Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Zehntes Kapitel

Tags darauf erzählte ich Toko, was sich ereignet hatte. Nur von Talaos Angebot mir gegenüber schwieg ich.

Er zuckte die Achseln und hob die Augenbrauen.

Hatte er es nicht gesagt? – Wenn Lea nicht das Herz ihres Vaters besaß, war es am schlimmsten für sie selbst. Der arme Matofa würde nie und nimmer Talaos Schwiegersohn werden.

»Toko,« sagte ich und blickte ihm fest in die Augen. »Ich will, daß Lea Matofa haben soll, und wir beide wollen ihr dabei helfen.«

Wenn ich ihn geschlagen hätte, hätte er nicht verblüffter sein können. Er sah mich mit starren Augen und weitgeöffnetem Mund an. Dann begann es in seiner Brust zu arbeiten, die Halsader schwoll; er bereitete sich zum Widerstand, aber ich ließ es nicht soweit kommen.

Ich hielt ihn mit meinem Blick fest, ohne eine Miene zu verziehen. Ich sah, wie die Gedanken in seinem armen Kopf kreisten, wie er kämpfte, um von meinem Blick loszukommen. Ein Schimmer von Haß glühte in seinen Augen auf, erlosch aber gleich wieder. Er sah, daß mein Wille fest war, und unter Seufzen und Stöhnen beugte sein starrer Nacken sich mehr und mehr. Sein Blick schmolz, er bekam den feuchten, grünlichen, durchsichtigen Glanz, der mich an den Blick eines Hundes erinnert, wenn er sich dem Willen seines Herrn fügt.

Er wartete schweigend, was ich ihm weiter sagen würde.

»Toko, Lea ist nicht wie die andern; sie ist wie Ali. Ihr Herz wird einschrumpfen und welken, wenn sie den nicht bekommt, den sie liebhat.

Toko brummte etwas mit niedergeschlagenen Augen vor sich hin. Ich überhörte es und fuhr fort:

»Wenn ich Ali nicht in meinem Haus gehabt und Lea nicht bereits Matofa gewählt hätte, würde ich sie vielleicht selbst genommen haben.«

Toko blickte auf. Ein strahlendes Licht glomm in seinen Augen auf; das war ja die allerbeste Lösung.

»Nimm sie!« rief er und streckte mir die Arme bittend entgegen.

Ich überhörte ihn wieder und fuhr fort, ohne auf seine Miene zu achten:

»Da ich sie aber nicht selbst nehmen kann, so will ich, daß sie den bekommt, den sie sich erwählt hat, damit ihr Herz sich ausweite.«

Ich sah, daß er bei sich dachte: Du willst – du willst – aber du vergißt, daß Talao hier mitzureden hat.

»Nun sollst du mir in Erfahrung bringen, wie es zu Hause bei Talao steht, was er zu Lea gesagt hat und was ihre erwachsenen Brüder, die auch im Gemeinschaftshause schlafen, zu der Sache meinen.«

Toko erwiderte kein Wort.

Um ihn zu ermuntern gab ich ihm ein Stück Schokolade, das Schönste, was er kennt. Sein Gesicht klärte sich auf, und während er kaute, begannen seine Gedanken sich bereits mit der Aufgabe zu beschäftigen, die ihm anvertraut war.


Schon am nächsten Tag kam Toko über den Strand gesprungen.

Er hatte seine Bedenken ganz vergessen und war wie gewöhnlich voller Eifer, die ihm anvertraute Arbeit gut auszuführen.

Stolz auf das, was er bereits ausgerichtet hatte, begann er schon von weitem:

»Talao hat Lea unter seinen Augen gehabt, die Jungen haben es gesehen. Talao war sehr böse, und Lea bat und begoß ihre Worte mit Tränen; Talao aber hat gesagt, daß sie sich eine andere Matte suchen soll, eine mit Tabu und eigener Häuslichkeit.«

»Und die großen Söhne?«

»Die wollen Matofa nicht als Schwiegersohn haben, aber sie wollen auch nicht, daß Leas Herz welken soll; und darum sagen sie, daß es im Gemeinschaftshaus dunkel ist und daß ihre Augen im Dunkeln nicht sehen können, wo Lea schläft.«

Toko bekam noch ein Stück Schokolade und ließ sich zufrieden mit gekreuzten Beinen in meiner Stube auf der Matte nieder, die ihm vorbehalten war.

Während er kaute und schmatzte und seine Finger leckte, folgte sein aufmerksamer Blick jeder meiner Bewegungen.

Er sah, daß ich überlegte, was jetzt zu tun sei, und seine Stirn legte sich in gedankenvolle Falten, ebenso wie die meine.

Mit Talao war nichts aufzustellen. Er war stolz und eigensinnig, und Lea gehörte ihm.

Wäre es in alten Tagen gewesen, als der König noch seine vollen Geistesgaben hatte, dann wäre ich mit einem Gegenstand aus meinen Kisten zu ihm gegangen; und Talao hätte zu wissen bekommen, daß die Augen des Königs sehr groß seien. Wer aber kümmerte sich jetzt um den König? Er verstand ja nicht einmal, was man sagte. Wahuja war es, der –

Im selben Augenblick wußte ich, was ich tun wollte. Der weise Wahuja sollte mir raten. Es würde ihm Spaß machen, Talao einen Streich zu spielen, denn wenn Talaos Tochter den Sohn einer armen Wasserträgerin bekam, würde es ein harter Schlag für Talao sein, der seinen Totem für ebenso vornehm hält wie Wahujas.


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