Laurids Bruun
Die freudlose Witwe
Laurids Bruun

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Zwölftes Kapitel

Um nächsten Morgen zeitig sah ich Lea über den Strand gelaufen kommen.

Als sie meiner ansichtig wurde, streckte sie die Arme nach mir aus und gab einen Schrei von sich, der mir durch Mark und Bein ging.

Ich stürzte hinaus, nahm sie in meine Arme und trug sie ins Haus.

Sie riß sich los und warf sich mir zu Füßen.

Ich konnte sie kaum wiedererkennen. Die sonst so stillen Augen flackerten mit einem wilden, irren Blick. Ihre Lippen waren verzerrt, und es klebte Blut daran von den Bissen ihrer spitzen, weißen Zahne.

Sie stöhnte und weinte und klammerte sich krampfhaft an meine Beine, so daß ich mich am Tisch festhalten mußte, um nicht zu fallen.

Ich beugte mich hinab, um sie aufzuheben, aber sie schlug mit dem Kopf und wollte nicht. Als sie sich schließlich ausgeweint, erzählte sie, daß Talao seine Söhne dazu vermocht hatte, sie von Matofa zu trennen. Sie hatten ihre Matte gefunden und sie mit Gewalt fortgetragen.

Lea hatte geschrien, und es hatte einen gewaltigen Aufstand in der dunklen Nacht gegeben. Sie schrie so laut, daß die Brüder mit ihr in die Nacht hinausflüchten mußten, weil der Älteste des Gemeinschaftshauses verlangte, daß Ruhe herrschen solle.

Am zeitigen Morgen hatten die Brüder sie zu ihrem Vater geführt. Und als Talao hörte, wie sie sich benommen hatte, war er außer sich geraten und hatte sie geschlagen, bis ihre Mutter sie auseinanderbrachte.

Dann war sie aus der Hütte entflohen und spornstreichs hierher gerannt. Ich tröstete sie, so gut ich es vermochte. Ich öffnete meine Kiste und sagte, daß sie sich nehmen dürfe, was sie wolle. Aber als das alles nichts half, nahm ich ihren Kopf zwischen meine Hände und versprach ihr feierlich, daß sie ihren Matofa bekommen solle.

Ich sagte ihr, daß meine Geister in der Nacht bei mir gewesen seien und mir ihre Hilfe versprochen hätten, wenn sie vernünftig sein und meinen Rat befolgen wolle.

Das half. Ihre Augen wurden wieder ruhig und der Mund sanft. Sie lag vor mir auf der Matte, stützte ihren Kopf gegen mein Knie und strich mit den Händen über meinen Arm, wieder und wieder. Das war ihr Dank.

Nachmittags kam Toko; er war ganz erfüllt von dem Ereignis, von dem er in der Stadt gehört hatte. Er erzählte mir alles, was ich schon von Lea wußte, und noch viel mehr, was die Phantasie dazugedichtet hatte.

Es war von nichts anderem in der Stadt die Rede. Leute, die in der Nähe des Gemeinschaftshauses wohnten, waren nachts von dem Lärm in dem großen Taubenschlag geweckt worden. Morgens hatte man die Schreie aus Talaos Hütte gehört und Lea durch die Stadt laufen sehen.

Als er endlich fertig war, erzählte ich ihm, daß Lea hier gewesen sei und was ich ihr versprochen hätte.

Er hatte sich schon lange daran gewöhnt, die Sache mit meinen Augen zu sehen, und schlug sich empört auf die Schenkel, als er hörte, wie alles zugegangen sei und daß wirklich Leas eigene Brüder den Skandal im Gemeinschaftshaus verursacht hatten.

Es war unerhört, daß sie ihrem Vater überhaupt etwas hinterbracht, noch schlimmer aber, daß sie Gewalt gegen Lea verübt hatten. Durfte sie nicht schlafen, wo sie wollte? Wußten Talaos Jungen nicht, daß im Gemeinschaftshaus vollständige Freiheit herrsche und daß der, der von den Vorgängen dort drinnen etwas ausschwatzte, ein Verräter sei?

Talaos Jungen aber waren immer frech gewesen und meinten, daß sie sich erlauben könnten, was kein anderer sich erlaubte. Er, Toko, wollte sie mal zur Rede stellen. Seine Augen wurden groß, und er seufzte vor Rührung, als ich ausführlich beschrieb, wie Lea ausgesehen und wie sie geweint hatte.

Toko wurde wieder jung und vergaß Talaos Vaterrechte ganz und gar.

Ich erzählte ihm von dem Rat des weisen Wahuja. Es dauerte eine Weile, bevor er die Schlauheit desselben in ihrem ganzen Umfang erfaßte; als er aber verstanden hatte, war er begeistert; und als ich sagte, daß es eigentlich Unrecht gegen Talao sei, sah er mich erstaunt an und meinte, daß ein Vater, der seine Tochter wegen ihres Lebens im Gemeinschaftshaus prügelte, nichts Besseres verdiene.

Erst dachte ich, daß ich Toko selbst als Strohmann gebrauchen könne, er aber erinnerte mich daran, daß zwei, die zum selben Totem gehören, einander nicht heiraten dürfen.

Toko sagte, daß ich das nur ihm überlassen solle. Er würde schon dafür sorgen, daß keiner von den Jungen Lea hinter ihrem Rücken kaufe.

Er sah kriegerisch aus und schwang die Arme voll Begeisterung für die gute Sache, die ihm anvertraut war.

Und was Talaos Bengel anbetraf, so wollte er sie noch heute aufsuchen und sie so nehmen – einen in jede Hand – und sie gegeneinanderpressen, bis sie hoch und heilig gelobten, daß sie ihre Augen und Ohren vor Dingen verschließen wollten, die sie nichts angingen. So ein paar Grünschnäbel, die gekaute Bananen aus dem Mund ihrer Mutter aßen, als er, Toko, bereits Betel auf seiner eigenen Matte spuckte.

Es vergingen einige Wochen, wo ich nichts von Lea und Matofa sah.

Wenn ich Toko fragte, bekam ich eine ausweichende Antwort: er hätte in diesen Tagen so viel zu tun, daß er keine Zeit habe, sich mit den Angelegenheiten anderer zu befassen.

Ich sah ihn streng an, sagte aber nichts; denn man muß Toko sehr vorsichtig behandeln. Indessen beschloß ich zu tun, was in meiner Macht lag.

Wie Wahuja mir geraten hatte, ging ich darum zu Talao.

Ich saß auf derselben Matte, wo ich neulich gesessen hatte, war aber nicht annähernd so feierlich. Wir sprachen von der Gesundheit des Königs und von der Vergänglichkeit des Lebens. Ich erwähnte Lea flüchtig und deutete an, daß Talao gewiß recht gehabt habe; er kenne ja seine Tochter besser – sie würde sicher das Herz ihres Vaters haben und Matofa bald vergessen.

Talao war anfangs zurückhaltend und schweigsam gewesen. Als die Rede aber auf Lea kam, veränderte sich der Ausdruck seiner Augen. Ich konnte ihm ansehen, wie nah ihm die Sache gegangen war, und sein Gesicht klärte sich auf, als er hörte, daß ich meine Meinung geändert habe.

Als ich ihn fragte, ob er einen Freier in Aussicht habe, konnte ich ihm ansehen, daß er bei sich dachte: nein, außer wenn du sie selbst haben willst. Hast du dich vielleicht eines Besseren bedacht?

Ich sprach von meinem Alter und meiner Gebrechlichkeit, um ihm klarzumachen, daß ich nicht mehr an Heiraten dächte. Mein Interesse für Leas Wohl aber sei darum nicht geringer geworden.

Talao sah mich an. Und als er aus meinem Gesicht nicht klug werden konnte, fragte er schließlich rein heraus, ob ich vielleicht von einem Freier gehört habe. Ich spräche ja so viele in meinem Kistenhaus, und Toko kenne ja die meisten Jungen.

Das hätte ich nicht gerade., aber ich wolle mich für die Sache interessieren; und wenn ich hörte, daß einer willig sei, wollte ich Lea aufs beste empfehlen.


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