Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

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Viertes Kapitel

Die Insel der Verheißung

Auf großen, dunkelgrünen Dünungswogen glitt das Boot mit Daniel und seinen Freunden auf den fernen Nebelfleck zu.

Ihre brennende Erwartung, mit Sehnsucht und Träumen vermischt, war mit unendlich viel mehr Pferdekräften vorausgeeilt, als selbst der schnellste Dampfer sie zuwege bringen konnte.

Sie schwebte über der unbekannten Insel, die sie dort in der Ferne erblickten. Vielleicht war sie es, die ihnen vom Horizont ihren Willkommensgruß entgegenschickte.

Der Nebel nahm Form an. Er teilte sich in einen helleren und einen dunkleren. Der dunklere schwamm über dem helleren, und wie die kleine Motorschaluppe sich der niedrigen, weißen Küste näherte, wo die Dünungen sich an den äußersten Korallenriffen in einem brodelnden Schaumgürtel brachen, der das seichte Wasser hinter dem Riff verbarg, da wurde der dunkle Nebel zu einem tiefgrünen, der sich von dem blauen Himmelsgrund abhob. Er wölbte sich, und etwas schob sich über etwas anderes, in einer ruhigen, gesetzmäßigen Unordnung, bis das Ganze plötzlich zu einem Palmenwald wurde.

Sie saßen mit weitgeöffneten Augen da und hielten sich an der Reeling fest, während die Bewegungen des Bootes unruhiger und die Wellen kürzer wurden, je mehr sie sich der Insel näherten.

Keiner von ihnen sprach. Sie hatten während der langen Reise täglich von der Insel geredet und jeder hatte sie für sich in Besitz genommen; jetzt aber, als sie in dem scharfen Tageslicht der Wirklichkeit dalag, entzog sie sich ihrer Herrschaft.

Sie schien sie auszulachen. Es wurde ihnen plötzlich klar, daß es Zeit und Arbeit kosten werde, bis sie sie dazu zwingen würden, sie als ihre Herren zu betrachten.

Der Maler saß mit offenem Mund und gesenkter Stirn da, während seine Augen die dunkle Wildnis von hundertjährigen Lianen zu durchdringen suchte, die die Bäume zu einer unlösbaren Einheit zusammenbanden.

Wo waren die grünen Grasflecke im Schatten anmutiger Kokospalmen, auf welchen er sanft ruhen wollte, mit der hohen Kristallkuppel der sonnenerfüllten Luft über sich?

Ob die Matrosen sich wohl über ihn und seine Freunde lustig machten? – Er warf einen prüfenden Blick auf sie; aber auf ihren arbeitsstumpfen Gesichtern stand nichts zu lesen. Jeder tat seine Pflicht und dachte nur daran, in dem seichten Wasser hinter dem Riff eine passende Anlegestelle zu finden.

Jakob Beer zitterte wie ein kranker Affe. Seine zusammengewachsenen Brauen zuckten nervös. Er hatte auf der ganzen Reise an Seekrankheit gelitten und, wenn es am allerschlimmsten war, sich zu den schmutziggelben Wänden der Löwenhöhle zurückgesehnt. Bei gutem Wetter aber bereute er solche Gedanken mit schwerbelastetem Gewissen. Das war ja eine Entweihung des zukünftigen Großen.

Jetzt saß er zusammengekauert da und konnte sich gar nicht zurechtfinden. Außerdem war er hungrig und müde, denn er hatte in der letzten Zeit vor Erwartung nicht essen und schlafen können.

Er hatte sich den Augenblick, wo die wunderbare Insel vor ihren Augen auftauchte, wie eine Verzückung gedacht. Aber von Begeisterung war keine Spur. Beschämt mußte er einräumen, daß er eher etwas wie Angst empfand.

Er tröstete sich damit, daß es noch kommen würde. Wenn sie erst ihren Fuß auf das gesegnete Land setzten, seine reifen Früchte kosteten und sich den Rücken von der Sonne durchwärmen ließen, dann würde die Freude, die Urfreude des Lebens, ihren Einzug singend in ihre Herzen halten.

Pieter Goy saß mit gefalteten Händen da und blickte zur Insel hinüber. Er verstand selbst nicht, was er fühlte, war auch nicht daran gewöhnt, weiter über Dinge nachzudenken. Etwas wie Andacht erfüllte ihn, mit Neugierde vermischt. Die hohen Palmenkronen mit ihren langen, schmalen Blättern, die in der frischen Seebrise wie Wimpel an einem Sommertag in Amsterdam wehten, machten einen ganz feierlichen Eindruck auf ihn.

Aus Mangel an Kenntnissen hatte er sich nicht wie die anderen bestimmte Vorstellungen über die Insel gemacht. Er hatte mehr an das Praktische gedacht. Wie es wohl mit der Nahrung bestellt wäre? Denn er konnte sich nicht denken, daß die Bäume Sommer und Winter voll von Früchten hingen.

Auf der langen Reise hatte er sich bedächtig und verständig über all das Neue gefreut, was er zu sehen bekam. Er hatte keinen und nichts zurückgelassen, nach dem er sich sehnte, darum konnte er sich dem Augenblicke ganz hingeben.

Furcht vor der Zukunft hatte er nicht, denn sie konnte nicht freudloser werden, als das Leben in den halbdunklen, dumpfen Stuben, das er geführt hatte, seit er nach dem Liebeskonflikt in Groningen nach Amsterdam gereist war.

Die Löwenhöhle und das Kleeblatt waren das Licht in seinem täglichen Leben gewesen. Als das Licht fortging, ging er mit.

Jetzt lag die Insel leibhaftig vor seinen Augen.

Das war ja anscheinend eine ganz nette Insel. Nur der Wald sah von weitem etwas weitläufig aus.

Das Boot fuhr langsamer. Einer der Matrosen begann vorn zu loten. Ein kurzer Zuruf, und das Ruder wurde so plötzlich gedreht, daß das Boot in einem knappen Bogen mit der Breitseite quer vor die Wellen zu liegen kam.

Es krängte so stark, daß der Maler von seinem Sitz kollerte und sich an der Reeling festklammern mußte, um nicht gegen den Motorkasten zu fallen.

Während das Boot langsam vorwärtsglitt, entpuppte die Insel sich in ihrer ganzen Länge.

Dort, wo die Riffe am dichtesten an das Ufer herantraten, hörte der Urwald auf und machte einer Wildnis von Buschwerk Platz.

Dann rundete die Küstenlinie sich zu einer Bucht – deren Tiefe sie nicht sehen konnten –, aber sie erblickten das Land auf der anderen Seite der Bucht. Es erstreckte sich ganz bis zum Horizont und wurde zu einem Flachland, das mit dunkelgrünen Wäldern bewachsen war.

So groß hatten sie sich die Insel nicht vorgestellt.

Endlich fand der Bootführer eine Stelle, wo das Riff sich senkte und eine Einfahrt zu dem ruhigen Wasser hinter dem Korallenring freiließ.

Das Ruder wurde gedreht und die Fahrt beschleunigt, so daß die Vornsitzenden von den Schaumspritzern am Bug überstäubt wurden.

Jakob Beer bekam wieder seine Übelkeitsgefühle. Er klammerte sich an die Reeling und starrte in das dunkelgrüne, kristallklare Wasser, in dessen Tiefe er dunkle Schatten erblickte, die kamen und gingen.

Das waren wohl die großen gnomenhaften Wunderfische, von denen er Abbildungen im Konversationslexikon gesehen hatte. Dort unten wanderten sie und wunderten sich gewiß über das große Tier, das so hoch oben schwimmen konnte und mit seinem halben Körper aus dem Wasser ragte. Wahrscheinlich fürchteten sie seinen seltsamen Schwanz, der sich unablässig herumdrehte.

»Ein Affe – ein Affe!« schrie Hendrik Koort und zeigte auf eine Stelle, wo er etwas Braunes und Lebendiges in einer hohen, alleinstehenden Palme sah.

»Es gibt keine Säugetiere auf den kleinen Inseln,« erklärte Daniel, der sich aus Büchern genau orientiert hatte, »und Affen kommen selbst auf den größeren nicht vor.«

Der Maler aber wollte sich den Affen nicht ausreden lassen, denn er machte ihm die Insel erst wirklich, diese Insel, die er seit zwei Monaten in seinem Kopf, ja geradezu in seinem Herzen getragen hatte.

Sie fuhren in langsamstem Tempo, bereit, jeden Augenblick zu backen. Gerade vor ihnen lag die steinige Küste, wo das Wasser in kleinen, ruhigen Wellen über den unebenen Grund plätscherte.

Sie waren keine fünfzig Schritt von dem festen Strand entfernt, wo eine dunkle Linie von angeschwemmten Meerpflanzen und toten Seetieren zeigte, wie weit das Meer zur Flutzeit stieg.

Die ersten seltsamen Vogelschreie klangen aus dem etwas entfernt liegenden Wald zu ihnen hinüber.

Sie sahen bunte Vogelfedern pfeilschnell von einem Baumwipfel zum anderen blitzen.

»Hört ihr die Papageien?« rief der Maler und strengte seine Sehkraft aufs äußerste an.

Da sah er wieder einen großen, dunklen Schatten eilfertig einen schuppigen Stamm heruntergleiten. Erst einer, dann noch einer, dann viele. Er war überzeugt, daß es Affen seien, die ihnen den Willkommensgruß boten.

Pieter Goy wurde bedenklich bei ihrem Anblick. Wie würden sie sich stellen? Und war es auch sicher, daß es keine großen Raubtiere auf der Insel gab? Wenn keine Menschen auf der Insel wohnten, konnte man es doch nicht so genau wissen. Daniel hatte sich doch auch mit den Affen geirrt.

Wenn nun ein Tiger dort aus den riesenhaften Wurzeln geschlichen käme – das wäre eine schöne Bescherung.

Gut, daß er seine Büchse mitgenommen hatte. Hendrik Koort war allerdings dagegen gewesen und hatte dafür gestimmt, daß sie friedvoll zur Insel kommen wollten. Die Tiere sollten ihre Freunde werden und ihnen schließlich aus der Hand fressen.

Auch Jakob Beer hatte sich zornig gegen die Büchse aufgelehnt. Solange sie solche Kainwaffe bei sich trügen, würde die verhaßte Gesellschaft mitten unter ihnen sein, und außerdem würde sie sie verleiten, sich an der lebenden Natur zu vergreifen.

Es war Daniel, der schließlich Pieter Goy zu Hilfe gekommen war. Man könne ja nicht wissen, ob vielleicht Wilde auf der Insel landen und die weißen Menschen, die sie noch nie gesehen hatten, überfallen würden.

Jetzt lag das Boot zwischen den Steinen fest. Einer der Matrosen schwang sich über die Reeling und sorrte das Tau um einen Felsen fest, während ein anderer den Anker in einer Klippenspalte befestigte.

Dann wurden zwei Bretter zum Landgang ausgelegt.

Der Maler eilte sich, der erste zu sein. Er sprang von Stein zu Stein, balancierte mit den Armen in der Luft, bis er dorthin kam, wo der Grund zusammenhängend wurde und das Wasser sanft zwischen weißen Steinen spülte, zwischen leeren Schneckenhäusern und großen Muscheln, die ihm mit zartgerötetem Mund entgegengähnten.

Daniel blieb an Bord, um zu sehen, daß alles Hab und Gut des vierblättrigen Kleeblatts richtig und unbeschadet an Land käme.

Dort, wo der felsige Strand anstieg, wo eine Wirrnis von verkrüppelten Wurzeln sich an jedes Häufchen Erde klammerte, war eine natürliche Höhle, die nach allen Seiten, außer zum Meer, geschützt lag.

Hier stellten die Matrosen auf Anweisung von Pieter Goy, der, sobald er an Land war, ganz still die Führung übernommen hatte, die Koffer und Kisten gegen die Felsenwand.


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