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Zwei Mütter

Der Kurat von Sprengenfeld hatte ein goldenes Herz, aber leider eine schwere Zunge und das war schlimm, besonders wenn ihn das Mitleid packte. Kam dann gar eine böse Nachricht vom Kriege, die er den Angehörigen übermitteln mußte, dann lag's ihm wie Blei auf dem Herzen.

So wie heute war's ihm aber noch nie zu Mute gewesen. Der Weber Sepp war gefallen und er sollte es der Mutter sagen. Und kam sich dabei vor wie ein armer Sünder, den man zum Galgen führt.

Nicht als ob er sich vor einem lauten Schmerzensausbruch gefürchtet hätte! O nein, die alte Weber Liese war eine Stille. Drei erwachsene Kinder hatte sie schon begraben, der Sepp allein, der Jüngste, war ihr geblieben. Sie hatten ganz mit- und füreinander gelebt, Mutter und Sohn, und nun ...

Wie sollte es der arme Kurat nur angreifen, seine Schreckensbotschaft zu melden? Wäre es nicht vielleicht am klügsten, zur Liese ins Haus zu gehen? Das würde ihr auffallen, würde sie auf den Gedanken bringen, es müsse etwas Besonderes vorgefallen sein. Aber richtig, die Liese hatte sich ja heute bei ihm angesagt. Um drei Uhr, hatte sie sagen lassen, würde sie kommen. Und eben schlug's drei Uhr vom Turme. Da blieb nichts übrig, als sie zu erwarten.

Der Kurat las die Unglücksmeldung wieder und wieder durch. Wort für Wort las er sie, ob sich darin denn gar nichts Tröstliches finde. Aber nein, nur dürrer Amtsstil: »An das Pfarramt Sprengenfeld. Melde hiemit, daß der Unterjäger Josef Ehrwalder am 23. l. M. beim Sturm auf die Kote X. gefallen ist, und ersuche, die Familie zu verständigen.« Kein Wort der Anerkennung für den stillen, bescheidenen Helden, kein Tröpflein Trost für die Mutter eines tadellosen Sohnes, nichts, nichts!

Mit großen, schweren Schritten ging der Kurat in seinem Zimmer auf und nieder. Zwischen dem Fenster und einem großen Kruzifix, das dem Fenster gegenüber an der Wand hing. Sooft er ans Fenster kam, spähte er ängstlich auf die Dorfgasse hinab, ob die Liese sichtbar werde, sooft er ans Kreuz herantrat, hob er flehend den Blick zum Gekreuzigten und zur Schmerzensmutter, die dem Sohne zu Füßen stand.

Ein altes Schnitzwerk war's; es stammte aus des Kuraten Heimat und er hatte schon als Büblein davor gebetet. Ein Kunstwerk war es sicher nicht, war auch viel zu plump und wuchtig für das kleine Widumzimmer. Aber eine Schönheit hatte er doch immer daran gefunden und das waren die Hände der Muttergottes. Sie hielt sie zusammengefaltet über dem Schwerte, das ihre Brust durchbohrte, und es war, als wolle sie dieses Schwert, das ihr doch so wehe tat, mit aller Kraft festhalten. Das hatte der Kurat aus dem alten Holzbilde herausgefunden und hatte darüber auch schon manche Predigt gehalten. Jetzt aber will ihm keine Predigt einfallen, ja nicht einmal ein einziges liebes Wort für die Ärmste, der er selber das Schwert ins Herz stoßen muß. Wie eiserne Ringe liegt's um seine Brust, um seine Kehle.

Da klopft es ... Und schon steht die alte Liese vor ihm.

»Küss' die Hand, Herr Kurat!« Er starrt sie an, als habe er sie gar nicht erwartet. »Ah, Liese, du bist's?« Das ist alles. Dann aber faßt er sich und sagt, er habe aus dem Fenster nach ihr ausgeschaut.

Sie lächelt freundlich. Da habe er sie freilich nicht kommen sehen, sagt sie. Sie sei nicht über die Straße gekommen, sondern durch den Obstanger des Rambacherhofes. Sie ist ja gegenwärtig bei der Rambacherin, um sie zu warten. Das Neugeborene ist gar klein und schwach und die junge Mutter so traurig. »Sie sorgt sich um den Mann im Schützengraben. Ich muß nur alleweil trösten.«

»Schön, schön,« murmelt der Kurat zerstreut.

Die Liese merkt, daß seine Gedanken anderswo sind. Sie möchte nicht stören, versichert sie, habe nur ein paar Worte zu sagen. Eben wegen der Rambacherin. Ihr Vorleben sei freilich nicht tadellos gewesen, aber nun sei sie brav, wie der Herr Kurat ja wisse. Und sie möchte in den Frauenbund: ob der Herr Kurat es nicht gestatten wolle?

»Meinetwegen, meinetwegen«, murmelt er. Der Liese scheint, er gebe seine Einwilligung nur ungern. Da meint sie, noch ein paar gute Worte über die Rambacherin sagen zu müssen. Und dann will sie gehen.

Er aber wehrt ihr mit rascher Gebärde. »Einen Augenblick, Liese!« Verwundert wendet sie sich um. Ob er vielleicht noch etwas wegen der neuen Frauenfahne zu sagen hat? Ob man mit der Bestellung noch warten, ob man die alte noch behalten solle? Er murmelt etwas Unverständliches, aber sie merkt doch, daß es nicht gerade die Fahne ist, was ihn beschäftigt. So sonderbar, so düster hat sie ihn noch nie gesehen. »Herr Kurat, was ist denn?«

Hilflos steht er vor ihr. Seine Finger knittern an dem verhängnisvollen Papier herum, seine Lippen öffnen sich und bringen kein Wort hervor, sein Atemholen klingt wie verhaltenes Stöhnen. »Was ist denn, Herr Kurat?« fragt sie wieder. Ach, er darf sie nicht länger hinhalten, das Schreckliche muß heraus ...

Da kommt ihm ein Gedanke. Er tritt zum Kreuzbild und steckt das Blatt Papier der Muttergottes in die Hände. Zwischen die Hände und das Schwert steckt er's. »Liese, die Schmerzensmutter hat etwas für dich!« Und dann wendet er sich und geht. Sollen allein, sollen Aug' in Auge bleiben, diese zwei Mütter ...

Draußen vor dem Zimmer geht er eine Weile auf und nieder. Dann zieht er sich zurück in sein kleines Pfarrarchiv und nimmt ein Buch von der Stelle, aber er weiß nicht, was für ein Buch es ist. In sein Widumgärtlein geht er, doch es liegt kein Sonnenschein auf den Beeten. Und endlich zieht es ihn zurück nach seinem Zimmer, wo er schon so viel traute Stunden verlebt hat in Studium und Gebet, daß es ihm zu einem kleinen Heiligtum geworden ist. Ein Heiligtum des Schmerzes ist es jetzt. Ehrfürchtig tritt er ein.

Vor dem Kreuze und der Schmerzensmutter liegt Liese auf den Knien. Sie hat den Brief an sich genommen, sie hält ihn fest in ihren hageren Fingern und schluchzt leise. So ist sie, die Weber Liese, tief und still! Als die Männer des Dorfes zum großen Kriege auszogen und die Weiber die Luft mit Jammergeschrei erfüllten, da hat sie gesagt: »Gott sei Dank, dem Sepp ist's nicht gar so hart angekommen!« Und jetzt denkt sie vielleicht: »Mir ist's schon hart, aber dem Sepp ist wohl!«

Der Geistliche hält sich ruhig; er glaubt, sie habe ihn nicht bemerkt. Aber schon hebt sie sich von den Knien und blickt nach ihm.

Er will sich entschuldigen. »Liese, ich hab's nicht fürgebracht.« Leise erwidert sie: »So ist's am besten gewesen.« Und steht vor ihm und hält den Brief an ihre Brust gepreßt, als sei er etwas Kostbares, als habe sie ihn wirklich aus den Händen der Märtyrerkönigin empfangen.

Der Blick des Priesters aber wandert von einer Mutter zur anderen. Von der armen Soldatenmutter zu der königlichen Frau, die den göttlichen Sieger geboren hat. Beide sind ja Mütter voll Schmerz und Weh. Und beide halten, was ihnen weh tut, fest und mutig ans Herz gepreßt. Die eine das geheimnisvolle Schwert, das ihr geweissagt wurde, die andere das elende Blatt Papier, das, von kalter Hand beschrieben, ihr den Tod ihres Einzigen meldet. Und der Priester fühlt, daß eine warme Welle von Trost und Kraft aus dem einen durchbohrten Mutterherzen in das andere fließt.


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