Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Siebzehntes Kapitel

Ich ließ einige Tage verstreichen und ging dann eines Vormittags zu Talaos Hütte, um seinen Besuch zu erwidern, nachdem ich mich erst durch Toko versichert hatte, daß Lea zu Hause sei, damit ich zur Hand sein und den Anprall entgegennehmen könne, wenn es zu Heftigkeiten kommen würde.

Talao freute sich, als er mich sah. Die kleinen Mädchen wurden im Handumdrehen hinausbefördert, und wir fühlten uns Betel zu Gemüte.

Nachdem wir uns über den Tatloi unterhalten hatten, der noch immer nicht eingetroffen war, – in der höchsten Kokospalme des Königs war jeden Tag eine Wache postiert – ging ich zu seinen Söhnen über, die in diesem Jahr zum erstenmal den Fang mitmachen sollten. Dann fragte ich vorsichtig nach Lea, ob sich eine neue Aussicht zu einer Heirat gezeigt habe. Talao runzelte die Stirn, als ich ihren Namen nannte, und schüttelte bekümmert den Kopf.

»Du batest mich seinerzeit, dich wissen zu lassen, wenn ich von einem Freier hörte,« sagte ich, »weißt du noch?« – Talao blickte mich forschend an und nickte.

»Da ich aber mit Wadi so schlecht angekommen bin, habe ich mir in dieser Sache nichts wieder vorgenommen, obgleich ich gern für dich und sie tun würde, was in meiner Macht steht.«

Ich schwieg und blickte auf meine Füße herab, während ich meine Schienbeine auf Art der Eingeborenen rieb; das bedeutet Überlegung und Nachdenken.

Da ich keine Miene machte, mehr zu sagen, rückte Talao auf seiner Matte und sagte leicht hingeworfen:

»Wenn du irgend etwas in deinem Kistenhaus gehört hast, wo so viele Leute ein- und ausgehen, dann sag es unbesorgt. Lea wirft Schatten über meine Wand, und es kommt nicht mehr darauf an, ob er etwas länger oder kürzer ist.«

»Ich weiß nur, was Toko mir erzählt hat. Er sagt, daß da einer ist, der Lea auf seiner Matte hat und sie kaufen möchte.«

»Wer ist es?«

»Ich kenne ihn nicht; aber ich wollte es dir doch sagen, damit du die Sache selbst untersuchen kannst. Toko sagt, daß sein Vater recht wohlhabend ist. Aber es scheint doch ein Haken dabei zu sein, denn Toko gefiel die Partie nicht recht; er wollte dir nichts davon erzählen. Da sagte ich zu Toko, wenn der Mann zu gering für sie ist, dann muß er ein um so höheres Angebot machen. Das will er aber nicht. Toko war sehr unzufrieden mit der Summe, die er genannt hat.«

Ich hielt inne und prüfte die Wirkung meiner Worte.

Talao saß mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenen Augen. Dann hob er langsam seine flache Stirn. Die gewölbten Augen hefteten sich schwer und düster auf mich, und er schüttelte den Kopf, als ob er sagen wollte: es ist sehr freundlich von dir; aber nun kannst du selbst sehen, wie Lea im Preis gesunken ist.

»Wie heißt er?« fragte er, und ich konnte seiner Stimme anhören, wie gespannt er trotz seiner anscheinenden Ruhe war.

»Er hieß – wie hieß er doch noch – ja richtig: Palulu hieß er.«

Ich wagte ihn nicht anzusehen; aber ich konnte hören, wie es in seiner Brust pochte.

»Der Krüppel,« sagte er mit einer Stimme, die halb erstickt war vor Erregung.

Ich tat, als ob ich es nicht verstanden hätte, und wollte ihn gerade fragen, ob er den Burschen kenne, als Talao sich von seiner Matte erhob und durch die Tür zur Küchenhütte hinüberrief.

Einen Augenblick später stand Lea vor uns, hochaufgerichtet, mit herabhängenden Armen.

Ihre Lippen waren fest geschlossen, und in ihren Augen war der seltsam leuchtende Glanz, der mir schon neulich aufgefallen war. Sie stand dort mit demselben rührenden Ausdruck von versagendem Verständnis, aber gewappnet.

»Hat der ›Krüppel‹ dich auf seiner Matte gehabt?«

Talao stand dicht vor ihr, die flache Stirn vornübergebeugt wie ein Widder, der stoßen will.

Lea sah von ihm zu mir und wieder zurück. Ich flößte ihr Mut durch einen Blick ein und machte ihr hinter Talaos Rücken Zeichen.

Sie verstand mich und nickte Talao ein Ja zu.

»Hat er gesagt, daß er dich kaufen will?«

Sie nickte wieder.

Talaos Rücken zitterte. Jetzt schlägt er sie, dachte ich und fuhr in die Höhe.

Ihre Augen wichen den seinen nicht aus, sie wölbten sich wie die seinen. Vater und Tochter maßen sich, und sie waren gleich stark.

Ich stand bereit, um bei der geringsten Bewegung seines Armes dazwischen zu springen. Ich wollte nicht zugeben, daß er sie schlüge.

Da erinnerte er sich meiner Anwesenheit. Er richtete sich langsam auf, atmete tief und sagte:

»Ich wünschte, deine Mutter hätte dich nie geboren. Du wirfst Schatten über meine Wand und verdunkelst meinen Tag, du, die du einst mein Licht warst. Warum will kein ernster Mann dich auf seiner Matte haben? – Du warst frisch anzuschauen wie eine Blume, aber du scheinst ein Gift in dir zu haben, wie der Becher der roten Blutnessel. Das sage ich dir: untersteh dich nicht, den Krüppel in meine Hütte zu bringen, und wenn er mir vierzig Pokon für dich böte. Seit du dich herabgewürdigt hast, auf der Matte eines Krüppels zu schlafen, bist du nicht mehr die fünf Pokon wert, die Wadi geboten hat. – Käme er, dann würde ich ihm seinen Rücken brechen. Ich bedauere, daß ich dich nicht dem ungebetenen Gast, dem Sohn der Wasserträgerin, gegeben habe; seine Beine waren doch wenigstens gleich lang und sein Rücken gerade; aber nicht einmal er will dich mehr haben, so tief bist du gesunken. Geh zum Strand hinunter, dann wirst du sehen, wie er sich ein Haus baut; aber es ist nicht für dich. Selbst er, der elende Sohn einer Bettlerin, hat Talaos Tochter eines anderen Weibes wegen verschmäht.«

Endlich war der Augenblick gekommen.

Talao machte eine Pause. Er hatte nicht mehr zu sagen, oder er hielt sie keines Wortes mehr würdig. Vielleicht aber wartete er auch nur, daß ich gehen sollte; dann würde ich gewiß ihre Schreie zu hören bekommen.

»Talao,« sagte ich und faßte ihn am Arm, um seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, »hast du mit Matofa gesprochen?«

Es dauerte eine Weile, bevor der Sinn der Worte ihm klar wurde. Als er ihn schließlich verstand, sah er mich erstaunt an und schüttelte den Kopf.

»Woher weißt du denn, daß er heiraten will?«

»Hast du nicht selbst gesagt, daß er sich ein Haus baut? Hab ich es nicht selbst gesehen?«

»Ich habe nicht gesagt, daß er es für ein Weib baut.«

Talao sah mich verständnislos an.

Da legte ich ihm die Hand auf die Schulter, wie ich es neulich getan hatte, beugte mich zu ihm, sah ihm fest in die Augen und sagte feierlich:

»Matofa denkt nicht daran, zu heiraten. Er hat nur eine einzige Frau auf seiner Matte gehabt, und er will nie eine andere haben.«

Während ich eine Pause machte, veränderte sich der Ausdruck in Talaos Augen; die schwere Dunkelheit wich einem dämmernden Verständnis.

»Und da er die Frau, die er liebt, nicht bekommen kann, weil er ein armer Mann ist, will er überhaupt keine Frau haben.«

Talaos Augen wanderten von mir zu Lea.

Sie stand noch auf demselben Fleck unbeweglich wie Vorhin; in ihrem Gesicht aber war eine große Veränderung Vorgegangen. Die Lippen hatten sich geöffnet, die Augen waren blank von Feuchtigkeit, als ob das Metall darin, das so seltsam geleuchtet hatte, jetzt geschmolzen wäre. Sie wich Talaos Blick nicht aus, und während er sie anstarrte, glättete ihre Stirn sich und ihr Kopf sank herab; sie war wieder das kleine Mädchen mit dem sanften Gesicht und den scheuen Bewegungen.

»Und willst du wissen, wie die Frau heißt, die Matofa haben möchte?« fragte ich.

Ich wartete eine Weile; aber es kam keine Antwort.

»Lea heißt sie; und auf dich kommt es an, ob er heiraten kann; auf dich kommt es an, für wen er seine Hütte baut.«

Talao verwandte keinen Blick von Lea; ahnte er, welches Unrecht er gegen ihr Gemüt begangen hatte? – Dämmerte in ihm ein Verständnis für das, was in ihr lebte und was stärker gewesen war als sie selbst und der Wille ihres Vaters?

Er fragte sie mit seinem Blick:

»Ist es wahr, was er sagt?«

Und er las die Antwort aus dem Lächeln, das plötzlich aus jedem Winkel ihres Gesichte leuchtete.

Talao hob die Brauen, kratzte sich bedenklich den Arm; dann rieb er seine Schienbeine, wandte sich darauf an mich und sagte langsam und resigniert:

»Sag Matofa, daß er Lea haben kann, wenn sein Haus fertig ist.«

Das Ziel war erreicht.


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