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Einundzwanzigstes Kapitel.

Ansicht von Ehrenbreitstein. – Neue Schrecken in Bezug auf Gertruds Gesundheit. – Trarbach.

Ein andermal zogen unsere Wanderer von Koblenz nach Trier, den Lauf der Mosel verfolgend. Sie hielten auf dem jenseitigen Ufer, unter der Brücke, welche Koblenz mit dem Petersberg verbindet, an, um bei der herrlichen Ansicht von Ehrenbreitstein, die sich von dort aus darbietet, zu verweilen.

Es war eine jener lautlosen Mittagsstunden, die ihre helle, labende Stille in unser Gemüth übertragen. Dort lehnte sich ein alter Hirt auf seinen Stab und das ruhige Vieh stand bis ans Knie im vorübergleitenden Wasser. Nie warf ein sanfterer, hellerer Fluß die Bilder des Hirtenlebens zurück, als die Fläche der Mosel zu jener Stunde. Unten fielen die dunklern Schatten der Brücke und der Mauern von Koblenz tief auf die Wellen und das bunte Gemisch der hohen Segel über den im Hafen ankernden Barken. Aber klar stiegen die Thürme und Dächer von Koblenz gegen die Sonne auf, als Vorgrund mannigfacher, gegen den Sehkreis hin geneigter Berge. Hoch, dunkel, massiv hoben sich jenseits des Rheins die Werker und der 52 Felsen von Ehrenbreitstein, ein Abbild jenes großen Rittergeistes – der Ehre, die der Fels als seinen Namen anspricht, – die so viele Opfer von Blut und Thränen fordert, im unruhigen Herzen des Mannes aber stets eine weit tiefere Theilnahme erregt, als die friedlichern Lebensbilder, von welchen sie in buntem Gegensatz umgeben ist. Immer wieder wendet sich das Aug vom stillen Wasser und der Stätte gemeiner Mühe und alltäglicher Lust in die Höhe; immer wieder fällt uns beim Hinblick auf diesen steilen, uralten Felsen Hunger und Belagerung ein, und wir gestehen, daß den kühnern Unthaten der Menschen ein seltsames Vorrecht zukommt, gerade dem Ort, den sie vernichtet haben, eine Weihe zu geben!

In der Tiefe mischen sich die abstufenden Ufer in grünen Krümmungen und scheinbaren, von Gras überhangenen Buchten mit dem Gewässer, und eben am Ende der Brücke gab eine einsame, dichte und dunkle, im kräftigen Schatten stehende Baumgruppe der Landschaft jenen schwermüthigen Zug, der dem Einen mächtigen Gedanken gleicht, der sich oft in unsre sonnigsten Stunden eindringt. Die Zweige der Gruppe rührten sich nicht; keines Vogels Stimme unterbrach die Stille in ihrem lichtlosen Grün; das Aug' wandte sich von ihnen ab, wie von der düstern Schlußlehre unseres irdischen Daseyns.

Auf dem Weg nach Trarbach ward Gertrud abermals von einer jener Ohnmachten befallen, welche Trevylyan früher so sehr erschreckt hatten. Man hielt ein bis zwei Stunden in einem kleinen Dorf an, die Leidende erholte sich aber mit so auffallender Schnelligkeit und bestand so dringend auf der Weiterreise, daß ihre Begleiter, halb gegen den eignen Willen, die Fahrt fortsetzten. Der Vorfall würde gleichwohl eine Wolke auf den Wanderzug geworfen haben, hätte sichs Gertrud nicht zum Geschäft gemacht, den Eindruck wieder zu verwischen, und so leicht, so heiter war ihre Stimmung, daß ihr Bemühen, wenigstens für den Augenblick, gelang.

Spät am Mittag kamen sie in Trarbach an. Dieses jetzt kleine, bescheidene Städtchen soll der Thronus Bacchi der Alten gewesen 53 seyn. Von dem Ort, wo die Wanderer hielten, um eine Totalanschauung von der Stadt zu bekommen, sahen sie die kleine Schenke, eine ärmliche Prätendentin auf den Thron des Bacchus, mit einem roh gearbeiteten Bild der heiligen Jungfrau über der Thür, vor sich. Das Giebeldach, die eingesunkenen Fenster, die grauen Mauern, unterbrochen von rohen Holzbalken, wie man sie bei gemeinern Häusern auf dem Kontinent so häufig trifft, boten eine trübe, uneinladende Ansicht. Gerad' über dem Wirthshaus erhob sich die Stadtkirche mit ihren gothischen Fenstern und ihrem ehrwürdigen Thurm, und vom Gipfel eines grünen, beinah senkrechten Bergs schauten die Trümmer einer jener mächtigen Burgen düster herab, welche den nie fehlenden Dunkelblick einer deutschen Landschaft bilden.

Der Eindruck des Ganzen war still und schwermüthig. Die ausnehmende Klarheit des Tags hob, mit einer fast unangenehmen Helle, die Armuth des Städtchens, die Dünnheit der Bevölkerung und die wilde Größe der Ruinen hervor, welche über die Hauptstadt des untergegangenen Stammes der kühnen Grafen von Sponheim herabhängen.

Man brachte die Nacht in Trarbach zu, und setzte die Reise am andern Tag fort. In Trier befand sich Gertrud einige Tage lang ernstlich unwohl, und bei der Rückkunft nach Koblenz war ihre Krankheit augenscheinlich auf eine schnelle, beunruhigende Art angewachsen.

 


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