Laurids Bruun
Van Zantens Insel der Verheißung
Laurids Bruun

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Zehntes Kapitel

Pieter Goy

Pieter Goy schob den Rucksack auf seinen breiten Rücken zurecht und begab sich resigniert auf die Wanderung durch den Wald, in die Richtung, die man ihm gelassen hatte.

Das beste ist, so schnell wie möglich vorwärts zu kommen, dachte er, so daß man sein Mittagessen an einem sicheren Ort genießen und sich ein bißchen gemütlich für die Nacht einrichten kann.

Er schielte unter seinem Hutrand mißtrauisch zu den Baumwipfeln hinauf.

Die großen roten Knollen, die zwischen den langen, komischen Zapfen hingen, sollte man also von jetzt ab essen. Wenn es wenigstens Kokosnüsse gewesen wären, die kannte man doch.

Als er eine Strecke gegangen war, fiel sein Blick auf einige Pisangbüsche. Oben unter den Blättern saß ein Büschel grüner Bananen.

Ich will doch mal meine Axt probieren, dachte er, und führte einen Schlag gegen den Stamm; er fiel beim ersten Hieb.

Er pflückte die Bananen ab. Sie waren klein und grün. Er schälte eine und biß hinein. Saftig war sie, aber weder süß noch wohlschmeckend.

Macht nichts, dachte er, ich koche sie wie Blumenkohl, von Bananen weiß man doch, daß sie nicht giftig sind; und man soll nichts verschmähen, solange man im unklaren tappt.

Er steckte sie in seinen Rucksack und wanderte weiter.

Es wehte ein leiser Wind, so daß die Baumwipfel sich teilten und das Sonnenlicht durch das Laub schien.

Die kleinen grünen Papageien schwirrten und schlugen mit den Flügeln und schrien lustig zum Licht hinauf.

Er sah nach oben, die Sonne aber blendete ihn, so daß er nichts sehen konnte.

Verfluchte Sonne, dachte er, bei diesem Lichthimmel soll mal einer einen Vogel schießen.

Da fiel ihm ein, daß Fleischspeisen ja doch verboten seien und die Büchse bei den Kisten lag. Also was das anbetraf – –

Der Schweiß hagelte ihm bei dem forschen Marsch, den er anschlug, von der Stirn, alle zarten Gewächse wurden unter seinen Füßen zerdrückt.

Ha, wie wohltuend wäre ein Bad, dachte er, und trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

Eins war sicher, er wollte nicht ruhen, bevor er den Meeresstrand erreichte. Ohne Wasser konnte er nicht sein. Er hatte zeitlebens am Wasser gelebt, zuerst in Groningen und dann in Amsterdam. Wenn es sich nicht um eine Insel gehandelt hätte, dann wäre er lieber zu Hause geblieben.

Überhaupt –

Na, es hatte ja keinen Zweck, darüber zu grübeln. Daniel verstand sich wohl auch besser darauf.

Und große Raubtiere, wie Löwen, Tiger, Affen und Schlangen sollte es ja auf der Insel nicht geben; das hatte Daniel bestimmt versichert. Also was das anbetraf – –

Er sah auf seine Uhr und prüfte, ob er sie auch aufgezogen hätte. Donnerwetter, wenn man das hier vergessen würde, wo man nicht die Schloßuhr hatte, nach der man sich richten konnte, übrigens schien die Sonne wohl den ganzen Tag, so daß man sich nach ihr richten konnte.

Schönes, weiches Moos wuchs dort auf dem alten Stamm. Das wollte er als Unterlage für sein Bett verwenden. Denn ein gutes, weiches Bett war das erste, wofür man sorgen mußte.

Dann begann er darüber nachzudenken, wie er sich ein Haus machen wollte.

Mit den großen breiten Pisangblättern wollte er das Dach decken. Sie waren dick und fühlten sich ganz glatt an. Der Regen würde an ihnen hinabrollen, als ob sie aus Wachstuch seien. Und das Licht würde hindurchscheinen, so daß man keine Fenster zu machen brauchte. Denn die waren doch zu nichts anderm nütze, als daß Mücken und Fliegen und dergleichen geflügeltes Getier, von dem es bei diesem tollen Sonnenschein natürlich eine Menge gab, hereinkommen und stören würden, wenn man aß oder bei einer Pfeife duselte.

Denn es gab doch wohl richtige Tabakpflanzen auf dieser Insel?

Das Rauchen wollte er sich nicht nehmen lassen. Selbst wenn man mit Natur und Einsamkeit zusammen leben und allem Gewäsch aus dem Wege gehen wollte, konnte man sich doch 'ne Pfeife leisten. Darin war Daniel nun komisch.

Und wenn er nichts anderes als Heu oder welke Kastanienblätter zum Rauchen hatte – rauchen wollte er, das war sicher.

Pieter Goy fühlte plötzlich Hunger. Er suchte sich einen Baum aus, der reichlich Schatten spendete, setzte sich bequem zurecht, den Rücken gegen den Stamm, und packte seinen Proviant aus.

Auch Pieter Goy bekam während seiner Mahlzeit Besuch von dem merkwürdigen Tier, mit den Zacken auf dem Rücken und den glasklaren Augen.

Nachdem er es eine Weile betrachtet hatte, versuchte er es zu verscheuchen; das Tier aber rührte sich nicht.

»Willst du wohl machen, daß du fortkommst, du Glotztier!« sagte er und holte mit seinem Stock nach ihm aus.

Das Vierbein schlug die Augen nieder, die Zacken wurden ganz blau, worauf es unter dem verfaulten Baumstumpf verschwand, in dem es wohnte.

Die Papageien schlugen mit den Flügeln über seinem Kopf und hatten sich eine Menge zu erzählen.

Pieter Goy mußte an die Krähen in seiner Heimat denken, wenn sie sich im Frühjahr in Scharen auf den Feldern der Bauern versammeln. Ihm wurde ganz weich ums Herz.

Im selben Augenblick bekam er einen Spritzer. Und als er sich umblickte, saß ein großer, weißkalkiger Fleck auf dem Zwieback, den er gerade in der Hand hatte.

»Wie beliebt, habt ihr nichts Besseres zu tun, als anderer Leute Essen zu beschmutzen?« rief er zum Baumwipfel hinauf und klatschte in die Hände, um sie zu verscheuchen. Die Papageien aber blieben ruhig in einem traulichen Haufen sitzen und schrien zu ihm herunter.

»Verfluchte Schweinerei!« sagte er und seufzte dabei.

Zu Hause ist es doch am besten.

Er stand auf, packte seinen Proviant zusammen und eilte weiter.

Nachdem er eine halbe Stunde gegangen war und durch die Stille auf rieselndes Wasser gelauscht und nach allen Seiten danach gespäht hatte – er ging in südwestlicher Richtung, und die Insel war ja nicht größer, als daß er bald die Küste erreicht haben mußte –, da wurde der Wald vor ihm plötzlich ganz dicht.

Als er nah herankam, sah er, daß es ein Gehölz von dünnen, sehr langen und sehr gleichmäßigen Stämmen war. Sie waren graugrün, mit schmalen und Pfeilspitzen Blättern.

Er versuchte einen von ihnen zu brechen, aber er war zäh und wippte zurück, als er ihn losließ.

Da sah er, daß der Stamm in gleichmäßige Teile eingeteilt war, ebenso wie spanisches Rohr, das er von zu Hause kannte. Und im selben Augenblick wurde ihm klar, daß er es hier mit richtigen und wilden Bambussträuchern zu tun hatte, die sich zu einem mächtigen Gehölz zusammendrängten und seinen dicken Körper nicht durchlassen wollten.

Jetzt wußte Peter Goy, wie er sein Haus bauen wollte. Er schlug ein paar mit der Axt und prüfte sie. Ja, sie ließen nichts zu wünschen übrig.

Er folgte dem Rand des Gehölzes und merkte sich den Weg genau.

Als er es hinter sich hatte, begann der Boden stark abzufallen.

Jetzt geht's zur Küste, dachte er und folgte der Böschung, bis ein starker, eintöniger Laut die Stille rings herum unterbrach.

Er blieb stehen und lauschte.

Ja, das war plätscherndes Wasser.

Er ging dem Laut nach und stand bald darauf am Fuß eines ausgehöhlten Kalkfelsens, über den das Wasser in breiten, kühlen Strahlen herabströmte.

Goy trat heran und schmeckte es. Es war wunderbar frisch.

Er stand einen Augenblick und erfreute sich an der frischen Kühle, die die Wasserwand atmete.

Dann warf er den Rucksack auf die Erde, entledigte sich seiner Kleider, sprang unter die Strahlen und nahm eine Dusche, die ihm durch und durch ging.

Er stöhnte und prustete, lief in die Sonne, setzte seinen Strohhut auf und war in einigen Minuten wieder trocken.

Hier in der Nähe will ich wohnen, dachte er, da kann ich mein Morgenbad nehmen, wie ich es von zu Hause gewöhnt bin, ohne mich vor Haifischen und Krokodilen und anderen Seetieren, die an der Küste hausen, zu fürchten.

Pieter Goy folgte dem Bach, der den Wasserfall bildete. Er hüpfte, ebenso wie der erste, den sie gesehen hatten, über Steine und Korallblöcke dahin, so daß Pieter springen und waten mußte.

Kaum zehn Minuten später leuchtete die Lagune durch die Stämme und bald darauf befand er sich auf einem flachen, schmalen Strand, der sich zu einer winzigkleinen Bucht rundete. Sie lag in der Tiefe einer größeren, zwischen zwei waldbekleideten Landzungen eingeklemmt, die sich wie Molen vorschoben. Kaum hundert Schritte waren zwischen beiden, und das Wasser war dort ganz ruhig.

Über die äußerste, niedrige Spitze der einen Landzunge hinweg konnte er die blaue Lagune mit dem da hinterliegenden weißen Schaumgürtel des Korallriffes sehen.

Pieter Goy war so froh, als hätte er in der Lotterie gewonnen. Er vergeudete keine Zeit, indem er die Aussicht betrachtete. Er dachte an Fischfang und fühlte sich plötzlich ganz zu Hause.

Dann ging er längs des Strandes bis zur Mitte der Bucht und von dort durch die Stämme landeinwärts, bis er den Felsabhang erreichte.

Er folgte ihm, bis er den Wasserfall und den Fluß und die Bucht auf der anderen Seite sehen konnte, untersuchte die Felswand gründlich und fand schließlich eine Stelle, wo der Boden trocken und eben und frei von Wurzeln war.

»Hier soll Pieter Goys Haus stehen!« sagte er zu sich selbst, warf den Rucksack ab und ging dann, ohne eine Minute zu verlieren, zum Wasserfall zurück, von wo er nur zehn Minuten Weges bis zum Bambushain hatte.

Hier fällte er drauf los, daß der Schweiß nur so in Strömen an ihm herabrann und das Hemd ihm am Körper klebte. Aber das mußte man mit in den Kauf nehmen.

Er schleppte so viel davon mit, wie er tragen konnte. Als er zurückkam, reinigte er die Wand des Kalkfelsens von Erde, Moos und Pflanzen, und ebnete sie mit dem Rücken seiner Axt. Darauf bohrte er in Mannshöhe ein Loch hinein.

Dann wählte er sich eine Bambusstange, die drei Meter lang war, und zwei kleinere. Die kurzen steckte er so in die Erde, daß die Spitzen sich kreuzten. Dann band er sie mit seinem Rucksackriemen zusammen, steckte darauf das eine Ende der langen Bambusstange in das Loch in der Kalkwand, und legte das andere zwischen die Kreuzung der beiden kurzen Stangen.

Er hatte nicht Zeit, Wände aus Bambusrohr zu machen. Das konnte er morgen tun. Für heute begnügte er sich mit einer einzelnen Mittelstange an jeder Seite.

Dann pflückte er die größten Pisangblätter, die er finden konnte, und legte eine dicke Schicht davon von der Dachstange abwärts, über beide Seiten. Unten legte er Steine auf die Blätter, damit des Nachts kein Getier hereinkommen konnte.

Das Segeltuch seines Rucksackes spannte er wie eine Tür zwischen die beiden gekreuzten Stangen. Unten deckte es nicht, aber er half mit Pisangblättern nach. Das oberste Dreieck ließ er frei, damit Luft und Licht hereinkommen konnten.

Er stand einen Augenblick und bewunderte sein Werk. Dann machte er Feuer vor der Hütte und kochte sich eine herrliche Suppe aus Schiffszwieback, Dosenfleisch und den frischen Bananen, die er unterwegs gepflückt hatte.

Während er aß, begann etwas in den hohen Bäumen hinter ihm zu flöten und zu schnattern.

Es sah aus, wie eine Schar großer Vögel, die nach Haus kamen und Nachtlogis in den Zweigen suchten; aber es klang nicht wie Vogelgeschrei, eher wie Ratten, die sich balgten, oder kleine Affen, die sich zankten.

Er wußte nicht, was es war, und war zu faul, um aufzustehen und nachzusehen.

Die Papageien mischten sich mit ihrem heiseren Geschrei in den Streit. Er mußte an die Krähen denken, wenn sie sich zur Abendzeit in die Bäume setzen, und wieder wurde ihm weich ums Herz. Aber das dauerte nur einen Augenblick.

Satt, müde und mit sich selbst zufrieden, legte er sich auf weichem Moos zum Schlaf nieder, in seine wollene Decke eingehüllt.

Es wurde still in den Baumkronen. Schließlich war nur noch das ferne Geplätscher des kleinen Wasserfalls zu hören. Es erinnerte ihn an die Wassermühlen in Groningen und wiegte ihn schnell in einen tiefen und gesunden Schlaf.


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