Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

E« war ein sehr warmer Tag. Lea saß auf ihrem gewohnten Platz in Matofas Garten, den Rücken gegen die Hütte gelehnt, die Kinder in ihrem Schoß.

Die Kleinen waren eingeschlafen, die Köpfe gegen ihre Brust gedrückt.

Sie saß unbeweglich, um sie nicht zu wecken; den Kopf über sie gebeugt, beobachtete sie das Pochen des Lebens in ihren nackten Hälsen.

Als sie so in der Sonne saß, schlich sich der selige Friede der kleinen Herzen in das ihre und ließ es in demselben stillen Takt schlagen.

Sie vergaß Zeit und Stunde und schlief ein. Und es wurde Mittag, ohne daß sie es merkte.

Da sah ich Matofa und Muanda vom Kokoshain kommen. Sie schlenderten langsam über den Strand, müde von der Arbeit des Vormittags im Tarofeld und schlaff von dem Weg in der brennenden Sonne.

Ich sah, wie sie sich der Hütte näherten, und mein Herz stand still vor Angst, was geschehen würde.

Muanda wurde der fremden Frau ansichtig, die mit ihren Kindern im Schoß gegen die Wand der Hütte lehnte.

Sie starrte sie einen Augenblick mit offenem Mund an, als sähe sie einen Geist. Dann stieß sie einen Schrei aus vor Zorn und Entsetzen.

Sie hatte Lea erkannt, riß die Zauntür auf und stürzte in den Garten.

Lea erwachte durch den Schrei, und indem ihr Auge dem Muandas begegnete, erstarrte ihr Gesicht; sie öffnete ihre Arme, und die Kinder entglitten ihrem Schoß.

Eine Flut von zornigen Schimpfworten entströmte Muandas Mund, während sie die Kinder aufhob, die ihr vor die Füße gerollt waren.

Sie beugte sich Lea entgegen. Nur die Kinder, die sie in ihre Arme geschlossen hatte, hinderten sie daran, sich auf die fremde Frau zu stürzen, die in ihr Haus eingedrungen war, um Purmea über ihr Glück zu üben.

Lea stand vor ihr, den Rücken gegen die Wand der Hütte gedrückt, die großen, weitaufgerissenen Augen auf die rasende Frau gerichtet, als ob sie von den zornigen Worten festgezaubert wäre.

Nicht ein Laut kam über ihre Lippen, sie machte keine Miene zum Gehen; es war, als ob der Tod bereits in ihrem Herzen Einzug gehalten, als ob die Seele bereits den Körper verlassen habe.

Da wandte Muanda, die große grobe Frau, sich zu ihrem Mann um.

Ich sah, wie sie ihn aufhetzte, ich sah, daß sie die Kinder zu ihm emporhob und auf ihre Köpfe zeigte, und ich begriff durch die Entfernung, daß sie ihm seine Gleichgültigkeit vorhielt.

Konnte er denn nicht begreifen, daß das Herz der unfruchtbaren Frau voller Neid gegen das Leben war, das zur Welt zu bringen ihr versagt worden war? – Begriff er denn nicht, daß sie gekommen war, um Purmea über Stirn und Herz der Kinder zu üben!

Muanda warf sich auf die Knie; und während der Wortstrom unaufhörlich von ihren dicken Lippen floß, durchsuchte sie ihre Kinder von oben bis unten, um eine Spur der Verzauberung zu finden.

Und als sie das getan hatte, fing sie an, sie abzulecken, um die Zauberei, falls dennoch eine da sein sollte, auf ihr eigenes Leben zu überführen.

Während ihre Zunge auf diese Weise beschäftigt war, gab es eine Pause in dem Wortstrom, und nur ihre Blicke sprachen beredt von ihrem Zorn.

In dem Schweigen, das folgte, sah ich, wie Matofa sich gegen den Zaun stützte, von Überraschung und Kummer gelähmt, vielleicht mit der alten Liebe tief drinnen in seinem jungen Herzen – wortlos und ratlos stand er da und sah von Lea zu Muanda und wieder zurück.

Da geschah etwas, was ich nicht verstand. Ich sah, wie er herbeieilte und sich über die Kleinen beugte; ein heftiger Ruck durchfuhr ihn – Muanda mochte ein Wort gesagt haben, das gezündet hatte –, ich sah, wie er sich aufrichtete, auf Lea zuging und sie am Arm packte.

Niemals werde ich den Ausdruck in ihren Augen vergessen, als sie seine Hand um ihren Arm fühlte.

Es war mehr Erstaunen als Kummer; und mitten im Erstaunen leuchtete ein Verständnis auf. So unlösbar war ihr Herz noch mit dem verknüpft, mit dem sie einst m Liebe eins gewesen war, daß sie seine Vaterangst für die Kleinen stärker empfand als ihren eigenen Schmerz.

Sie war in diesem Augenblick Mutter, trotz Muandas. Die Mutter des Mannes, dem sie angehörte, und Mutter der Kinder, die eine andere Frau ihm geschenkt hatte.

Ich sah, wie seine Angst und sein Zorn sich in ihren Augen spiegelte.

Ich sah, wie sie sich unter seinem Blick duckte, wie ein bußfertiges Weib, das auf Sünde ertappt worden ist. Ich sah, daß sie die Arme ausbreitete und etwas sagte – wahrscheinlich war es die Unschuld ihres Herzens, die sich in Worten der Beruhigung für sein Vaterherz Bahn brach.

Wieder sah ich, wie Muanda sich zu ihr wandte und ihr ihren Zorn ins Gesicht schrie.

Und da sah ich, wie Matofa, von neuem aufgehetzt, Leas mageren Arm noch einmal packte.

Ich sah, wie er sie hinausschleuderte, und Lea schwankte gebeugten Hauptes davon, als ob diese Last zu schwer zu tragen sei.

Ohne sich noch einmal umzusehen glitt sie über den weißen Strand, während Muanda mit gespreizten Beinen in der offenen Zauntür stand und die weinenden Kinder an ihrem vollen Busen wiegte, indem sie Schimpfworte und Flüche hinter Lea hersandte, bis sie im Schatten des Kokoshains verschwunden war.


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