Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

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Neunzehntes Kapitel

Das Genie Koort

Es war herrlich auf der Sonneninsel; Hendrik Koort aber kam dennoch aus seinem Adlernest in dem hohen Baum heruntergeklettert.

Es war der Gedanke an die Affen, der ihm keine Ruhe ließ. Was konnte es nützen, daß Daniel ihn Sonntag für Sonntag versicherte, daß die flinken Tiere, die er gleich bei ihrer Ankunft gesehen hatte, nur in seiner eigenen Einbildung lebten. Hendrik hörte sie dennoch über sich in den Zweigen schnaufen, wenn er des Nachts nicht schlafen konnte. Er meinte sie in Gruppen unter dem Palmenlaub zu erkennen und war jeden Augenblick darauf gefaßt, eine Kokosnuß an den Kopf zu bekommen.

Er kletterte also herunter und machte sich ein neues Lager in dem hohlen, windgefällten Baum zu seinen Füßen.

Er machte ihn mit Laub und Moos dicht, flocht sich eine Tür aus Pisangblättern und fühlte sich ein oder zwei Nächte recht behaglich.

Als die Gicht ihn aber wieder mal wachhielt, hörte er es unter sich im Moos rascheln und flüstern.

Er war überzeugt, daß es das Tier mit den glasklaren Augen sei, das ihn jetzt endlich gefunden hatte. Vielleicht wohnte es eine Etage unter ihm und fürchtete, daß die Decke über ihm und seinen Jungen zusammenstürzen würde.

Er leerte sein Nest bis auf die Rinde und untersuchte es in allen Ecken und Enden; als er nichts Verdächtiges fand, beruhigte er sich schließlich. Es war alles Einbildung. Man mußte nur sorgen, so schnell wie möglich einzuschlafen.

Er bahnte sich einen Pfad um den Baum herum und machte sich abends bei Mondschein Bewegung. Oder er turnte in den Lianen, bis er schwitzte und vor Müdigkeit sofort einschlief.

Hendrik hatte endlich angefangen zu malen. Er saß Stunde nach Stunde in dem Schatten einer alten Fächerpalme und versuchte mit zusammengekniffenen Augen die Urfarben zu entdecken, die noch kein menschliches Auge vor ihm gesehen hatte.

Es wollte ihm nicht recht glücken. Immer wenn er sie zu erhaschen meinte, entschlüpften sie ihm auf dem Weg vom Auge zur Hand; und das, was er auf die Leinwand setzte, hatten sowohl er wie andere schon früher gesehen.

Er stieß wütend mit seiner großen, gewölbten Stirn durch die Luft, während das Haar sich nach allen Seiten sträubte. Er kämpfte, bis das Hemd ihm am Leibe klebte; aber er erreichte es nicht.

Dann warf er den Pinsel mißmutig von sich und streckte sich seufzend und grübelnd ins Gras, bis er sein eigenes Herz in der Stille schlagen hörte und die Einsamkeit sich so erstickend um seine Kehle legte, daß er singen und schreien mußte, um sich Luft zu verschaffen.


Als er eines Nachmittags lange vergeblich gekämpft hatte, schlief er im Gras ein.

Die Sonne war noch nicht untergegangen. Die Luft war still und schwül; und Hendrik schlief ermattet ein nach dem vergeblichen Kampf, bis ein neuer, jungfräulicher Tag hereinbrach und die unergründlichen Farben entzündete.

Da fuhr Hendrik in die Höhe und rieb sich die Augen.

Er blickte sich verwirrt um und wußte nicht, wo er war, bis sein Blick auf das Bild fiel, das noch auf der selbstgefertigten Staffelei stand.

Jetzt erinnerte er sich seines hoffnungslosen Bemühens und wandte sich mit einem Seufzer ab.

Er reckte sich den Sonnenstrahlen entgegen, die seinen Augen beständig spotteten, ging dann langsam zu seiner Höhle, um sich etwas Nahrung zu suchen.

Er wollte sein Bild nicht sehen, hätte es am liebsten vernichtet und nie wieder Pinsel und Palette angerührt; als er aber daran vorbeischlenderte, konnte er es doch nicht lassen sich von seiner Minderwertigkeit zu überzeugen.

Aber was war das?

Hendrik blieb stehen und starrte es mit weitgeöffneten Augen an.

War das das Bild, über das er geflucht und geschimpft hatte?

Er trocknete sich den Schweiß von der Stirn und fuhr sich durch sein struppiges, rotes Haar, bevor er vorsichtig nähertrat.

Er beugte sich über seinen Malkasten. Da lag die Palette und die Farben, die er gestern aufgesetzt hatte, waren in der Mitte zu einer einzigen, unbeschreiblichen Farbenmischung zusammengeschmiert.

Dann starrte er wieder das Bild an. Im Vordergrund stand noch das hohe Gras und etwas vom Palmenstamm. Im Hintergrund aber vermischten sich Kronen und Blätter und Früchte mit dem Himmel, der in demselben unbeschreiblichen Gelb strahlte, das auch von der Palette und dem noch nassen Pinsel leuchtete.

Wie es dort saß, Klecks neben Klecks, war es in wunderbaren Lichtern aufgetragen, die zwischen Palmengrün und feinster Lasurfarbe hindurchschimmerten.

Hendrik kratzte sich den Kopf und rieb sich seine Stirnknoten. Er kniff die Augen zusammen und teilte das Bild mit der Hand wagerecht und lotrecht. Er trat ganz nah heran und untersuchte die Pinselstriche, zog sich dann wieder zurück, um den richtigen Gesichtspunkt zu finden. Da wurde ihm plötzlich das Geschehene klar.

Die Lösung war gefunden.

Der Sonnenaufgang zwischen Gebüsch und Palmenkronen – jetzt war er gemalt.

Diese gelben Töne dort – diese strahlenden Lasurfarben – diese wunderbaren Pinselstriche, die jeder Form hohnsprachen, um sie im Licht neu erstehen zu lassen.

Das war nicht gemalt – das war hingehaucht – das war die Natur selbst – die nackte, bebende, göttliche Natur.

Es war kein Sinn in der Strichführung – die Auffassung war rätselhaft – die Mischung unerklärlich – aber das Ganze war ohne Brille gesehen – der ureigensten Natur abgelauscht – quer durch Symbole und Technik und Malerkunst und Hokuspokus hindurch.

Wachend hatte er wie ein Verrückter gekämpft, in der Nacht aber, während sein Körper schlief, hatte seine Seele den Kampf von neuem aufgenommen. Beim Morgengrauen hatte das Genie seine Fittiche entfaltet und sich in seiner ursprünglichen Kraft gezeigt, hatte die Schranken des Ichs durchbrochen, Gewohnheit und Kunst und all den angelernten Kram beiseite geworfen, den Pinsel ergriffen, der Natur ungehinderten Eintritt in sein träumendes Auge gestattet und es gezwungen, sich zu entschleiern.

»Hurra – Hurra!«

Der große Hendrik Koort, er lebe hoch!

Daniel – Jakob – Pieter – warum war keiner von ihnen da, um mit ihm zu schauen und in Bewunderung vor dem Meisterwerk in die Knie zu sinken.

Nachdem seine Gemütsbewegung sich etwas gelegt hatte, setzte Hendrik sich mit untergeschlagenen Beinen auf die Erde und starrte andächtig, mit gefalteten Händen, auf das Bild.

Wie war es vollkommen – wie war es unantastbar!

Nicht einen Strich wollte er im wachen Zustand daran ändern.

Wer doch immer so schlafen könnte!


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