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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Das Traumleben.

»Ich bin,« sprach er, »mit vielen Empfindungen eines Dichters geboren, aber die Sprache zum Ausdruck derselben fehlt mir. Fortwährend wurden meine Gefühle durch den Verkehr mit der wirklichen Welt unterdrückt; meine Verwandten, echte Deutsche ohne Regsamkeit und Leidenschaft, boten keinen Anhaltspunkt für mich, und eben so wenig fand ich bei Jemand außer meiner Familie bessern Anklang. Freundschaften stießen mich bald zurück, denn ihre Wärme wechselte nach der unbedeutendsten Veränderung; Liebe täuschte meine Erwartungen, denn die Wirklichkeit kam meinem Ideal nie gleich. Mir früh am Busen der Poesie Genährten, in das Wilde und Abenteuerliche Verliebten, erschien das gemeine Leben unsäglich zahm und unerquicklich. Und gleichwohl sprach mich die dem dichterischen Charakter 58 angemessene Thatlosigkeit mehr an, als jene scharfe, uncontemplative Rührigkeit, die allein dem Leben große Erfolge abzugewinnen vermag. Sinnen war mein natürliches Element. Ich brachte den Mittag gern an irgend einen schattigen Bach gelehnt zu, wo ich in halbem Schlummer Bilder aus den glänzenden Sonnenstrahlen gestaltete; eine nebelnde, unwirkliche Art der Philosophie, die meiner Nation eigenthümlich angehört, war die Lieblingsbeschäftigung meines Geistes. Unter dem Dunkeln und Verborgenen suchte ich die Abwechslung und Aufregung, die ich im Alltäglichen nicht fand. Da ich auf diese Weise stets die Wirksamkeit der innern Seelenkräfte beobachtete, fiel mirs zuletzt ein, es sey, sofern der Schlaf seine eigene, wenn auch noch rohe und zerrissene Welt habe, vielleicht möglich, aus seinem Chaos all die Vorstellungen von Schönheit, Kraft, Herrlichkeit und Liebe zur Erscheinung zu bringen, welche mir in der Welt, worin meine Leiblichkeit wandelte und ihr Wesen hatte, versagt waren. Sobald dieser Gedanke über mich gekommen, nährte und pflegte ich ihn und brütete darüber, bis die Einbildungskraft das gewünschte Wunder zu verwirklichen begann. Indem ich vor Schlafengehen mit aller Kraft meiner Seele über eine bestimmte Gedankenreihe, über irgend eine Schöpfung meines Innern nachsann; indem ich meinen Körper den ganzen Tag über vollkommen still und ruhig hielt; indem ich jedes Begegniß aus dem äußern Leben, dessen Nachklang in den Bilderstrom, den ich in die Wildniß des Schlafs auszugießen wünschte, verwirrend hätte eingreifen dürfen, von mir abschloß, entdeckte ich endlich, daß ich ein von dem Tagleben völlig geschiedenes Traumleben, das lediglich seinem eigenen Bereich angehörte, führen könne. Thürme und Paläste, ausschließlich mein Erbe und meine Herrschaft, stiegen aus den Tiefen des Schlummers vor mir auf; in juwelenfunkelnden Bechern schlürfte ich den Falerner aus Kaiserkellern; Musik himmlisch tönender Harfen klang aus den Wolkenrissen, und über Alles hin blühte wie Sonnenlicht das Lächeln unsterblicher Schönheit. So gewann ich das Wunderbare und Herrliche, das ich für mein wachendes 59 Leben nicht zu erhalten vermochte, im Schlaf. Ich wanderte mit Greifen und Gnomen; ich stieß vor bezauberten Thoren ins Horn; ich siegte in den ritterlichen Schranken: ich pflanzte meine Fahne auf Zinnen, so hoch wie der Thurm von Babel.

Aber ich fürchtete mich eine solche Erscheinung hervorzurufen, in deren Lieblichkeit ich die ganze verborgene Leidenschaft meiner Seele ausströmen konnte. Ich besorgte, der Schlaf möchte mir ein Bild vorführen, zu dessen Wiederbringung ihm später die Kraft fehlte, so daß nach dem ersten Erwachen selbst die mir neu erschaffene Welt für immer eine Oede bliebe. Ich zitterte, eine Gestalt anzubeten, welche der erste Morgenstrahl ins Grab werfen konnte.

In diesem Gedankenzug fing ich an zu überlegen, ob es nicht wohl möglich seyn dürfte, Träume mit einander zu verbinden, den fehlenden Faden zu ersetzen, die folgende Nacht die Geschichte des vorangegangenen fortleiten zu lassen, also daß die alten Formen und Scenen wieder zusammenträfen, und so nicht nur in der einen Daseynshälfte, sondern auch in der reichern und herrlicher andern, ein zusammenhängendes, harmonisches Leben zu führen. Nicht sobald war dieser Gedanke in mir hervorgetreten, als ich mich mit Feuer auf seine Realisirung warf. Bereits hatt' ich die Erfahrung gemacht, daß der Glaube der große Schöpfer ist; daß mit Inbrunst glauben den Glauben verwirklichen heiße. So ließ ich denn meinem Gemüth keinen Zweifel an der Ausführbarkeit seines Vorhabens zu. Ich schloß mich den Tag über ein, las kein Buch, floh die Sonne selbst und zwang alle meine Vorstellungen (und Schlaf ist der Spiegel Dessen, was wir denken) in Eine Richtung, die Richtung meiner Träume, damit die Phantasie von Nacht zu Nacht den Faden ihrer Wirksamkeit fortsetzen, und ich mich voll von dem letzten Traum und vertrauend auf den nachfolgenden niederlegen könnte. Nicht nur für Einen Tag, oder Einen Monat befolgte ich dieses Verfahren, sondern setzte es mit beharrlichem Eifer so lang fort, bis es endlich Erfolg zu bringen begann. »Wer,« rief der Schwärmer – noch seh ich ihn vor mir 60 mit seinen tiefen, glänzenden, eingesunkenen Augen und dem wilden, von der Stirn zurückgeschobenen Haar! – »Wer vermöchte mein Entzücken zu beschreiben, als ich zum erstenmal jenen Zusammenhang, den ich in meine Träume gerufen, schwach und undeutlich wahrnahm. Anfänglich fand nur eine theil- und sprungweise Verbindung statt; mein Aug erkannte gewisse Gestalten, mein Ohr gewisse Töne, die mir in früheren Träumen vorgekommen. Allmälig nahmen diese an Zahl zu und bekamen bestimmtere Umrisse. Endlich brach ein schönes Antlitz aus den rauhern Formen hervor, zeigte sich Nacht um Nacht einen Augenblick unter ihnen und verschwand dann, eben wie der Seefahrer bei umwölktem Himmel den Mond durch den Wolkenflor scheinen und schnell wieder weggehen sieht. Meine Neugier war mächtig angeregt; das Gesicht mit seinen strahlenden Augen und engelhaften Zügen brachte all die Empfindungen in mir zum Ausbruch, die noch keine lebendige Gestalt hervorgerufen hatte. Ich ward in einen Traum verliebt, und was dem Pygmalion seine Statue, ward meine Schöpfung für mich. So hatte ich in dieser innigen, fortdauernden Leidenschaft endlich meinen Lohn errungen. Mein Traumbild ward faßbarer; ich sprach mit ihm, kniete vor ihm; meine Lippen drückten sich auf die seinigen; wir wechselten Schwüre der Liebe und der Morgen trennte uns nur mit der Gewißheit, daß wir Nachts wieder zusammentreffen würden. »Auf diese Weise,« fuhr mein Visionär fort, »begann ich denn eine von den Begebenheiten der Außenwelt gänzlich getrennte Geschichte, die, abwechselnd mit der rauhen, erstarrenden Geschichte des Tags, eben so regelmäßig und in einander greifend wie jene fortlief. Und was war, fragen Sie, diese Geschichte? Mir kam es vor, ich sey ein Fürst auf einer südlichen Insel, die keinen Zug gemein hatte mit dem kältern Norden meines Geburtslandes. Tags blickte ich auf die dumpfen Mauern einer deutschen Stadt, und sah hausbackene oder schmutzige Gestalten vor mir vorüberwandeln; der Himmel war bleich und die Sonne unerquicklich. Da kam die Nacht mit ihren tausend Sternen, und brachte mir den Thau des Schlafs. 61 Dann erstand plötzlich eine neue Welt; die üppigsten Früchte hingen in goldenen und purpurnen Büscheln von den Bäumen. Paläste in der wunderlichen Art der wärmeren Himmel, mit gewundenen Minarets und glänzenden Kuppeln, spiegelten sich in großen, von Palmen und Bananen umkränzten Seen. Die Sonne schien eine andere Bahn zu gehen, so sanft und prachtvoll waren ihre Strahlen. Vögel und geflügelte Wesen aller Farben flatterten in der lichten Luft. Züge und Tracht der Menschen paßten nicht zu den nordischen Weltgegenden, und ihre Stimmen redeten eine mir anfangs fremde Sprache, die ich aber allmälig verstehen lernte. Bisweilen führte ich Krieg mit den benachbarten Königen; bisweilen jagte ich den gefleckten Pardel durch die tiefe Nacht orientalischer Wälder; mein Leben war zugleich heldenhaft und prächtig. Doch über all Das ging die Geschichte meiner Liebe! Es kam mir vor, als stellten sich mir tausend Schwierigkeiten in den Weg, um in den Besitz der Geliebten zu gelangen. Viel waren der Felsen, die ich zu erklimmen, der Kämpfe, die ich zu bestehen, der Burgen, die ich zu stürmen hatte, um sie als Braut davon zu tragen. Endlich aber,« fuhr der Schwärmer fort, »ist sie gewonnen, ist sie mein! In der bunten Welt, die ich Nachts besuche, geht die Zeit nicht so langsam wie in der wirklichen, und eine Stunde kann dort so viel thun, als hier ein Jahr. Diese Continuität der Existenz, diese aneinander hängende Reihe von Gesichten, die von dem zerrissenen Durcheinander in den Träumen anderer Menschen so verschieden sind, befängt mich oft mit seltsamen, unheimlichen Gedanken. Wie, wenn dieser herrliche Schlaf das wirkliche Leben, und dieses dumpfe Wachen eigentlich die Ruhe wäre? Warum nicht? Was ist im einen der Wirklichkeit angemessener als im andern? Und im erstern hab ich alle Wonnen, die zu empfinden ich fähig bin, beisammen. In dieser Tagswelt such ich keine Freude, – knüpfe keine Bande; schmause, liebe, erlustige mich nicht – ich harre blos auf die Stunde, wo ich wieder in mein Königreich eintreten, und mein erneuertes Entzücken an der Brust meines geliebten Ideals ausschütten kann. Dort hab ich Alles 62 gefunden, was die Welt mir versagt; dort hab ich die Sehnsucht und das Streben in mir verwirklicht; dort hab ich die unausgesprochene Poesie meines Innern zu Gefühl und Gestalt ausgeprägt.«

»Diese Angaben,« fuhr Trevylyan fort, »bestätigten sich durch die Erkundigungen, die ich über das Wesen des Visionärs einzog. Er floh die Gesellschaft, vermied jede unnöthige Bewegung oder Aufreizung. Er aß mit der strengsten Mäßigkeit und schien nur froh zu werden, wenn der Tag Abschied nahm und die Stunde der Rückkehr in sein eingebildetes Königreich herannahte. Pünktlich legte er sich stets zu einer bestimmten Stunde zu Bett und schlief so fest, daß eine unter seinen Fenstern abgefeuerte Kanone ihn nicht erweckt haben würde. Nie, was seltsam scheinen dürfte, sprach oder bewegte er sich wenn er schlief, sondern war ausgezeichnet ruhig, so daß er fast das Ansehen von Leblosigkeit hatte. Da er jedoch einmal entdeckte, daß er im Schlaf beobachtet worden war, so pflegte er fortan sein Zimmer gegen Zudringlichkeit sorgfältig zu verwahren. Sein Sieg über den natürlichen Unzusammenhang des Traums dauerte zur Zeit, als ich ihn zuerst kennen lernte, schon seit einigen Jahren; möglich, daß was zunächst die Einbildungkraft hervorgerufen, durch die Gewohnheit fortgesetzt wurde.«

»Wenige Monate nach Mittheilung seiner Geständnisse sah ich ihn wieder, wo er mir denn sehr verändert erschien. Seine Gesundheit war gebrochen, und sein träumerisches Wesen hatte sich zur Schwermuth verdüstert.«

»Ich fragte ihn über die Ursache der Veränderung, er antwortete mir aber nur mit großem Widerstreben.«

»»Sie ist todt,«« sprach er, , »»mein Reich ist verwaist! Eine Schlange stach sie, und sie starb in diesen Armen. Umsonst rief ich mir zu, als ich mit Grauen und Verzweiflung von meinem Schlaf auffuhr: »Das ist blos ein Traum. Ich werde sie wiedersehen. Ein Traumbild kann nicht sterben! Hat es Fleisch, das verwest? ist es nicht ein körperloser, unzerfallbarer Geist?« Mit welcher entsetzlichen 63 Angst harrte ich der Nacht entgegen! Ich schlief wieder ein und wieder lag das Traumbild vor mir – todt und verwelkt. Selbst das Geistige kann untergehen. Ich wohnte dem Begräbniß bei; ich legte sie in die Erde; ich führte das Fratzenwesen eines Denkmals über ihren Leib aus. Seitdem hat sie oder etwas ihr Aehnliches meine Träume nie wieder besucht. Nur wachend seh ich sie; solches Wachen heißt in der That Träumen! Aber,«« fuhr er mit feierlicher Stimme fort: »»ich fühle, daß ich in Kurzem von dieser Welt scheide, und fühl' es mit angstvoller Freude, denn ich denke, es möchte wohl ein Land jenseits des Lands der Träume geben, wo ich sie wiederfinde! – ein Land, wo selbst ein Traumgesicht neues Leben erhalten kann.««

»Und wirklich,« schloß Trevylyan, »starb der Mann kurz darauf plötzlich im Schlaf; eine von jenen seltsamen Erscheinungen, die dann und wann die Geschichten der Menschen durch ihre dunkeln Zaubergestalten wirren, und welcher für seine Person in der That, wie das Schicksal in bildlichem Sinn bei so Vielen, sein Daseyn, seine Liebe, seine Kraft und seinen Tod zu Erzeugnissen eines Wahns, zu Schöpfungen eines Traumes machte!«

»Es gibt wirklich wunderliche Abarten im Leben,« bemerkte Vane, der den spätern Theil von Trevylyans Geschichte mit angehört hatte; »und hätte der Deutsche uns seine Kunst mittheilen können, welche Freistätte von den Uebeln der Erde würden wir besitzen! Kerker, Krankheit, Armuth, Kummer, Schaam würden nicht mehr die Tyrannen unseres Geschickes seyn; auf den Schlaf würden wir unsere Lebensgeschichte beschränken und unsere Gefühle übertragen.«

»Vor Allem,« erwiederte Trevylyan, »verdiente diese Kunst von einem Dichter erlernt zu werden, da dessen ganze Natur ein Sehnen ist nach dem Idealen, nach Dem was die Welt nicht hat, nach Dem was jener Träumer fand. – »Ach, Gertrud« – lispelte der Liebende, »was ihm sein Königreich und seine Braut waren, das bist Du mir!« 64

 


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