Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

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Dreiundzwanzigstes Kapitel

Ein gutes und rechtdenkendes Weib

Jakob Beer bekam wieder einen seiner Anfälle. Als er eines Tages seine Augen zur Wirklichkeit aufschlug, nachdem er lange an seiner großen Sinfonie gearbeitet hatte, begegnete ihm wieder der starre, leere Blick der Einsamkeit zwischen den Bäumen.

Zitternd vor Angst kroch er in seine Hütte, hing Blätter vor die Öffnung und schloß die Augen, um zu schlafen. Aber der Schlaf floh ihn. Er hörte alle geheimnisvollen Raschellaute der Nacht und sah, wie das Tageslicht zwischen den Blättern der Tür hereinsickerte, bevor er endlich einige Stunden Ruhe fand.

Er sprang auf, nahm seine Violine auf den Rücken, steckte einige Bananen und Vogeleier zu sich und begab sich mit dem schlechtesten Gewissen von der Welt auf den Weg zu Pieter Goy, um neue Kraft aus der Seelenstärke zu schöpfen, mit der Pieter sie bei der letzten Zusammenkunft alle in Erstaunen gesetzt hatte. Vielleicht hatte Pieter auch irgend etwas Gutes, Denn Jakob war nach einem langen Arbeitstag, der überstandenen Angst und der schlaflosen Nacht ganz ausgehungert.

Er hatte sich von seinem letzten Besuch einen Richtweg gemerkt, der quer zu Pieters Bambushain führte, ohne daß er den Umweg über den Versammlungsort zu machen brauchte.

Es war ein herrlicher Morgen, mit Vogelgesang und einer frischen Seebrise, so daß Jakob nach und nach ganz vergaß, daß er sich auf einem verbotenen Weg befand. Er summte ein Thema der Sinfonie, mit dem er sich gestern abgequält hatte, vor sich hin; und ehe er es sich versah, lag Pieters Bambushain, in Sonnenschein gebadet, auf der gegenüberliegenden Seite der Lichtung.

Zehn Minuten später stand er auf dem Felsen über Pieters Haus und guckte hinunter.

Der Topf hing über der Asche eines Feuers. Das Sonnensegel war ausgespannt. Jakob konnte am Schatten sehen, daß die Tür des Hauses offenstand, aber es war nicht das geringste Geräusch zu hören.

Was? Geht er fort, ohne abzuschließen, dachte Jakob und rief vorsichtig:

»Pieter – Pieter Goy!«

Einmal. Noch einmal. Da bewegte sich der Türschatten.

Gott sei Dank, er ist zu Hause. Jakob ließ sich keine Zeit zum Warten, er eilte zu der Stelle, wo der Zickzackpfad zwischen dem Gebüsch hinabführte.

Als er unten angelangt war und sich dem Hause zuwandte, erstarrte er vor Staunen.

Denn vor der Tür im Sonnenschein stand ein braunes Wesen, mit Hendriks Wollhemd um die Hüften und weiter nichts.

Sein erster Gedanke war, daß Pieter von den Wilden überfallen und vielleicht getötet sei, und daß sie sein Haus in Besitz genommen hätten. Als er aber sah, daß es ein Weib war, das ihn mit großen Augen anglotzte und wahrscheinlich ebenso viel Angst vor ihm hatte wie er vor ihr, da dachte er, daß Pieter dieses braune Wesen vielleicht auf der Jagd gefangen habe.

Am liebsten wäre er davongelaufen, aber die Neugierde hielt ihn fest.

Er näherte sich vorsichtig, während das Weib sich an der Tür duckte und nach einem Weg zur Flucht umsah.

Als er das Feuer und den Topf erreicht hatte, faßte das Weib einen raschen Entschluß. Ohne ihn aus den Augen zu lassen, bückte es sich herab, zog ein Bund geschälter Bananen hinter der Tür hervor und streckte es ihm entgegen, indem sie alle ihre weißen Zähne zeigte.

Jakob wurde so überrascht über diese plötzliche Freundlichkeit, daß er fast vergaß, das Gebotene zu nehmen. Dann aber begriff er, daß es ein Beweis der Freundschaft und Gastfreiheit sein sollte und beeilte sich zuzugreifen.

Seine Augen glitten über ihre nackte Brust, aber er zog sie schleunigst wieder zurück, errötete und aß mit niedergeschlagenen Augen.

Eva musterte ihn von oben bis unten. Er war kleiner als ihr Herr, außerdem schief und mager. Nur die komische Waffe, die er auf dem Rücken hatte, flößte ihr noch Furcht ein.

Als ob Jakob ihre Gedanken erraten hatte, nahm er die Violine vom Rücken und hängte sie über die Tür.

Sie stieß einen Freudenlaut aus, verschwand in der Hütte und kam mit einer Schale frischer Kokosmilch zurück, die sie ihm mit beiden Händen entgegenstreckte, während sie wieder ihre Zähne zeigte.

Hierin lag so viel Entgegenkommen, daß Jakob ganz verlegen wurde. Er hatte nie Beifall bei Frauen gehabt und selten in Holland Damengesellschaft gesucht. Eine liebenswürdige Wirtin mit nackter, brauner Brust mitten in der Sonne stehen zu sehen, war darum für ihn, der seit seiner Entwöhnung keine Frauenbrust wieder erblickt hatte, ein so ungewohnter Anblick, daß er ganz verstört wurde und es unhöflich fand, den Hut auf dem Kopf zu behalten, da die Wirtin so luftig bekleidet war.

Indem er mit der einen Hand die Schale ergriff, nahm er mit der anderen den Hut ab, sagte »besten Dank« und machte eine linkische Verbeugung.

Er trank aus Höflichkeit etwas und wollte sich just durch Zeichen erkundigen, wo Pieter sei, als etwas geschah, was ihn entsetzte.

Als Eva begriffen hatte, daß er in friedlicher Absicht kam – er hatte ja ihren Willkommensgruß entgegengenommen und seine Waffe abgelegt – da erfaßte sie sehr schnell, daß dieser weiße Mann ein Freund ihres eigenen weißen Herrn sei; sie ließ es sich darum als gutes und rechtdenkendes Weib angelegen sein, in der Abwesenheit ihres Herrn jedem Wunsch des Fremden entgegenzukommen.

Sie reichte ihm Speise, und er hatte gegessen. Sie reichte ihm zu trinken, und er hatte getrunken. Jetzt gab es nur noch eins, was sie dem Gastfreund ihres Herrn als Weib bieten konnte.

Indem er seinen Kopfschmuck ablegte, gab er zu erkennen, daß auch dieses Dritte ihm angenehm sei. Denn in Evas Heimat hatte es etwas anderes und mehr zu bedeuten, wenn ein Krieger sein Haupt vor einem Weib entblößt, als in Europa.

Eva, die ein gutes, braunes Weib war, dachte nur an die Erfüllung ihrer Pflichten. Da es außerdem so schön warm war und sie die Abwesenheit ihres Herrn dazu benutzt hatte, um einen langen Schlaf in der Sonne zu tun, so war ihr diese Pflicht durchaus nicht unsympathisch.

Wie sie dort stand und ihm ihren runden Leib entgegenwölbte, sah Jakob plötzlich, wie sich der Ausdruck in ihren dunklen Augen veränderte. Er wurde schwer und verschleiert, als ob sie getrunken habe. Sie senkte den schwarzen Krauskopf demütig, zeigte ihre weißen Zähne, begann langsam den Knoten zu lösen, mit dem die Ärmel von Hendriks Wolljacke auf dem Rücken zusammengebunden waren, ließ sie langsam über ihre kaneelbraunen Beine hinuntergleiten, hob graziös die Füße daraus hervor und stand vor Jakob wie Eva vor Adam, bevor das Feigenblatt seinen Einzug in die Welt und die biblische Geschichte hielt.

Jakob Beer war von Natur weder ein Held noch ein Krieger. Das Leben hatte ihn nicht gelehrt, eine unerwartete Situation mit einem Lächeln hinzunehmen. Er war keusch und unberührt. Und selbst wenn er sich mit Hendrik darauf gefreut hatte, nackt unter dem Schatten der Palmen, an der Mutterbrust der Erde zu ruhen, so hatte er sich doch nicht – nein, er hatte sich, rund heraus, nicht gedacht, daß Frauen zugegen sein sollten.

Kaum waren seine Augen der Wolljacke auf ihrem Weg abwärts gefolgt, als er bis an die Haarwurzeln errötete und am ganzen Körper zu zittern begann. Und als Eva aus seinem Zögern zu verstehen meinte, daß der weiße Mann, ebenso wie ihr Herr, ein zu großer Häuptling sei, um sich selbst seines Brust- und Lendentuches zu entledigen, so streckte sie, pflichterfüllend bis zum äußersten, ihre Arme nach ihm aus, um das Hemd auf seiner Brust aufzuknöpfen, während sie wie eine Katze knurrte, der man gegen das Fell streicht. Da aber war es mit Jakobs Selbstbeherrschung vorbei.

Voller Entsetzen warf er die Kokosschale, die er noch in der Hand hielt, von sich, stülpte sich den Hut auf den Kopf, riß die Violine von der Tür und rannte wie besessen davon, ohne sich ein einziges Mal umzusehen.

Es dauerte eine Weile, bevor Jakob sich so weit beruhigt hatte, daß er das seltsame Erlebnis überdenken konnte.

Als er aber schließlich wieder auf seinem einsamen Lager lag, die Hände unterm Kopf, und in die Äderung seines Blätterdaches hinaufstarrte, da sah er das braune Weib, wie es in seiner lächelnden Nacktheit vor ihm gestanden hatte, so deutlich vor sich, daß er es hätte malen können.

Es überlief ihn heiß und kalt und er bekam keine Ruhe vor dem Bild, bevor er seine Violine ergriff und sich seine Gemütserregung durch die Fingerspitzen herausspielte.

Es war ein ganz neues Thema, ganz neue Töne, die hervorfluteten. Sie setzten ihn selbst in Erstaunen und berauschten ihn, so daß er beinah bereute, nicht noch einige Augenblicke geblieben zu sein, um der nackten Weiblichkeit mit erhobener Stirn wie ein Mann in die Augen zu sehen.

Jakob Beer hatte etwas zum Nachdenken bekommen. Darin also wurzelte Pieter Goys Seelenstärke. Er meinte, daß er moralisch entrüstet, ja, zornig auf ihn sein müsse; aber er konnte sich nicht dazu bringen, und am dritten Tag war er bereits so weit, daß er ihn aus vollem Herzen und ohne das geringste Schamgefühl beneidete.

Er tröstete sich mit dem Gedanken, daß, wenn es ein braunes Weib auf der Insel gäbe, so würden wohl noch mehr von der Sorte zu finden sein.

Er begann die lieblichste Musik zu spielen, die er kannte; vielleicht glückte es ihm dadurch, eines der anderen Weiber der Insel heranzulocken. Er rief und betörte auf seinen Saiten; und als das nichts half, suchte er in seiner Erinnerung sämtliche Tingel-Tangelmelodien hervor, die seine armen Ohren auf Straßen und in Kaffees gequält hatten. Obgleich es ihm eigentlich zuwider war, stieg er dennoch auf einen Brotfruchtbaum und spielte in alle vier Windrichtungen, bis er voll Entsetzen den Bogen sinken ließ.

Denn in der Dämmerung der Laubkronen war es ihm, als sähe er mehrere dunkle Weiber erstaunt durch die Stämme lugen.

Sie waren klein, mit kurzen Beinen, eher schwarz als braun. Und es ging nicht jener Glanz von ihnen aus, wie er über der blanken kaneelbraunen Brust und den schlanken Beinen im Sonnenschein gelegen hatte.

Er starrte sich fast die Augen aus dem Kopf und wußte schließlich nicht mehr, ob die Gestalten wirklich oder nur Ausgeburten seiner eigenen Phantasie seien.

Dann kletterte er vom Baum herunter und legte sich seufzend zu Bett.


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