Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Achtzehntes Kapitel

Das Haus wurde fertig, und Lea hielt Hochzeit mit Matofa.

Es war eine stille Hochzeit.

Talao hatte keine Lust, den ganzen Totem zusammenzutrommeln, um den schlechtverhehlten Ärger über die elende Partie mit anzusehen, die eine der Ihrigen machte.

Die Familie, Toko und ich waren zugegen. Nicht einmal die arme Wasserträgerin, die ich noch nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen hatte, war dabei; sie war zeitig am Morgen bei Talao gewesen und hatte ihn flehentlich gebeten, sie freizugeben.

Einer aber war dabei, der nicht mit zur Familie gehörte und dem ich die Einladung verschafft hatte. Das war der weise Wahuja in höchsteigener Person.

Er hatte die Neuigkeit erfahren, während sie noch ganz warm war, und war eines Vormittags in der Geschäftszeit zu mir gekommen unter dem Vorwand, meine Waren zu betrachten.

Er kam in Pyjamas mit goldener Brille und den neuen braunen Socken; aus der einen steckte sein großer Zeh schon heraus.

Er kam, um meinen Dank und Rum zu ernten, weil sein weiser Rat von Erfolg gekrönt war: ich hatte ja meinen unbegreiflichen Willen und Lea ihren Liebsten bekommen.

Er empfing sowohl Dank wie Rum, und nachdem wir unseren Betel gekaut hatten, rückte er mit seinem eigentlichen Anliegen heraus.

Was für ein Staatsmann hätte aus Wahuja werden können, wenn er mit einer anderen Haut in einem europäischen Totem vom selben Rang geboren wäre!

Ach, es gehen so viele schöne Kräfte in der Welt verloren, weil die betreffende Persönlichkeit nicht auf ihren richtigen Platz kommt.

Wie er dort saß und mit seinem zahnlosen Gaumen kaute, während die langen, weißen Ohren sich auf und ab bewegten, bekleidete ich ihn in Gedanken mit einer goldstrotzenden Uniform statt der gestreiften Pyjamas. Ich zog ihm Lackstiefel über die braunen Socken, die goldene Brille hatte er ja schon auf der Nase, und der Mann, der jeden König und jedes Parlament nach seinem Willen getummelt hätte, war fix und fertig.

Nachdem er erst einen ansehnlichen Gegner tief gedemütigt, denn er war es ja, der den Plan ersonnen hatte – ohne eigene Unkosten, nur durch die Arbeit anderer, ja, sogar gegen Bezahlung – kam er jetzt, wieder durch Hilfe anderer, um diesen Gegner zu einem dankbaren Freund zu machen.

Er kam, um Talao durch mich sagen zu lassen, daß er die Hochzeit mit seiner Anwesenheit beehren wolle, um zu beweisen, daß Talao und sein Totem durch diese peinliche Heiratsaffäre, die der unerforschliche Wille des Schicksals seinem angesehenen Freund Talao gesandt habe, in Wahujas und seines Totems Augen nicht gelitten hätten.

Es machte einen tiefen Eindruck auf Talao, als ich ihm Wahujas Bescheid brachte. Ich las in seinen ehrlichen Augen eine offene Anerkennung für Wahujas überlegene Größe und ein beschämtes Bedauern, daß er einer so edelmütigen Natur Unrecht getan habe.

Als Lea Matofa feierlich übergeben und die Hochzeitsbananen verteilt worden waren, sah ich, wie Wahuja von seiner abbiß und den Rest der Braut reichte.

Das war eine große Auszeichnung. Talao wurden die Augen feucht, und Wahuja schaffte sich in diesem Augenblick aus einem alten angesehenen Gegner einen Freund fürs ganze Leben.

Hinterher erfuhr ich, baß Wahuja mit wenigen Worten Matofa zu verstehen gegeben hatte, daß er Haus und Weib Wahujas Einfluß zu verdanken habe; und von da an brachte Matofa ihm freiwillig einen »Zehnten« von allem, was er fischte und erntete.

Wahuja hatte an uns allen verdient, wie er an allem zu verdienen pflegte, was in der Stadt vorging, und wenn nichts vorging, dann verstand er es, einen zu finden, der ihn dafür bezahlte, das Wasser zu trüben, und hinterher einen, der ihm dafür lohnte, es wieder klar zu machen.


Täglich war ich Zeuge von Leas und Matofas Glück. Ich machte meinen Morgenspaziergang an ihrer Hütte vorbei und sah sie Morgen für Morgen Hand in Hand zur Lagune gehen, um zu baden.

Sie waren fast immer zusammen, um aufeinander acht zu geben; denn der eine war besorgt, daß der andere mit seinem Mumuth unvorsichtig sein könne.

Bereits am Tage nachdem sie eingezogen waren, begegnete mir Matofa mit der Zauberschnur um den Hals, und ich dachte mit Wehmut an den Tag, als Ali mich mit demselben wundertätigen Schmuck gegen Purmea geschützt hatte.

Ich sah, wie Lea vor der Hütte sorgsam Fischgräten und Schalen von Matofas Mahlzeiten vernichtete.

Wenn ich gegen Abend vorbeischlich, in einiger Entfernung, damit sie mich nicht sehen sollten, sah ich sie mit dem Rücken gegen die Wand der Hütte gelehnt sitzen, die Beine über den Korallensand von sich gestreckt – ganz wie Ali und ich seinerzeit gesessen und dem Sonnenuntergang überm Riff entgegengeträumt hatten.

Ich hörte ihren langen, wortlosen Gesang, den sie zu den Geistern der Nacht hinaussandten, bevor sie zur Ruhe gingen.

Oft besuchte ich sie und saß bei ihnen und betrachtete ihr Glück, bis mir das Herz von Erinnerungen schwer wurde.

Bisweilen war auch Toko dabei, er verstand, was in mir vorging, und wie ein treuer Hund, der den Kummer seines Herrn fühlt, begann er zu seufzen und zu stöhnen.


Kurz darauf kam das Inspektionsschiff der Faktorei – unerwartet, wie gewöhnlich.

Es brachte mir den Bescheid, daß ich zur Hauptstation auf Pap zurückkehren solle, wo der alte Aufkäufer Mynheer Jan Huys, bei dem ich seinerzeit Assistent gewesen, gestorben war.

Ich sollte seine Hinterlassenschaft übernehmen, Ordnung in die Geschäfte bringen, die während seiner Krankheit drunter und drüber gegangen waren, und dort bleiben, bis die Faktorei einen neuen Mann schickte.

Gleichzeitig bekam ich den Auftrag, zusammen mit dem Kapitän zu bestimmen, wie inzwischen das Geschäft hier auf der Insel weitergeführt werden sollte.

Wenn nötig, sollte der Neffe des Kapitäns, ein junger Mann, der seiner Gesundheit wegen in die Südsee geschickt worden war, an meiner Statt so lange bleiben.

Der junge Mann, der bis an den Rand mit europäischen Vorurteilen geladen war, und auch ich betrachteten mit gleicher Besorgnis eine solche Ordnung; das Resultat war denn auch, daß wir ihn verschonten.

Toko wurde als mein Stellvertreter eingesetzt. Ich sagte für ihn gut und legte ihm bei seinen eigenen und meinen Geistern ans Herz, das Zutrauen, das ihm erwiesen wurde, nicht zu täuschen.


Meine Abwesenheit dauerte fast anderthalb Jahre. So viel Zeit verging, bis die Faktorei sich entschloß, mir eine Ablösung zu schicken. Und Gott weiß, wieviel Zeit noch vergangen wäre, wenn ich nicht zuletzt mit meinem Abschied gedroht hätte.

Man glaubte gewiß in Batavia, daß ich Tropenkoller bekommen hätte, denn Yap ist eine Station ersten Ranges, Pelli dagegen nur ein kleines, armseliges Depot. Aber schon damals hatte ich lange aufgehört, nach Geld und Ruhm zu streben.

Die Insel Pelli war nun einmal mein zweites Heim, wo ich meine glückliche Zeit verbracht hatte. Es war meine Absicht, den Rest meines Lebens dort zu verbringen; in dem weißen Viereck an Alis und meines Kindes Seite war auch für mich Platz. Das Schicksal aber wollte es anders. Während ich dies schreibe, bin ich weit, weit von dort fort.


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