und wischten sich den Schweiß von der Stirne. Und mit einem Male hörte man in der Ferne leises Grollen. Lauter wurde das Grollen allmählich, näher rückten die drohenden Wolken, Blitze zuckten über den Bergen auf. Und über ein Weilchen rief es vom Pfarrturm zum Wettersegen. Die Steigerleutchen aber wandelten in die nahe Johanneskirche hinüber, er mit seinem großen Jerusalemrosenkranze, sie mit einem mächtigen Betbuche, aus dem sie die kräftigsten Wettergebete herauslas.

Plötzlich ein Krach, ein furchtbarer. Des Kirchleins Fenster zittern und klirren, als müßten sie zerspringen. Der Hans hält sich stramm, der Barb aber gibt's einen Ruck. »Eing'schlagen hat's!« murmelt sie.

Eingeschlagen! Das kommt wohl öfters vor. Vielleicht hat's droben am Berge einen Baumriesen gespalten und geschwärzt. Was ist dabei? Barb hat sich wieder beruhigt und betet weiter, die Lippen geräuschvoll regend. Aber horch, was ist das ...? Die große Glocke am Pfarrturm hat einen Schlag getan ... nun einen zweiten ... nun wieder, wieder ... Feuer!

Den beiden Alten macht das Beine. Rasch sind sie draußen, wollen sehen, was es gibt, wo es brennt. Ach, da brauchen sie nicht lange auszuspähen! Aus des Krämers Bude schlägt eine Rauch- und Feuersäule, steigt an der Hauswand hinan, wächst mit jedem Augenblicke. Aus dem Hause dringt die jammernde Stimme der Krämerin: altes Gerümpel schleudert sie zum Fenster hinaus und wähnt Kostbares zu retten. Doch ihr Mann hat den Kopf beisammen behalten und eilt umher, Löschmannschaft zu werben. Scharenweise kommen die Helfer herbei, auch der Steiger Hans bietet sich an trotz seiner steifen Beine. Eimer sind rasch zur Hand: vom nahen Brunnen bis zum brennenden Hause zieht sich die Kette, jede Sekunde zischt das Wasser in die Lohe hinein. Dann ducken sich für einen Augenblick die Flammen wie getretene Schlangen, fahren aber gleich wieder in die Höhe. Immer höher, immer wilder. Mit Gewalt muß man die Krämerin aus dem brennenden Hause reißen: sie kann's nicht glauben, daß es nicht mehr zu retten ist.

Zitternd steht die Steigerbarb, steht mit gefalteten Händen da, als müsse sie das heiße Unheil beschwören. Über ihres Hüttleins Schindeldach sprühen und tanzen die boshaften Funken. »Herr, dein Wille geschehe!« versucht sie zu beten und sieht auch ihr liebes Heimatl schon lichterloh aufflammen. Aber nein! vom Norden her fährt ein heftiger Windstoß, dann wieder einer, die treiben die feurigen Ungeheuer vom Steigerhüttl weg, die Marktgasse entlang. Dort flammt ein Haus nach dem andern auf wie Zunder. »Oh, die armen Leut'!« flüstert die Barb, und dann schier unbewußt: »Gott sei's gedankt!« denn sie meint, jetzt sei ihr Hüttl sicher.

Und wieder nein! Der Wind hat sich gewendet, ein mächtiger Süd braust einher und jagt die roten Schlangen zurück, woher sie gekommen sind. Der untere Markt ist nur mehr ein großer Feuerstrom und des Stromes lichtrote Fluten wälzen sich unerbittlich dem oberen Markte zu. Niemand denkt jetzt mehr, dem Feuer zu wehren, alles will nur das eigene Leben retten. Hinauf zum steilen Kapellenberg flüchten die Armen; dort sieht man den Markt vor sich liegen, dort können sie jetzt sehen, wie ihr Heimatort in Asche sinkt. Einige fluchen und wissen's nicht, andere beten und denken doch kaum, was sie sagen. Und so stehen sie lange, hilflos harrend. Und endlich bricht aus dem umwölkten Himmel ein jäher Gußregen und stürzt brausend und zischend in die Flammen.

Nun steigen die Leute herab. Langsam, sie haben ja drunten nichts mehr zu versäumen. Noch schwelt und raucht es, noch springt da und dort ein wildes Flämmlein auf, aber das Feuer ist bezwungen, der Brand gelöscht. Freilich, Imst ist jetzt eine Trümmerstätte.

Von den vielen und stattlichen Häusern des Marktes stehen nur mehr vierzehn noch aufrecht. Und unter ihnen das hölzerne Hüttlein! Das Schindeldach ist geschwärzt und die Blumen am kleinen Söller hängen welk herab, von der Gluthitze versengt. Sonst aber ist alles, wie es war; die Steigerleute können ruhig zurückkehren in ihre kleine Wohnung und während die Großen und Reichen obdachlos geworden sind, haben sie ihr bescheidenes Obdach behalten.

Wie war es möglich? Wie konnte es geschehen, daß mitten unter den großen Steinhäusern des Ortes gerade diese Burg der Armut unversehrt blieb? Die Barb zerbricht sich nicht lange den Kopf; sie sagt zu ihrem Alten: »Hans, das haben die Vergeltsgott gemacht.«

Und von jenem Tage an war das Steigerhüttlein erst recht eine Zuflucht für alle Landfahrenden und Verlassenen und Obdachlosen.


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