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Tagebuch 13

geschrieben im stark bewegten Ruderboote auf dem unteren Ob.

Zweite Abteilung der Schilderung der Kirgisen

Daß den jungen Leuten dafür ein Fest bereitet wird, erscheint gerecht und billig. Ihre Altersgenossen im Aul, und zwar die Jünglinge nicht allein, sondern auch die jungen Mädchen und Frauen, versammeln sich in derselben Jurte mit ihnen. Wiederum bringt man eine Schafbrust herbei, und wiederum zerschneidet man sie mit den bereits mitgeteilten Worten, bereitet sodann eine besondere Festspeise aus Herz, Nieren, Leber und Fett des Schafes zusammen geschmort und reicht sie den Gästen, zuerst natürlich stets den die Jünglinge begleitenden Alten bedenkend. Dieser nimmt dankend einen Bissen, aber nur, um ihn dem ersten besten in den Mund zu schieben und ihm gleichzeitig die fettige Brühe ins Gesicht zu schmieren. Damit gibt er das Zeichen zum Beginn des Scherzes, welcher nunmehr zu seinem vollen Rechte gelangt und insbesondere den Mädchen Gelegenheit gibt, ihrem Übermute Genüge zu leisten. Ein sehr beliebter Scherz besteht darin, die Jünglinge heimlich festzunähen, das heißt ihre Kleider mit den Teppichen des Bodens durch rasch und geschickt geführte Stiche zusammenzuheften.

Nach dem Mahle gewährt man den jungen Leuten eine kurze Erholung, jedoch nur, um sie kurz darauf noch härteren Proben zu stellen. Man veranstaltet ein Wettsingen zwischen den möglichst gut vorbereiteten Mädchen und den nicht vorbereiteten Jünglingen, ganz nach der Art der Trutzlieder unserer Gebirgsleute. Die jungen Männer setzen sich auf den Ehrenplatz der Jurte, die Mädchen sich ihnen gegenüber; eines von ihnen beginnt zu singen, einen der Jünglinge anredend, und dieser muß sofort mit einer schlagenden, ebenfalls in Verse gebrachten Antwort zur Stelle sein, die erste Sängerin aber bemüht sich nach Kräften, um solche Antwort zu erschweren. Ist der Herausgeforderte nicht imstande zu antworten, so ergeht es ihm schlimm: Man zerrt ihn trotz alles Sträubens aus der Jurte heraus und badet ihn, das heißt schüttet ihm gewaltsam Wasser über den Kopf, bringt ihn hierauf wiederum nach der Jurte zurück und stellt einen zweiten Versuch an usw. Die höchste Strafe besteht darin, ihn als Weib zu verkleiden, ihm auch wohl noch ein Kissen auf den Leib zu binden und die fremde schwangere Frau sodann allen Männern zu zeigen. Scherzreden wechseln hinüber und herüber; wer ihnen am besten zu begegnen weiß, ist der Held des Tages, wer ihnen nicht gewachsen, das allgemeine Opferlamm.

Während dieser Spiele sitzt die Braut in derselben Jurte hinter einem Vorhang, ohne an den Scherzen teilzunehmen oder sich auch nur zu zeigen. Diese Vereinsamung benutzt ein Verwandter von ihr, um sie trotz der versammelten Freunde des Bräutigams zu stehlen und nach seinem Aul oder seiner Jurte zu entführen. Selbstverständlich kann dies nur im Einverständnis mit ihr geschehen; denn der Raub kann nur dadurch ausgeführt werden, daß der Räuber den oberen Filz der Jurte lüftet und das Mädchen durch das Sparrenwerk hindurchzieht. Wird sein Vorhaben bemerkt, so suchen es die Jünglinge nach Kräften zu hindern, und ebendeshalb sucht man sie soviel als möglich zu beschäftigen und ihre Aufmerksamkeit auf andere Dinge zu lenken. Ist der Raub gelungen, so ladet der Räuber die ganze Gesellschaft nach seiner Jurte ein und fordert die Jünglinge auf, die Braut ihres Gespielen und Freundes zu lösen. Die Braut sitzt hier hinter den Frauen und Mädchen, welche sie zu bewachen haben und gegen jede Gewalttat der Jünglinge auch wirklich verteidigen. Ein zweites Wettsingen beginnt; doch keines der Lieder wird gut genug befunden, um das Pfand freiwillig herauszugeben; jeder versuchte Sturm wird abgeschlagen, jede Bitte abschlägig beschieden. Der vordere Teil der Jurte ist seiner Filzdecke entledigt, und die Braut sitzt hinter dem Gitter vor aller Augen; ein gewaltsames Vorgehen ist jedoch unmöglich: Man beginnt also zu verhandeln. Die Frauen verlangen neunerlei Speisen, von den Jünglingen selbst zubereitet. Da diese solch Verlangen nicht zu erfüllen imstande sind, lassen sich die Frauen endlich herab, an deren Stelle nun verschiedene Geschenke anzunehmen. Letztere werden bereitwillig gezahlt, und nunmehr liefert man den Jünglingen die Braut aus, jedoch nur unter der Bedingung, sie wiederum in die Jurte ihres Vaters zurückzubringen.

Inzwischen sitzt der Bräutigam noch immer draußen in seinem Zelte. Ganz allein war er freilich nicht; denn einige junge Frauen hatten sich schon beim Eintreten seiner Gefährten in den Aul aufgemacht, um ihn zu suchen, ihn natürlich auch gefunden, und waren bei ihrem Erscheinen so schön mit einem »Taschim« empfangen worden, daß sie beschlossen, ihm Gesellschaft zu leisten. Dieser Taschim ist die höchste Ehrerbietung, welche einer Kirgisin werden kann, ein Gruß, bei welchem der Grüßende sich so tief herabbeugt, daß er mit seinen Fingerspitzen die Fußzehen berührt, worauf er sich langsam aufrichtet und die Fingerspitzen am Schienbein emporgleiten läßt, bis er in senkrechte Lage gekommen. Die Frauen hatten ihn nunmehr nicht allein mit Speisen versorgt, sondern auch nach besten Kräften unterhalten, ihm jedoch nicht gestattet, das Zelt zu verlassen und in den Aul zu gehen. Erst nach Eintritt der Nacht erhält er auf vieles Bitten die Erlaubnis, dort wenigstens ein kleines Lied singen zu dürfen; um seiner Sehnsucht Genüge zu leisten, besteigt er ein Roß, reitet in den Aul und beginnt, sobald er an der ersten Jurte vorüber, mit seinem Gesang, zuerst an alle Bewohner des Aul sich wendend. Mein Erzähler, der Dolmetscher des Generals Poltoratzky, wußte mir durch Vermittlung der Frau Generalin das folgende zu nennen und vorzusingen:

»Fragt ihr mich nach meinen Jahren, will ich sagen,
Daß ein Pferd ich alt bin,
Fragt ihr mich nach meinem Werte,
Daß ich ebenmäßig von Gestalt bin,
Mut im Herzen fühle oder kenne,
Sing, solang ich lebe und nicht tot und kalt bin,
Doch jetzt allen Mut verloren,
Weil ich in der Lieb Gewalt bin.«

An der Jurte seiner Braut angelangt, erhebt er seine Stimme und bringt nur ihr ein Ständchen dar. Man sang mir das Nachstehende vor:

»O Mädchen du brachtest mir Leiden und Kummer,
Dreimal schon kam ich vergeblich zu dir,
Du wolltest nicht wach sein; zu tief war dein Schlummer,
Wolltest nicht hören, nicht aufsehn zu mir.
Doch spät in der Nacht, wenn zur Ruh die Kamele,
Jungvieh an härene Fessel man reicht,
Dann wird sich erlaben die lechzende Seele,
Dann wird sich enden mein Sehnen, mein Leid.
Seh ich dir ins Auge, wird wieder mir kommen,
Was ich verloren, der Mut und die Lust,
Die Kraft der Seele, die du mir genommen,
Mit Wunsch und Sehnen erfüllend die Brust.
Ich werde dich bitten, mir Kumis zu reichen,
Als wäre ich durstig und trocken mein Mund,
Du laßt dich erbitten, du läßt dich erweichen
Und machst mir das dürstende Herze gesund.
Und sollte mein Singen dir nicht gefallen,
Mein Werben dir willkommen nicht sein,
Dann kehre ich wieder mit den Freunden allein,
Sie werden mir helfen, um dich zu frein.«

Ohne in die Jurte einzutreten, kehrt er, nachdem er gesungen, wieder zu seinem Zelte zurück. Da erscheint eine alte Frau bei ihm und verspricht, ihn zur Braut zu geleiten, falls er sie beschenke. Dies geschieht, und beide gehen. Kaum aber haben sie wenige Schritte zurückgelegt, als ihnen ein Hindernis bereitet wird: Eine andere Frau legt die Gabel, mit welcher man den oberen Ring der Jurte aufhebt, quer über den Weg. Sie zu überschreiten würde ein übles Vorzeichen sein: Diejenige, welche sie gelegt, muß sich auch wieder wegnehmen, tut dies natürlich nur gegen ein Geschenk. Auch dieses wird gegeben und der Weg fortgesetzt. Da aber hemmt ein zweites Hindernis das Weitergehen. Auf dem Weg liegt wiederum etwas, und dies erweist sich beim Näherkommen als eine dem Anschein nach tote Frau. Ein neues Geschenk bringt sie glücklicherweise zum Leben zurück und macht den Weg frei bis in die Nähe des Aul. Hier aber steht eine Gestalt und knurrt wie ein Hund. Sollte es heißen, daß die Hunde den zum ersten Male zur Braut gehenden Jüngling angeknurrt? Nimmermehr! Ein Geschenk macht die knurrende Gestalt verstummen, und der vielgeprüfte, so oft aufgehaltene Wanderer gelangt endlich bis zur Jurte, welche die Ersehnte beherbergt. Doch die Tür der leichten und dennoch undurchdringlichen Behausung ist ihm verschlossen; denn zwei Frauen stehen als Wächterinnen vor der Pforte und halten die Filzdecke, welche anstatt der Tür dient und ihn von seinem Glücke scheidet, mit beiden Händen zu. Doch auch diese Wächterinnen halten vor einem ihnen gereichten Geschenk nicht stand, verlassen die Pforte, und er tritt ein in die Jurte. Aber noch in dieser findet er Hemmnisse. Zwei andere Frauen halten den Vorhang fest, hinter welchem die Braut sitzt, und er muß sich auch von ihnen loskaufen. Sie gehen, und nur eine alte Frau bleibt in der Jurte zurück. Sie aber führt die Braut herbei und legt deren Hände in die seinigen. Daß ihr für solchen Dienst ein Geschenk werden muß, versteht sich von selbst. Ein solches macht auch die Alte gefügiger, und sie gestattet jetzt dem verliebten Bräutigam, das Haar der Braut zu streicheln. Nochmals beschenkt, entfernt auch sie sich endlich und läßt die beiden allein. Frohlockend führt der Jüngling die Erwählte nach dem festlich bereiteten Lager. Aber noch einmal stößt er auf Hindernisse: Auf dem Lager ruht die kleine Schwester oder eine unverheiratete Gespielin der Braut, und nur gegen ein ihr gewordenes Geschenk macht auch sie Platz, und endlich, endlich teilt er allein mit der Braut den Raum.

Doch nur eine kurze Stunde gestattet man beiden, allein zu sein; nach Ablauf dieser Frist erscheint die Alte wieder, um festzustellen und den Eltern sowie allen Festteilnehmern mitzuteilen, daß aus einer Jungfrau eine Frau geworden. Unter Aufsicht, welche jedoch eher als eine Mithilfe der alten Frau zu bezeichnen ist, darf der Bräutigam in der zweiten und der dritten Nacht, diesmal ohne Geschenke verabreichen zu müssen, wiederum zur Braut kommen, worauf er nach seinem Aul zurückkehrt. Die Braut übergibt ihm Geschenke für die Mädchen seines Auls, der Brautvater solche seinen Begleitern, mit denen er bisher verkehrte, ohne den Bräutigam zu sehen oder ihm sich zu zeigen.

Durch Vermittlung der Djenke besucht der junge Mann seine bräutliche Frau in Absätzen von vierzehn Tagen oder drei, auch wohl vier Wochen, bis endlich der Rest des Brautschatzes bezahlt ist. Bei seinem Kommen muß er jedoch stets vor dem Aul sein Zelt aufstellen und warten, bis er von der Djenke geholt wird. Ist endlich der Kalüm bezahlt, so sendet er den Werber, um fragen zu lassen, ob er die Braut nunmehr in seine Jurte führen dürfe. Dies wird und muß gestattet werden, und er erscheint nunmehr wiederum mit seinem Gefolge, Geschenken, Schafen, Ziegen zum Festmahle und dergleichen, darf jedoch auch jetzt noch nicht den Aul betreten. Sofort aber sendet man ihm ein Zelt zu zeitweiliger Unterkunft, und später erscheint auch eine Frau bei ihm, um ihm die Zeit zu kürzen und ihm Kumis zu reichen. Letzteres geschieht diesmal unter strenger Einhaltung eines besonderen Gebrauchs. Die Frau reicht ihm die Schale mit verhüllter Hand, und er nimmt sie ebenso erst entgegen, nachdem er sich die Hand mit dem langen Ärmel verhüllt hat. Trotz dieser Förmlichkeit ist der Scherz nicht ausgeschlossen: zwei-, dreimal bietet die schenkende Hebe den beliebten Trank, und zwei-, dreimal zieht sie die Schale zurück, sobald jener nach derselben greift.

Am Morgen nach seiner Ankunft zum letzten Brautzuge sendet er alle zu einer Jurte erforderlichen Holzteile in den Aul; denn solche hat er zu liefern, wogegen der Braut nur die Beschaffung der nötigen Filzdecken obliegt. Alle Bewohner des Aul versammeln sich und nähen flugs zusammen, was noch genäht werden muß; dann beginnt man mit der Aufstellung der neuen Jurte. Dies geschieht mit großer Feierlichkeit. Der beliebtesten Frau des ganzen Aul wird das vielbeneidete, auch wohl bestrittene Vorrecht zuerkannt, den oberen Ring zu heben und mit der Gabel so lange zu halten, bis das Sparrwerk so weit als nötig in ihm befestigt werden konnte. Die übrigen Frauen beteiligen sich so viel als tunlich am Zusammenfügen des Gerüstes und der Bekleidung desselben. Nachdem die Jurte steht, führt man Braut und Bräutigam herbei und von zwei Seiten her auf die Jurte zu, um die große Frage zu lösen, welcher von den Eheleuten später in der Jurte die Herrschaft führen wird; denn derjenige, welcher jetzt zuerst zur Stelle sein wird, hat hierauf die meisten und sichersten Aussichten.

Inzwischen ist auch die erste Mahlzeit bereitet worden, welche in der neuen Jurte genossen werden soll. Alle Zugehörigen versammeln sich und essen von dem Fleisch der vom Bräutigam mitgebrachten Schafe. Ein Beinknochen wird sorgfältig abgeknaupelt, sodann mit einem Fetzen weißen Zeuges umwickelt und dem Bräutigam übergeben, welcher ihn, ohne aufzublicken, durch die obere Öffnung der Jurte zu werfen hat. Gelingt ihm dies, so ist es ein Zeichen, daß der Rauch stets gerade zum Himmel aufsteigen und Glück und Segen in der Jurte herrschen werden.

Die Fortsetzung des Mahles erfolgt in der Jurte des Brautvaters. In diese begeben sich jedoch nur die Gäste und die Verwandten des Brautvaters, wogegen die jungen Leute des Aul in der Jurte des jungen Pärchens zurückbleiben. Während man dort schmaust, begibt sich die Brautmutter mit einer großen Schüssel Fleisch in die neue Jurte, um die dort weilenden jungen Leute zu speisen; noch bevor sie die Schüssel niedergesetzt hat, befindet dieselbe sich bereits in den Händen eines der dort Versammelten, dieser selbst mit der Beute auf dem Rücken seines Pferdes, und dahin geht die wilde Jagd, denn alle übrigen haben den geschehenen Raub kaum bemerkt, als auch sie nach ihren Rossen eilen, um den Räuber zu verfolgen. Jeder aber, welcher so glücklich war, dem letzteren den Raub abzugewinnen, tut, wie der Räuber tat, und die Verfolgung währt deshalb so lange fort, wie die Lust anhält, und die Schüssel gelangt nach und nach in vieler Hände, bevor der Rest ihres Inhalts endlich verspeist wird. Bringt die Brautmutter diese Schüssel nicht bald zur Stelle, oder sollte sie gar versuchen wollen, den jungen Leuten die Gelegenheit zu solchem Spaß zu rauben, indem sie dieselben nicht zu bewirten gedachte, so decken diese rasch die neue Jurte ab, nehmen jeder ein Stück Filz aufs Pferd und sprengen damit in die Steppe hinaus, der eine dorthin, der andere hierhin, dieser nach Osten, jener nach Westen, werfen dort die Filze weg, den Eigentümern es überlassend, sie wiederum zusammenzusuchen, und kehren nach dem Aul zurück.

Nicht minder streng wird der Bräutigam von seinen Genossen bestraft, wenn er sich geizig zeigte oder allzu unbedeutende und kleinliche Geschenke verteilte. Ehe man es sich versieht, wird einer der ihn begleitenden Jünglinge gefangen, gewaltsam nach der mit den jungen Mädchen und Frauen erfüllten Jurte geschleppt, hier durch das aufgedeckte Sparrwerk in das Innere des Raumes geworfen und ihm aufgegeben, so rasch als möglich durch die Tür wieder das Freie zu gewinnen. Tut er dies nicht, so fallen alle Mädchen und Frauen über ihn her und zwicken und peinigen ihn bis aufs Blut: Tut er es, so warten seiner außen die Jünglinge, um ihn in ähnlicher Weise zu quälen. Ungeachtet all dieser Scherze wird der Frieden jedoch kaum, das heißt nur in seltenen Fällen, gestört, jeder Spaß vielmehr von beiden Seiten, der des Schädigenden wie des Geschädigten, nach Kräften belacht, mindestens gute Miene zum bösen Spiel gemacht. So wird dieser Tag zu einem Feste, welches rasch genug für die liebe Jugend, vielleicht nur zu rasch dahinschwindet.

Am andern Morgen verlangt der Brautvater zum ersten Male den Bräutigam zu sehen und ladet ihn zum ersten Male in seine Jurte ein. In dieser sind wiederum die Frauen, zumal die Gespielinnen der Braut und die Begleiter des Bräutigams, versammelt. Der Brautvater empfängt den jungen Mann mit großer Freundlichkeit, rühmt sein Aussehen, seine Klugheit, seine sonstigen Begabungen, wünscht ihm Glück zum Ehestande und überreicht ihm schließlich allerlei Geschenke, gewissermaßen eine Mitgift der Baut. Diese wird inzwischen festlich gekleidet und mit der Brautmütze, einem spitzigen, mit allerlei Schmuck von oft sehr großem Werte behangenen Aufputz, verziert und nunmehr auch vom Vater dem jungen Manne zugeführt. Und nunmehr beginnt ein Wechselgesang zwischen den versammelten Frauen und den Begleitern des Bräutigams. Die Frauen versuchen die Klage der Scheidenden in Worte zu kleiden, die Jünglinge geben ihnen die Antwort darauf.

»O daß ich muß lassen das Haus meiner Kindheit,
in welchem das Glück und die Freude mir blühte!«
»Ein schönes Haus wirst du finden, schön ist es bereitet,
dich aufzunehmen und glücklich zu machen!«
»O daß ich muß scheiden von den Freundinnen
und von den Schwestern, von den Brüdern!«
»Mehr als dein Bruder wird sein dir dein Gatte,
und Freundinnen, welche dir Schwestern,
wirst du finden in den seinen!«
»O daß ich muß gehen von meinen Eltern,
dem Vater, der Mutter, die mich erzeuget, erzogen
und immer geliebet!«
»Vater und Mutter des Gatten, sie werden sein
auch die deinen; drum klage nicht länger!«
»O daß ich die Herden, die hier ich gepflegt und geliebet,
muß ansehen gleich einer Fremden!«
»Nimm mit von den Herden, soviel du begehrst,
doch andere schon harren der pflegenden Hand« usw.

Der Gesang verstummt endlich; die Kamele werden herbeigeführt, mit der Aussteuer der Braut beladen und den Begleitern des jungen Mannes übergeben; dann bringt man zwei reichgeschirrte Rosse herbei, eines für die junge Frau, das andere für deren Mutter bestimmt, und ladet beide Frauen ein, sie zu besteigen. Unter Tränen nimmt die junge Frau Abschied vom Vater, von den Geschwistern, von den Freundinnen und den Freunden und schickt sich zum Weggange an. Der junge Mann aber eilt, Braut und Schwiegermutter der Obhut seiner Genossen befehlend, alle bewegliche Habe geleitend, dem Brautzuge voran, stellt, in seinem Aul angekommen, so rasch als möglich die Jurte wieder auf, den oberen Ring wiederum der bestbeleumdeten Frau zum Halten übergebend, kleidet sich sodann in seine alltäglichen Gewänder, begibt sich zu seinem Vater, tut, als ob er sich nicht vom Aul entfernt habe. Der Hochzeitszug naht, aber niemand vermag die Braut zu erblicken; denn sie reitet in einem von den Begleitern um sie gezogenen Vorhang dahin, ist auch außerdem dichtverschleiert und betritt so die Jurte, in welcher sie fernerhin als Herrin schalten soll. Der Vater des Bräutigams aber, welcher jetzt von dem, was er längst weiß, benachrichtigt wird, hält Schau über die Aussteuer und lobt und tadelt, je nach Befinden. Dann verlangt auch er die junge Frau zu sehen. Sie erscheint und betritt die Jurte mit den Begrüßungen, beide Hände jedesmal auf die Knie stützend; den einen Gruß dem Schwiegervater, einen zweiten der Schwiegermutter, den dritten dem Gatten spendend.

Befindet sich ein Mollah im Aul oder kann ein solcher herbeigeschafft werden, so erscheint er, kurz bevor die junge Frau das bewegliche Haus ihres Vaters verläßt und spricht hier den Segen über das Paar.

 

Verhältnis zu Frauen und Kindern

Die Kirgisen achten ihre Frauen höher, als es den Anschein hat, höher auch, als in den Worten zu liegen scheint, welche mir mein kirgisischer Freund Attibei sagte: »Wir schätzen unsere Frauen, wie wir einen Paßgänger schätzen: Beide haben keinen Preis!«

Während des ersten Jahres nach ihrer Verheiratung muß jede Kirgisin ihr Gesicht vor jedem Fremden verschleiern, vor dem ältesten Bruder ihres Mannes aber stets; denn dieser erbt alle Habe seines Bruders und ebenso die nachgelassene Frau, welche daher durch Enthüllung ihres Gesichtes böse Gelüste erregen könnte. Ist sie alt geworden, so hat sie zwar in der Regel keine Aussicht, solche Gelüste zu befürchten, bleibt jedoch der gebietenden Sitte treu, wogegen sie keinen Anstand nimmt, vor Nichtverwandten sich zu zeigen.

Heiratet ein Kirgise eine zweite Frau, so finden gewöhnlich nicht soviel Förmlichkeiten statt; doch kommt dies auf seinen und seines Schwiegervaters Wunsch an. Er wirbt dann für sich selbst, nachdem er vorher den üblichen Werber zum Vater gesandt hat. Die erste Frau verlangt und genießt jedoch besondere Vorrechte, bleibt stets die Herrin ihrer Jurte und behält auch dann, wenn der Mann, wie es bei Ärmeren geschieht, die zweite Frau mit ihr dieselbe Jurte teilen läßt, den Ehrenplatz zu unumschränkter Verfügung. Sie kann sich in der ganzen Jurte frei bewegen, wogegen der zweiten Frau nur ein ganz bestimmter kleiner Platz zukommt, welchen sie nicht zu überschreiten wagen darf, ohne mit jener in Händel zu geraten. Nur wenn die erste Frau es gestattet, darf sich der Mann zur zweiten Frau begeben; ohne ihre Genehmigung dagegen darf er sich nicht einmal zur zweiten setzen, geschweige denn legen. Lebt die Mutter des Mannes mit ihrem Sohn und der Schwiegertochter in ein und derselben Jurte, so führt sie die Herrschaft, und die Schwiegertochter muß sich ihren Wünschen und ihrem Ermessen unweigerlich fügen.

Obgleich die Kirgisin in der Regel keinen Widerspruch gegen eine von ihren Eltern getroffene Wahl des Gatten erhebt, kommt es doch vor, daß sie später sich weigert, bei ihm zu bleiben, oder ihm einfach entläuft. Nach Sitten und Gebrauch muß sie auf Verlangen des Mannes zu diesem zurückkehren, und erst wenn sie dreimal entlaufen, zwingt man sie nicht ferner. Wendet sie sich dagegen an die russische Obrigkeit, so kann sie, wenn sie will, Scheidung bewirken, da sie dann einzig und allein nach russischem Gesetz, nicht aber, wie die Russen selbst, von den Popen, sondern von dem Gouverneur gerichtet wird. Um die Macht der Mollahs abzuschwächen, haben die Russen sich die obere Gerichtsbarkeit auch in Ehesachen vorbehalten. An erster Stelle entscheidet der Mollah nach dem Koran, richtiger nach derjenigen Auslegung, welche er den meist sehr dunklen Stellen desselben zu geben beliebt: Als Obergericht dient die Versammlung der Gemeindeältesten, das höchste Gericht hat sich der Gouverneur vorbehalten. Unser Freund Poltoratzky nun hatte erst vor kurzem Gelegenheit, sein Vorrecht geltend zu machen, indem er einer jungen Kirgisin aus alter und guter Familie zu ihrer Freiheit verhalf. Nachdem die junge Frau ihrem Gatten entlaufen, hatte man alle Mittel versucht, um sie ihm wieder zuzuführen, um so mehr, als der Mann nicht allein bei allen seinen Stammesgenossen in hohem Ansehen stand, sondern auch alle einen Kirgisen schmückenden Tugenden besaß. Die junge Frau aber beharrte auf ihrer Weigerung, verlangte die größten Opfer von Seiten des Mannes, ohne sie, wenn dieser darauf einging, anzunehmen, und verzögerte so die Angelegenheit so lange, bis sie zur Entscheidung des Gouverneurs gelangte. Bei der Vernehmung der jungen Frau lernte auch die Frau Generalin dieselbe kennen, und ein einziger Blick, von der sich unbeachtet glaubenden jungen und schönen Kirgisin auf einen jungen Mann ihres Gefolges und weitläufigen, armen Verwandten ihres früheren Gatten geworfen, sagte der klugen Frau mehr als die genaueste Durchsicht der in unserem Falle übrigens nur sehr dürftigen Akten, lehrte sie den Grund so hartnäckiger Weigerung kennen. Die Liebe macht eben auch hier ihre unvoraussichtlichen Rechte zuweilen geltend. Entführungen kommen ebenfalls vor, sind jedoch selten, weil jeder gern den Brautschatz bezahlt. Doch gilt es keineswegs als Schande, ein Mädchen, dessen Vater zu hohe Ansprüche erhebt, gewaltsam zu entführen, eher als ritterlich und zulässig: Die Mädchen, mit denen der Entführer wahrscheinlich vorher sich verständigt, folgen einem solchen willig und ohne zu schreien.

Naht die Stunde der Entbindung einer Kirgisin, so wird ihr, zumal wenn sie noch nicht Mutter war, eine eigene Jurte eingeräumt, welche sie mit einer erfahrenen Alten teilt: Ist die Entbindung schwer, so ruft diese noch einige alte Frauen zur Mithilfe herbei, und wenn es lange währt, ehe der erwartete Erdenbürger das Licht der Welt erschaut, versammelt sich nach und nach vor der Jurte die ältere Bewohnerschaft des ganzen Aul, Männer und Frauen, beginnt zu lärmen und zu schreien, daß man es in der Entfernung einer Werst noch zu hören vermag, und geht endlich zu vermeintlich wirksameren Hilfsmitteln über, um den bösen Geist zu bannen, welcher der Kreißenden so schwere Stunden bereitet. Die Männer holen jetzt ihre Peitschen herbei und schlagen mit aller Macht auf die Filzdecken der Jurte; die der Kreißenden behilflichen Frauen holen eine Säge herzu und fordern jene auf, dieselbe in den Mund zu stecken, um den Teufel zu schrecken. Eine russische Dame, die Frau eines Arztes, welche sich längere Zeit unter den Kirgisen aufgehalten, weil ihr Gatte mit Impfungen beschäftigt war, sah auch zu ihrem nicht geringen Entsetzen, wie die Männer ohne weiteres in die Jurte traten, als ihr Gatte einer schwergebärenden Frau zu Hilfe gerufen wurde.

Ist das Kindlein glücklich zur Welt gekommen, so wird es zunächst in warmem, reichlich mit Salz gesättigtem Wasser gebadet und dies vierzig Tage lang fortgesetzt. Nicht immer bekleidet man den Säugling mit einem Hemdchen, legt ihn vielmehr meist nackend in eine kleine, mit der zartesten Kamelwolle gefüllte Wiege und umhüllt ihn mit besagter Wolle so dicht, daß er selbst im strengsten Winter nicht im geringsten unter der Kälte zu leiden hat. Diese Wolle wird außerdem nur zu den feinsten Gespinsten verwendet. Die kleine, kurze, niedliche Wiege besteht aus zusammengebundenen Weidenzweigen und wird anfänglich zugleich als Tragkissen benutzt.

Die Mutter bleibt nur fünf Tage im Wochenbett, erhebt sich dann und verrichtet die ihr zukommenden Geschäfte wie zuvor. Sie selbst nährt ihr Kind, und zwar ausschließlich an ihrer eigenen Brust, falls kein zweites nachkommt, sehr lange, zuweilen bis ins siebente Jahr des Sprößlings. Dieser wird gewissenhaft vierzig Tage lang mit Salzwasser gebadet, nach Ablauf dieser Zeit jedoch nicht mehr gewaschen, sieht daher auch, solange er nicht selbst solches verrichten kann, stets überaus schmutzig aus. Als erstes Kleidungsstück dient ein Hemd aus Kamelwolle, welches von ihm so lange getragen wird, als es hält, niemals in die Wäsche kommt und nur dadurch von Ungeziefer befreit wird, daß es die sorgsame Mutter etwa alle drei Tage einmal übers Feuer hält, um gewissen, in allen Jurten heimischen Tieren den Aufenthalt zu erschweren oder ungemütlich zu machen. Im Winter fügt die Mutter kleine, aus demselben Zeuge gefertigte Strümpfe hinzu; sobald das Kind laufen kann, erhält es den üblichen Pelz und die dickschaftigen Stiefel aus Leder.

Alle Kirgisen lieben ihre Kinder ungemein, behandeln sie mit großer Zärtlichkeit und schlagen sie nie, gefallen sich aber in der Unsitte, ihnen, sobald sie zu sprechen beginnen, zuerst allerlei häßliche und unschickliche Worte zu lehren, welche dann, wenn sie von den ahnungslosen Lippen des Kindes kommen, nie verfehlen, allgemeine Heiterkeit zu erregen. Ihr jemaliges Alter bezeichnet man mit dem Namen eines Tieres: Das Kind kann also »eine Maus, ein Murmeltier, eine Ziege, ein Schaf, ein Pferd alt« sein. Ist es ein Knabe und hat er das Alter von vier Jahren erreicht, so setzt man es zum ersten Male, und zwar mit großer Feierlichkeit, in den Sattel, während es bisher nur in den Armen seiner reitenden Mutter reiste. Das Pferd, welches man zum ersten selbständigen Ritt des Knaben wählt, muß womöglich ungefähr zu derselben Zeit geboren sein wie dieser selbst und wird an dem für beide festlichen Tage je nach dem Wohlstande seines Besitzers reich geschirrt, namentlich mit einem besonderen Sattel belegt, welcher in guten Familien vom Vater auf den Sohn sich forterbt. Dieser ist so gebaut, daß das reitende Kind nicht gut herausfallen kann, und dient einzig und allein zum ersten Ritt des Knaben. Die beglückten Eltern versprechen dem Kinde, welches sie zum ersten Male im Sattel sehen, allerlei schöne Dinge, rufen dann einen Diener oder willigen Freund herbei und übergeben ihm Roß und Reiterlein, um das frohe Ereignis auch zur Kenntnis aller Freunde des Hauses zu bringen. Der Gerufene nimmt das Pferd mit dem Knaben am Zügel und fährt es von Jurte zu Jurte, auch wohl in den nächstgelegenen Aul, um den jungen Reiter jedermann zu zeigen oder vorzustellen. Wo der Knabe erscheint, wird er freundlich begrüßt, mit Lob und Schmeicheleien überhäuft und mit kleinen Geschenken, namentlich mit einem fettigen Gebäck und kleinen Käsen aus Schafmilch, bedacht, worauf er glücklich und stolz zu seinen Eltern zurückkehrt. Sind letztere reich, so lassen sie sich die herrliche Gelegenheit, ein Fest zu feiern, gewiß nicht entgehen, schlachten ein oder mehrere Schafe, laden Verwandte und Freunde zur Mahlzeit, veranstalten vielleicht sogar eine Baika mit allem Pomp und Glanz wie üblich.

Unterricht erhält das Kind der Kirgisen, von den ersten Familien natürlich abgesehen, nur insofern es sich um Verrichtung häuslicher Arbeiten handelt, der Knabe im Hüten der Herden, die Mädchen in der Pflege derselben in und vor der Jurte, im Kochen, Nähen und sonstigen Wirtschaften. Wann der Knabe beschnitten wird, habe ich nicht in Erfahrung bringen können, auch nicht, ob diese Aufnahme in die Gemeinde der Gläubigen mit einem Feste verbunden ist oder nicht. Soviel mir meine Erzähler zu sagen wußten, erfolgt diese Handlung nicht vor dem zurückgelegten siebenten Jahre. Ungefähr um diese Zeit beginnt für die Söhne reicher und alter Familien der von einem Mollah erteilte Unterricht im Lesen und Schreiben, womit die Erziehung begonnen und beendet wird. Die Regierung sorgt seit geraumer Zeit weit besser als irgendeine kirgisische Familie für die Erziehung versprechender und lernbegieriger Knaben, indem sie einige Kirgisenschulen errichtet hat, in denen die Knaben nicht allein im Kirgisischen, sondern auch im Russischen Unterricht erhalten und, wie ich mich durch Besuch der Schule in Uskmenegorsk überzeugte, allen zu stellenden Anforderungen vollkommen genügen, so daß mit der Zeit diesen Schulen ein in jeder Beziehung brauchbarer Stamm von Beamten entwachsen dürfte.

 

Sterben und Begraben

Mehr noch als die Lebendigen ehrt der Kirgise die Toten und deren Gedenken. Jede Familie ist zu den größten Opfern bereit, um es in Beziehung auf eine großartige Leichenfeier an nichts fehlen zu lassen; jeder, auch der ärmste Kirgise, sucht das Grab eines von ihm geschiedenen Lieben zu schmücken, so gut er es vermag: Jeder hält das Andenken an die Toten in Achtung. Alles dieses ist allgemeiner Gebrauch bei den Mohammedanern; die beim Tod wie beim Begräbnis eines Kirgisen üblichen Förmlichkeiten weichen jedoch in manchen Stücken von denen anderer Gläubigen ab und verdienen daher eine eingehende Besprechung.

Naht die Sterbestunde eines Kirgisen, welcher wenigstens noch im Alter den Vorschriften seines Glaubens nachkam, so versammeln sich seine Freunde um ihn, um nach mohammedanischem Gebrauch dafür zu sorgen, daß seine Seele mit Sicherheit ins Paradies gelange. Ältere und fromme Kirgisen lassen sich, wenn sie glauben, daß sie bald zum Sterben kommen, oft aus dem Koran vorlesen, und ob sie den Sinn der in ihm enthaltenen Worte auch nicht verstehen; alle wünschen wenigstens im Kreis der Freunde zu scheiden. Diese versammeln sich nach Gebrauch der Gläubigen um den Sterbenden und rufen ihm den ersten Satz des Glaubensbekenntnisses so lange zu, bis er ihnen antwortet: »Und Mohammed ist sein Prophet«, worauf man wie im Morgenlande die Worte »El hamadi lillahi« ausruft.

Sobald der Tod eines Mannes, ich meine in diesem Falle eines Jurtenbesitzers, eingetreten, sendet man zunächst nach allen vier Richtungen der Windrose Boten aus, um allen Verwandten und Freunden Mitteilung von dem betrübenden Ereignis zu machen, und diese Boten durchreiten, je nachdem der Tote von Rang und Ansehen war, alle Aule von 20 bis 100 Werst in der Runde. Währenddessen wird die Leiche gewaschen und mit dem Leilach, hier Achret genannt, umhüllt. Dieses Leilach, ein Baumwoll- oder Wollgewebe, in Buchara oder Taschkent gefertigt, kauft sich jeder Kirgise schon bei Lebzeiten, um es stets fertig zu haben. Unmittelbar nachdem man den Leichnam so eingehüllt, trägt man ihn bis auf eine gewisse Entfernung vor die Jurte hinaus, legt ihn auf ein halbgespreiztes Gatter einer Jurte und läßt ihn durch den inzwischen herbeigerufenen Mollah einsegnen. Die aus dem Gatter bereitete Bahre wird durch zwei Stangen gestützt und vermittelst derselben auf dem Sattel eines Kameles befestigt, um nach dem oft weit entlegenen Friedhofe gebracht zu werden, und wenn auch nicht in geweihter Erde, so doch neben anderen seines Stammes zu ruhen.

Während der Leichnam gewaschen und in das Leilach gehüllt wird, beginnen die Frauen des Aul die Totenklage, welche fortwährt, solange der Tote sich noch im Aul befindet, und ihre höchste Höhe in dem Augenblicke erreicht, in welchem das Kamel mit der Leiche sich in Bewegung setzt. Die nächstverwandten Frauen versammeln sich in der Jurte selbst, die übrigen in einer benachbarten. Eine singt die Klagereime vor, die übrigen fallen gemeinschaftlich ein; die Klage steigert sich und mit ihr das klagende Gebaren der Frauen, welche sich schließlich das Haar zerraufen und ihr Gesicht kratzen, bis Blut fließt. Zum Begräbnis selbst gehen die Frauen nicht mit. Schon bevor der Leichnam den Aul verläßt, sind einige Männer auf raschen Pferden nach dem Friedhofe vorausgeritten, um dort das Grab zu bereiten. Dieses ist eine höchstens bis zur Brusthöhe des Mannes reichende Vertiefung, welche an einer Seite unterirdisch in ein Gewölbe übergeht, bestimmt, das Haupt und den Oberleib des Toten aufzunehmen. Nach der Beerdigung wird der offene Teil des Grabes mit Blöcken, Brettern, Rohr, großen Steinen überdeckt und ein großer Haufen Erde aufgetürmt, welchen man mit allerlei Stöcken, Fahnen und dergleichen zu zieren sucht. Vornehme und Reiche errichten später über dem Grab einen je nach den Umständen sehr verschiedenen Bau, ein vollkommen geschlossenes Blockhaus, dessen Dach ebenfalls aus übereinandergetürmten und ineinanderverblockten Blöcken besteht oder da, wo Holz nicht leicht zu beschaffen ist, eine Kuppel von wechselnder, im allgemeinen aber der Chubbe der Araber ähnelnder Form trägt, deren Spitze dann der Halbmond ziert. Alle diese Kuppeln werden aus lufttrockenen Steinen errichtet: Wir wenigstens haben nur eine einzige gesehen, bei welcher gebrannte Ziegel verwendet worden waren. Sehr häufig begnügt man sich mit einer einfachen Umhegung des Grabes, aus rohbehauenen Blöcken gefertigt; da, wo das Holz gänzlich mangelt, türmt man, wenn man nicht vermögend ist, einen Lehmhaufen auf.

Die zum Friedhofe gewählte Stelle liegt auf einem Hügel oder Bergrücken, meist auch in der Nähe von Wasser, und daher kommt es, daß nach ihr, nach dem Grabmal eines geachteten Kirgisen, weitaus in den meisten Fällen der Ort benannt wird. Der Aul selbst kann zu solcher Bezeichnung nicht dienen, weil nur der Winteraufenthalt ein bestimmter ist, die Lage der Jurten im Sommer aber vielfach wechselt: So wählt man also die Wohnstätte der Toten, um eine Örtlichkeit zu bezeichnen, und mit Recht, denn sie ist der einzige Ort, wo der sein Leben lang wandernde Kirgise Ruhe findet oder einen bleibenden Aufenthalt nimmt. Das Grab ist die einzige unveränderliche Wohnung, in welche er einzieht, denn selbst das für den Winter dienende Gebäude, möge dasselbe so gut oder schlecht sein, wie es will, bezieht er nicht in jedem Winter.

Die durch Boten benachrichtigten Verwandten und Freunde erscheinen unverzüglich im Aul, und somit kommen viele noch zur rechten Zeit, um dem Toten das letzte Geleit zu geben. Vor dem Grab segnet der Mollah die Leiche zum letzten Male ein, dann legt man sie in die kellerartige Gruft, deckt sorgfältig die Öffnung zu und türmt nunmehr den Erdhaufen auf, wozu jeder der Leidtragenden beitragen hilft. Nach der Beerdigung kehrt der ganze Zug in den Aul zurück, in welchem die Frauen noch immer klagen, betritt dann die verwaiste Jurte und versucht die Hinterbliebenen zu trösten. Die Familie speist die Grableute, und diese gehen nach Haus. Noch aber ist die Feierlichkeit nicht zu Ende.

Im Augenblick, in welchem der Jurtenherr gestorben, stellt man neben der Jurte eine weiße Fahne auf und beläßt sie ein ganzes Jahr hindurch an derselben Stelle. Während dieser ganzen Zeit versammeln sich hier neben der Lanze die Frauen, um die Totenklage zu erneuern; beim Wegzuge trägt ein junger Mann sie jährlich von Ort zu Ort. Die weiblichen Mitglieder der Familie kleiden sich in die Gewande der Trauer und tragen dieselben ein volles Jahr. Dieser »Tschauluk« ist ein Kopfputz, welcher das Haupt und die Schultern vollständig bedeckt und nur das Gesicht frei läßt, jedoch einzig und allein von den Mädchen getragen werden kann, da die Frauen ein anderes Trauerzeichen tragen, ein turbanähnliches Tuch, welches aber auf der einen Seite des Hauptes herabgebogen wird. Gleichzeitig wird dem Leibpferde des Verstorbenen der Schwanz bis auf die Hälfte seiner Länge gekürzt. Von diesem Augenblick an wird das Tier von niemand wieder geritten.

Sieben Tage nach dem Tode kommen die Verwandten und Freunde wiederum zusammen, halten eine Leichenmahlzeit und verteilen einige Kleider des Verstorbenen unter diejenigen, welche den Leichnam gewaschen und eingekleidet haben.

Verlegt man die Jurte und wandert man, so nimmt der junge Mann, welcher zu solchem Ehrendienste erwählt wurde, noch bevor die Jurte abgebrochen ist, die Lanze in die Hand; andere bringen das Pferd herbei, satteln und zäumen es und legen die besten Kleider des Verstorbenen auf den Sattel, die Mütze auf den Sattelknopf; der Lanzenträger nimmt das Tier am Zügel und läßt es neben sich einhergehen.

Am Jahrestage des Todes ladet man alle Verwandten und Freunde von weit und breit, sattelt, nachdem sie erschienen, das Pferd wie bei Umzügen, beladet den Sattel wiederum mit den Kleidern des Verstorbenen und führt das Tier etwas von der Jurte weg; der Mollah spricht ein Gebet; zwei Kirgisen nähern sich dem Pferde, werfen es zu Boden und schlachten es; denn sein Fleisch soll heute von den Eingeladenen, jedoch nicht von den Verwandten oder gar Familienmitgliedern gegessen werden; der Mollah erhält die Haut. Und nunmehr beginnt eine Baika, das heißt ein Wettrennen mit allem Glanze, den die Familie dem Feste zu geben fähig ist. Nachdem das Rennen beendet und die Preise, in der Regel deren neun, verteilt, bittet man den Würdigsten der Gäste, die Lanze zu zerbrechen. Er folgt der Aufforderung und legt die Stücke des Schaftes ins Feuer. Neun Stück Vieh oder neun Sachen überhaupt belohnen ihn für seine Mühe, und alle Trauer hat nunmehr ein Ende. – Blieben Kinder nach, so wählt man für sie einen Vormund; die Frau aber übergibt man dem ältesten Bruder des Verstorbenen, welcher sie, falls nicht besondere Gründe vorliegen, zur Ehe nimmt.

Die Frau erbt niemals von dem Mann; hat sie Kinder, so erben diese, hat sie keine, so kehrt sie, falls sie sich nicht mit dem Bruder verheiratet, ins Haus ihrer Eltern zurück. Verheiratet sie sich mit dem Bruder, so muß dies ein Jahr nach dem Tode des Mannes geschehen; ist kein Bruder vorhanden, so tritt der nächste älteste Verwandte in das Recht eines solchen. Aus diesem Grunde muß sie sich in Ermangelung eines Bruders auch stets vor dem nächsten Verwandten verschleiern, um dessen Herz nicht etwa, bei ihres Mannes Lebzeiten zu gewinnen.

Stirbt eine Frau, so werden fast dieselben Gebräuche beobachtet wie beim Begräbnis eines Mannes; nur daß selbstverständlich Frauen die Leiche waschen und bekleiden. Doch legen auch den Leichnam einer Frau nur Männer ins Grab, und die Frauen begleiten auch ihre Genossin nicht zum Friedhofe. Am Schluß des Trauerjahres wird ebenfalls ein Fest gefeiert, wenn auch in der Regel mit weniger Aufwand. Der Witwer darf sich nach dem Tode der Frau verheiraten, wann er will. Kinder werden ohne besondere Gebräuchlichkeiten beerdigt; doch legt man ihre Wiege aufs Grab: gewiß ein poetischer Zug!

 

Religiöse und politische Verhältnisse

In bezug auf ihren Glauben gewährt man den Kirgisen, entgegen früheren Verirrungen, jede nur denkbare Freiheit, duldet aber nicht, daß sie der Macht der Mollahs blindlings verfallen, und sucht daher deren Einfluß mehr und mehr zu beschränken. Vor allen Dingen dürfen nur Kirgisen Mollah werden, nicht aber andere Mohammedaner. Auch zum Bau einer Moschee ist die staatliche Genehmigung erforderlich. Dagegen wehrt man bekehrungslustigen Pfaffen, welche es natürlich auch in Rußland gibt, ihr Gelüste, unterstützt sie mindestens nicht, und so geschieht es, daß die Bekehrer einzig und allein erklärte Taugenichtse, Lumpen und Gesindel verkommenster Art zur Taufe führen können. Auch hier bewahrheitet sich wie überall, wo Christentum und Islam miteinander streiten, die beobachtete Tatsache, daß das Christentum unter den Anhängern des Propheten keinen Boden gewinnt. Kirgisen und Tataren vermeinen eben auch ohne die Taufe selig werden zu können.

Die politischen Verhältnisse der Kirgisen sind gegenwärtig so befriedigender Art, daß die wenigen noch unter chinesischer Herrschaft stehenden die russischen Behörden fortwährend bitten, sie in den Untertanenverband Rußlands aufzunehmen. Sie stehen unter eigenen Oberen, welche je fünfzig Jurtenherren wählen. Zweitausend Jurten bilden eine Gemeinde, im Gouvernement Semipalatinsk gibt es deren zweiundachtzig, welche wiederum ein Gemeindevorstand in Gemeinschaft der Gemeindeältesten leitet und beherrscht. Von jeder Jurte werden drei Rubel Steuern erhoben; im übrigen verlangt man keine Dienste. Leider denken die Russen insgemein minder günstig von den Kirgisen als alle Beamten, welche mit ihnen zu verkehren haben, bedrücken sie auf alle Weise und verdrängen sie mehr und mehr. Einen Kirgisen zu betrügen, gilt in den Augen der Russen als etwas Erlaubtes, und die Obrigkeit ist, so entschieden sie sich auch der Rechte der Steppenbewohner annimmt, in vielen Fällen doch nicht imstande, allem Unfuge zu steuern. Eine Ansiedlung nach der anderen erwächst in der Steppe, und auch hier erfüllt sich das Schicksal aller Nomaden, daß sie den seßhaften Ackerbürgern weichen müssen. Doch bleibt den braven Leuten immer noch ihre weite Steppe, und sie allein bildet bis jetzt immer noch eine Schutzmauer gegen das weitere Vordringen der Ansiedler.

 

[Postkarte]

Obdorsk, am 13. Juli 1876

 

Mein teuerstes Weiberl!

 

Ob und wann diese Karte in Deine Hände gelangen wird, wissen die Götter; denn hier befinden wir uns wirklich am Ende der Welt. Eine regelmäßige Post gibt's nicht mehr, und alle unsere Briefe müssen daher durch die Behörden besorgt werden. Nun zweifle ich zwar nicht, daß diese unsere Sendungen befördern, wie lange es aber dauern wird, bevor letztere auf den Postweg gelangt, vermag ich nicht zu sagen. Wir sind in zwölf Tagen von Tomsk bis hierher gereist und haben in dieser Zeit eine Strecke von mehr als vierhundert deutschen Meilen zurückgelegt; ich hatte daher weder Zeit noch Gelegenheit, Dir außer den wenigen Zeilen aus Samarow noch zu schreiben. Noch viel weniger wird dies von jetzt an der Fall sein; denn wir gehen von hier flußabwärts bis zur Mündung der Tschutscha und an den Kurischen Meerbusen, Nowaja Semlja gegenüber, weil diesen Weg noch niemand gemacht hat. {...} Ob sich schließlich etwas herausstellen wird, weiß freilich niemand zu sagen; indessen die Reise wird gemacht. Dann geht's heimwärts. Nun weiß ich aber nicht, ob es möglich sein wird, von dort, wo es keine Post, keine russischen Behörden mehr gibt, Dir zu schreiben: Mache Dich also nur auf längeres Ausbleiben von Briefen gefaßt. Gesund und wohl sind wir glücklicherweise, und mit Ausnahme der Mücken, welche uns das Leben oft recht verbittern, haben wir über nichts zu klagen. Auch unser Schiff genügt wenigstens den allernötigsten Bedürfnissen, obgleich es freilich so klein ist und bisher so dunkel war, daß wir nicht schreiben konnten. Daher bin ich denn auch mit dem Tagebuch sehr zurück und gehe jetzt den übrigen auf einem Schoner voraus, um einige Tage für mich und zum Schreiben zu haben, gleichviel, wann ich das Geschriebene absenden kann. Da ich Dir in letzter Zeit viel gesandt, wirst Du wohl genug zu tun haben. Briefe von Dir hoffe ich zu erhalten: Seit dem 6. Mai habe ich leider keine Nachricht. Nun, hoffentlich geht alles gut. Sei viel tausendmal gegrüßt und geküßt, grüß die Kinder, behalte lieb

Deinen alten getreuen Mann.

 


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