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Tagebuch 12

begonnen in Barnaul, am 22. ]uni

 

Erste Abteilung der Schilderung der Kirgisen

Jetzt nach fast anderthalbmonatlichem Zusammensein mit den Kirgisen dürfte es an der Zeit sein, das, was ich über sie, ihr Leben, ihre Sitten und Gewohnheiten nach eigenen Wahrnehmungen in Erfahrung gebracht und durch die Güte Poltoratzkys, noch mehr aber seiner Gemahlin von ihnen erkundet habe, hier zusammenzustellen.

Die eingeborenen Bewohner der Steppen West- und Mittelasiens nennen sich selbst nicht Kirgisen, sondern Kaisaken; denn der Name Kirgise, soviel als Räuber bedeutend, ist ihnen von den Russen beigelegt worden und wird von ihnen als Schimpfname betrachtet. Das Wohn- und Weidegebiet dieser noch heutigen Tages um her streifenden Hirten erstreckt sich vom Don und der Wolga bis zum Tianschangebirge und vom mittleren Irtisch bis jenseits des Balkaschsees oder bis Mittelturkestan. Sie selbst teilen sich in Berg- und Steppenkirgisen, genauer gesagt in drei Horden, von denen die eine die Steppen Europas, die andere die Steppen Westasiens, die dritte endlich die Steppen Mittelasiens bewohnt. Berg- und Steppenkirgisen unterscheiden sich nur insofern, als sich Gebirgsbewohner überhaupt von denen der Ebene unterscheiden: Ihre Sprache, ihre Sitten und Gewohnheiten, ihre Lebensweise, ihr Glaube sind dieselben.

Die Steppenkirgisen zerfallen in zwei Horden, und zwar in die kleinere oder jüngste und in die mittlere oder ältere. Erstgenannte bewohnt die Ohrenbürger Steppe und ein von ihr abgezweigter Teil, welcher unter dem Namen der Bukaischen Horde bekannt ist, die Steppen zwischen Wolga und Ural beziehentlich die Gouvernements Turgai und Ural; die mittlere Horde dagegen weidet und wandert in den Steppen und Gebirgen der Gouvernements Semipalatinsk und Akmolinsk. Der Name der großen oder ältesten Horde gebührt also nur den Bergkirgisen, als deren nördlichen Grenze man den Fluß Iki zu bezeichnen pflegt.

 

Aussehen und Kleidung der Kirgisen

Über die Rassenangehörigkeit der Kirgisen kann man verschiedener Meinung sein. Die meisten Reisenden sehen sie als Mongolen an; neuere, des Landes und der Leute kundige Beobachter dagegen sind geneigt, das Gegenteil anzunehmen: so der Lehrer Kury in Omsk und der Berghauptmann Eichwald in Barnaul. Ich selbst muß mich dahin erklären, daß sie zwar in einzelnen Stücken den mir bekannten Mongolen ähneln, in allen übrigen aber, hauptsächlich im allgemeinen Gepräge, von letzteren abweichen. Für ihre Zusammengehörigkeit mit den Mongolen sprechen die geschlitzten Augen, die merklich vorstehenden Backenknochen und ihre dunklere, das heißt bräunlichgelbe bis dunkelgelbbraune Hautfarbe, dagegen ihre oft sehr wohlgebildeten, zuweilen sogar recht hübschen Gesichtszüge, ihr verhältnismäßig weiches Haar und ihr mehr oder weniger starker Bartwuchs, ganz abgesehen von der Sprache, welche nichts anderes als eine Mundart der tatarischen ist und mit irgendeiner bekannten mongolischen Sprache keine Ähnlichkeit hat.

Bei allen mir bekannten Mongolen: Lappen, Kalmüken, Chinesen, Japanern bleibt man über die Rassenangehörigkeit nicht in Zweifel; denn das straffe, tief schwarze Haar, die schiefgeschlitzten Augen, die mehr oder minder eingedrückte, nur ausnahmsweise vorstehende Nase und die weithervortretenden Backenknochen bezeichnen diese deutlich genug; bei einer genauen Betrachtung der Kirgisen stößt man fortwährend auf Widersprüche. Ihr Haar ist allerdings stärker als das der meisten, keineswegs aber als aller Indogermanen oder Kaukasier; denn ich habe das Haar junger Mädchen untersucht, welches nicht allein durch seine braune Farbe, sondern auch durch seine Weichheit vom Haare anderer Mongolen sich ebensoweit unterschied wie das Haar irgendeines indogermanischen Stammes. Ihre Augen sind allerdings geschlitzt; allein nur bei wenigen erhebt sich scheinbar der äußere Augenwinkel über den inneren, und das Auge erscheint daher eher mandelförmig als so häßlich in die Quere gezogen wie bei den eigentlichen Mongolen. Auch ihre Backenknochen treten hervor; nur äußerst selten aber wird dadurch das Gesicht so verunziert wie bei Lappen, Kalmüken, Chinesen usw. Und was endlich ihre Nase betrifft, so ist diese bei einzelnen zwar auch etwas eingedrückt und an der Spitze verbreitert, bei den meisten aber stark vorstehend, gerade oder etwas gebogen und an der Spitze durchaus nicht mehr verbreitert als bei den meisten Indogermanen. Eichwald hat mir versichert, daß die ostasiatischen Mongolen, also die Buräten, Jakuten, Tungusen, Oratschonen den von ihm sehr oft mit ihnen zusammen gesehenen Chinesen in allen wesentlichen Stücken ähneln; ich selbst habe gefunden, daß dies für die Lappen wie für Kalmüken gilt und muß dem kundigen Manne beistimmen, wenn er sich dahin ausspricht, daß die Kirgisen keinem der genannten Volksstämme ähneln. Kury ist geneigt, in letzteren Turkmenen zu erblicken und sie als einen besonderen Stamm derselben ansehen zu dürfen; ich selbst vermag nicht, für oder gegen diese Ansicht zu sprechen, weil ich die Turkmenen nicht kenne.

Versuche ich nach genauerer Besichtigung von mindestens tausend Kirgisen, von denen ich einmal über hundert zusammen gesehen habe, sie zu beschreiben, so habe ich folgendes zu sagen: Die Kirgisen sind mittelgroße oder kleine, die Frauen immer kleine Leute, Hände und Füße, zumal die der letzteren, klein und zierlich gebaut, die Augen mittelgroß, der äußerste Winkel etwas verlängert oder waagerecht vorgezogen, das Auge aber in der Mitte in regelmäßigen Bogen, nur ausnahmsweise in der Nähe des inneren Winkels am meisten geöffnet, die Augenlider im ersteren Falle durch viele Falten gefurcht, die Wimpern wohlentwickelt, im letzteren Falle glatt und diese nur schwach ausgeprägt, die Augenbrauen ziemlich breit und dicht, jedenfalls gut entwickelt, die Ohren mäßig bis ziemlich groß, die Backenknochen keineswegs immer deutlich vor-, vielmehr oft so zurücktretend, daß das Gesicht rundlich wird, der vordere Teil der Kinnladen nicht auffallend zusammengedrückt, das Kinn daher weder spitz noch merklich vortretend, die Nase meist gerade, seltener gebogen, nur bei wenigen eingedrückt, die Nasenflügel dann auch bis zur Häßlichkeit verbreitert, wogegen sie sonst weniger als bei vielen Europäern in die Breite gezogen sind, die Lippen scharf geschnitten, seltener etwas wulstig, niemals negerartig aufgeworfen, der Mund daher immer verhältnismäßig, die Gesichtszüge also im ganzen durchaus nicht unangenehm, bei einzelnen entschieden hübsch, bei den meisten freilich grob und unschön. Der Bartwuchs ist in der Regel schwach, auf die Oberlippe und das Kinn beschränkt, bei einzelnen jedoch ebenso stark wie bei mäßig bebarteten Männern, das Haar reichlich, in der Regel schwarz, nicht selten aber auch braun, ausnahmsweise sogar hellbraun gefärbt, niemals so hart und straff wie bei den übrigen Mongolen. Die Färbung der Haut ist stets dunkler als die der Russen, niemals aber so unangenehm gelblich kupferrot wie die der Chinesen, vielmehr meist ein klares, durchsichtiges Hellbraun mit etwas gelblichem Schimmer, die Farbe der Augen gesättigt erdbraun bis dunkelbraun. Blaue Augen sind eine große Seltenheit und vielleicht auf gemischte Abstammung zurückzuführen, kommen aber ebenso wie ein blonder Bart vor. Die Frauen sind durchschnittlich weniger hübsch als die Männer, wobei freilich zu bemerken, daß man wohl mit Männern aus alten, guten, reichen und vornehmen Familien, kaum aber mit Frauen bevorzugter Klassen zusammenkommt und demnach nur Frauen gewöhnlicher Leute sehen und vergleichen kann. Doch versicherte mir auch die Frau Generalin Poltoratzky, daß sie niemals eine wirklich schöne, das heißt regelmäßige und ebenmäßige Züge tragende Kirgisin gesehen habe, obwohl sie deren viele kennengelernt, welche man als hübsch bezeichnen durfte. Die Kinder sind gewöhnlich eher häßlich als hübsch.

Die Kleidung der Männer wie der Frauen ist nicht geeignet, ihre Gestalt ins vorteilhafteste Licht zu setzen. Im Winter zumal verdecken die dicke, mit Seitenflügel versehene Pelzmütze, der weite Schafpelz und die dickschäftigen Stiefel alle Einzelheiten des Baues; aber auch im Sommer gelangt dieser nie zur Geltung. Der gemeine Kirgise trägt außer seinem Pelz und der unentbehrlichen Mütze nur noch Hemd, Kaftan und weite Beinkleider; der vornehme und reiche dagegen, ebenso wie der Araber, viele Kleidungsstücke übereinander. Das Haupt, welches stets geschoren wird, deckt die kleine, vielfach genähte Untermütze und im Winter oder bei schlechtem Wetter die mit zwei breiten seitlichen und einem hinteren, bis auf die Mitte des Oberrockes herabreichenden Flügeln ausgestattete, oben und etwas nach vorn spitz zulaufende, außen mit Kattun, innen und auf der Unterseite der Flügel mit Pelz besetzte große Mütze, »Bürk« genannt, welche bei besserem Wetter mit einer runden, innen nicht mit Pelz gefütterten, sondern nur außen turbanartig mit solchem besetzten, regelmäßig mit einem Busch aus Uhu- oder Auerhahnfedern geschmückten kleineren und lichteren Kopfbedeckung vertauscht wurde. Auf dem Leibe trägt der Kirgise ein Hemd, »Keile«, Unterhosen und darüber den Kaftan, welcher bis zu den Knöcheln herabreicht, hinten lang geschlitzt ist und während des Tragens so zusammengerollt und um die Beine gewickelt, das heißt je ein Flügel desselben so über den Unterhosen um ein Bein gelegt wird, daß er gleichsam ein zweites Paar Unterhosen bildet, auch mit diesen in die weiten, um den Kaftan durch einen Gürtel zusammengehaltenen Oberhosen gesteckt werden kann. Den Oberkörper umhüllt nur noch der bis über die Knie herabreichende Oberrock und im Sommer der Mantel, welcher durch einen ledernen Gürtel in der Mitte des Leibes geschmückt wird, oder aber der weite Pelz aus Schaffell. Die Füße stecken in langschäftigen, weichledernen Stiefeln und diese wieder in kleinen, meist zierlich gearbeiteten Schuhen, welche beim Betreten der Jurte, zumal einer mit Teppichen belegten, ausgezogen werden. An dem Gürtel hängt ein kleines Täschchen, außen reich und gefällig mit Eisenplattenwerk geziert, neben dem Messer, welches in einer ähnlich geschmückten Scheide steckt. Man liebt dunkle Farben mehr als helle oder lebhafte, gefällt sich aber in mit Tressen besetztem Kaftan und Oberhosen, obschon dieselben, wie sehr häufig gesehen, unten und innen am Beine mit einem Stück buntfarbigen gewöhnlichen Kattuns besetzt sind, um das Abreiben des Hosenstoffes, welcher am liebsten aus Samt besteht, beim Reiten zu verhüten.

Außer dem silbernen Siegelring, in welchen der volle Name des Mannes eingegraben wurde, trägt dieser keinen Schmuck; es sei denn, daß er von der Obrigkeit, vielleicht sogar vom Kaiser, eine silberne Medaille erhalten hat, welche dann mit Stolz, Bewußtsein und Würde auf der Brust getragen wird.

Über die Kleidung der Frauen kann ich wenig sagen, einmal, weil mir bescheidene Zurückhaltung verbot, nach mehr zu fragen, als ich eben sehen konnte, und dann, weil ich die Frauen der vornehmen und reichen Kirgisen überhaupt nicht zu sehen bekommen habe. Außer dem Pelz, den Stiefeln und Schuhen, welche denen der Männer durchaus gleichen, tragen die Frauen Hosen, welche denen der Männer ebenfalls sehr ähnlich sind, ein Hemd und darüber ein kuttenähnliches Obergewand, welches bis über die Knie herabfällt und in der Mitte durch einen Gürtel zusammengehalten wird, auf dem Haupte aber entweder ein turbanähnlich gewundenes weißes Kopftuch oder aber eine denen gewisser Nonnen nicht unähnliche Kapuze, welche den ganzen Kopf und Hals, die Schultern und die Brust einhüllt. Bezeichnend für die kirgisische Tracht beiderlei Geschlechts und offenbar im vollsten Einklange mit den Anforderungen des Klimas sind die unmäßig langen, weit über die Hand herabfallenden Ärmel ihrer Obergewänder, welche beide Hände stets so verhüllen, daß man sie nur zu sehen bekommt, wenn der Ärmel aufgestreift wird.

 

Behausungen

Das durch seine Weide zahlreicher und anspruchsvoller Herden bedingte Wanderleben der Kirgisen erfordert eine Behausung, welche leicht an einem anderen Ort errichtet werden kann und dem Klima in annähernd demselben Grade entspricht wie das leichte Zelt dem der Wüsten und Steppen Afrikas. Allerdings hat sich ein nicht unbeträchtlicher Teil der Kirgisen bequemt, für den Winter feste Wohnungen zu errichten, welche dieser Jahreszeit mit ihren Stürmen, ihrer Kälte und ihrem Schnee besser Widerstand leisten als die Sommerwohnungen; ein viel größerer Teil aber behält die Jurte auch im Winter als altgewohnte Behausung bei und denkt nicht daran, sie gegen die regelmäßig auch viel ungemütlichere feststehende Wohnung zu Vertauschen. Die Winterwohnung fordert eine bestimmte, gegen die Stürme des Winters möglichst geschützte und zugleich sonnige Lage, welche nicht immer so leicht gefunden werden kann; für die Jurte hingegen bietet sich immer ein passender Platz, obgleich auch dieser im Winter wie im Sommer stets mit sorgfältiger Rücksicht auf die herrschende Winde, den Stand der Sonne und die in möglichst großer Nähe sich bietende Weide gewählt wird. Die Winterwohnung ist stets ein dumpfer, feuchter, vom Rauche erfüllter und dunkler Raum, das Innere der Jurte kann bei jedem Sonnenblicke erhellt und gelüftet, bei jedem Sturm, Schneefall oder Schneetreiben geschlossen werden, erfüllt daher den Zweck einer Wohnung besser und schafft dem wettergestählten Kirgisen ein behaglicheres Obdach als jene. Je nach der Örtlichkeit ist die Winterwohnung sehr verschieden gestaltet der Nähe der Steppenseen, deren salziges Wasser nur den Aufenthalt im Winter gestattet (weil dann der Schnee Menschen und Herden zur Tränke dient), steht die Winterwohnung gewöhnlich am oder im Röhricht und ist nichts anderes als eine viereckige, waagerecht überdachte, durch schwache Stangen zusammengehaltene Hütte aus Rohr, deren Wände übrigens nur selten so dick und dicht sind, als es nach unseren Begriffen unbedingt nötig wäre; im Gebirge oder an steinigen Flußufern dagegen besteht sie aus einer Ummauerung von roh übereinandergeschichteten, zuweilen, aber nicht immer mit Lehm verbundenen Rollsteinen, welche oben ebenfalls mit einem waagerechten, leichten Dache versehen wurde. Ein Teil dieses Daches ist nur leicht mit Stroh oder Rohr überdeckt, damit der Rauch besseren Abzug finde, kein einziger so dicht, daß der Regen nicht durchzudringen vermöchte. Man rechnet eben auf den Schnee, welcher das Dach nach und nach meterhoch bedeckt und ebenso an den Wänden aufgeschichtet wird, so daß im Verlaufe des Winters er es ist, welcher die eigentlichen Mauern und die wahre Decke bildet. Sehr ausnahmsweise findet man übrigens auch Winterwohnungen, welche wirkliche Blockhäuser sind oder aus regelmäßig geformten, durch Lehm verfugten, lufttrockenen, ungebrannten Ziegeln aufgemauert und mit einem dem Wetter besser Widerstand leistenden Dache versehen wurden. Unmittelbar an das stets kleine ungemütliche Wohnhaus, richtiger den Wohnraum des Menschen stößt der Winterstall, von jenem wenig unterschieden, nur weit geräumiger und noch bedeutend luftiger aus Stroh, Röhricht oder geflochtenen Weidenzweigen erbaut, welchen durch ein Gerüst von Stangen die nötige Haltbarkeit verliehen wurde, in jedem Falle aber so einfach als nur denkbar hergestellt, den natürlichen Pelzen, Fließen und dicken Winterfellen der verschiedenen Haustiere angemessen. Doch gibt es auch viele Winterlager, deren Ställe nichts anderes als mit Röhricht eingehegte oder mit rohen Steinmauern umfriedete, oben offene Plätze sind. In der freien Steppe, wo es keine zur Herstellung größerer Räume geeigneten Baustoffe gibt, können natürlich auch keine Winterlager errichtet werden und ist die Jurte nach wie vor die alleinige Behausung des Menschen und der Mittelpunkt, um welche sich nachts das jetzt darbende und von hungrigen Wölfen beständig bedrohte Vieh lagert.

Die Jurte oder Kibitke, wie die Russen sie auch wohl zu nennen pflegen, unzweifelhaft die vollkommenste aller beweglichen Wohnungen, das dem Wetter und dem Winde am besten widerstehende Zelt, ist ein vollkommen kreisrundes Gebäude mit kuppelförmigem Dach, bestehend aus ebenso leichtem wie zweckmäßigem Gitter und Sparrenwerk und beides bekleidenden und überdeckenden, durch Bänder und Stricke befestigten und verbundenen Filzdecken, geräumig genug, eine Familie und ihre wenigen Habseligkeiten aufzunehmen, im Verhältnis zu ihrer leichten Beweglichkeit und ihrem Gewicht eine wirklich ausgezeichnete Wohnung in einem so wechselvollen und im Winter so überaus strengen Klima wie dem Sibiriens. Genauer beschrieben, besteht sie aus drei bis fünf Gattern, einer Tür, einem weiten, von gebogenen Querstäben durchkreuzten Kugelring und der entsprechenden Anzahl von Sparren, drei großen Wand-, zwei Deckenfließen nebst einer die Spitze des ganzen Baues deckenden, jederzeit leicht beweglichen Kuppeldecke mit den erforderlichen Stricken, Bändern und Gürteln. Ihr Durchmesser beträgt vier bis sieben, im Durchschnitt 5,5 Meter. Das Gitterwerk, dazu bestimmt, die senkrechten, 1,4 Meter hohen Ring- oder Rundwände zu bilden und dem Sperrwerk zum Stützpunkte zu dienen, besteht aus etwa zehn 2,25 Meter langen und fünf bis sechs sich mehr und mehr verkürzenden Stäben, welche mit ebenso vielen derart durch an beiden Seiten verknüpften Lederriemen verbunden sind, daß sie mittelst dieser zusammengeschoben und übereinandergezogen werden können. Im ersteren Falle bilden sie zwei übereinanderliegende Stabreihen von der angegebenen Länge und 30 Zentimeter Breite, im letzteren Falle ein leicht biegsames, in die Kreisform sich schwingendes Gebälke oder besser Gestäbe von 4 Metern Länge und 1,4 Meter Höhe, welches, mit allen übrigen und der Tür verbunden, das untere Gerüst der Umfassung des Ganzen darstellt und den aufzubindenden 2,3 Meter langen, im unteren Drittel gebogenen, oben geraden, leichten Sparren zur Unterlage dient, während letztere oben durch Löcher des Ringes gesteckt und befestigt werden. Gitter und Sparren bestehen aus etwa 3 Zentimeter breiten und 2 Zentimeter dicken, sorgfältig gearbeiteten Birkenstäben, welche rot gefärbt und durch Kerben oder eine Umhüllung ihres unteren Teiles von vielfach verziertem Weißblech noch besonders geschmückt sind. Der Kuppelring, dessen Durchmesser 1,4 Meter beträgt, besteht aus starken gebogenen Holzteilen, welche gut untereinander verbunden und oben durch gewölbte, im Kreuz sich durchschneidende Querstäbe vereinigt sind, die den Zweck haben, die Wölbung des ganzen Baues zu vollenden und der auf ihnen liegenden Kuppeldecke zur Unterlage zu dienen. Seitlich ist dieser Kuppelring mit ebenso vielen viereckigen Löchern durchbohrt, als es Sparren gibt. Auf einer Seite der Jurte, regelmäßig der, welche dem herrschenden Winde nicht ausgesetzt ist, wird die Tür eingefügt, welche aus einer Schwelle, zwei Seitenhölzern und einer Decke zu bestehen pflegt, ebenfalls zerlegt und zusammengesetzt werden kann und eine Öffnung von 1,2 Meter Höhe und 0,7 Meter Breite darstellt. Der obere Teil der Tür ist gewöhnlich unten in zierlich geschweiftem Bogen ausgeschnitten, auch wohl mit eingegrabenen Verzierungen geschmückt oder durch Blechbeschläge nach Art der Sparren verziert. So roh diese Arbeit in den meisten Fällen zu sein pflegt, so bestimmt beweist sie einen nicht gewöhnlichen, überraschenden Formensinn. Die Filzdecken bestehen aus mehreren Stücken, da es unmöglich sein würde, so große Flächen dieses Stoffes zu fertigen, die Stücke sind jedoch mit äußerster Sorgfalt so dicht zusammengenäht, daß der Regen auch durch die Nähte keinen Eingang findet. Die drei unteren Decken werden, falls die Jurte zum Empfang werter Gäste bestimmt ist oder überhaupt als Ehrenwohnung dient, an ihrer oberen und inneren Fläche durch zierlich ausgeschnittene und aufgenähte Figuren aus rotem und schwarzem Tuch, von denen jede einzelne möglichst von der anderen sich unterscheiden muß, verziert, die beiden oberen Decken dagegen auf der unteren und äußeren Seite in derselben Weise geschmückt. Hier sind es besonders außen aufgenähte, gleichmäßig viereckige Schilder, dazu bestimmt, dem das Ganze zusammenhaltenden Gürtel als Ösen zu dienen, welche durch derartige Verzierungen hervorgehoben werden; entsprechend diesen sind auch die Ränder der Türdecke, das heißt eines über der Tür herabfallenden, diese an Breite merklich übertreffenden Filzes, bestimmt, die Türöffnung gegen Wind und Wetter zu schützen, mit allerlei ausgeschnittenen und aufgenähten Figuren verbrämt. Man merkt letzteren an, daß Willkür und Laune sie gestaltet, sieht auch sofort, daß jedes Stück Tuch zweimal je im rechten Winkel gefaltet wurde, um eine förmliche Wiederholung der geplanten oder doch erreichten Verzierung zu erzielen, muß jedoch trotzdem dem Geschmack der Frauen seine Zustimmung, mindestens Gerechtigkeit werden lassen, auch wenn man sieht, daß die übriggebliebenen Stücke des Tuches ebenfalls benutzt werden, damit nichts verlorengehe, derart, daß man hier die Ausschnitte, dort das Ausgeschnittene auf Filz näht. Der Aufbau einer Jurte geschieht wie folgt: Nachdem man ziemlich sorgsam den betreffenden Platz untersucht, damit man nicht Ameisen oder andere Tiere in ihrem Frieden störe und sich Feinde mache oder aber später in das Regenwasser zu liegen komme, nimmt man zuerst die Gitter zur Hand, spreizt und biegt sie der Rundung der Jurte entsprechend, verbindet sie hierauf unter sich und sodann mit der aus vier Stücken, der Schwelle, den beiden Seitenpfosten und der Türdecke, bestehenden Tür durch Stricke und legt endlich einen breiten Gürtel oben um die Rundung, um dem Ganzen mehr Halt zu geben. Sobald Gitter und Tür stehen, nimmt man den Kuppelring, an dessen beiden gegenüberstehenden Seiten breite Bänder befestigt werden, hebt ihn mit Hilfe einer Holzgabel, welche in die in ihm sich kreuzenden gewölbten Quersparren gesteckt wird, bis zur betreffenden Höhe empor, öffnet gleichzeitig das sauber zusammengelegte Bündel der Sparren und steckt einen nach dem anderen durch die dafür bestimmten Löcher des Ringes, unmittelbar darauf sie unten mittelst eines an jedem Sparren ein für allemal befestigten Strickes festbindend. Das Holzgerüst ist damit vollendet, und nunmehr beginnt die Bekleidung des Baues. Zuerst wird eine aus dem besten Stoffe, welchen es geben kann, den Halmen des »Tschigrases«, gefertigte Matte (welche bei den Jurten der reicheren Kirgisen noch dadurch verziert werden, daß man sie, das heißt die einzelnen Halme, mit bunter Wolle umspinnt und so niedliche Muster herstellt) außen um den senkrechten Teil des Gerüstes, also um die Gitter, gelegt, dazu bestimmt, die untere Wand dichter und wärmer zu machen und ebenso im Sommer es zu ermöglichen, daß man durch teilweises Aufheben der Filze Lüftung bewirken kann, ohne einen Einblick ins Innere der Jurte zu gestatten. Über die Matte legt man die Seitenfilze, nachdem man zuerst den die Tür von außen deckenden Filz aufgebunden hat, und befestigt sie ebenfalls durch breite Bänder und Stücke. Hierauf kommen die oberen Filze an die Reihe; sie werden mit Hilfe der Gabel in die rechte Lage gebracht, mittelst der an ihnen befestigten Stricke hin und her gezogen und endlich ebenfalls befestigt. Die unteren Seitenwände werden außen mit einem breiten Bande, welches durch die Ösen getragen wird, zusammengeschnürt oder doch zusammengehalten. Nunmehr bleibt noch ein kleiner Raum über der Kuppel zu bedecken. Hierzu verwendet man einen viereckigen Filz, welcher so gelegt wird, daß die Ecken nach unten gerichtet sind und leicht aufgerollt werden können, um bald auf dieser, bald auf jener Seite Licht und Luft in das Innere der Jurte zu lassen. Endlich wird der Boden der Jurte mit Filzen, bei Vornehmen mit schönen Teppichen bedeckt und solche, wenn es sich darum handelt, die Jurte besonders zu schmücken, auch rings an den Wänden aufgehangen. Außer den Teppichen wendet man auch mit Wolle gefütterte Decken aus Kattun oder Seide an, bei deren Herstellung die ganze Kunst der Frauen aufgeboten wird.

Der Abbruch einer Jurte geschieht in entgegengesetzter Ordnung und geht natürlich noch viel schneller vor sich. Jedes einzelne Stück wird sofort zusammen und in Ordnung gelegt, umschnürt und zusammengebunden, alle Bänder und Stricke mit besonderer Sorgfalt zusammengelegt oder geflochten, um das Verwirren derselben zu verhüten und die Arbeit beim Aufstellen nicht zu verzögern.

Jede Jurte bildet eine Kamellast, beansprucht aber die Kräfte von vier Pferden, weil der Umfang einzelner Stücke sich auf Pferden nicht so leicht verpacken läßt wie auf dem Rücken des Kameles. Viele Kirgisen halten das letztgenannte Tier einzig und allein zum Zwecke des Transportes der Jurten. Die Jurte bildet einen Hauptbestandteil des Besitzes eines Kirgisen. Reiche Leute haben deren sechs bis acht, auch wohl mehr zu eigen, verwenden aber mehr Geld auf ihre Ausschmückung als auf Herstellung neuer Jurten; denn nach der Anzahl derselben müssen sie ihre Steuern entrichten. Der Vornehme prunkt allerdings auch mit der Jurte, indem er sie so reich als möglich ausstatten läßt; mehr aber gilt ihm der Besitz von schönen Teppichen und benähten Decken, und namentlich für erstere verwendet er viel Geld. Beim Empfang von Gästen werden diese auf den Boden gebreitet, sonst wenigstens zusammengelegt auf den schweren, mit Eichen beschlagenen Kästen aufgestapelt, in denen die besondern Kleider aufbewahrt werden. Im Haus eines reichen Kirgisen, welcher als Kaufmann ansässig geworden war, sahen wir alle Wände mit Kisten besetzt und alle Kisten mit Teppichen bedeckt. Solche Teppiche vererben sich vom Vater auf den Sohn und werden mit entschiedener Rücksicht behandelt. Eine Jurte dagegen dauert nicht lang, wenn sie jahraus, jahrein benutzt wird, höchstens sechs Jahre; wenn sie längere Zeit auf einer und derselben Stelle steht, ein oder zwei Jahre länger: Dann sind ihre Wände alt und gebrechlich, ihre Filze durchlässig geworden. Aus diesem Grunde haben auch alle Kirgisenfrauen vollauf zu tun, allherbstlich die zur Herstellung der großen Decken erforderlichen Filze zu bereiten, die einzelnen Stücke zusammenzunähen und das Ganze weiter zu vollenden.

 

Pferde – der größte Reichtum

Ungleich wertvoller als Jurte, Teppiche, Kleider und das von den Reichen außerdem aufgespeicherte ungenützte Silber ist der eigentliche Besitz des Kirgisen: seine Herden. Auch der ärmlichste Kirgise muß, um überhaupt leben zu können, eine für unsere Verhältnisse beträchtliche Anzahl von Haustieren sein eigen nennen, auch der ärmste wenigstens einige Pferde besitzen: Die Herden des Reichen zählen nach Tausenden und aber Tausenden. Wiederholt bin ich versichert worden, daß einzelne Kirgisen bis zwölftausend Pferde, doppelt soviel Schafe und Ziegen und drei- bis vierhundert Kamele besitzen.

Das Pferd gibt immer den Maßstab für den Besitz, sein Wert ist es, nach welchem gerechnet wird; der Reichtum wird daher geradezu in Pferden ausgedrückt, in Pferden zählt man den Brautschatz, Pferdeswert wird hierbei, bei Wetten, bei Geschenken, zugrunde gelegt, der Preis eines Kameles nach Pferden bestimmt. Ohne Pferd ist der Kirgise dasselbe, was bei uns ein heimatloser Mann, ohne Pferd hält er sich selbst für den Ärmsten unter der Sonne: Das Pferd ist unbedingt das wichtigste, nicht allein das edelste seiner Haustiere.

Ein großer Teil aller kirgisischen Gesänge und Lieder beschäftigen sich mit dem Pferde; dasselbe dient zu Vergleichen mit Menschen, bildet einen Maßstab auch für Schätzung des Wertes der Männer oder Frauen. Der Kirgise kennt seine Sitten und Gewohnheiten, hat seine Lebensweise genau erforscht, weiß, was ihm gut ist und was ihm schadet, mutet ihm zwar Unglaubliches zu, behandelt es aber im ganzen gut, obschon durchaus nicht mit der Zärtlichkeit der Araber, und tut wenig für seine Veredelung. Von einer Zucht des Pferdes, wie sie Araber, Perser, Deutsche und Engländer betreiben, ist bei ihm keine Rede; auch die Abrichtung der Tiere läßt viel zu wünschen übrig. Der Kirgise ist viel zu reich an Pferden, das einzelne hat zu wenig Wert, als daß dieses anders sein sollte. Er glaubt genug zu tun, wenn er die ihm am meisten gefallenden Hengste nicht, alle übrigen aber verschneidet. So bleiben bei jeder Herde nur wenige Hengste, von denen jeder etwa zehn Stuten zu decken hat. Diese Hengste sind nun in der Tat recht hübsch, nach kirgisischen Begriffen auch sehr edle Pferde, entsprechen unseren Anforderungen jedoch durchaus nicht. Das kirgisische Pferd ist ein höchstens mittelgroßes, schlank gebautes Tier, mit nicht unschönem, obwohl etwas rammsnasigem und durch die stark vortretenden Unterkiefer etwas verdicktem Kopfe, mittellangem Hals, gestrecktem Leib, feinem Gliederbau und weichem, schönem Haar. Seine Augen sind groß und feurig, seine Ohren mittelgroß und wohlgebaut, die Mähne sehr reich, dicht und glatt, nicht wie bei den meisten russischen Pferden hiesiger Gegend etwas filzig, das Schwanzhaar so lang, daß es regelmäßig am Boden schleift, die Behaarung des Schwanzes außerdem sehr reich, die Beine sind gut, vielleicht etwas zu schmächtig gebaut, der Huf zu lang, als daß man ihn schön nennen könnte. Helle Farben sind die vorherrschenden. Am häufigsten sieht man braune, hellbraune und Füchse, Falben und Isabellen, äußerst selten dunkelbraune oder Rappen: Von letzteren ist mir kein einziger zu Gesicht gekommen. Unangenehm werden die vielen und oft recht häßlichen Schecken, die nicht aus der Herde ausgemerzt werden. Die Mähne und Schwanzhaare aller lichtfarbenen Pferde sind regelmäßig lichter als das Körperhaar und zieren das Tier ungemein.

Der Charakter des kirgisischen Pferdes ist gut. Das Tier ist feurig, ehrgeizig, willig, ungemein ausdauernd und gutmütig, jedoch etwas ängstlich und sehr zum Scheuwerden geneigt, auch wenig genügsam und eigentlich nur zum Reiten zu gebrauchen, weil es, vor den ihm ungewohnten Wagen gespannt, anfangs zwar wie unsinnig dahinrennt, bald aber ermüdet und schließlich gänzlich ermattet. Eine in unseren Augen sehr große Unart ist die, daß es unterwegs stets darauf bedacht ist zu fressen und sein Gelüst, hier und dort ein Maul voll zu nehmen, in den schwierigsten Lagen, beim Durchwaten steiniger Bäche und beim Erklettern jäher Felsenwände, niemals unterdrücken kann. Mit seinesgleichen lebt es, kleine Streitigkeiten abgerechnet, in bester Eintracht, mit anderen Haustieren der Kirgisen im tiefsten Frieden; nach seinem Herrn oder nach einem Menschen überhaupt habe ich es nie schlagen sehen.

Das nach dem Pferde wichtigste Haustier des Kirgisen, das Schaf, ist ein ziemlich großes Tier mit kleinem Kopf, kurzen hängenden Ohren und kleinen Hörnern, aber einem ungeheuren, das heißt das ganze Hinterteil einnehmenden Fettbuckel, unter und zwischen welchem der Schwanz gänzlich verschwindet, hohen und etwas schwächlich erscheinenden Beinen, infolge des regelmäßigen Melkens sehr entwickeltem Euter und grober, mittlere Feinheit bei weitem nicht erreichender Wolle von entsprechend weißer, seltener brauner oder bräunlicher Färbung. Hinsichtlich seines Charakters unterscheidet sich das Kirgisenschaf nicht von den anderen Hausschafen: Es ist ebenso dumm, ebenso unselbständig wie diese und bedarf zur Leitung der klugen Ziegen, denen es blindlings nachfolgt. Für Veredelung der Schafe geschieht nicht das geringste.

Die kirgisische Ziege ist wohlgebaut, stämmig, kurzleibig, ihr Gliederbau sehr regelmäßig, im besten Verhältnis zum Leib stehend, das Gepräge entschieden den wilden Ziegen ähnlich, der Kopf klein und ausdrucksvoll, das Auge groß und lebhaft, das spitze und lange Ohr aufgerichtet oder hängend, das Gehörn im ganzen schwach, entweder einfach nach hinten und außen oder halb um seine Achse gedreht, die Behaarung reichlich, zumal was Bart und die Schwanzspitze anlangt, das Haar der Stirn verlängert und gekräuselt, die vorherrschende Färbung schön reinweiß mit schwarzer Abzeichnung; es kommen jedoch auch schwarze und graue vor. Die Böcke sind zwar nicht so groß wie die unsrigen oder die russischen, immerhin aber starke stattliche Tiere mit sehr kräftigen Gliedern, ansehnlichen Hörnern und sehr entwickeltem Haarschmuck am Kinn und auf der Stirn.

Im Vergleiche zu Schafen und Ziegen spielen die Rinder bei den Kirgisen nur eine untergeordnete Rolle. Man bemerkt zwar in der Nähe jedes Auls eine Herde der Tiere; dieselbe steht jedoch in keinem Verhältnis zur Menge der Schafe und Ziegen. Das Rind ist zwar größer und besser gestaltet als das der russischen und sibirischen Bauern, steht aber schon hinter den chinesischen weit zurück und kann sich auch nicht im entferntesten mit irgendeiner hervorragenden Rasse des westlichen Europas messen.

Der Hund endlich, neben dem Kamel das einzige Haustier, welches die Kirgisen sonst noch halten, ist regelmäßig ein großes, doch keineswegs auch immer ein schönes Tier, obwohl er sich von den häßlichen Kötern, welchen man sonst in Sibirien in den Städten und Dörfern zu sehen bekommt, immerhin zu seinem Vorteil unterscheidet. Der Kopf ist zwar lang, aber plump, die Gliederung etwas zu hoch, als daß das Tier unseren Begriffen von Schönheit entsprechen könnte, die Behaarung lang, wollig, die Rute sehr stark behangen, die Färbung unbestimmt, der Charakter wachsam und mutig.

 

Leben mit den Herden

Um die Wartung und Ausnutzung der Herden dreht sich das ganze Leben der Kirgisen. Jeder einzelne ist Hirt, und ob er auch so reich und vornehm sein sollte, daß er niemals Hirtendienste zu tun braucht, denn jeder hängt von den Bedürfnissen und Wünschen der Herden ab. Nicht der freie Wille des Menschen, sondern die Notwendigkeit, den Bedürfnissen der Herden gerecht zu werden, bestimmt Aufenthalt und Lebensweise unserer Leute, zwingt sie heute hierhin, morgen dorthin sich zu wenden, an einem Orte zu verweilen und von ihm zu scheiden.

Mit dem Beginn des Winters bezieht der Kirgise seine feststehende Wohnung, für deren Erwärmung er schon im vorhergegangenen Frühling sorgte, indem er, oder richtiger seine Frau, welcher überhaupt alle unangenehmen und schwierigen Arbeiten zufallen, den Mist der Herdentiere mit etwas Stroh vermischte und zu viereckigen Kuchen formte, welche sodann auf Haufen geschichtet und in der Sonne getrocknet werden. Die Wohnung selbst muß in der Regel jedes Jahr neu hergestellt werden, da mindestens ihr Dach inzwischen verwittert ist und nicht allein dem Regen, sondern auch dem Schnee gestattet, in das Innere des Raumes einzudringen. Vor Schnee fürchtet man sich freilich weniger als vor dem Regen; jener dient im Gegenteil wesentlich dazu, die Wohnung warm halten zu helfen, bildet auch bald eine dicke Lage auf dem Dache und dichtet dadurch dieses, während der Regen durchfällt und das Innere des ohnehin höchst ungemütlichen Raumes noch ungemütlicher macht. In dieser überaus einfachen Behausung verbringt er die schlimme Zeit des Jahres. Die Herden lagern in überdeckten oder umfriedeten Räumen nebenbei.

Alles Gras in der Umgegend ist sorgfältig geschont worden, um den Herden die nötige Nahrung zu bieten; vielleicht hat man auch einen Teil der umliegenden Steppe im Sommer gemäht und Heu gewonnen, dazu bestimmt, dem Jungvieh über die schwere Zeit hinwegzuhelfen. In jedem Falle bietet die Winterwohnung den Ausgangspunkt der Wanderungen, und jedenfalls kehrt der wandernde Hirt wieder zu ihr zurück; denn sie allein ermöglicht ihm während des Winters, seine Herden zu erhalten, gleichviel, ob sie eine wirklich feststehende Behausung oder auch jetzt noch die Jurte ist, letztere vielleicht dadurch verbessert, daß man ihre Wände von außen mit Schnee beschüttete und verstärkte. Das Winterlager bildet also die wirkliche Heimat des Kirgisen, die Örtlichkeit, in deren Nähe seine Toten ruhen, die Strecke, welche er für sich allein beansprucht, die Stelle, nach welcher die Regierung seine Gemeinden genannt, wohin sie ihre Boten schickt, um die Jurten derselben zählen zu lassen und die ihm, dem leichtbeweglichen Hirten, auferlegte Steuer zu erheben beziehentlich ihn einzuschätzen. Hier in der Winterwohnung verlebt er den größten, nicht aber auch den schönsten Teil des Jahres, ja seines ganzen Lebens, hier übersteht er die größten Sorgen. Sosehr er sich auch bemühte, für die unendlich arme Zeit Vorkehrungen zu treffen: Der böse Winter fordert in der Regel mehr, als er leisten konnte, schwächt seine Herden, daß sie mehr wandernden Gerippen als lebenden Haustieren gleichen, und vernichtet nicht selten mehr von ihnen, als der vermehrende Frühling brachte. Kein Wunder daher, daß er, der sonst so friedliche Mann, selbst mit dem Nachbar gelegentlich in Streit gerät um das wenige, welches die Herden in der Nähe der Winterwohnungen finden, daß er niemals nicht zu seiner Gemeinde, zu seiner engsten Jurtennachbarschaft Gehörige des eigenen Stammes hier duldet.

Erst gegen Ende April, in manchen Jahren nicht vor dem Mai beginnt er zu wandern. Das jetzt noch im höchsten Grade entkräftete Vieh, die bereits gefallenen Lämmer und Zicklein zwingen ihn zu kleinen Tagewegen: Er zieht täglich nur »einen Schafweg« weit, so beliebt er sich auszudrücken. Die Jurte wird am Morgen abgebrochen und auf das jetzt in dichte Filzdecken gehüllte Kamel geladen, die wandernde Herde zieht voran, langsam weidend sich weiterbewegend, die Familie folgt, auf Pferden reitend, nach, überholt die weidenden, stets von einem ebenfalls reitenden Hirten geleiteten Tiere und trifft vor ihnen auf der bereits vorher bestimmten Stelle ein, um die Jurte aufzuschlagen. Bringt der Frühling frisches Grün, so verweilt man zuerst tage-, später wochenlang auf einer und derselben Stelle, bis um sie her die Weide spärlich geworden; dann geht man weiter und weiter, wo es die Örtlichkeit gestattet, mehr und mehr dem Gebirge zu, um im Sommer, wenn die Steppe bereits verdorrt ist und von Fliegen und Mücken wimmelt, die jetzt in vollem Reichtum sich bietenden luftigen und heiteren, auch von Ungeziefer freieren Höhen auszunutzen.

Jeder Aul, jede Gemeinde zieht alljährlich so ziemlich auf denselben Pfaden dahin, selten weiter als zweihundert Werst von der Winterwohnung sich entfernend. Dabei kreuzt sie sich mit anderen weidenden Gemeinden, ohne jedoch deshalb mit ihnen in Streit zu geraten; denn jeder achtet die ererbten Rechte des anderen. Beginnt es kalt zu werden auf den Höhen oder haben sie die für die Sommerweide aufgesparten Strecken der Tiefebene abgeweidet, so ziehen sie wiederum heimwärts und kommen Ende Oktober in der Gegend des Winterlagers an, verweilen, noch immer die Jurte bewohnend, solange sie können in dessen Nähe und beziehen endlich, von Mangel an Weide und dem Wetter gezwungen, das Winterlager – so geschieht es in dem einen Jahre wie in dem anderen.

Durch die immer weiter fortschreitende Besiedelung des Landes durch Russen, die Entstehung neuer Dörfer usw. werden den Kirgisen mehr und mehr Beschränkungen auferlegt. In den von ihnen bewohnten Gouvernements teilt man das Land ein in das dem Kaiser gehörige, das Gebiet des Altai, das Land der Kosaken, das Land der Städte und das Land der Kirgisen. Nur im letzteren dürfen sie nach eigenem Ermessen und Behagen umherstreifen. Das Land des Kaisers dürfen sie nicht betreten; das den Städten und Kosaken gehörige ebensowenig, schon weil die russischen Ansiedler sie drücken, wo und wie immer sie können. Dagegen wandern sie auch gegenwärtig noch bis auf chinesisches Gebiet, müssen jedoch vorher über gewisse Bedingungen sich einigen, das heißt an China eine bestimmte Abgabe zahlen.

Im Laufe der Zeit sind auf den von Kirgisen durchzogenen Wegen bestimmte Haltestellen ausgewählt und benannt worden, gewöhnlich nach einem in der Nähe fließenden Wasser, einem Berge oder dem Grabmal eines in der Nähe ruhenden, unter seinen Landsleuten berühmt gewesenen Mannes. Zu diesen Haltestellen kehrt man alljährlich zurück, wenn auch nicht mit derselben, Regelmäßigkeit wie zum Winterlager. Dieses ist schon durch seine Lage genau bestimmt. Bedingung ist, daß das Tal, in welchem der Winter verbracht werden soll, möglichst geschützt sei vor den kalten, alles tötenden Nord- und Ostwinden, daß man die Häuser bequem auf der Sonnenseite anlegen könne, daß das Wasser dem Tale jederzeit zugänglich sei oder zugänglich gemacht werden könne und daß man das erforderliche Gras für die Tiere in der Nähe finde. Nur um gewisse, zum Beispiel die salzhaltigen Strecken der Steppe, welche im Laufe des Sommers aus Mangel an trinkbarem Wasser nicht bewohnt werden können, auszunutzen, schlägt man hier, immer aber nur für kurze Zeit, sobald Schnee gefallen, das Lager auf, und Menschen und Tiere behelfen sich dann mit dem Schnee, den sie lecken oder über Feuer schmelzen. Findet sich Röhricht in der Nähe, so errichtet man hier gewiß eine Hütte oder stellt in ihm die Jurte auf, um sie wenigstens einigermaßen vor dem Winde zu schützen. Der zeitweilige Aufenthalt während des Sommers braucht diese Bedingungen nicht zu erfüllen, wird jedoch nach ähnlichen Grundsätzen gewählt. Immer stehen die Jurten im Tale und immer in der Nähe eines Baches oder in Ermangelung eines solchen mindestens eines Sees, einer Wasserlache, eines Sumpfes.

Kaum ein anderer Hirtenstamm kann den großen Unterschied, welcher zwischen dem Bebauer des Landes und dem Hirten besteht, besser zur Erkenntnis bringen als der kirgisische, welcher gegenwärtig mehr und mehr eingeengt und durch den Ansiedler verdrängt wird. Auch dieser bedarf oder fordert wenigstens hierzulande sehr große Flächen, um sich und seine Herden erhalten, um in gewohnter Weise leben zu können; gleichwohl stehen diese Landstrecken in keinem Verhältnis zu denen, deren der Kirgise bedarf. Das Land, welches dieser beweidet oder überhaupt bewirtschaftet, muß unendlich sein, darf eigentlich bestimmte Grenzen nicht haben. Sein Vieh darbt nur, wenn es unbedingt sein muß, liebt es sonst aber, im Überfluß zu schwelgen, hier ein Hainichen, dort ein Blättchen abzurupfen, tritt mehr nieder, als es zur Nahrung braucht, und wird unruhig, wenn es seine Gelüste nicht unbedingt befriedigen kann. Nur so erklärt es sich, daß der Kirgise zehn- bis zwölf mal mehr Land bedarf als selbst der hiesige Bauer, welcher sich beengt fühlt, wenn er von Seinem Dorfe aus das nächste erblicken kann und auch mit dem größten Besitze beziehentlich mit dem unbeschränkten Rechte, einen Besitz auszunutzen, nicht zufrieden ist.

 

Tägliche Verrichtungen

Wie die Herden die Wanderungen der Kirgisen bedingen, bestimmen sie auch das tägliche Leben, die Einteilung der täglichen Arbeiten unserer Leute, selbst die Größe ihrer beweglichen Dörfer, Aul genannt. Je nachdem es mehr oder weniger Weide gibt, kann dieser größer oder muß er kleiner sein, obschon die Jurtenbesitzer, welche gewöhnlich nebeneinander ihre leichten Häuser aufschlagen, zusammenzubleiben, miteinander zu wandern und Freud und Leid gemeinschaftlich zu teilen pflegen. Daher besteht auch der jurtenreichste Aul stets aus verschiedenen Gruppen, deren jede fünf bis zehn Jurten enthalten mag. Nur in sehr fruchtbaren Tälern und vielleicht bloß während der schönsten Jahreszeit sammeln sich mehrere solcher Jurten, selbstverständlich immer die ein und derselben Gemeinde am gleichen Orte, und dann kann es allerdings vorkommen, daß man bis hundert Jurten zählt, obschon dieselben stets so verteilt sind, daß man nicht imstande ist, sie mit einem Male zu überblicken.

Jede dieser Jurten wird von einer Familie bewohnt, denn auch die reichsten Kirgisen, welche mehrere – neun bis fünfzehn Jurten – besitzen, begnügen sich mit einem Raum und benutzen die übrigen Jurten entweder nur zum Empfang oder zur Unterbringung von Gästen oder weisen sie den ihnen dienenden, ihre Herden beaufsichtigenden Leuten zur Wohnung an.

In jeder Jurte beginnen und enden die täglichen Arbeiten ungefähr zur selben Zeit. Abweichend von russischen Bauern, welche ungern früh aufstehen, ermuntern die Kirgisen sich früh, vielleicht geweckt von den Wächtern, welche in der Nacht mit Hilfe ihrer Hunde die Herden bewacht haben, und treiben nunmehr vor allen Dingen die Pferde und Rinder zur Weide hinaus, worauf Schafen und Ziegen dieselbe Freiheit wird. Vorher hat man den Füllen, Kälbern, Lämmern und Zicklein gestattet, unter strenger Aufsicht ein wenig zu saugen; dann treibt man zuerst die Mütter, sodann die bereits gekräftigten Jungen zur Weide. Nur die noch sehr schwachen, erst vor wenig Tagen geborenen Lämmer und Zicklein bleiben bei ihren Müttern und in der Nähe der Jurte; die über fünf Tage alten dagegen erhalten, falls sie kräftig sind, nur zweimal täglich die Erlaubnis, das Euter ihrer Erzeugerin nach Belieben zu suchen, mit den Füllen und Kälbern verfährt man ähnlich; doch läßt man selbstverständlich beide länger als jene mit ihren Müttern gehen, ohne letztere zu melken.

Alle Haustiere der Kirgisen gewöhnen sich ungemein schnell an die verschiedenen Gegenden, in denen sie geweidet werden, an die Örtlichkeit, welche sie so oft vertauschen müssen, zumal an den Platz, wo die Jurten stehen, so verschieden dieser auch sein mag. Freilich weiden sie stets unter Aufsicht eines Hirten, welcher, auf einem Pferde oder in Ermangelung desselben auf einem Ochsen reitend, mit ihnen zieht und sie zweimal täglich zu den Jurten zurücktreibt, damit sie gemolken werden. Dies geschieht bei Rindern, Schafen und Ziegen vormittags und gegen Abend. In beiden Fällen auf gleiche Weise, jedoch mit dem Unterschied, daß abends auch die jungen Tiere zugelassen werden, nachdem man ihren Müttern den größeren Teil ihrer Milch abgezapft hat. Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, im Winter später, im Sommer früher, treibt sie der Hirt zu den Jurten zurück und hält sie hier mit Hilfe der Hunde auf einem möglichst geringen Raum zusammen. Die Frauen einer Jurte erscheinen mit ihren Dienerinnen, falls sie solche haben, und beginnen sofort die Arbeit des Melkens, welche in absonderlicher Weise ausgeführt wird. Schafe und Ziegen werden nämlich beim Melken gefesselt und in zwei Reihen aufgestellt. Man nimmt ein langes, aus Ziegenhaaren gefertigtes Seil, befestigt dasselbe mit dem einen Ende am Boden oder gibt es zuerst jemand zu halten, fängt ein, zwei, drei Mutterschafe oder Ziegen, schleift sie, da sie nur ausnahmsweise sich bequemen, freiwillig zur Stelle zu gehen, zum Melkplatz, bildet aus dem Seil eine Schlinge und umschnürt mit derselben den Hals der Tiere, in der Regel zwei in ein und dieselbe Schlinge fassend. Hierauf holt man anderweitige Stücke herbei, fesselt sie in gleicher Weise und stellt so allmählich eine doppelte, aus zwanzig bis vierzig Stücken bestehende Reihe von Tieren her, derart, daß deren Kopf nach innen, deren Hinterteil nach außen zu stehen kommt. Benehmen sich die Tiere nicht ruhig, so schnürt ihnen die Schlinge den Hals zusammen und zwingt sie, still zu stehen; dessenungeachtet kommt es vor, daß sie beinah ersticken und die helfende Hand der Melkenden erfordern; denn einzelne stehen doch nicht still, schnüren die Schlinge so fest zusammen, daß ihnen die Luft ausgeht, und zerren dann im Lufthunger so stark an dem Stricke, daß sie auch die übrigen gefährden. Doch bildet solches Gebärden die Ausnahme von der Regel; gemeiniglich stehen sie, einmal gefesselt, mäuschenstill, käuen in Ermangelung einer ihnen besser zusagenden Beschäftigung ruhig wieder und lassen im übrigen alles gelassen über sich ergehen. Die melkenden Frauen beginnen jetzt jederseits an einem Ende der Reihe, falls ihrer mehrere sind, auch wohl gleichzeitig von beiden Seiten her mit ihrem Geschäfte. Man melkt von hinten, faßt die kurze Zitze mit dem Daumen und dem Zeigefinger und entleert die Milch mit kurzen schnellen Strichen, dann und wann durch einen Stoß mit der Faust das Euter erschütternd, genau ebenso, wie es die saugenden Jungen zu tun pflegen. So geht man von einem Schafe zum anderen, bis alle gemolken sind. Die Männer helfen vielleicht ein wenig beim Zusammentreiben und Fangen der Tiere, sitzen aber während des Melkens in allerlei uns unmöglichen, fast undenkbaren Stellungen untätig in der Nähe auf dem Boden, anscheinend tiefen Gedanken sich hingebend; die Kinder laufen herbei und umstehen, neugierig zuschauend, die Gruppe; ein und der andere Knabe macht auch wohl auf diesem oder jenem Schafe seine ersten Versuche im Reiten, falls er es nicht vorzieht, die Schultern seiner Erzeugerin hierzu zu benutzen. Zum Auffangen der Milch verwendet man das ausgehöhlte Stück eines Stammes oder Astes der Silberpappel, aus welcher man überhaupt alle Hohlgefäße, auch die als Fässer dienenden, fertigt. Besagtes Gefäß pflegt ebenso unreinlich zu sein wie die melkende Hand; doch behelligt eine solche Kleinigkeit weder den Kirgisen noch die Kirgisin. Auch wenn letztere, welche beim Melken in einer für uns unansehnlichen Art auf den Fersen hockt, zufällig in einem frisch gefallenen Misthaufen zu sitzen kommen sollte, fühlt sie sich nicht bedrängt. Das ganze Melkgeschäft wird zwar dadurch noch etwas schmutziger als sonst – das aber stört ebenfalls durchaus nicht. Die Milch selbst wird zum Teil sofort nach dem Melken gekocht, um noch an demselben Tage oder Abend genossen zu werden, zum Teil ungekocht in ein Holzgefäß oder einen Schlauch geschüttet und der Gärung überlassen, um eine für unseren Geschmack geradezu entsetzlich saure Milch zu erzielen. Endlich ist das letzte Stück einer solchen Reihe gemolken und die Erlösung aller kann geschehen. Die Schlinge, welche ihren Hals umschnürte, wird gelöst, und die Art und Weise der Fesselung erweist sich nunmehr als im hohen Grade zweckmäßig; denn alle gefesselten Tiere sind durch einen einzigen Zug im Nu befreit. Ein zwar sehr eintöniges, gewiß aber sehr vielsagendes Blöken ist der erste Ausdruck der Freude sämtlicher endlich erlösten Schafe; dann schütteln sie sich wiederholt, und nunmehr laufen sie so schnell als möglich davon, in der Ebene so weit von der Jurte weg, als der Hirt es gestattet, im Gebirge so rasch als möglich den Bergen zu, als könnten sie nur auf ihnen die Luft der Freiheit einatmen. In der Tat und Wahrheit streben sie, nunmehr so bald als möglich zu ihren Jungen zu kommen, welche sie während des ganzen Tages nicht gesehen haben, welche in besonderen Herden geweidet und noch fern gehalten wurden, um das Melkgeschäft nicht zu stören, jetzt aber, aller Erfahrung gemäß, in Kürze erscheinen müssen. Selbst die verständigen Ziegen meckern laut und richten die Augen bald nach dieser, bald nach jener Seite, als ob sie erforschen wollten, ob die erwartete Schar bereits unterwegs sei. Das Blöken und Meckern verstärkt sich mehr und mehr, denn jede neu erlöste Reihe erregt alle in der Nähe des Aul überhaupt versammelten Schafe und Ziegen aufs neue; aber auch die von Minute zu Minute wachsende Ungeduld der Mutterschafe gibt Grund und Anlaß genug zu kläglichem, fast stöhnendem Blöken. Je länger die Zeit währt, je unruhiger werden die mütterlich-treuen Tiere. Ziel- und zwecklos laufen sie auf und nieder, beschnuppern jedes Hälmchen auf dem Wege, nehmen aber kaum ein einziges mit den Lippen auf, richten die Köpfe bald freudig auf und senken sie bald traurig wieder, blöken von neuem und blöken wieder. Das Geblök steigert sich endlich bis zum förmlichen Gebrüll, die Unruhe bis zur Sinnlosigkeit: Sie gleichen einer in Aufregung geratenen Volksmenge, welche bekanntlich in der Regel ebenfalls nur schreit und lärmt, ohne zu wissen, was sie tut.

Endlich ertönen in weiter Ferne schwache und hohe Blöklaute, welche dem aufmerksamen Ohre der Mütter nicht entgehen. Ein aus allen Kehlen gleichzeitig erschallendes, lautes Blöken ist die Antwort: Die ganze, durch das lange, vergebliche Warten aufs höchste gesteigerte Muttersehnsucht preßt sich in einem einzigen Schrei zusammen. Und aus der Ferne herbei, von den Bergen herunter, den Jurten zu, stürmen die nach der Mutter verlangenden Jungen, die größten und gewandtesten voran, die kleinsten und schwächlichsten als die letzten, alles aber eilend, in Sätzen springend, von dem aufwirbelnden Staube halb verhüllt, fast verdeckt, zu einer um so länger werdenden Linie sich ausdehnend, je näher sie dem Ziele kommen. Ein anscheinend unlösbares Gewimmel entsteht, Alte und Junge, endlich vereinigt, rennen ziellos durcheinander, im Vorübergehen sich flüchtig beriechend, um durch einen zweiten Sinn sich zu vergewissern, ob die Zusammengehörigen sich gefunden, und die einen wie die anderen rennen weiter, wenn dies nicht der Fall. Täuschungen von Seiten der Jungen, welche beständig vorkommen, werden von den Alten nicht freundlich aufgenommen, sondern mit Stößen und Tritten gerügt, und alt und jung stürmt weiter. Allmählich aber löst sich doch der dichte Knäuel; denn nach und nach, in viel geringerer Zeit, als man glauben möchte, hat jede Mutter ihre Kinder, jedes Kind die Mutter gefunden, kauert letzteres bereits saugend unter dem Bauche der Alten, begierig die ihm noch beschiedene Milch dem Euter entziehend. Und wenn das Blöken auch jetzt noch nicht verstummt, so drücken die Laute nunmehr doch nur noch die entschiedenste Befriedigung aus. Indessen, die Ruhe währt nur kurze Zeit. Jedes vorher schon fast ausgemolkene Euter ist bald erschöpft, und trotz aller Stöße der Jungen fließt die nährende Quelle nicht mehr. Aber noch will die Mutter, will das eine oder Pärchen der Kinder die Freude des Zusammenseins genießen. Nach allen Seiten hin breitet die gemischte Herde sich aus, die gefügige Alte klettert ihren munteren Jungen nach, wenn diese nach Art ihres Geschlechtes der nächsten Höhe zustreben, oder sieht anscheinend voller Befriedigung zu, wenn ein Böcklein seine Kraft im munteren Zweikampfe mit einem anderen gleichzuhalten versucht. Malerisch schmückt die bunte Herde den Umkreis der Jurte; das behaglichste Bild friedlichen Herdenlebens entrollt sich dem Auge dessen, welcher Sinn und Verständnis hat für solches Treiben.

Auch die Melkerinnen gönnen sich jetzt eine kurze Ruhepause, nehmen ihre Kinder auf den Schoß und genügen ihren Mutterpflichten und Mutterwünschen; bald aber beginnt neue Arbeit für sie. Die Sonne ist dem Scheiden nahe oder bereits dem Gesichtskreis entschwunden, und auch die Kühe sind heimgekehrt. Man melkt jetzt zunächst die Kühe, ebenfalls mit kurzen schnellen Strichen, jedoch von der Seite»um auch den Kälbern ihr Recht zu lassen; dann sieht man die Haftseile nach, an denen die jungen Zicklein und Lämmer für die Nacht gefesselt werden sollen. Vor jeder einzelnen Jurte befinden sich nämlich mehrere, ziemlich lange, ebenfalls aus Ziegenhaaren gedrehte Leinen, welche an beiden Enden durch Haftpflöcke festgehalten werden und mindestens dreißig einzelnen, schlingenartigen, jedoch nicht zusammenziehbaren Bändern zur Anheftung dienen. In jedem dieser Bänder wird ein Lamm oder Zicklein befestigt, so daß die Tierchen mit den Köpfen einander gegenüberstehen, sich aufrichten oder niederlegen, kaum aber drehen können, und die Alten nicht imstande sind, sich ihnen so weit zu nähern, daß sie ihnen das Euter bieten könnten. Am Sonnenuntergang nun treibt man die ganze Herde wiederum den Jurten zu, und alt und jung, Männer und Frauen, Erwachsene und Kinder vereinigen sich jetzt, um die jedem Jurtenbesitzer gehörigen Lämmer und Zicklein zu fangen, je nach dem Besitz zu sondern und an besagte Leine zu fesseln.

Bemerkenswert ist das Geschick, welches die Kirgisen besitzen, um irgendein Herdentier in ihre Gewalt zu bringen, möge dasselbe tun, was es will. Zum Einfangen der Pferde bedient man sich, wie weiter unten zu erwähnen sein wird, besonderer Hilfsmittel; Schafe und Ziegen aber fängt man mit der Hand. Keines dieser Tiere läßt sich gutwillig ergreifen; jedes sucht vielmehr nach besten Kräften der ihm unangenehmen Berührung durch den Menschen zu entgehen, wendet jedoch alle seine Künste vergeblich an und sieht bald jeden seiner Kreuz- und Quersprünge durch die Gewandtheit und Schnelligkeit des Fängers vereitelt. Mit raschem, geschicktem Griffe packt die Kirgisin wie der Kirgise das als ihr Eigentum erkannte Lamm, nimmt es mit sich, ergreift ein zweites, drittes und bringt nunmehr alle zugleich zur Stelle, um ihnen das einfache Halsband, welches an dem einen Ende einen Knopf, an dem anderen eine Schlinge besitzt, umzulegen. Ohne Blöken und Meckern geht dies jedoch nicht ab, und da gewöhnlich auch die unbehelligt zuschauenden Kühe durch ihr Gebrüll und die wiederum nach dem Schoß der Mutter verlangenden Kinder deren Geschrei und Geheul zu begleiten pflegen, entsteht ein Lärmen, welches dem Fremdling keineswegs angenehm ins Ohr tönt. Am ruhigsten verhalten sich währenddessen die bereits gefesselten jungen Tiere. Einzelne Böckchen versuchen zwar auch jetzt noch in spielendem Zweikampf ihre sprossenden Hörnchen, ermüden aber bald und legen sich eins nach dem andern zur Ruhe nieder, gewöhnen sich auch binnen weniger Tage so an die Fesselung, daß einzelne von ihnen selbst herbeigelaufen kommen, wenn sie andere ihres Alters bereits gefesselt sehen, und dann dem Fänger kaum nennenswerten Widerstand entgegensetzen. Noch bevor die zu bildende Reihe der Jungen vollendet ist, liegt bereits der größte Teil der Jungen auf den zusammengeknickten Knien und gibt sich der Ruhe hin. Ein und das andere Mutterschaf, eine oder die andere Ziege besucht die Reihe, beschnuppert die Jungen, bis sie das ihrige gefunden, kehrt aber wieder zur Herde zurück, sobald sie sich überzeugt, daß es ihr unmöglich ist, unmittelbar neben ihrem Sprößling zu ruhen. Das erst vor wenigen Tagen geborene Lammvieh bringt man für die Nacht, zumal solange es noch kalt ist, in der Jurte selbst unter, und die Tiere gewöhnen sich derartig an diesen behaglichen Aufenthalt, daß sie kläglich stöhnen, wenn sie aus irgendeinem Grunde einmal des Nachts aus der Jurte entfernt werden. Kälber und Füllen dagegen bleiben stets draußen vor der Jurte.

Die Stuten melkt man nicht vor Ende Mai, dann aber dreimal täglich. Das erstemal vormittags gegen elf Uhr, sobald die Hitze fühlbar zu werden beginnt, das zweitemal in den ersten Nachmittagsstunden, das drittemal kurz vor Sonnenuntergang. Dieses Geschäft fällt ausschließlich den Männern zu; denn um die Pferde, deren Pflege und Zucht bekümmern die Weiber sich nicht, weil die Männer glauben, daß nur sie dies verstünden. Auch besitzen nur die reichsten Kirgisen so viele Stuten, daß sich das Melken derselben lohnt, zur Aufsicht derselben wird dann aber immer ein besonderer Hirt beschäftigt, welcher auch das Melken besorgt. Die Stutenmilch wird stets zu Kumis verwendet, und dieses säuerliche, unserer »Schlippermilch« im Geschmack am meisten ähnelnde, von vielen hochgepriesene, mit nicht gerade widerliche, aber auch keineswegs besonders angenehme Getränk gilt für verfälscht, wenn der Stutenmilch, wie von Armen wohl geschieht, etwas Schafmilch zugesetzt wird. Kumis reichen deutet daher immer auf Wohlstand, Kumis trinken heißt immer soviel, als sich einen besonderen Genuß verschaffen.

Den vorstehend beschriebenen Arbeiten gegenüber erscheinen alle übrigen als untergeordnet. Die Hirtengeschäfte stehen unbedingt obenan und gehen allen übrigen vor; sie regeln und teilen den Tag in Abschnitte ein; sie bezeichnen gewisse Zeiten und Stunden: »Wir ritten aus, als man die Stuten zum ersten Male molk.« – »Ich kam ins Lager, als man die jungen Schafe anband.« Nur die Vornehmen sprechen von Abschnitten des Tages nach den Gebeten. Erst wenn alle Hirtengeschäfte beendet, geht man zu anderen über. Zu tun gibt es freilich immer, mindestens für die Frauen, von denen, wie bei allen Hirtenvölkern, die meiste Arbeit ausgeführt wird. Der Mann glaubt genug zu tun, wenn er die Herden beaufsichtigt, etwas Holz herbeischafft, falls dieses in der Nähe zu sehen ist, und sich mit der Übersicht über das Ganze befaßt, vielleicht auch nachsieht, ob die Arbeiten der Frauen ordentlich ausgeführt werden. Den Rest der Zeit verschlaft er entweder oder verbringt ihn in Gesellschaft anderer Männer, mit Besuchen bei weit entfernten Freunden, mit der Jagd und anderen männlichen Vergnügungen. Die Frauen dagegen haben nicht nur während des ganzen Tages, sondern auch während des ganzen Jahres zu sorgen und zu arbeiten, damit alles seinen gewohnten Gang gehe.

Sobald am Morgen das ihr unterstehende Kleinvieh zur Weide getrieben ist, beginnen ihre häuslichen Arbeiten. Sie hat zunächst den Morgenimbiß zu bereiten, das heißt ein Milchgericht vorzurichten, sodann an diesem und jenem Kleidungsstück zu bessern oder in Ermangelung solcher Arbeiten einen Pelz, einen Teil eines solchen zu verzieren, sodann das zum ersten Melken zurückgekehrte Kleinvieh zu besorgen, wiederum eine Mahlzeit zu bereiten, des Nachmittags nochmals die Nadel in die Hand zu nehmen, das zweitemal zu melken und endlich das Abendessen zu bereiten, daneben aber immer die Kinder zu warten; kurz, sie ist eigentlich keinen Augenblick untätig, und käme ihre Reinlichkeitsliebe ihrem Fleiße gleich, man würde sie für eine ausgezeichnete Hausfrau erklären müssen. Von Reinlichkeit aber hat sie kaum einen Begriff, und die alte Erfahrung, daß bei allen mohammedanischen Völkerschaften nur die Männer, welche beten und dabei sich waschen müssen, reinlich sind, bestätigt sich auch hier.

 

Redseligkeit

Über das Wesen des Kirgisen nach so kurzer Bekanntschaft richtig zu urteilen, ist schwer, seine Sitten und Gewohnheiten, seine durch altes Herkommen oder durch den von ihm bekannten Glauben bestimmten Gebräuche kennenzulernen, noch schwieriger. Was ich gesehen und erfahren, ist folgendes: Der Kirgise macht auf den unbefangenen Beobachter einen sehr günstigen Eindruck, und dieser steigert sich bei längerer Bekanntschaft immer mehr. So ist es mir ergangen, so urteilen die Russen, welche viele Jahre hindurch mit den Leuten verkehrten, so namentlich die Herren Beamten, welche nicht immer im angenehmen Sinn mit ihnen zu tun haben. Man darf wohl sagen, daß unser Mann sehr viel gute und sehr wenig schlechte, für uns unangenehme Eigenschaften besitzt oder doch uns gegenüber kundgibt. Geweckten Geistes, lebhaft, klug, verständig, soweit es ihm bekannte Dinge anlangt, friedfertig, entschieden gutmütig und zum Helfen bereit, stellt er sich als in seiner Art vortrefflicher Mensch dar, dessen Schattenseiten man leicht übersieht und gern vergißt. Er liebt Unterhaltung aller Art in dem sehr begreiflichen Wunsche, Abwechslung in das Einerlei seines täglichen Lebens zu bringen, gefällt sich daher in Gesprächen mit anderen seines Stammes und kann durch seine Gesprächigkeit; welche in der Regel zur Schwatzhaftigkeit wird, ebenso lästig werden wie durch seine geradezu beispiellose Neugier: Die eine wie die andere dieser Untugenden aber ficht den, welcher erfahren hat, daß sie unausrottbar sind, im ganzen zuletzt wenig an. Reitet man freilich allein mit mehreren Kirgisen seines Weges dahin und ist man genötigt, den Wortschwall, welcher allen Lippen gleichzeitig entströmt, dem Klappern einer Mühle vergleichbar, stundenlang anzuhören, so kann man nach und nach in gelinde Verzweiflung versetzt werden; und will man ein Geheimnis bewahren, so darf man das ebenfalls einem Kirgisen nicht mitteilen. Denn mit jener Schwatzhaftigkeit, in welcher diese Männer, wie mich bedünken wollte, unendlich weit alle Weiber des Erdenrundes übertreffen, hängt eben ihre unersättliche Neugier zusammen, welche sich nicht scheut, in der täppischsten Weise nach Befriedigung zu suchen. Wird in einer Jurte über irgend etwas verhandelt, was ein Kirgise verstehen oder nicht verstehen kann, wird, meine ich, in einer ihm verständlichen Sprache gesprochen, so nimmt er nicht den geringsten Anstand, sich, berufen oder nicht, bis an die Jurte heranzudrängen und mit gespannter Muschel zuzuhören. Bei allen Verhandlungen, welche unser liebenswürdiger Freund und Gönner Poltoratzky mit kirgisischen Häuptlingen oder mit Chinesen in kirgisischer Sprache zu führen hatte, saßen stets Dutzende von gänzlich Unbeteiligten außen dicht an der Wand der Jurte und lauschten andächtig auf jedes Wort, welches gesprochen wurde, nahmen auch keinen Anstand, das Gehörte wiederzuerzählen. Jedes Ereignis, welches über das Alltägliche hinausgeht, wird mit Windeseile über weite Strecken der Steppe verbreitet, der eine erzählt es dem anderen, und was einer weiß, wissen binnen kurzer Frist alle, welche es überhaupt wissen wollen. Niemals reiten zwei Kirgisen stumm nebeneinanderher; stets, und ob die Reise tagelang währt, haben sie miteinander zu schwatzen, sich gegenseitig Mitteilungen zu machen. Gewöhnlich aber genügt es ihnen noch gar nicht, zu zweit zu reiten; es müssen ihrer drei, vier sein, welche gemeinschaftlich des Weges dahinziehen. Diese Art der Reise ist so tief bei ihnen eingewurzelt, daß ihre Pferde ganz von selbst sich aneinanderdrängen, dies auch sogar gegen den Willen des Reiters tun, das heißt einen Europäer, welcher durchaus nicht nach solcher Unterhaltung verlangt, mit den schwatzenden Männern in Reihe und Glied bringen. In einer mit Kirgisen erfüllten Jurte summt es wie ein Bienenschwarm, weil jeder zu Worte kommen will und naturgemäß den anderen dabei zu überschreien trachten muß. Etwas für sich behalten, eine Wahrnehmung als Geheimnis betrachten zu müssen, scheint dem Kirgisen ein Ding der Unmöglichkeit zu sein.

Durch Kirgisen waren wir stets genau unterrichtet über alles, was uns angehen konnte; durch Kirgisen erfuhren wir zum Beispiel genau, wo der uns im Altai entgegenkommende Gouverneur übernachtet, wieviel Personen er bei sich hatte usw., ihr ewig regsames, unermüdliches Mundwerk ist besser als jede Zeitung, sicherer als die bestgeleitete Post; denn kein Kirgise verliert, keiner vergißt eine Nachricht.

Eine gute Folge solcher bei Männern unerhörten Schwatzhaftigkeit ist die Fertigkeit aller Kirgisen, ihre Sprache zu handhaben. Hierin scheinen sich alle gleich zu sein, die Vornehmen wie die Gemeinen, die Reichen wie die Armen, die nach ihrer Weise Gebildeten wie die Ungebildeten. Ihre wohllautende Sprache ist ausdrucksvoll im höchsten Grade. Jedes Wort wird, das fühlt auch der mit dieser Sprache durchaus nicht Vertraute heraus, vollständig ausgesprochen, jede Silbe richtig betont, so daß man schon nach dem Klange herauszuhören vermeint, um was es sich handelt. Ihre Redeweise ist sehr lebhaft, der Tonfall des Redesatzes dem Inhalte entsprechend; Rede und Redepausen genau abgemessen, so daß ein Gespräch etwas abgebrochen klingt, trotzdem der Fluß der Rede keinen Augenblick stockt. Jede Rede wird durch Gesten noch besonders erläutert, und ihre Hände sind, wenn sie lebhaft werden, fast ebenso tätig wie ihre Lippen, sei es auch nur, daß sie einen mit den Fingern gefaßten Gegenstand spielend bewegen/Fesselt sie ein Gegenstand in besonderen! Grade, so geht ihre Lebhaftigkeit in förmliche Hitze über, so daß man zuweilen meinen könnte, sie würden im nächsten Augenblick zu Tätlichkeiten übergehen: Doch endigt auch das hitzigste Wortgefecht regelmäßig in Ruhe und Frieden.

Daß unter solchen Leuten der Barde zur Geltung gelangt, ist leicht begreiflich. Jeder, welcher sich durch seine Redegewandtheit vor den übrigen auszeichnet, gelangt zu Ansehen und Würde. Ein Sänger, ein Gelegenheitsdichter darf bei keinem Feste fehlen. Seine Gestaltungsgabe braucht nicht eben groß zu sein; die Rede muß nur ohne Unterbrechung fließen, um ihn zum Dichter zu stempeln. Doch verfügt jeder kirgisische Dichter immerhin über einen gewissen Schatz von dichterischen Gedanken, welche in Worte zu kleiden ihm nicht allzu schwerfällt. Das Hirten- und Wanderleben, so gleichförmig es im ganzen laufen mag, hat seine Reize, seine dichterischen Seiten, welche nur angeschlagen zu werden brauchen, um im Herzen der Hörer Befriedigung zu wecken. Viele Sagen und Legenden, welche in allen lebendig sind, liefern jederzeit passenden Stoff zur Ausfüllung von Gedankenlücken, und so kann die Rede des Barden fließen wie ein ruhiger Strom, dessen Quellen niemals versiegen; er braucht bloß ein gewisses Versmaß festzuhalten, um Dichter zu sein und zu bleiben. Auch dieses Festhalten wird ihm erleichtert; denn jeder Barde begleitet seine singende Rede mit der dreisaitigen kirgisischen Gitarre und verbindet die einzelnen Sätze durch Zwischenspiele, welche so lange währen, bis der neue Vers in die rechte Form gegossen wurde. Je gewandter dies geschieht, um so höher steigt der Sänger. Einzelne sind weitberühmt und werden zu allen Festlichkeiten in der Runde eingeladen. Regt sich aber gar im Herzen einer Frau dichterischer Drang, so ist die Bewunderung groß, und läßt sich solche Frau bereitfinden, mit einem Mann im Zwiegesang zu wetteifern, so steigt ihr Ruhm bis in die Wolken.

 

Künste und Vergnügungen

Über die kirgisische Dichtung ein Urteil abzugeben, vermesse ich mich nicht. Weiter unten kann ich noch Proben liefern; einstweilen will ich nur sagen, daß nach allem, was ich gehört, nach dem, was man mir erzählt, die Gedanken zwar eigentümlicher Art, selten aber tief sind und sich mit denen der Araber nicht entfernt vergleichen lassen. Im allgemeinen keusch und zurückhaltend, erwähnt das kirgisische Lied doch ohne alle Bedenken von Seiten des Sängers wie des Hörers Verhältnisse, welche von gebildeten Völkern unter allen Umständen verschwiegen werden.

»Ein Roß, von dir an Hafer gewöhnt,
Wird traurig, entziehst du ihm solchen Genuß;
So der, welcher nachts auf dem Lager stöhnt,
Verlangend der Liebsten beglückenden Kuß«,

sangen die kirgisischen jungen Bootsleute, welche unser Schifflein den schwarzen Irtisch hinabruderten, mit dem ernstesten Gesicht, und alle Hörer blieben ernst wie sie. Von dem Gedankengang ihrer Legenden mögen die nachstehenden beiden Proben etwas liefern:

Zwischen Uskmenegorsk und Kokbekti erhebt sich in einiger Entfernung vom Gebirge ein einzelner Kegelberg, neben welchem zwei mächtige Blöcke, ein roter und ein weißer, liegen. Von ihnen erzählen sich die Kirgisen folgendes: Bevor die Russen ins Land kamen, lebte hier ein Riesenpaar, dessen Ehe nur ein Sprößling, ein hoffnungsvoller Sohn, entsprungen war. Als nun die Russen sich nahten, beschlossen die Riesen, ihrem Vordringen ein Ziel zu setzen, indem sie den großen Berg zum Irtisch trugen und hier als Grenzstein aufstellten. Alle drei, Vater, Mutter und Sohn, packten den Felsen und begannen ihn wegzutragen. Da kam die Nacht, und sie mußten ruhen. Der Sohn aber hatte unterwegs ein schönes Mädchen gesehen, welches ihm nicht aus dem Sinn kommen wollte, und als die Eltern schliefen, machte er sich auf, dieselbe zu besuchen, verbrachte in ihren Armen die Nacht und kehrte erst gegen Morgen zur Ruhestelle seiner Eltern zurück. Nachdem die Sonne aufgestiegen war, erhoben sich die Eltern, weckten den Sohn und forderten ihn auf, wiederum beim Tragen des Felsblockes zu helfen. Willig gehorchte er; aber er vermochte den Fels nicht mehr zu heben: Seine Kräfte waren erlahmt, weil er ohne Genehmigung der Eltern sich vermählt. Die Mutter erkannte des Sohnes Schuld und wurde betrübt im innersten Herzen. Ihren Augen entströmten blutige Tränen, und kummervoll schlug sie sich auf ihre Brüste, bis aus diesen die Milch hervorquoll, Tränen und Milch tropften zu Boden, häuften sich hier und versteinten; die Russen aber drangen weiter vor, und weder der große Felsen noch die beiden aus dem Blute und der Milch der Riesin entstandenen Steine vermochten ihrem Weitergehen ein Ziel zu setzen.

Als die Russen in das Land kamen, erzählt eine andere Legende, mußten die Riesen fliehen. Weiter und weiter nach dem Süden hin zogen sie sich zurück. So kamen sie an den Fluß Buchtarma. Hier fällt das Gebirge steil nach dem Fluß ab, die Riesen waren deshalb gezwungen, mit mächtigem Satz über den Fluß zu springen. Sie taten dies auch ohne zu fallen; der Aufwand an Kraft aber, um den gewaltigen Satz auszuführen, war so groß, daß sie mit ihren Füßen am rechten Ufer die Spur in den Felsen drückten, wo die Fußtapfen noch zu sehen.

Außer der erwähnten Gitarre habe ich nur noch ein Musikwerkzeug der Kirgisen kennengelernt: eine Flöte nämlich. Sie besteht aus einem hölzernen Rohr mit hörnernem, oben geöffnetem Mundstück, hat drei längliche Löcher und ist zum Schutz gegen das Aufspringen der dürren Rohre mit Darm überzogen. Der Spieler setzt den Rand des Mundstücks an einen Zahn, bläst, brummt und singt zugleich und entlockt dem Werkzeuge dadurch Töne, richtiger Laute, welche unter allen Umständen sonderbarer Art und nichts weniger als klangvoll sind, obgleich sich nicht verkennen läßt, daß eine Weise hervorgebracht werden kann. Um das wertvolle Werkzeug unterwegs gegen Verletzungen zu schützen, wickelt man es nicht allein sorgfältig in Leder ein, sondern steckt auch noch einen hölzernen Kern von oben in die nach unten sich verengende Höhlung.

Höher noch als Musik und Gesang, der gewählten und inhaltvollen Rede etwa gleich, stellt und schätzt der Kirgise leibliche Übungen aller Art. Daß unter diesen wiederum diejenigen obenan stehen, welche zu Pferde ausgeführt werden müssen, ist selbstredend; denn ohne Pferd ist der Kirgise überhaupt kaum denkbar, obgleich er keineswegs allein im Sattel des Pferdes heimisch ist, vielmehr jedes Tier reitet, welches überhaupt geritten werden kann. Der kleinste Knabe schon besteigt ein Tier; der Arme sattelt wenigstens einen Ochsen, ein Rind überhaupt, um nicht zu Fuß gehen zu müssen, legt dem in unsern Augen höchst unpassenden Reittier den Zügel um die Hörner oder durchbohrt ihm die Nasenscheidewand, um hier den Zaum zu befestigen, und weiß durch Fersenstoß auch den störrischsten Ochsen so gefügig zu machen, daß derselbe nicht allein im Schritt, sondern im vollsten Trabe mit ihm davonrennt. Als wir, von der Jagd auf Ullare zurückkehrend, in kurzem Trab durch die pfadlose Steppe führen, sprengte ein auf seinem Ochsen sitzender Kirgise wohl eine Viertelstunde lang neben dem Wagen her und hielt vollständig Schritt mit uns, da sein Reittier beständig nebenhergaloppierte. Auch das Trampeltier, anscheinend durchaus nicht geeignet zu schnellem Laufen, wird von ihm in den schärfsten Trab gebracht, sogar wenn es belastet, stundenlang im Trab erhalten. Besäße er Rentiere, er würde auch sie reiten. Gleichwohl betrachtet er immer einzig und allein das Pferd als des Mannes würdige Reittiere; und daher sucht selbst der Ärmste so bald als möglich zu einem Pferd zu gelangen. Reitend besorgt er alle Geschäfte. Reitend weidet der Hirt seine Herde, gleichviel, aus welchen Haustieren sie besteht; reitend holt er Holz herbei, reitend auch Wasser oder Milch, reitend trägt er bei Festlichkeiten die Speisen herbei aus der nur deshalb weit von der Festjurte entfernten Küche, damit er eben zwischen dem Festraum und der Jurte hin und her reitend das Auftischen der Speisen noch mit besonderem Pomp umgeben könne; reitend führt er die blöde hinter ihm einherschreitenden Kamele, reitend wirbt er um die Liebe seiner Erwählten, reitend folgt er dem Toten auf seinem letzten Gange, reitend wandert er, reitend besiegt er Hindernisse, welche ihm sonst als unüberwindlich erscheinen, reitend besteigt er das Gebirge, reitend klettert er schwindellos und ohne alle ihn beim Gehen beschleichende Furcht an den steilsten Wänden empor und hinab, zu Pferde endlich wird der Knabe, welcher ein gewisses Alter erreicht hat, den Verwandten vorgeführt, um gewissermaßen seine Männlichkeit zu beweisen. Männer und Weiber reiten in derselben Weise; nicht wenige Frauen auch mit demselben Geschick, mit derselben Kühnheit wie die Männer. Die Haltung auf dem Pferde ist eine lässige, möglichst bequeme: Auf stramme, gerade Richtung seines Lebens kommt es dem Kirgisen durchaus nicht an, sondern einzig und allein auf festes Sitzen im Sattel. Dessenungeachtet stürzt er gar nicht selten vom Pferde, einzig und allein deshalb, weil er infolge seiner Gewohnheit, im Sättel zu sitzen, wenig oder nicht auf Weg und Steg achtet, es vielmehr dem Tiere überläßt, solchen sich zu suchen. Sind die Reiter jedoch achtsam, so schlagen sie auch jeden Weg ein, welchen ein Einhufer überhaupt gehen kann, ohne jedes Bedenken, ebenso wie sie sich nicht besinnen, das feurigste, ja selbst das wildeste unbändigste Roß zu besteigen. Daher kommen sie überall durch, im Gebirge wie im Sumpfe, daher werden sie mit jedem Pferde fertig. Wenn sie im Sattel sitzen, schonen sie ihre Tiere nicht, muten ihnen vielmehr das Unglaublichste zu, sprengen im Galopp bergauf wie durch die Ebene, durchs Wasser wie durch fast unergründlichen Schmutz; wenn sie abgestiegen sind, halten sie jedoch gewiß durch vererbte Erfahrung gebildete Regeln fest, lassen die Pferde, nachdem sie ihren Sattel und Zaum gelüftet, mehrere Stunden stehen, bevor sie ihnen gestatten zu weiden, und entziehen ihnen nach viel längerer Zeit das Wasser. Für gewöhnlich reiten sie im Galopp oder Schritt, seltener im Trab, weil Traber, zumal Paßgänger, immer nur im Besitz der Reichen zu sein pflegen, Bei festlichen Gelegenheiten führen sie auch allerlei Kunststücke im Sattel aus, stellen sich in die über dem Sattel gekreuzten Steigbügel und springen stehend davon, halten sich mit den Händen fest und recken die Beine senkrecht in die Luft, hängen sich an einer Seite auf und versuchen einen Gegenstand vom Boden aufzuheben usw., scheinen jedoch die Waffenspiele der Tscherkessen und Türken nicht zu üben. Dagegen lieben sie Wettrennen ungemein, verherrlichen jede größere Festlichkeit durch ein solches und setzen dabei Preise aus, welche die höchsten von Engländern oder sonstigen roßzüchtenden Völkern bewilligten nicht allein verhältnismäßig, sondern unbedingt übertreffen.

Das Wettrennen, Baika genannt, gilt als das höchste, edelste Vergnügen, welches ein Kirgise kennt oder bereiten kann, als dasjenige, bei welchem sich der ganze Reichtum eines Mannes, einer Familie kundzugeben vermag. In der Regel läßt man nur Paßgänger zu, diese aber weite Strecken, dreißig bis vierzig Werst durchlaufen. Man reitet nach einer bestimmten Örtlichkeit, einem Grabmal, einem Hügel, einem sonst genau festzustellendem Punkte und kehrt auf demselben Wege zurück. Kleine Knaben von sieben bis zehn Jahren sitzen im Sattel und lenken die Tiere mit großem Geschick. Den zurückkehrenden Pferden sprengt man ein Stück entgegen; demjenigen, welches die meiste Aussicht hat zu gewinnen, leistet man eine Hilfe, indem man neben ihm dahinsprengend ihm zunächst das reitende Kind abnimmt, dann die Steigbügel, Mähne und Schwanz zu packen sucht und nunmehr, derart es förmlich vom Boden aufhebend, es mit Hilfe der frischen Pferde, welche man zum vollsten Galopp anspornt, dem Ziele mehr zuschleift als zuführt. Diese Hilfe wird von den Besitzern anderer Pferde anstandslos geduldet und gilt für durchaus berechtigt.

Die Preise, welche verteilt werden, in der Regel neun, bestehen in sehr verschiedenen Dingen, werden aber sämtlich nach dem Werte von Pferden berechnet, und zwei- bis dreitausend Rubel Silber sind nichts Seltenes: Reiche Familien setzen bei besonderen Gelegenheiten bis einhundert Stück Pferde aus. Auch junge Mädchen gelten als Siegespreis, derart, daß der Gewinnende sie zur Frau nehmen darf, ohne dafür den üblichen Brautschatz zu bezahlen.

Während die Pferde unterwegs sind, üben gewöhnlich auch die Menschen ihre Kräfte, indem sie miteinander ringen: Zwei Männer entkleiden sich ihrer Obergewänder, im Frühjahre zumal der Pelze, im Sommer auch der Oberröcke, behalten aber mindestens den Kaftan oder, falls sie keinen solchen besitzen, den aus festem Leinenzeuge gewebten Oberrock an und entblößen nur Schultern und Oberkörper. Das Ziel des Ringens ist, den Gegner auf den Boden zu werfen. Der Angriff geschieht in sehr verschiedener Weise. Beide Kämpen packen sich, beugen sich tief herab und gegeneinander und beginnen sich nun zunächst im Kreis zu drehen, einer den anderen fortwährend überwachend, um jeder geplanten Finte desselben auszuweichen, bis plötzlich einer mit vollster Kraft zu ringen anfängt und den anderen, falls er sich nicht vorgesehen, niederwirft. Andere gehen sofort, nachdem sie sich gepackt, zum Angriff über, finden aber so kräftigen und geschickten Widerstand, daß sie lange ringen müssen, bevor es ihnen gelingt, den Gegner zu bewältigen. Die Zuschauer feuern an, spenden Lob und Tadel, ermuntern und verhöhnen, wetten gleichzeitig unter sich und geraten um so mehr in Aufregung, je mehr die Woge nach beiden Seiten hin schwankt. Endlich liegt der eine, ausgelacht von der ganzen Gesellschaft, beschämt und gedemütigt, auch wohl im tiefsten Herzen erbittert, am Boden: Geschrei aus allen Kehlen erfüllt die Luft, Kattunstücke werden in kleine Fetzen gerissen und diese verteilt, um die eingegangene Wette auszugleichen, Vorwürfe wechseln mit freudigen Ausrufen und das Spiel hat ein Ende, falls nicht der Besiegte urplötzlich seinem Ingrimm Genüge zu schaffen sucht und von neuem über den Gegner herfällt, diesmal jedoch meist behindert durch alle Zuschauer: Bei einem von uns angesehenen Ringen geschah es auch, daß der Kämpe auf dem Platz erschien, trotzig in die Runde schaute, jeden zum Kampf herausfordernd, und mit wütendem Gesicht, obwohl im Innersten befriedigt, wieder davon abstand, weil keiner sich fand, seine Kräfte mit ihm, dem wegen seiner ungeheuren Stärke Berühmten und Berüchtigten, zu messen. Bei den übrigen Kämpfern waren Hände, Arme, Füße und Beine in gleicher Tätigkeit; manch guter Handgriff wurde abgewendet und glänzend abgewehrt, bis es endlich doch dem Geschickteren gelang, eine Blöße zu erspähen und den Gegner zu Boden zu werfen. Ohne großen Lärm, das heißt viel Geschrei und Gezänk, ging es niemals ab; zu ernstgemeinten Tätlichkeiten aber kam es nie.

Jagd und Fischerei bilden ebenfalls beliebte Vergnügungen der Kirgisen; doch sind es immer nur wenige, welche sich mit beiden befassen. Die beliebteste Jagd ist die mit dem Adler und Windhund, welche ich bereits beschrieben; als Schießwaffen wendet man nur die Büchse an, und zwar die Luntenflinte noch ebenso häufig wie das Gewehr mit dem Feuerschloß. Niemals schießt man auf ein laufendes Wild, vielmehr immer nur auf stehendes, aus dem einfachen Grunde, weil die Büchse vor dem Schuß erst auf die Gabel gelegt werden und der Schütze Zeit haben muß, gehörig zu zielen. Als schlechte Schützen darf man die Kirgisen trotzdem nicht bezeichnen.

Der Fischfang wird nur von Ärmeren betrieben, niemals zum bloßen Vergnügen, sondern immer nur in der Absicht, dadurch sich Nahrung zu verschaffen. Man handhabt das einfache Netz ohne eigentliches Geschick, in den fischreichen Gewässern jedoch fast stets mit Erfolg, scheint aber eine andere Art des Fischfangs noch vorzuziehen: Alle Bäche der Gebirge sind ungemein fischreich; diejenigen, welche in größere Seen münden, wimmeln förmlich von Fischen. Solche Bäche nun werden aufgesucht und in folgender Weise ausgebeutet: Fünf bis acht Männer oder Knaben bewehren sich mit langen, biegsamen Stöcken, richtiger wohl Stangen, und durchstöbern alle Schlupf platze der Fische unter Steinen oder unter den überhängenden Ufern. Sobald ein Fisch hervorschießt, schlägt man mit aller Macht aufs Wasser, betäubt ihn oder trifft und tötet ihn wirklich und zieht ihn dann so rasch als möglich, einfach in das Wasser springend und mit den Händen ergreifend, ans Land. Die Beute ist oft sehr groß.

 

Eigenschaften und Sitten der Kirgisen

Das Bewußtsein der Kraft, der Geschicklichkeit im Reiten, Jagen, die dichterische Begabung und das Gefühl der Freiheit, welches jedem Kirgisen innewohnt, verleiht seinem Auftreten Sicherheit und Würde. Er ist höflich und zuvorkommend, ohne knechtisch zu sein, behandelt den ihm Überlegenen mit Achtung, aber nicht kriechend, und erhöht dadurch den günstigen Eindruck, welchen er vom ersten Augenblick an macht. Vornehmen seines Volkes und den über ihn herrschenden Russen gegenüber benimmt er sich stets artig. Beim Eintreten in die Jurte entledigt er sich seiner Überschuhe und setzt sich in kniender Stellung dem Vornehmen gegenüber, ganz wie die Türken zu tun pflegen, wenn sie zu einem Höhergestellten kommen. Aufgestellte Fragen antwortet er meist erst nach kurzem Besinnen, ruhig und furchtlos, und seine scharf betonte Sprachweise verleiht seiner Antwort den Ausdruck der Bestimmtheit, welche ihm sehr wohl ansteht. Er ist gern gefällig nach allen Seiten hin, tut aber mehr noch aus Ehrgeiz, ohne auf anderen Lohn als ein ihm gespendetes Lob zu rechnen. Tamar Bei Metekoff aus Kalguti, Vorsteher der Kirgisengemeinde Akmolinski, welcher uns fast einen Monat lang das Ehrengeleite gab, war der gefälligste, höflichste, zuvorkommendste Mensch unter der Sonne, stets darauf bedacht, jeden unserer Wünsche zu erfüllen, unermüdlich in unseren Diensten, zu unseren Gunsten, und dieses alles nur, weil er dem Befehle seines Vorgesetzten Genüge leisten, sich womöglich die Zufriedenheit des Gouverneurs erringen wollte. »Geld«, sagte er, »kann ich mir nicht erwerben, und soviel ich davon brauche, besitze ich reichlich: Eure Zufriedenheit aber mir zu erringen, ist mein höchster Wunsch.« Jeder andere Kirgisenhäuptling, mit welchem wir zusammentrafen, dachte, handelte ähnlich wie er; um Geschenke war es keinem von ihnen zu tun, obschon jeder gern ein Geschenk annahm, so unbedeutend dasselbe auch sein mochte.

Im Einklang mit diesem Ehrgeiz steht, daß der Vornehme auf seine Familie, auf seine Abkunft große Stücke hält, für seine Söhne nur um ebenbürtiger Familien Töchter wirbt, seine Töchter nur ebenbürtigen Söhnen zur Frau gibt: Alle alten Familien sind hochangesehen im Lande, unter allen Kirgisen, und der Titel »Sultan«, welchen sie sich beilegen, wird von allen ihren Stammgenossen geachtet. Sultan »Abin Dairoff«, der Tscherebaktinischen Gemeinde angehörig und ein Verwandter des Sultan Ad el chan Djemandrioff, welchen wir in den Arkatbergen kennengelernt hatten, rühmte sich, von Chingis chan abzustammen, welcher vor mehr als hundert Menschenaltern gelebt und von dessen Ruhm alle Sänger erzählen. Der Mann wußte nichts weiter als dieses von seinem Ahnherrn zu berichten, blickte aber mit vielem Adelsstolz auf ihn zurück.

Ebenso wie ehrgeizig und familienstolz ist der Kirgise auch eitel. Tugend und Schönheit sind auch in seinen Augen wertvolle Gaben, welche er sehr hochachtet; doch unterscheidet er sich von den meisten jungen und schönen Herren unserer Länder zu seinem Vorteile dadurch, daß er niemals zum Gecken wird. Er rühmt sich der ihm von der Natur verliehenen Gaben offen und ohne Hehl; solches Rühmen aber steht ihm natürlich und wird nie durch eine versteckte Bescheidenheit verzerrt. Soweit seine Mittel es erlauben, kleidet er sich reich, verziert sich Rock und Beinkleider mit Tressen, beschmückt seine Pelzmütze mit der Auerhahnfeder; zum Narren aber sinkt er nicht herab! Daß die Frauen mehr noch als die Männer ihre Reize ins beste Licht zu setzen suchen, erscheint selbstverständlich, daher darf es auch nicht wundernehmen, daß sie sich schminken. Sie benutzen dazu die Wurzel eines Krautes, »Talab« genannt, welche Fuchsin enthält und in der Tat treffliche Schminke liefert. Das Rot, welches diese Wurzel verleiht, ist zarter, duftiger als das jeder mir bekannten, von Europäern verwendeten Farbe, paßt weit besser zur Fleischfarbe als das schönste Karmin, hält länger und fester auf der Haut und verursacht nicht die geringsten Nachteile. Ich habe mir den Handteller mit Talab geschminkt und die Hand sodann gewaschen, ohne daß die schöne fleischrote, zarte Farbe vergangen wäre.

Ausdauernd in hohem Grade, befähigt, Wind und Wetter, der Hitze wie der Kälte, dem Regen wie dem Schnee mit Gleichmut zu widerstehen, Änderungen aller Art mit Leichtigkeit zu ertragen, zu jeder Zeit zu wachen und des Schlafes lange zu entbehren, kann man den Kirgisen doch kaum als genügsam bezeichnen. Nur diejenigen, welche mit den Russen in häufige Berührung gekommen sind, trinken berauschende Getränke, zumal Branntwein, die Kirgisen sind also in dieser Beziehung sehr mäßig; aber alle bedürfen eine erhebliche Menge von Nahrung, um sich gesättigt zu fühlen, und können, wenn sie es haben, geradezu unmäßig erscheinen. Sie genießen Brot nur im Winter, und auch dann bloß als Zuspeise, meist in Gestalt kleiner, aus Teig gerollter, in Fett gebackener Würfel, Mehl nur in Suppen, als Brei und Nudeln, gebrauchen aber unglaubliche Mengen von Milch und sind, wie man ihnen nachsagt, imstande, je ein ganzes Schaf allein aufzuessen. Eine große Mulde, bis zum Rand mit Pillan gefüllt, verschwindet im Umsehen unter den Fingern zweier oder dreier Schmausenden. Der nicht wohlhabende Kirgise schlachtet im Sommer allerdings nicht, im Winter aber, in welcher Zeit das geschlachtete Fleisch gefriert und dann mehrere Monate sich hält, um so mehr, und dann brodelt beständig Fleisch im Topf und am Feuer seines Herdes. Er trinkt ganze Töpfe voll Fleischbrühe auf einmal aus und scheint geradezu unersättlich zu sein. Zum Speisen werden nur Messer und Finger gebraucht letztere jedoch nicht in der Weise der Türken und Nordafrikaner, sondern indem man mit allen Fingern der ganzen Hand zugleich zugreift. Auch Milch nimmt der Kirgise, wie schon gesagt, in großen Mengen zu sich, und vom Kumis kann er so viel trinken, daß er daraufhin einen gelinden Rausch verspürt.

So fleißig der Kirgise, mindestens die Kirgisin, ist, solange es sich um die mit der Viehzucht zusammenhängenden Arbeiten handelt, so ungern verrichtet er andere. Auch er bebaut das Feld, allein in einer höchst liederlichen Weise, baut auch nie mehr, als er für sich allein bedarf. Ungemein geschickt, das Wasser zur Überrieselung zu nutzen, besitzt er ein höchst geübtes Auge für die Örtlichkeit und weiß auch ohne Meßtisch und Wasserwaage, wie er die Wassergräben zu ziehen hat; allein nur solange er noch Knabe ist, läßt er zu solchen Arbeiten sich willig finden, und hat er erst einmal Besitz erlangt, rührt er gewiß weder Hacke noch Schaufel mehr an. Noch weniger liebt er, irgendein Handwerk zu treiben. Er versteht Leder zu bereiten und allerlei Riemen und Sattelwerk daraus zu schneiden, dasselbe auch mit Eisenschmuck sehr zierlich auszuputzen, selbst Messer und andere Geräte zu fertigen, beweist großes Geschick in Herstellung aller für seine Zwecke nötigen Dinge und Geräte, übt solche Arbeit jedoch niemals mit Freude, sondern immer mit Widerwillen aus. Und doch ist er ein zuverlässiger, tüchtiger Arbeiter, welcher das von ihm Übernommene zu vollster Zufriedenheit seiner Auftraggeber ausführt. In den Bergwerken schätzt man die kirgisischen Arbeiter so hoch, daß man mir versicherte, ohne sie sei man schon längst gezwungen gewesen, Maschinen aufzustellen, welche man, dank der Arbeit der Kirgisen, noch entbehren könne. Auch ihre Arbeit im Garten wird sehr gerühmt.

Obwohl die Kirgisen sehr leicht lernen, können doch nur wenige unter ihnen, bis jetzt fast ausschließlich der Sultan und der Gemeindevorsteher, also überhaupt nur die Reichen und Vornehmen, lesen und schreiben. Es gibt aber keine Schulen unter ihnen, und erst in der Neuzeit hat die Regierung solche für sie eingerichtet. Ich werde darauf zurückzukommen haben. Der Knabe lernt Lesen und Schreiben, wenn der Zufall will, daß er mit einem Lehrer zusammenkommt, welcher ebensoviel Lust zum Lehren als der Knabe zum Lernen hat und falls sein Vater überhaupt wünscht, daß er die nützliche, von ihm übrigens hochangesehene Kunst erlerne. Ihre Schriftzeichen sind die arabischen; doch hat sich im Verlaufe der Zeit eine etwas von der arabischen abweichende Schriftart gebildet, an welche man sich erst gewöhnen muß, bevor man sie lesen kann. Auch diejenigen, welche selbst schreiben können, unterzeichnen ihren Namen nicht, sondern bedienen sich, wie die Türken und Araber, ihres Siegels, weshalb auch alle, welche überhaupt in die Lage zu kommen glauben, etwas unterzeichnen zu müssen, silberne Siegelringe tragen.

Mit der geringen Kenntnis der Schrift hängt zusammen, daß die wenigsten Kirgisen von ihren Glaubenssatzungen mehr als das Bekenntnis: »La il Allah il Allah, Mohamed rasuhl Allah« und die Fatiha kennen. Ein Kirgise, welcher den Gesang des Rufers zum Gebete auswendig weiß, gilt schon als Schriftgelehrter. Die Bedeutung der Worte des Glaubensbekenntnisses ist den meisten bekannt, nicht aber auch die Bedeutung der Fatiha: Ich erntete stets große Anerkennung, wenn ich mit Hilfe meiner Freunde ihnen die Worte des Korans verdolmetschte. Mehr als den Koran lesen zu können, verlangt man von keinem Mollah; ich habe nur einen einzigen Kirgisen gefunden, welcher einigermaßen Arabisch verstand. Nur die Freien und eigentlich bloß die Vornehmen und Reichen beten ihre fünf Gebete, und nur diejenigen, welche beten, waschen sich. Dagegen halten alle, welche über die Zeit im klaren sind, die Fasten des Ramadan, und alle, welche es vermögen, schlachten zur Feier des großen Festes ein Schaf, Vornehme einen Ochsen oder so viel Schafe, als ihre Familie, selbst ihr Hauswesen, männliche Seelen zählt, um Bedürftige mit Fleisch versorgen zu können.

Obgleich der Islam wie bei allen seinen Anhängern die Gebräuche, zumal die religiösen Gebräuche, der Kirgisen regelt, unterscheiden sich diese, oder mehr die Ausübung derselben, doch in mancher Beziehung von denen der Araber. Vielleicht hat sich aus den Vorschriften des Islam und ihren früheren Gewohnheiten die Gebräuchlichkeit herausgebildet, welche jetzt von allen geübt wird, vielleicht bedingt ihr Steppenleben gewisse Einzelheiten. Mehr noch als Araber und Türken fügen sie sich dem Gebräuchlichen und verlangen, daß jeder andere ihres Glaubens dasselbe tue. Ihr geselliger Verkehr erhält dadurch etwas Umständliches und Förmliches. Bildung und Erziehung scheint sich hauptsächlich dadurch kundzugeben, daß man die Gewohnheiten und Gebräuche streng befolge.

Schon ihre gegenseitige Begrüßung geschieht in einer förmlichen, von allen festgehaltenen, also offenbar genau bestimmten Weise. Wenn zwei Kirgisentrupps zusammenkommen, begrüßen sich alle nacheinander und bedürfen daher einer geraumen Zeit, bevor sie mit diesem ernsten Geschäft fertig geworden sind. Gegenseitig und gleichzeitig legen sie ihre rechte Hand aufs Herz, die linke gegen die rechte des anderen, worauf sie die rechte zurückziehen und alle vier Hände zusammenschlagen. Die Hände werden deshalb nicht aus den langen Ärmeln herausgezogen. Gleichzeitig mit der Umarmung sagen beide »Amin« (Freude), wogegen sie vor der Umarmung gewöhnlich den arabischen Gruß »Salam aleik« oder »aleikum« anwenden. In dieser Weise begrüßt einer alle, aber jeder den anderen; beide sich begegnenden Haufen bilden daher Reihen, und einer nach dem anderen läuft, um bald fertig zu werden, rasch längs solcher Reihe dahin. Das kürzere Verfahren ist, sich nur die Hand entgegenzustrecken und diese zusammenzuschlagen; dies geschieht jedoch nur, wenn die Anzahl der zu Begrüßenden sehr groß ist.

Besuchen sich Kirgisen in ihrem Aule, so findet noch eine andere Förmlichkeit statt. Die Ankommenden reiten, sobald der Aul in Sicht kommt, langsam auf die Jurten zu und halten dann ihre Pferde an. Vom Aul aus kommt man ihnen entgegen und begrüßt sie, worauf beide Teile, Gäste und Wirte, gemeinsam dem Aul zureiten. Sind es fremde, den Bewohnern des Aul noch nicht bekannte Gäste, so verfahren sie ebenso, müssen sich jedoch vor der Begrüßung einem Verhör nach Namen, Stand und Herkunft unterwerfen. Ein Gast wird seinem Ansehen entsprechend in einer Jurte aufgenommen, mehrere oder viele in mehreren oder allen verteilt. Gastfreundschaft wird geübt gegen jedermann, ohne Ansehen der Person, ohne Unterschied des Glaubens – Vornehme, guten alten Familien Angehörige aber stets bevorzugt; denn Rang und Vermögen gelten auch unter den Kirgisen ebensoviel wie unter anderen Volksstämmen.

 

Werbung und Hochzeit

Bevor die russische Herrschaft allgemein anerkannt und die russischen Gesetze von den Kirgisen befolgt wurden, verheiratete man die jungen Leute sehr früh, Knaben bereits im vierzehnten oder fünfzehnten Jahre, Mädchen schon vom zehnten, elften an. Gegenwärtig verfährt man zuweilen noch ebenso, hat sich im allgemeinen aber bequemt, den russischen Anschauungen gerecht zu werden, das heißt die Jünglinge nicht vor dem sechzehnten, die Mädchen nicht vor dem vierzehnten Jahre zu verehelichen. Die Brautwerbung geschieht sehr umständlich. Weitaus in den meisten Fällen wirbt der Vater für seinen Sohn, und dieser wie die Mädchen fügen sich dem Ermessen ihrer Eltern. Zuerst sendet man einen Werber zum Brautvater. Dieser Werber gibt sich dadurch Zu erkennen, daß er das eine Hosenbein im Stiefel, das andere außerhalb des Stiefels trägt. Ist der Vater des Mädchens einverstanden, so verlangt er die großen Werber, das heißt den Vater des Jünglings, den Ältesten des Aul und noch mehrere, je nach Rang und Ansehen verschieden viele – bis fünfzehn –, beide begleitende Männer aus dem Aul des Bräutigams. Diese erscheinen in festlichen Kleidern, um das Anliegen des Bräutigams noch einmal vorzutragen. Angesichts des Aul hält der festliche Zug die Rosse an, ein Abgesandter des Brautvaters reitet ihnen entgegen, begrüßt sie feierlich und förmlich und geleitet sie nach der für sie bestimmten Festjurte, woselbst ihnen zunächst Erfrischungen gereicht werden. Ein Barde erscheint, um zu ihrer Unterhaltung beizutragen. Sein Gesang wird mit reichen Beifallspenden belohnt. Man verspricht ihm ein Pferd, sogar eine Jamba oder 4½ Pfund chinesisches Silber zu schenken; der Hausherr aber läßt nicht zu, daß aus dem Versprechen Wahrheit werde. »Ihr seid meine Gäste«, sagt er, »und mir, nicht euch kommt es zu, den Sänger zu belohnen; ihr sollt, ihr dürft nichts zahlen.« Man kann also so freigebig sein, als man will, das gegebene Versprechen wird niemals eingelöst. Die Unterhaltung beginnt und dreht sich um die verschiedensten Dinge, nur heute nicht um die Hauptsache. Von der Heirat wird nicht gesprochen.

Am anderen Morgen erscheint der Brautvater mit seiner Begleitung in der Jurte des künftigen Schwagers, also des Vaters des Bräutigams. Man begrüßt sich gegenseitig und reicht den Gästen Kumis. Der Brautvater verlangt die Mutter des Jünglings zu sehen, und man begibt sich daher gemeinschaftlich nach der Jurte der Frau und begrüßt dieselbe feierlich. Jetzt bringt der Brautvater den inzwischen bereiteten köstlichsten Leckerbissen nach kirgisischen Begriffen, die gebratene Brust eines Schafes, herbei und schneidet mit den Worten: »Diese Schafbrust ist mir ein Zeichen, ein Pfand dafür, daß unser Vorhaben ein gutes Ende nehmen wird«, den Gästen vor und ißt mit ihnen gemeinschaftlich das saftige, von hartem Fett durchzogene Fleisch.

Nunmehr wird über die vom Vater des Bräutigams zu zahlende Summe verhandelt: Als Einheit der Rechnung gilt eine Stute von drei bis fünf Jahren. Der Brautvater verlangt 77 Stuten, geht aber allmählich mit seinen Ansprüchen herab, zuerst, die 67 überspringend, auf 57, sodann auf 47, 37, 27, sind beide unbemittelt, noch weiter; dann auf die Stuten folgen Rinder, auf diese Schafe, auf letztere Ziegen. Ein gutes Pferd wird zu fünf Stuten gerechnet, ein Kamel ebensohoch; sechs bis sieben Schafe oder Ziegen kommen ebenfalls einer Stute gleich. In Geldwert ausgedrückt, nimmt man den Preis einer Stute zu etwa zehn Silberrubel an. Je nach Rang, Stand und Vermögen wird nun die Summe festgestellt. Sobald diese oft langwierige Verhandlung vollendet, erklärt man die Verlobung für geschlossen. Beim Abschied der Gäste reicht man diesen Geschenke, je nach ihrem Stand, von einem Pferd an bis zu einer Kleinigkeit herab. Ist der Vater des Bräutigams reich, so bezahlt er die Hälfte des Brautschatzes sofort nach dem ersten Besuche des Brautvaters, die andere Hälfte in möglichst rasch aufeinanderfolgenden Zeiträumen. Vierzehn Tage nachdem die erste Hälfte gezahlt, darf der Bräutigam zum ersten Male die ihm geworbene Braut besuchen. Auch dies geschieht unter großen Förmlichkeiten und mit möglichst großem Gefolge von jungen Leuten seines Alters unter Führung eines würdigen, in allen Gebräuchen wohlerfahrenen Alten.

In einer gewissen Entfernung vom Aul hält auch er an, schlägt ein mitgebrachtes kleines Zelt auf und nimmt in demselben Platz oder verbirgt sich in Ermangelung desselben in einem engen Tale, einer Grube, hinter einem Busch. Seine Begleiter aber begeben sich, ebenfalls in festlicher Weise eingeholt, in den Aul, verteilen hier kleine Geschenke, Ringe, Halsbänder, kleine Stücke Zeug, Süßigkeiten und Leckereien, indem sie dieselben ausstreuen an die sich herandrängelnden Frauen und Kinder, bessere und wertvollere für die Mutter der Braut bewahrend. Ein fröhliches Gewimmel entsteht, weil jede Frau, jedes Kind etwas von den Geschenken zu erlangen sucht. Man streitet sich um letztere, reißt das Zeug in kleinere Stücke, balgt sich lachend um einen Ring, ein Halsband und ähnliche Dinge umher.

 

[Postkarte]

Auf dem Ob, nahe der Mündung des Irtisch, am 5. Juli 1876

Mein herzallerliebstes Weiberl!

Von Tomsk Dir noch eine Karte zu schreiben, wie ich gewollt, war unmöglich, weil wir unmittelbar, nachdem ich geschrieben, die Nachricht erhielten, daß das Dampfschiff, mit welchem wir bis zur Irtischmündung reisen wollten, schon in derselben Nacht abgehe. Da nun dasselbe wohl auch schneller nach Tjumen kommt als die Post, beschloß ich, Dir erst hier zu schreiben. In wenigen Stunden werden wir an unserem vorläufigen Ziele sein, das heißt, das Dampfschiff verlassen und nun sehen, wie wir weiterkommen. Habe ich Gelegenheit, Dir eine Mitteilung zugehen zu lassen, so erhältst Du noch Nachricht. Einstweilen kann ich Dir nur so viel sagen, daß der Ob der langweiligste aller Flüsse ist und ich unsere unsinnige Eile im Süden unseres Reisegebietes nun um so mehr bedauere.

Infolge eines von Bremen ausgesprochenen Wunsches habe ich zunächst einen Artikel geschrieben und werde noch mehr schreiben, sosehr ich auch noch mit dem Tagebuche im Rückstand bin. Von diesem geht Dir ein Teil der Kirgisen zu; das Ende folgt so bald als möglich nach. Dann aber habe ich noch die ganze Beschreibung des Altai und seines Bergbaues umzuschreiben, gewiß anderweitige zehn Bögen: Du siehst also, daß ich genug zu tun habe.

Deinen nächsten Brief sende an Seine Exzellenz den Gouverneur von Tobolsk, in dessen Provinz wir uns jetzt befinden: Er wird sie mir sicher eher zusenden, als ich sie durch Knaup erhalte. Denn seit dem 6. Mai bin ich wiederum ohne Nachricht. {...} Gesund und wohl bin ich glücklicherweise, und so darf ich hoffen, daß auch dieser letzte, unzweifelhaft am wenigsten interessante Teil der Reise glücklich überstanden werden wird: Dann geht es heimwärts, und die Trennung hat ein Ende.

Viele tausend Grüße, mein Herzenslieb, den Kindern und Dir, Dir die herzlichsten Küsse

von Deinem getreuen Alten.

 


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