Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Siebentes Kapitel

Als Toko nach Hause kam, erzählte ich ihm von Leas Besuch.

Ich bat ihn, sich bei den Jungen zu erkundigen, wer sie auf seiner Matte habe. Obgleich er nicht mehr im Gemeinschaftshaus schlief, hatte er doch die Verbindung mit den Jungen aufrechterhalten.

Die Jungen sind sich alle darüber einig, die Unantastbarkeit der nächtlichen Ereignisse im Gemeinschaftshaus zu wahren. Dennoch sickert hier und da etwas durch; und Toko gehört zu denen, die sich darauf verstehen, ein unbesonnenes Wort, eine unbeherrschte Gebärde aufzuschnappen und sich den Rest zusammenzureimen.

Nach Verlauf von zwei Tagen kam er zum Strand hinuntergelaufen – wenn Toko etwas auf dem Herzen hat, kann er nicht ruhig gehen. Er erzählte mir, einer von Leas Brüdern, der selbst im Gemeinschaftshaus schlief, habe ihm anvertraut, daß Leas Auserwählter Matofa sei, der arme junge Bursche, der ungebeten zu ihrem Jungfraufest erschienen war. Die Maus, die an der Bambuswand gehangen hatte, von dem Glanz ihrer neuentfalteten Schönheit geblendet.

Arme Lea, dachte ich; sie ahnt nicht, was ihrer wartet. Ich erinnerte mich Talaos gerunzelter Stirn, als er die Maus am Zaun entdeckte.

Wie soll ein armer Bursche dich jemals kaufen können? Und selbst wenn es ihm gelingt, die Kaufsumme zusammenzuarbeiten, wird Talao doch niemals seine Einwilligung zu einem so geringen Schwiegersohn geben.

»Was sagen Leas Brüder?« fragte ich.

Toko sah mich verständnislos an, als ob er sagen wollte: was geht das die an?

»Zu dem armen Freier?«

Er lachte laut auf und schlug sich wie bei einem guten Witz auf die Schenkel.

»Matofa Freier? – Er besitzt ja nicht mal ein Blatt zu einem Betelpriemchen. Sein Vater ist dort,« Toko zeigte auf die Erde – das bedeutet tot, »und seine Mutter hat nicht einmal ein eigenes Dach; sie trägt Wasser.«

Das ist die schwerste und niedrigste Arbeit auf der Insel, Wasser im Fluß holen und es in schweren Kruken zu einer wohlhabenden Mahurafamilie tragen, die dafür Obdach und Kost gibt.

»Wenn aber Lea nun auf keiner anderen Matte als Matofas schlafen will?«

Toko sah mich vorwurfsvoll an, denn er gehörte ja selbst zu Talaos Familie; dann hob er stolz den Kopf und sagte: »Lea hat das Herz ihres Vaters.«

Das bedeutet nicht, daß Lea ihrem Vater ähnlich sieht, sondern daß sie weiß, was sie sich und ihrer Familie schuldet; sie ist ein gebildetes Mädchen, das auf ihre Ehre hält.

Ich wollte ihn nicht kränken; aber ich wollte doch gern wissen, wie Toko über Leas Verhältnis zu Matofa dachte.

»Warum hat sie ihn denn gewählt?« fragte ich.

Wieder sah er mich erstaunt an. Es kam ein mißbilligender Blick in seine schwarzen Augen, der zu sagen schien: Wie kannst du so dumm fragen. Du hast dich in den fünf Jahren sehr verändert.

Er zuckte die Achseln und sagte überlegen:

»Man pflückt die Nuß, die am nächsten hängt; und wenn man ihrer satt ist, dann nimmt man eine andere. Was hat das mit heiraten zu tun? – Heirat bedeutet Kauf und Eigentum, Haus und Kinder. Eine höchst ernsthafte und bedenkliche Sache.«

Mehr Worte wollte Toko nicht daran verschwenden.


Noch einmal sah ich Lea und ihr Glück. Ich sah sie und Matofa, und als ich sie zusammen gesehen, da wußte ich, daß sie sich nicht zufällig gefunden hatten.

Sie kamen eines Morgens ganz früh die Hauptstraße entlang, die vom Haus des Königs über den Marktplatz zum Strand führt, den Königsweg nenne ich ihn.

Es wunderte mich, sie auf öffentlichem Weg zusammen zu sehen. Die Jungen pflegen die Welt nicht in ihre Neigungen einzuweihen. Die auf einer Matte schlafen, sind tagüber nur Kameraden wie alle anderen. Nur wenn sie auf den Tarofeldern Rast halten, kann man bisweilen sehen, mit wem ein Mann gepaart ist, indem man darauf acht gibt, welches Mädchen er erwählt, um Kawa für sich zu kauen.

Die Leute in der Stadt wissen trotzdem Bescheid, wenn sie ihre Augen zu gebrauchen verstehen und ein gutes Gedächtnis haben; denn die Wahl geschieht meistens bei der gemeinsamen Abendmahlzeit, wenn die Jungen vom Tarofeld nach Hause kommen. Wenn ein junges Mädchen sich zögernd im Kreise umblickt und sich darauf neben einen jungen Mann setzt, und dieser nicht aufsteht, um den Platz zu wechseln, sondern näher rückt, – dann weiß man, daß eine neue Wahl getroffen ist.


Ich hatte nicht schlafen können, weil ich noch bis spät in die Nacht hinein meine Rechnungsbücher geführt hatte, die fertig sein mußten, bevor das Faktoreischiff mit neuen Waren kam, und es konnte jeden Tag kommen.

Es war sehr zeitig. Die Sonne war noch nicht über den Kokoshain, der den roten Weg mit seinem Schatten bedeckte, heraufgestiegen.

Dort oben, wo der Weg umbog, lag der offene Platz, den ich den Marktplatz nenne, und dahinter das Gemeinschaftshaus mit seinem gelben Strohdach und dem hohen, spitzen Giebel. Die Sonne hatte den obersten Teil des Daches erreicht und schimmerte in den blau- und rotgemalten Götterbildern, die den Giebel zieren.

Kein Laut erklang aus der Öffnung unter dem steilen Dach. Alle lagen noch in tiefem Schlaf und die Tür zum Giebel war geschlossen.

Da war es, daß ich sie vom Marktplatz kommen und zum Strand hinuntergehen sah. Sie mit dem Arm um seine Taille, er mit dem Arm um ihre Schulter.

Ich drückte mich gegen den Zaun des Kokoshains, um nicht gesehen zu werden. Weshalb sollte ich ihre heimliche Freude stören?

Sie sprachen nicht zusammen. Sie blickten mit erhobenen Köpfen ins Weite, als starrten sie auf denselben fernen Punkt.

Leas weicher Mund war geöffnet, und ein Widerschein ihres Glückes leuchtete aus den unbestimmten Linien ihres zögernden Lächelns. Die dreireihige Kette von Glasperlen, die ich ihr geschenkt hatte, trug sie um den Hals.

In seinem reinen, hübschen Profil waren die Lippen fest unter der feingebogenen Nase geschlossen; seine Augen aber hatten denselben unbestimmten und doch sehenden Traumblick wie die ihren.

Sie gingen so geborgen nebeneinander, von ihrer jungen keuschen Liebe gesättigt, mit frischen Sinnen nach dem starken Schlaf. Sie gingen dort wie das erste Menschenpaar, wanderten von der Hand Gottes in dem großen Garten der Welt, mit Gedanken und Träumen, die noch kein Zwiespalt, keine verschiedenen Interessen getrennt hatten.

Wie schön ist es, daß Menschen lieben können – wie bitter ist es, wenn die Zeit vorüber ist!

Nein, sie hatte ihn nicht zufällig unter vielen erwählt; seine Augen waren den ihren begegnet, und durch einen heiligen Akt, dessen Wege und Ziele wir nicht kennen, war im selben Augenblick ihre Verwandlung vom Kind zur Jungfrau vor sich gegangen.

Und er, der ungebeten zu dem Fest des reichen Mannes gekommen war, um sich ein wenig Freude für sein armes Dasein zu erschleichen – er, durch den das Wunder vollbracht werden sollte und der von dem Glanz, der davon ausging, so verzaubert wurde, daß er wie eine Maus in einer Gardine hängen blieb – er war jetzt der Reichste unter den Reichen. Ob er selbst wußte, wie reich er war?

Dort gingen sie, zwei, die eins geworden waren, voller Glück in ihren Herzen, blickten ins Weite und sahen doch nur das, was in ihnen selbst war.

Dort gingen sie über den weißen Strand, der ihre dunklen Schatten dicht verschlungen spiegelte, zum Wasser hinunter, das ihnen die schräg fallenden Strahlen zitternd und blendend entgegenwarf.

Jetzt begriff ich. Sie wollten zusammen baden, bevor der Tag sie trennte.

Vielleicht hatten sie sich jeden Morgen von ihrer Matte in dem großen Haus hinausgeschlichen. Ich war ja nur zufällig heute so zeitig draußen, und diese Stunde, die sie dem Tage stahlen, war ihre glücklichste, weil sie allein mit der Welt waren, die sie ganz besaßen.

Ohne zu zögern gingen sie geradeswegs ins Wasser hinaus. Sie lösten sich aus ihrer Umschlingung und gingen Hand in Hand weiter, bis sie den Rand erreichten, wo das Wasser plötzlich die Farbe wechselt und von Hellgrün zu dem tiefen Blau des Himmels übergeht.

Mit erhobenen Armen warfen sie sich ins Wasser, als lieferten sie sich dem Schicksal aus, und tauchten ein Stück weiter draußen wieder auf, während die Sonne auf dem perlenden Wasser in ihrem Haar blitzte.

Ich zog mich vorsichtig längs des Zaunes zu meinem Haus zurück, damit sie nicht gewahr werden sollten, daß jemand ihr Glück belauschte.

Ich mußte an das denken, was Toko gesagt hatte. Ob er recht behielt? – Würden diese beiden, die eins waren, auseinandergerissen werden? Würde Lea einsehen, was sie sich und ihrer Familie schuldig war, und einen Mann wählen, den sie heiraten konnte – oder würden sie mit Gewalt von der harten Hand des eitlen Talao getrennt werden?

Ich wandte mich um und sah hinüber zu ihnen. Sie waren aus dem Wasser gestiegen und gingen jetzt langsam dem Tag entgegen.

Noch schritten sie Hand in Hand. Als sie aber bis zum Strand gekommen waren, schlugen sie wie zwei Flammen zusammen; in der weiten Entfernung wurden sie für meine Augen zu einem einzigen dunklen Körper.

Schließlich lösten sich ihre Arme; noch einmal streckten sie sie nach einander aus, dann kroch Matofa durch den Zaun des Königs, und Lea ging mit langen, zögernden Schlitten zum Königsweg hinauf.

Ich ging nach Hause, warf mich auf mein Bett und fühlte mich unsagbar einsam.


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