Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Neuntes Kapitel

Tags darauf erschien Matofa zur rechten Zeit, und wir gingen zusammen nach Talaos Hause.

Es war eine höchst unangenehme Pflicht, die ich übernommen hatte; das sah ich jetzt ein, als wir unterwegs waren.

Was in aller Welt sollte ich eigentlich sagen, wenn ich Talao nicht aufs empfindlichste kränken wollte, – Talao, der so viel auf seine Würde hielt? Und wie sollte ich es vermeiden, das Vertrauen zu verraten, das Lea mir bezeigt hatte? Und noch eins – das fiel mir erst ein, als wir Talaos Haus schon liegen sahen: Was mochte Talao zu der kostbaren Halskette gesagt haben, die ich Lea geschenkt – brachte sie mich nicht von vornherein in ein verdächtiges Licht?

Aber es war unmöglich, sich zurückzuziehen. Ich legte mein Gesicht in feierliche Falten und kleidete mich in all die Würde, die die Lage erforderte. Die einzige Möglichkeit war, Talao mit einem Trumpf zu nehmen.

Als wir vor dem Zaun standen, fing Matofa an zu zittern. Er meinte, daß der Tag unglücklich gewählt sei. Er habe das Gelächter des Spottvogels im Kokoshain gehört, und das sei ein schlimmes Wahrzeichen; er wolle lieber morgen wiederkommen.

Matofa machte Miene zu verduften; ich aber legte ihm die Hand auf die Schulter und überzeugte ihn davon, daß der Schrei des Spottvogels, den auch ich gehört hatte, nur das unschuldige Gurren einer Fruchttaube gewesen sei. Talao saß und aß, zusammen mit Weib und Kindern.

Er machte große Augen bei dem unerwarteten, vornehmen Besuch und sah erstaunt von mir zu Matofa, der die Augen niederschlug.

Plötzlich wechselte der Ausdruck in seinen gewölbten Augen, die denen Leas so sehr glichen, und seine flache, viereckige Stirn zog sich in lotrechte Falten.

Er hatte den ungebetenen Gast wiedererkannt, und eine Ahnung von dem Zweck des Besuchs dämmerte in seinem Gesicht.

Mein feierliches, zeremonielles Wesen aber tat die gewünschte Wirkung. Talao sah ein, daß ihm eine Ehre widerführe. Er schickte Weib und Kinder mit einer Handbewegung hinaus, schob mir die seine Matte hin, die er selbst benutzt hatte, und lud mich ein, darauf Platz zu nehmen und mitzuessen.

Ich erklärte, daß ich schon gegessen habe, und nahm mit großer Umständlichkeit Platz, indem ich Matofa neben mir niedersitzen ließ.

Talao entfernte die Eßmatte mit den Resten der Mahlzeit; da waren schön geröstete Bananen, wie ich sah, und fliegende Fische hatte er auch gegessen – am Alltag! Talao war ein Feinschmecker, und einem solchen Mann wollte ich den obdachlosen Sohn einer armen Wasserträgerin als Schwiegersohn anbieten.

Allgemeines Schweigen herrschte, während Talao sein Messer hervorzog und die gewohnte Besuchsbetel zurechtmachte. Er suchte mit Sorgfalt eine Nuß aus, zeigte sie mir erst, bereitete das leckere Priemchen und reichte es mir, in ein saftig grünes Pfefferblatt eingewickelt.

Darauf blickte er verstohlen zu Matofa hin, als ob er überlege. Dann nahm er eine kleine runde Nuß, die gerade vorlag, machte sie im Handumdrehen zurecht und reichte sie ihm, ohne die Augen aufzuschlagen.

Schließlich bereitete er eine für sich selbst, und wir kauten und spuckten schweigend, wie es bei besseren Leuten Brauch ist.

Wie es sich für einen vornehmen Gast geziemt, ergriff ich zuerst das Wort. Ich wandte mich zeremoniell an Matofa und sagte:

»Talaos Betel ist der beste hier auf der Insel.«

Matofa begriff, daß er schmeicheln sollte. Sprechen konnte er nicht; aber er beeilte sich, sich auf den Magen zu klopfen und den Kopf in den Nacken zu legen, während er mit den Augen rollte und eifrig schmatzte.

Talao saß unbeweglich und steckte die Komplimente ein.

Wieder blickte ich auf Matofa und sagte:

»Ich sage dir, Matofa, nicht mal beim König habe ich ein besseres Priemchen bekommen.«

Das wirkte. Talao hob die Brauen und lächelte in seinen struppigen Bart, während er mit den Händen durch die Luft fuchtelte, was bedeuten sollte: es sei fern von mir, mich mit dem König zu vergleichen.

Jetzt galt es, den Augenblick zu ergreifen, wo Talaos Herz ausgeweitet war.

»Ja, du bist ein glücklicher Mann, Talao,« sagte ich und sah ihn fest an. »Du hast ein gutes Weib und die schönsten Kinder auf der Insel; du weißt wohl, daß ich dir das schon früher gesagt habe.«

Matofa schlug sich auf die Brust und warf den Kopf zurück zur Bekräftigung.

»Dein Totem ist der feinste nach dem des Königs,« (das war eine Übertreibung, die Talao schätzen würde, wie ich wußte, denn Wahujas Totem war feiner, Talao aber behauptete, seiner sei der erste, weil er zahlreicher war) »und du hast so viel Tabu, daß du nicht auf Geld zu sehen brauchst, wenn es gilt, das Herz deiner Kinder auszuweiten und ihnen ein langes Leben zu geben. Denn das wissen wir ja alle, Talao, daß der, dessen Herz einschrumpft, eines zeitigen Todes sterben muß und daß nach seinem Tode die Geister kommen, um den, der den Tod verursacht hat, zur Rechenschaft zu ziehen.«

Die letzten Worte hatte ich in einem halb klagenden, halb singenden Ton gesagt, den die Eingeborenen unwillkürlich anwenden, wenn von Tod und Unglück die Rede ist. Ich blickte verstohlen zu Matofa hin. Er verstand, was ich meinte, und zitterte vor Rührung beim Gedanken, daß Leas Herz einschrumpfen könne.

Auch Talao konnte sich nicht von der Wirkung des feierlichen Ernstes, mit dem ich gesprochen hatte, frei machen, obgleich ich seinen Augen ansah, daß er Unrat witterte.

Besonders das mit dem Geist, der nach dem Tode Rechenschaft fordern würde, hatte ihn unangenehm berührt; er rieb sich die Hände, um die böse Prophezeiung abzuwehren.

Während ich über einen effektvollen Übergang zu Lea nachdachte, fiel Talao mir plötzlich in die Flanken.

»Du hast meiner Tochter Lea ein kostbares Halsband geschenkt, und sie hat nichts, was sie dir dafür geben kann. Warum hast du das getan?«

Matofa zuckte zusammen, und ich war im ersten Augenblick etwas verblüfft; dann aber kam mir eine gute Idee.

Ich beugte mich mit unverwüstlicher Feierlichkeit zu Talao und sagte:

»Ich habe deine Tochter von klein auf gekannt und halte viel von ihr. Ich hab ihr die Halskette geschenkt, weil ich ihr Herz ausweiten wollte,«

Ich machte eine Pause und hielt Talaos Blick fest, als ob ich ihn zur Rechenschaft ziehen wolle.

»Ich traf sie neulich am Strand und sah, daß ihr Herz im Begriff sei, einzuschrumpfen. Wie ist das möglich? dachte ich, ist Talao nicht ihr Vater – der reiche Talao, der seine Kinder über alles in der Welt liebt? – Wie ist es möglich, daß er nicht besser auf das Herz seiner Tochter acht gibt, wenn ich, ein Fremder, es beim ersten Blick sehen kann.«

Wieder machte ich eine Pause und ließ meine Augen scharf und forschend in den seinen ruhen.

Talao wich meinem Blick aus. Seine Stirn zog sich zusammen, und er beugte unwillkürlich den Kopf, als ob er sich schuldig fühle. Plötzlich aber hob er ihn mit einem Ruck, schlug die Lider auf und sah mich mit seinen hervortretenden Augen herausfordernd an.

»Der Fremde hat sich geirrt,« sagte er, und daß er zwischen meinen vielen Ehrennamen just diesen wählte, war eine seine Zurechtweisung, »warum sollte Leas Herz einschrumpfen?«

»Frag sie selbst,« sagte ich und erwiderte seinen Blick.

Sein Auge wich mir wieder aus, und ich beeilte mich hinzuzufügen, bevor er eine neue unangenehme Frage formen konnte:

»Ich sah es, und ich fragte sie, und sie sagte: ›Ja, mein Herz schrumpft ein.‹ Darum gab ich ihr die Kette, und im selben Augenblick sah ich, daß ihr Herz sich ausweitete. Gestern aber, als ich sie am Strande traf, da sah ich, daß ihr Herz trotz der Halskette von neuem und stärker eingeschrumpft sei als vorher. Ich sah, daß Wasser in ihren Augen war.«

Mein Blick fing den seinen, und diesmal stand seine Schuld deutlich auf seiner Stirn zu lesen. Lea war ja sein Liebling, und hier saß ein Fremder und mußte ihre Sache bei ihm vertreten.

Jetzt gilt es, dachte ich.

»Willst du wissen, warum Lea weint?«

Talao sah fort und schwieg.

»Da du es nicht selbst bemerkt hast, will ich es dir sagen, damit du es weißt; denn es kommt nicht mir, sondern dir zu, dafür zu sorgen, daß ihr Herz nicht einschrumpft.«

Talao schwieg noch immer und begann die Betelnüsse im Korb zu ordnen, während Matofa vor Bewegung hin und her wackelte. All dieser Kummer quälte sein weiches junges Herz.

»Ich fragte Lea, und sie antwortete mir, während sie ihre Worte mit Tränen begoß: ›Mein Herz welkt, weil mein Vater will, daß ich heiraten soll. Ich aber will keinen anderen Mann als Matofa haben, und er besitzt nichts, wofür er mich kaufen kann,‹ Da sagte ich zu Lea: ›Warum gehst du nicht zu deinem Vater und sagst es ihm, damit er, der reich ist und seine Kinder liebt, deinem armen Herzen helfen kann, indem er dir den Mann gibt, den du haben willst?‹ Lea aber sagte:: ›Das wage ich nicht, denn mein Vater will, daß ich einen Mann heiraten soll, der reich und vornehm ist wie er selbst, und Matofa ist der Sohn einer armen Wasserträgerin.«

Jetzt war es mit Matofas Kraft vorbei. Brust und Schultern wogten auf und nieder, und er heulte leise. Talao aber saß unbeweglich mit niedergeschlagenen Augen da und beobachtete ein unheilverkündendes Schweigen.

»Da sagte ich zu Lea: ›Hab ich dir nicht eine kostbare Halskette geschenkt, die ihresgleichen hier auf der Insel nicht hat – hast du nicht Tabu genug, daß dein Vater nicht auf einen reichen Freier zu warten braucht?‹«

Im selben Augenblick fühlte ich, daß es ein Fehlgriff sei, Talaos Handlungsweise auf Habgier zurückzuführen. Ich wollte es wieder gut machen; aber es war zu spät; er ließ mir keine Zeit.

»Arm oder reich,« platzte Talao heraus und seine Augen traten aus ihren Höhlen, »Talao hat Tabu genug. Aber nur ein angesehener Mann soll Talaos Tochter freien. Lea hat das Herz ihres Vaters« (ach, das waren Tokos Worte, er kannte ihn doch besser als ich) »und ihr Herz wird sich wieder ausweiten, wenn sie nicht mehr –«

Er machte eine verächtliche Kopfbewegung nach Matofa hin, ohne ihn anzusehen; er würdigte ihn nicht einmal der Ehre, sich seines Namens zu erinnern –

»– den ungebetenen Gast auf ihrer Matte hat.«

Talao hatte gebieterisch gesprochen. Ich fühlte, daß die Schlacht verloren sei, und wußte nicht, was ich sagen sollte.

Arme Lea, dachte ich und wollte mich ohne weitere Zeremonie erheben, all der hochtrabenden Würde und der feierlichen Reden müde, die ich an ihren Vater verschwendet hatte; Talao aber hatte noch etwas auf dem Herzen.

Er beugte sich zu mir, fing meinen Blick, hielt ihn fest und sagte mit einer Stimme voller Achtung und Freundschaft:

»Wenn du für dich selbst gefreit hättest, würde ich dir Lea gegeben haben, selbst wenn du ihr nicht die kostbare Halskette geschenkt hättest – Talao hat Tabu genug.«

Er richtete sich selbstbewußt auf und breitete die Arme zur Seite, als ob er sagen wollte: Du siehst ja, wie reich ich bin!

Dann fügte er hinzu, und seine Stimme wurde tief vor Ernst:

»Ja, ich würde sie dir, der du die Tochter des Königs in deinem Haus gehabt hast, ohne eine Kaufsumme geben, obgleich ich weder dein Land, noch deinen Totem kenne. Denn du bist ein Mann, den alle fürchten und ehren. Aber meine Tochter, die ich liebe, dem Sohn einer armen Wasserträgerin geben –«

Der Speichel drang ihm vor Verachtung durch die großen, gelben Vorderzähne, und jetzt richtete er zum erstenmal den Blick voll auf den armen Matofa.

»Einem elenden Burschen, der sicherlich ihren Mumuth verzaubert hat, während sie noch ein Kind war, um sie auf seine Matte zu bekommen.«

Matofa bebte am ganzen Körper, seine Augen schossen Blitze im Takt mit dem heftigen Pulsschlag seines Herzens. Seine Hände ballten sich und so jung er auch war, gab es einen Augenblick, wo selbst Talao fürchtete, daß er zu weit gegangen sei. Jedenfalls fügte er schnell hinzu:

»Mumuth oder nicht – lieber will ich Lea als freudlose Witwe vor jedermanns Zaun sehen, als sie – dem ungebetenen Gast geben.«

Ich kleidete mich von neuem in meine volle Würde, im Innersten bei dem Gedanken, daß Lea, wann es mir beliebte, Alis Platz einnehmen könne, mehr als Talao ahnte geschmeichelt, und sagte mit einer Stimme, als käme sie von den Geistern in den großen Magrovesümpfen:

»Möge Talao diese Worte niemals bereuen!«

Dann ging ich mit dem armen Matofa hinaus, bis an den Zaun von Talao begleitet, der sich Mühe gab, mich zu überzeugen, daß die Freundschaft zwischen ihm und mir keinen Abbruch erlitten habe.

Ich trennte mich von Matofa am Zaun des Königs, nachdem ich ihm eingeschärft hatte, Lea nichts von Talaos letzten Worten zu sagen. Ich fügte hinzu, daß er die Hoffnung noch nicht aufgeben dürfe, und machte eine verblümte Anspielung auf meine Geister, die bereits früher den Beweis geliefert hätten, daß sie stärker seien als die der Insel.

Aber es machte keinen sonderlichen Eindruck auf ihn. Er zitterte noch wie vor Kälte nach der harten Behandlung, die ihm widerfahren war, beugte den Kopf und schlich längs des Zaunes davon.


Lea an Alis Statt! – Dieser Gedanke beschäftigte mich den ganzen Tag.

Ich durchforschte mein Herz, fand aber keinen heimlichen Hintergedanken. Ich hatte den beiden, die zusammengehörten, helfen wollen, ehrlich und redlich, das war sicher.

Und doch klangen Talaos Worte mir beständig in den Ohren: »Hättest du für dich selbst angehalten, dann hätte ich dir Lea gegeben.« Sie erwärmten mich bis ins Herz hinein und brachten mein Gemüt in Schwingung wie in meiner glücklichsten Zeit.

Obgleich ich den Gedanken wieder und wieder zurückwies, gab es doch Augenblicke, wo er mich so stark lockte, daß ich meinte, Talao habe recht: Matofa war ein unpassender Freier für ein Mädchen wie Lea. Ich dagegen ein stattlicher und angesehener Mann! – hatte ich ihr nicht den kostbaren Schmuck geschenkt? – Und hatte ich nicht viele andere herrliche Sachen, denen das Herz einer armen, ungeprüften Mahurafrau nicht widerstehen konnte?

In der ersten Zeit würde sie weinen, dann würde sie Matofa vergessen. War ich, der Erfahrene, der Seltene, um den alle Mädchen Ali beneidet hatten –, war ich nicht Manns genug, Matofa aus Leas Herzen zu vertreiben?

So träumte ich eine Weile wohlgefällig und wußte doch im tiefsten Innern, daß es nur Träume seien. Es stand nicht in Leas Macht, Ali in meiner Erinnerung zu verdrängen.

Ich ging über den Strand zu ihrem Grab und blickte auf das weiße Viereck, das einst mein Haus getragen hatte. Ich blieb dort, bis ich Alis leidenschaftliche Stimme hörte und ihr Bild leibhaftig vor mir stand, wie ich es zum letztenmal gesehen hatte – zwischen Ecke und Schiffskiste festgeklemmt, so daß die Brandung sie nicht auf ihren Armen hinauszutragen vermochte.

Dann hatte ich es überwunden; Talaos Worte führten mich nicht mehr in Versuchung. Ich wußte, daß ein entschwundenes Glück nicht mehr zu dem Herzen zurückkehrt, das es einst besessen hat. Nicht nur die Zeit ändert sich, sondern auch dein eigener Sinn. Die Saite, die das Leben gesprengt hat, kann nicht wieder mit demselben Ton klingen.

Ich sah die beiden jungen Menschen vor mir, wie ich sie neulich an dem frühen Morgen gesehen hatte, fest verschlungen, zwei in eins, und ich gelobte mir, daß Lea ihren Matofa haben solle.


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