Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

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Neuntes Kapitel

Daniel Hooch

Daniel Hooch schob die Schultern in die Höhe, richtete den Rücken auf und wanderte mit hoch erhobener Stirn durch das hohe Gras, ohne sich nach den anderen umzusehen.

Er war sich immer selbst genug gewesen; und jetzt, wo es galt, den schönsten Traum seines Lebens zu verwirklichen, fühlte er sich wie der junge Adam, der ins Leben hinauswanderte, um es sich Untertan zu machen.

Für ihn allein fächelten die Palmen. Für ihn allein breiteten die dichten Brotfruchtbäume ihre dunklen Schatten über die heiße Erde. Für ihn leuchteten die errötenden Früchte, die oben zwischen den Zweigen baumelten.

Er ging langsam, damit nichts der Herrschaft seines Blickes entging, blieb jeden Augenblick stehen, um Bäume und Gebüsche näher in Augenschein zu nehmen; und wenn es ihm glückte, sie nach seinen Vorstudien zu erkennen, so fühlte er sich reicher und stärker.

Leider aber war das meiste ihm ganz neu, und das, was er kannte, verstand sich seiner Herrschaft mit einer lebendigen und persönlichen Wirklichkeit zu entziehen.

Daniel nickte vor sich hin. Alles das wollte er sich schon mit der Zeit dienstbar machen.

Das Terrain stieg und fiel beständig. Der Schweiß rann ihm in der heißen Luft an den Backen hinab; er aber dachte nur daran, den höchsten Punkt zu erreichen, von wo er die Sonneninsel überschauen und mit dem Blick das unendliche Meer nach allen Seiten umfassen konnte.

Der Wald wurde dichter und dichter. Das Laub versperrte den Himmel wie eine Decke. Lianen schlangen sich ein und aus, bald wie Stahlfedern gespannt, bald schlaff und krumm wie lose Schnüre, die den Laut auffingen und wie in einer Stube mit zu vielen Möbeln das Echo erstickten.

Er mußte seine Augen zur Erde richten und sich mit Händen und Füßen gegen langarmige Strauchgewächse wehren, die ihm mit ihren kleinen naseweisen Blättern um die Ohren fuchtelten.

Große rote Becherblumen wippten wie Glocken, wenn er an den Schnüren riß, aber sie fielen nicht herunter.

Die Ausdünstungen der Bäume und des Waldbodens vermischten sich zu einem halb fauligen Wohlgeruch, der sich wie ein Druck auf die Brust legte und ihm das Atmen beschwerte.

Endlich lichtete der Wald sich wieder. Vor ihm lag ein weißglühendes Sonnenstück; und dahinter erhob sich, was er lange gesucht hatte: eine einsame Kokospalme, die ihm ihren schlanken Stamm grüßend entgegenneigte und in dem starken Licht mit ihren schimmernden Blattfingern zitterte.

Hoch oben unter der Krone leuchteten große, grüne Büschel.

Er stand lange vor dieser Mächtigen des Urwaldes in Bewunderung versunken.

Wie ansehnlich, wie selbstbewußt, wie gütig in ihrer fruchtbaren Fülle, mitten in der brennenden Sonne!

Sieh, wie sie ihre Krone schattenspendend und beschützend über ihre Leibesfrüchte breitet, und ihren Wangen mit bebenden Fingern Kühlung zufächelt, während sie zärtliche Worte über ihren Köpfen flüstert und Säfte aus den Quellen tief unter der Erde durch ihren schlanken Körper langsam in sich aufsaugt, um den grünen Nüssen Nahrung einzuflößen, deren harte Schalen die Sonne nicht zu spalten vermochte.

So sollte auch sein Dichtergemüt aus den verborgenen Quellen dieser fruchtbaren Natur, aus der noch kein menschliches Auge vor ihm getrunken hatte, Nahrung saugen, – in der feierlichen Stille der Einsamkeit sollten seine Träume lebendig werden, damit sich aus ihnen die poetischen Kristalle loslösen konnten, die alles Dagewesene übertreffen würden.

Die Sonne stand hoch am Himmel und zwang ihn, den Schatten aufzusuchen.

Er streckte sich unter die einsame Palme und starrte zu ihrem Schoß hinauf, bis Gedanke und Erinnerung ihm vergingen.

Er erwachte dadurch, daß Mücken ihm um die Ohren summten. Eine hatte ihn schon auf die Hand gestochen. Sie waren größer als die, die er von zu Hause kannte; aber ihr Summen klang ihm so vertraut, daß er dabei lächeln mußte.

Die Sonne hatte die Lichtung passiert und stand jetzt glühend drüben am Waldrand, wo das Dickicht von neuem begann.

Er sprang auf und ging quer über die Lichtung durch das zähe, trockene Gras.

Er war durstig geworden, da er aber nichts Trinkbares bei sich hatte, mußte er weitereilen.

Je mehr er ging, desto durstiger wurde er. Die Zunge klebte ihm am Gaumen. Mit gesenktem Haupt strebte er nur nach dem einen, nach Wasser.

Er hatte längst alle poetischen Gedanken vergessen, als er schließlich ein klingendes Geplätscher hörte.

Ein Bach eilte durch eine Felsenrinne. Er spülte bis an den Rand und ergoß sich munter über die Felswand. Unten angelangt, wurde er erst zu brodelndem Schaum, sammelte sich dann in einem Becken und floß langsam als ein kleiner artiger Fluß weiter.

Daniel legte sich nieder und trank das klare, kalte Wasser in langen Zügen. Dann folgte er der Felsenwand, die mit Moos und einer Pflanzenart, die Farnen glichen, bestanden war, bis er einen offenen Platz erreichte, der gegen Osten sanft abfiel.

Von hier konnte er über die Baumwipfel blicken, die die Bergseite bekleideten. Unten lag die blitzende Fläche der Lagune, kristallklar und grün; dahinter die schäumenden Dünungen überm Korallenriff; und weit draußen breitete sich der blaue Ozean mit seiner glatten Fläche bis zum Horizont, der im Nebeldunst mit dem Himmel zusammenfloß.

Gegen Norden stieg der Felsen steil in die Höhe. Dort erhoben sich einige hohe, stolze Bäume, die er nicht kannte.

Der Gipfel lockte ihn. Obgleich er müde und warm war, stieg er doch hinauf.

Von der kahlen Höhe des Berges, die von einer frischen Seebrise gekühlt wurde, bot sich ihm ein wunderbarer Rundblick über die ganze Insel, mit ihren kleinen Wäldern, Palmenhainen, Lichtungen und stark geschwungenen Küstenlinien. Wohin er sich wendete, starrte das Meer ihn mit seinem ruhigen, dunkelblauen Blick an.

Er nahm seinen Hut ab und schwenkte ihn in die Runde.

Jetzt endlich hatte er die Insel in Besitz genommen und sie sich zu eigen gemacht.

»Hier will ich wohnen!« war sein erster Gedanke, als er wieder unten auf der Lichtung stand, »hier, mit der Felswand im Rücken und das Gesicht der aufgehenden Sonne zugewendet, will ich jeden Abend einschlafen.«

Er legte sich auf den Abhang, dort, wo die langen und dichten Schatten des Waldes hinreichten. Sein Blick verlor sich in dem unendlichen Blau. Sein Gemüt war von Fest und Dankbarkeit erfüllt und kehrte erst zur Wirklichkeit zurück, als er Hunger spürte. Es war später Nachmittag geworben, ohne daß er das geringste gegessen hatte.

Er öffnete seinen Rucksack und tat sich gütlich an dem mitgebrachten Proviant, während er sich mit dem Auge einen Wohnplatz aussuchte.

Es war ein Kalkfelsen, auf dem er saß, dessen Rand mit Moos und Lianen bewachsen war, die einige Meter tiefer auf eine schmale Terrasse hinabreichten.

Er hielt sich an den Lianen fest, schwang sich hinunter und entdeckte, daß noch eine Terrasse unter dieser war. Dann verlor sich die Bergwand in einem dichten Unterholz von großblätterigen Büschen und Schlinggewächsen, die ihm bekannt vorkamen.

Nach den Blättern zu urteilen, war es der wilde Yams, von dem er gelesen hatte, dessen Wurzelknollen ein so vorzügliches Nährmittel sein sollten.

Froh über diese wichtige Entdeckung, kletterte er wieder zu der Bergwand hinauf und begann sofort sein Haus zu bauen.

Daniel hatte es Zeit seines Lebens geliebt, den Rücken gut gedeckt zu haben. Darum sprach diese steile Felswand, die er im Rücken hatte, ihn an. Er selbst konnte sich zur Terrasse hinabschwingen; wenn er aber die Lianen durchschnitt und sie des Nachts wie eine Strickleiter zu sich heraufzog, so konnte keiner hinterrücks zu ihm gelangen. Es war wie eine Festung. Er sammelte Steine und Blöcke, die rund herum verstreut lagen, baute einen Wall vom Felsenrand aufwärts und machte ihn mit Erde dicht. Dann fügte er zwei Seitenwände hinzu, ebenfalls aus Erde und Steinen, so daß das Haus eine Öffnung nach Osten behielt, mit dem Blick übers Wasser.

Die Sonne stand jetzt so tief, daß die Schatten des Walddickichts im Süden ganz bis zu seiner Wohnstätte reichten.

Er füllte den Raum mit Blättern und Moos, spannte seinen Rucksack als Dach zwischen die Mauern, legte Steine darauf, um ihn zu halten und streckte sich endlich zur Ruhe, in seine wollene Decke eingehüllt.

Er war todmüde, aber was schadete das. Stolz und froh im Bewußtsein seiner Herrschaft, überzeugt, daß keiner der anderen einen so guten Platz gefunden hatte, schlief er ein als König der Insel, das Gesicht dem Sonnenaufgang zugewendet.

Er erwachte nachts, in Schweiß gebadet und von Mücken gestochen. Er fluchte, kratzte sich und wehrte sich wütend gegen die boshaften Tiere, die ihm in seinem dunklen Gefängnis um die Ohren summten.

Es dauerte eine Weile, bis er sich darauf besann, daß er ja der Herr der Sonneninsel sei. Als er sich das aber erst klar gemacht hatte, wurde er ruhig und dankbar und schlief wieder ein.


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