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Neuntes Kapitel.

Die Rheingegenden entsprechen dem Geist der deutschen Literatur. – Drachenfels.

Ueberhalb Kölns windet sich der Strom durch Ufer, die das Versprechen, das uns der Name Rhein macht, immer noch nicht erfüllen; aber sie werden interessanter, wenn man einmal Sürth und Godorf hinter sich hat. Der eigenthümliche Charakter des Flusses tritt jedoch erst hervor, wenn allmälig das Siebengebirg und vor Allem der Drachenfels vor dem Aug aufsteigen. Bei Niederkassel und Rheid liegen die Weingärten dicht, wie große Trauben, bei einander, und vom Ufer sieht man von Stelle zu Stelle Inseln ihr langes, grünes Erdreich hinziehen, und die überwallende Fluth brechen. Dorf steigt an Dorf empor, und so von der Ferne gesehen, dringen die lieblichen Täuschungen eines Land- und Hirtenlebens voll und mächtig auf uns ein. So still scheinen diese Dörfchen, so geborgen vor den Leidenschaften der Welt, – als ob die Leidenschaften nicht den Winden glichen, die nur durch ihr Stürmen fühlbar werden, nur in ihren Wirkungen sichtbar sind! – Mancher Bach und manches Bächlein hüpft auf beiden Seiten in den breiten Schoos des Rheins. Thurm um Thurm hebt sich und versinkt, wie man weiter fährt. Berg und Stadt – der einsame Werder – die mauergekrönte Höhe kommen, wie Träume des Ehrgeizes, plötzlich zum Vorschein, wachsen stolz an und schwinden dämmernd hinweg.

»Damit hast Du,« bemerkte Trevylyan, »ein Bild der deutschen Literatur. Der Rhein ist ein Abzeichen ihrer Fülle, ihrer Fruchtbarkeit, ihrer Romantik. Der beste Kommentar für deutschen Geist ist eine Reise durch deutsches Land. Die düstere Nacht des Harzes; die Ritterburgen, die über Weinhügel und tiefe Thäler in den sagenreichen Rhein schauen; die Riesenmale alter Kraft, verschwenderisch über Ebene, Berg und Forst ausgestreut; die tausend einander 104 durchkreuzenden Erinnerungen, die den Boden heiligen; der stolze Römer, der kampfbegierige Gothe, das Ritterthum des Mittelalters, die trübe Brüderschaft für eine überirdische Welt – Alles hat hier seinen Nachklang und sein Gedächtniß. Ueber solchen Schauplatz hin wandelt der junge deutsche Student. Statt des Pomps und Luxus des englischen Reisenden, statt der tausend Erfindungen zur Verkürzung des Wegs hat er blos sein Buch in der Hand, seinen Tornister auf dem Rücken. Aus solchen Scenen zieht und faßt er den Stoff zusammen, der nach Jahren zu einem poetischen Bild reift. Daher die üppige Mischung der deutschen Muse – das klassische, romantische, beschauliche, philosophische und superstitiöse Element durch einander. Jedes das Ergebniß wirklicher Betrachtung an verschiedenen Orten; jedes das Erzeugniß einer besondern, aber wirren Erinnerung. Wie der Rhein strömt, strömt der deutsche Geist an Thal und Hügel – an der wildesten Einsamkeit – an plötzlich aufsteigenden Thürmen alter Städte – an verfallenen Schlössern – prächtigen Klöstern – niedern Hütten hin. Größe und Demuth, Geschichte und Mährchen, Wahrheit und Dichtung folgen so auf einander, daß sie sich zu einem Ganzen verbinden.«

»Doch,« fügte Trevylyan nach einer Weile hinzu; – »wendet sich die ideale Richtung jetzt allgemach vom deutschen Geist ab, und ein Sinn für die mehr praktische, materielle Literatur regt sich unter der Nation. Eine Umwälzung des Geistes, die Vorgängerin stürmischer Ereignisse, hat unter den Deutschen begonnen; und die Erinnerungen an die Vorwelt, welche die Vorfahren nur zur Kontemplation reizten, werden die Jugenden der nächsten Geschlechtsfolge zum Wagen und Handeln drängen.« Unter solchen Gesprächen setzten sie ihre Reise auf einem schönen Wogenspiegel und unter einem leuchtenden Himmel fort.

Jetzt glitt das Fahrzeug am Siebengebirg und Drachenfels hin.

Die sich langsam zum Untergang neigende Sonne warf ihre gelben Strahlen über das glatte Gewässer. Am Fuß des Gebirgs lag 105 ein Dorf, tief in Schatten gehüllt; oben stand der Drachenfels im reichsten Abendglanz. Aber in dieser Verlassenheit, dieser Höhe heiterte das Licht die Trübe, die um den Riesenfelsen schwebte, nicht auf: er starrte empor wie ein großer Name, auf welchen zwar die Sonne des Ruhmes scheinen mag, dem sich aber, infolge der Einsamkeit, zu welcher ihn eben jene Höhe über dem gewohnten Maß der Menschen verdammt, eine gewisse Düsterheit beigesellt.

 


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