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Tagebuch 7

Semipalatinsk am 30. April

Wir verließen Omsk am 24. April gegen Abend und zogen auf der Kosakenlinie unseres Weges durch die Fortsetzung der Kirgisensteppe, welche vom rechten Ufer des Irtisch aus bis weit nach Osten sich erstreckt, in dieser Gegend, das heißt am Ufer des Stromes, jedoch keinen besonderen Namen führt. Die gedachte Kosakenlinie, ursprünglich als Schutzwall gegen die noch nicht vollständig unterworfenen Kirgisen errichtet, hat gegenwärtig ihre Bedeutung fast gänzlich verloren und dient eigentlich nur noch als Etappenstraße für zwischen Omsk und Semipalatinsk sich bewegende Truppen, ist jedoch nach wie vor militärisch eingerichtet. In Entfernungen von 15 bis 30 Werst, selten mehr, noch seltener weniger, gründete man auf Stellen des Stromufers, welche Landbau und Viehzucht in gleicher Weise zu begünstigen schienen, Dörfer und Weiler und belegte dieselben mit donischen Kosaken, welche zwar nicht im regelmäßigen Dienste standen, doch jederzeit gerüstet sein mußten, feindlichen Einfällen der Kirgisen entgegenzutreten. Diesen war es untersagt, der Kosakenlinie weiter als bis auf zehn Werst sich zu nähern; bis gegen Ende der vierziger Jahre aber währte es, bevor es gelang, die Kirgisen vollständig zu beruhigen, und erst als dieselben erkannten, daß sie unter russischer Herrschaft den sichersten Schutz gegen ihre eigenen Stammesgenossen fänden, leisteten sie willig den Eid der Treue, und jene Schutzwehr wurde unnütz für den Krieg, nicht aber auch für den friedlichen Verkehr der Reisenden.

 

Kosaken

Alle von Kosaken bewohnten Dörfer nämlich zeichnen sich sehr zu ihrem Vorteil aus: Sie bestehen nur aus niederen Blockhäusern; diese aber stehen regelmäßig längs der geraden, breiten Straßen, von denen das Dorf meist mehrere besitzt, ihre Dächer sind durchschnittlich gut im Stande gehalten, die geflochtenen Zäune sauber und nett, die Strohdächer über den Ställen nicht liederlich, Planken, Tore, Türen und Fenster ebenfalls in Ordnung, auch stets innen durch grüne Pflanzen geschmückt; die Zimmer reinlich, die Wände umrankt von Efeu und anderen Schlingpflanzen, nur die Bilder an ihnen noch ebenso erbärmliche Machwerke wie überall; das große Himmelbett sauber und rein, mit bunten Vorhängen, die Tische mit reinen Decken, die Bänke mit Teppichen, die Dielen mit Filzdecken belegt; kurz, alles ordentlich, rein, sauber, blank und nett. Mehrere Stationszimmer waren hübsch tapeziert, alle wenigstens rein geweißt, Schaben seltene Erscheinungen, obschon fast überall einzeln vorhanden. Zu diesen Zuständen trägt allerdings der Umstand wesentlich bei, daß die Ansiedelungen der Kosaken befreit sind und von jeher befreit waren von der gezwungenen Ansiedelung jener Taugenichtse, welche gegenwärtig den Gouvernements von Tobolsk und Tomsk zum Fluche geworden sind. Die Kosaken haben sich daher, von einigen Vermischungen mit Kirgisinnen und Russinnen benachbarter Dörfer abgesehen, rein erhalten, ein Umstand, welcher selbst beim flüchtigen Durchwandern oder Durchfahren der Dörfer auffällt, weil man sonst nirgends so viel schöne und hübsche Männer und Frauen findet als hier.

Die Kosaken, noch heutigen Tages nach Art ihrer Väter bewaffnet, nur mit verbesserten Feuergewehren ausgerüstet, erhalten, solang sie nicht im Dienst der Regierung stehen, nicht nur keinen Sold, sondern müssen auch Pferde und Kleidung aus eigenen Mitteln bestreiten. Erst wenn sie in Dienst treten, bekommen sie Löhnung gleich den übrigen Soldaten, obschon nach einer etwas anderen Berechnung. Dafür aber sind sie vollständig steuerfrei, solange sie nicht mehr als 30 Hektar Land bewirtschaften, und zwar etwa 15 Hektar gutes Ackerland und ebensoviel Steppenboden. Diese Maße gelten aber für jede männliche Seele der Ortschaft, und es begreift sich daher, daß die Leute in guten Verhältnissen leben und reich oder doch wohlhabend sein würden, täten die Heuschrecken den Feldern und gefährliche Viehseuchen den Herden nicht empfindlichen Schaden. Durch die erstgenannte Plage kommen die Leute zuweilen der Hungersnot nahe, und wenn sich die Heimsuchung mehrmals nacheinander wiederholt, geschieht es, so wie dies gegenwärtig der Fall war, daß man kein Schwein halten kann, weil man sich scheut, das zu deren Nahrung erforderliche Getreide den Menschen zu entziehen. Böse Nachwinter bringen den Viehstand oft sehr herunter, und dann leicht sich einstellende Seuchen hausen in geradezu verheerender Weise unter den Tieren, so daß die Kosaken trotz der ihnen gewährleisteten und der von ihnen als große Bevorzugung betrachteten Steuerfreiheit nicht reicher, vielmehr eher ärmer sind als die ärmsten übrigen Bauern Sibiriens. Wie in den übrigen Dörfern des Landes baut man Weizen, Sommer- und Winterroggen, Gerste, Hafer, Hirse und – aber nur da, wo die meist in der Niederung des Strombetts gelegenen Felder die nötige Feuchtigkeit bewahren – Kartoffeln an, wogegen man in der Steppe einzelne Stellen oder Strecken, welche dazu sich eignen, als Heuschläge benutzt und nicht beweiden läßt. Außerdem betreibt man eine nicht unergiebige Fischerei, jedoch ohne Ordnung und Regel, und im Winter, mehr zum Vergnügen als zum Gewinn, Jagd auf Wölfe, Füchse und anderes Wild, kaum aber ein Handwerk, es sei denn das allernotwendigste.

Jedes Kosakendorf steht unter einem Ataman, welcher ein Unteroffizier, Feldwebel oder Offizier sein kann, je nach der Bedeutung und Größe des Dorfes. Der Ataman übt zugleich die Polizei aus und besorgt die Geschäfte der Gemeinde, soweit die Beziehungen derselben nach außen solche notwendig macht. Er ist die erste Person des kleinen Dorfes und nur seinem Vorgesetzten verantwortlich. Zwischen je drei bis vier Dörfern liegt ein Kirchdorf, in welchem der von der Krone bezahlte, von der Gemeinde aber mit Wohnung, Holz und dergleichen bedachte Pastor wohnt, im Kirchdorfe befindet sich auch regelmäßig eine von der Gemeinde unterhaltene Schule; in einzelnen Kirchdörfern gibt es sogar Knaben- und Mädchenschulen. Jeder Knabe ist von seiner Geburt an für den Dienst bestimmt und wird, sobald er ein gewisses Alter erreicht hat, im Reiten und später im Gebrauch der Waffen geübt, zunächst von älteren Kosaken des Dorfes, von denen einzelne alljährlich nach Omsk berufen werden, um dort das für einen gemeinsamen Dienst Erforderliche zu erlernen. Der junge Kosak verheiratet sich dann später und treibt es wie seine Vorfahren. Seine Frau wählt er ebensowohl aus benachbarten Bauerndörfern, die im Laufe der Jahre zwischen den ursprünglich angelegten Dörfern oder Posten entstanden, wie unter seinen Stammesgenossen; auch kommt es vor, daß einer eine Kirgisin heiratet und diese zum Übertritt veranlaßt, wogegen der umgekehrte Fall, daß ein Kirgise mit einer Russin sich verehelicht, nicht vorkommen soll, vielleicht nur deshalb, weil es jedem Russen verboten ist, seinen Glauben zu wechseln. Ob es diesem Umstand zuzuschreiben, daß es in den Dörfern mehr Frauen als Männer geben soll, lasse ich unentschieden.

Die Felder liegen hier, da der Boden keineswegs überall fruchtbar ist, weit zerstreut um die Dörfer; falls die Niederung des Stromtales es gestattet, allerdings zumeist in dieser, falls dieselbe regelmäßigen Überschwemmungen ausgesetzt ist, zwischen 8 bis 60 Werst vom Dorfe entfernt in der Steppe, da der russische Bauer sich, soviel als immer möglich, an die Schwarzerde bindet. Da nur wenig Regen fällt und die Trockenheit während des Sommers oft sehr groß ist, düngt man nie, ist vielmehr der Meinung, daß der Dünger der Fruchtbarkeit schade, nämlich das Getreide verbrenne.

Während des Winters ist der Verkehr oft tagelang unterbrochen. Überaus wütende Schneestürme, Bura genannt, wüten in der Steppe und bannen die Bevölkerung in die Zimmer, mindestens in den Hof. Überfallen sie einen Wanderer in der Steppe, so führen sie in neunzig Fällen von hundert dessen Untergang herbei. Heftige Stürme toben auch während des Sommers und gestalten sich dann oft zu Orkanen, welche anstatt des Schnees Staub in geradezu unerträglicher Weise durch die Luft jagen und den Himmel buchstäblich verfinstern. Von der Häufigkeit dieser durch nichts gehemmten Winde konnten wir uns selbst überzeugen, da wir einen ganzen Tag unter einem Westwinde zu leiden hatten, welcher den bereits vom Eis befreiten Irtisch und das von ihm überschwemmte Land zu einem schäumenden See umwandelte, dessen Wellen über meterhoch waren, rauschend am Ufer brandeten und Gischt und Sprühregen weit ins Land hereintrieben. Nach Versicherung der von mir befragten Leute sind solche Stürme hier häufig und währen gewöhnlich volle 24 Stunden. Die aus Nordwesten kommenden sind am meisten gefürchtet. Gleichwohl ist der Gesundheitszustand ein verhältnismäßig günstiger. Die üblichen Brust- und Kehlkopfkrankheiten, überhaupt Krankheiten der Atmungswege, bleiben allerdings ebensowenig erspart wie Rheumatismen hartnäckigster Art, und als eingeschleppte Krankheiten herrschen Pocken und Syphilis kaum weniger denn in Omsk. Die Leute sehen aber kräftig aus, sind wohlgewachsen, ihre, Gesichter haben ein ebenso frisches Aussehen wie eine angenehme Bildung, und der Arzt ist im Dorfe ein seltener Gast. Nicht einmal gelernte Hebammen gibt es: Eine Frau steht der anderen bei in der schweren Stunde, und diese Frauen sehen nicht danach aus, als ob ihnen die Vermehrung ihres Familienstandes große Sorgen bereiten könnte. Ebenso schön gebaut, mit ebenso hübschen Gesichtern begabt wie ihre Männer, fallen sie als recht angenehme Erscheinungen wohlgefällig ins Auge und werden durch die großen Tugenden der Reinlichkeit und Ordnungsliebe, welche sie allgemein bekunden, nur noch gefälliger. Trifft man wirklich einmal eine breite Stülpnase an, so darf man sicher sein, daß sich das Kosakenblut nicht rein in ihr zeigt oder erhalten hat; denn im entgegengesetzten Fall vermag sie dreist mit jeder deutschen Bauersfrau zu wetteifern. Dunkles Haar und wunderschöne braune Augen sind gemeinschaftliches Erbteil dieser Damen, welche auch in ihrem Wesen viel Gewinnendes haben, gewissermaßen auch ihrerseits den Soldatengeist ihrer Männer widerspiegeln.

 

Längs des Irtisch

Das Gepräge der von uns durchzogenen Steppe ist zwar im allgemeinen ein sehr gleichmäßiges und etwas einförmig, aber doch so fesselnd, daß ich die Eile unserer Reise immer und immer wieder bedauerte und nur durch die Hoffnung, noch viel mehr von diesem anziehenden Gebiete zu sehen, mich tröstete.

Zwischen Omsk und Semipalatinsk durchfließt der Irtisch eine fast vollständige Ebene, welche sich an vielen Stellen nur wenig über sein eigentliches Strombett erhebt, an anderen durch aufgeworfene Dünenwälle von ihm getrennt ist. Diese Dünen können sich unter Umständen ziemlich weit in das Land fortsetzen, erstrecken sich jedoch in der Regel nur bis auf einige hundert Schritt vom Ufer. Bloß an wenigen Stellen, während unserer ganzen Reise nur einmal, und dies schon in der Nähe von Semipalatinsk, tritt anstehendes Gestein, und zwar reiner Quarz, zutage, im übrigen ist die ganze Ebene entschieden Schwemmland, in welchem sich nach Belieben der Strom sein Bett gräbt, welches er daher alljährlich auch merklich verändert, Dörfer gefährdend und die Leute zwingend, tiefer im Lande sich anzubauen. Folge davon ist, daß der Strom in der Regel mehr als einen Wasserlauf, wenigstens in jetziger Zeit, anfüllt, an allen tiefen Stellen bis weit in das Land eindringt, mehr oder minder große Becken zu Teichen und Seen umwandelt und in dem sehr breiten Stromtale selbst unzählige Inseln bildet, welche bei der Hochflut ebenfalls überschwemmt werden und daher nur zur Erzeugung der hier vielgesuchten Weidenschößlinge oder als Viehweiden dienen, nicht aber zum Feldbau verwendet werden können. Ebenso hilft auch das Regenwasser mit, die Flußbetten zu gestalten: Man umfährt viel tief eingerissene Schluchten, welche fortwährend sich verändern und vergrößern; die natürlichen Abflüsse des Regenwassers aus der Steppe, welche auf dem ganzen langen Weg von Omsk bis Semipalatinsk dem Strome keinen einzigen Fluß am rechten Ufer zuführt. Auch hinter den hohen Dünenwällen, welche hier und da mindestens dreißig Meter über dem Strom Spiegel sich erheben^ senkt sich das Land in unzählbaren Vertiefungen, langgestreckte breite Gräben oder weite Seen bildend, bis fast oder ganz zum Stromspiegel hin, und es entstehen dann Wasserbecken mit sumpfiger Umgebung voll salzigen oder brachigen Wassers, die, wenn ihr Zuflußgebiet ein größeres ist, Tummelplätze für Tausende von Wasser- und Sumpfvögeln abgeben. Die Seen bilden einen wahren Schmuck auch dieser Landschaft. {...} In der Nähe aller Wasserbecken überhaupt hat sich das pflanzliche Leben am besten erhalten; daher bemerkt man in ihrer Umgebung dann auch zuweilen, immer aber in weiten Abständen und nur wenig ausgedehnt, ein Birkenwäldchen, zumeist nur aus Gestrüpp und niederen Büschen bestehend, weil hier in der waldarmen Gegend, auch abgesehen von stets vorhandenen Steppenbränden, jeder höhere Baum in der Nähe der Ansiedlungen früher oder später dem Beile verfällt, der Mensch es also gegenwärtig gar nicht mehr zum Wald kommen läßt. Wälder, aber auch nur höchst dürftig bestandene, in denen jeder Baum weit vom andern getrennt ist und zwischen einzelnen höheren nur niedere Kiefern, hier und da vielleicht auch einzelne Espen sich finden, haben wir nur am südlichen Teile unseres Weges, und zwar auf den weiter ins Land sich erstreckenden Dünen, bemerkt: Mit den Waldungen Rußlands aber haben diese kaum noch Ähnlichkeit; denn das Gepräge der Steppe drückt sich auch in ihnen aus. {...} In der Nähe von Omsk und in der Mitte des Weges kann man übrigens Meilen durchreisen, ohne einen Baum zu sehen; hier tritt die Steppe in ihrer ganzen Eigentümlichkeit vors Auge: Eine unabsehbare, nur hier und da sanft wellige Ebene bietet sich dem Blick, je nach der Beschaffenheit des Bodens dichter oder spärlicher bestanden mit verschiedenen Gräsern und anderen Pflanzen, welche ich einstweilen noch nicht zu nennen weiß. Überall da, wo der Boden aus Schwarzerde besteht, ist der Wuchs dieser Pflanzen ein verhältnismäßig üppiger; das eigentliche Gras tritt zurück, und die Spirea ulnaria [das Echte Mädesüß], russisch Lapasnik genannt, überwuchert alle übrigen Gewächse, stellenweise dichte Horste oder auf weithin eine geschlossene Pflanzendecke bildend. Hier muß alljährlich im Frühling das Feuer helfen, um dem Steppenvieh Weide zu verschaffen; aber die Pflanze vereitelt oft genug die Absicht des Herdenbesitzers und wuchert auf dem mit ihrer eigenen Asche gedüngten Boden bald um so kräftiger, drängt sich sogar bis ins Innere der Dörfer und Städte (Omsk) ein und bildet überall das hartnäckigste Unkraut. Da, wo die Schwarzerde verschwindet, bemerkt man sie nur noch spärlich, bis sie im Sandboden gänzlich die Bedingungen zum Gedeihen verliert. Hier deckt zunächst ein anderes, niemals der mähenden Sichel standhaltendes, weil zu kurzes, dichtbuschiges Gras (welches ganz ähnlich auch bei uns auf sandigen Stellen wächst) in einzelnen voneinander getrennten Büschen den Boden, allem Vieh willkommene Weide bietend; dazwischen steht überall ein würziges Kraut, unserer Schafgarbe vergleichbar, und hier und da schmückt eine dem Boden dicht angeschmiegte große blaue Blume (wohl eine Anemone) und ebenso eine kleinere gelbe die Steppe, während alle Kämme der sandigen Wälle mit einem, unserem Dünenhafer vergleichbaren, langhalmigen Grase bestanden sind. Ein anderes, höhere Halme bildendes Gras steht ebenso spärlich dazwischen, immer jedoch noch dicht genug, um die Steppe hier und da wie ein Stoppelfeld erscheinen zu lassen. In der Nähe der beständig oder doch während des größten Teils des Jahres Wasser haltenden Becken geht die Flora allmählich in die des Sumpfes über, und neben dem Steppengras erhebt sich das Rohr in dicht geschlossenen Beständen in jetziger Zeit auf weithin sichtbar goldgelb schimmernd und der so einförmigen Gegend zu wahrem Schmucke gereichend. Weite Ebenen sind bedeckt mit einem eigentümlichen Gestrüpp, welches dichte Büsche und förmliche Dickichte bildet, dem vernichtenden Feuer erfolgreich widersteht, niemals mehr als 1,5 Meter, gewöhnlich nur 30 bis 50 Zentimeter Höhe erreicht und jetzt zwar blütenlos ist, durch die dunkelrote Färbung der zahllosen Stämmchen aber sehr hervorsticht. In der jetzigen Jahreszeit trug diese immerhin nicht arme Pflanzenwelt das einförmige Kleid des Winters: Strohgelb und Braungrau, und schüchtern nur wagte das junge Grün sich hervor, doch verlieh es bereits hier und da der Ebene einen grünlichen Schimmer; ja einzelne der vom Feuer vernichteten Stellen trugen das Kleid des Frühlings und prangten schon jetzt in saftigem Grün. {...}

 

Tiere der Steppe

Von der Tierwelt des von. uns durchzogenen Gebietes haben wir wenig gesehen. Als Charaktervögel müssen gelten: der Rotfußfalk und der Rötelfalk, treue Genossen fast überall, meist gemeinschaftlich jagend und einer wie der andere fast genau in derselben Weise sich benehmend. Wo nur immer Ruheplätze für diese reizenden Geschöpfe vorhanden, wo es eine Telefonleitung gibt, wo der Weg für die Winterszeit durch Pfähle, kegelförmige, mit Erde ausgefüllte Körbe oder eingerammte Stangen mit zwei bis drei in gewisser Weise verschnittenen Zweigen angemerkt wurde, fehlen sie gewiß nicht. {...} Nicht selten sieht man ihrer zehn, beide Arten gemischt, zu gleicher Zeit über der Steppe schweben oder einen nach dem anderen erscheinen, gleichsam sich ablösend, um, wie schon von allen vorhergehenden geschehen, das Gebiet nochmals zu untersuchen. {...} Ich habe ihnen stundenlang mit Vergnügen zugesehen, das Gewehr auf sie gerichtet, um zu erproben, daß sie sich wirklich auf einer und derselben Stelle hielten, und sie dann unbehelligt ziehen lassen, weil mich ihr ganzes Gebaren im höchsten Grade anmutete.

Ein zweiter Charaktervogel der Steppe ist die sibirische Lerche, jetzt noch zu großen Flügen geschart, vermutlich erst vor kurzem hier angekommen, welche in Gemeinschaft mit der viel seltneren deutschen Verwandten, und nach Angabe der beobachtenden Jäger aus Omsk und des Grafen Waldburg sowie Finschs, der Mohrenlerche oder tatarischen Art, die Steppe bewohnt: Ich selbst habe die letztere noch nicht mit Bestimmtheit zu unterscheiden vermocht. Gang, Flug, Wesen und Betragen scheinen in allem Wesentlichen mit der deutschen Art übereinzustimmen; nur der Lockton ist ein verschiedener und der Gesang wahrscheinlich auch: Beide genau zu hören, habe ich noch nicht Gelegenheit gehabt. Im Flug zeichnen sich die weißen Flügelfedern scharf gegen den Himmel ab, wenn dieser aber lichtgrau ist, verschwinden diese Federn oft gänzlich dem Blick. Wie es scheint, hat sie die Gewohnheit, oft lange Zeit vor dem dahineilenden Wagen herzufliegen und sich immer und immer wieder auftreiben zu lassen, nicht aber vom Wege zu weichen: So taten wenigstens die meisten, welche von uns am Wege getroffen wurden.

Minder häufig als die genannten ist der Wiesenweih, Circus cineraceus, welcher, nach Art seines Geschlechtes, schwankenden Fluges dahinziehend oder gleitend allüberall beobachtet wird, jedoch nur in seltenen Fällen sich nahe kommen läßt, vielmehr mit gewohnter Hast weitereilt.

Die Nebelkrähe ist auch hier allerorten zu finden; die Dohle belebt die Wege oft weit von den Dörfern entfernt; außerdem sieht man einige Rennvögel. Da, wo das Gras dichter steht, schreitet vorsichtig wie immer der große Trappe zu zweien, zu dreien und mehreren durch den Halmenwald; fast dieselben Örtlichkeiten bewohnt auch der Zwergtrappe, ein wirklich reizender Vogel, der im Fliegen bis auf den dunklen Kopf und Hals blendendweiß erscheint und sich durch seinen stetigen, in gerader Linie sich bewegenden, nur durch sehr kurze und schwache Flügelschläge unterhaltenen, daher fast schwirrenden Flug sehr wesentlich von der größeren Art unterscheidet. Dann und wann, in der Regel in der Nähe der Viehherden, bemerkt man auch den Steppenkiebitz, Charadrius gregarius, einen, wie es scheint, selbst hier seltenen Vogel. Rechnet man hierzu noch den Gemeinen Steinschmätzer, welcher einzeln überall lebt und seinen weißköpfigen Verwandten, welcher zweimal, und zwar im dünnbestandenen Kiefernwalde, beobachtet wurde, so habe ich die von uns in jetziger Zeit in der trockenen Steppe bemerkten Vögel aufgezählt.

Ein ganz anderes Leben regt sich an den Ufern des Irtisch, seinen Armen, Altwässern und den unzähligen Wasserbecken, welche von ihm ausgefüllt werden, sowie an den nicht mit ihm in Verbindung stehenden Steppenseen. Was dem Nil der Schmarotzermilan, ist hier der Schwarze, ein überall häufiger, vom Fluß aus jedes Dorf besuchender, die wenigen Fischer genau beobachtender Raubvogel, obgleich er selbstverständlich immerhin viel seltener auftritt als sein Verwandter. Sehr häufig ist auch der Fischadler, welcher sich die Spitzen der Telegrafenstangen zu seinen regelmäßigen Ruhesitzen ausersehen hat und hier, oft nur mit Mühe im Gleichgewichte sich haltend, in sehr waagerechter Haltung halbe Stunden lang verweilt. Nicht allzu selten bemerkt man ferner einen Seeadler; nur einmal dagegen sah ich einen Schreiadler über einem Bruche dahinschweben. Zum Wiesenweih gesellt sich hier überall der Rohrweih, stellenweise noch häufiger auftretend als jener, auch nicht immer einzig und allein auf Sumpf und Bruch sich beschränkend. Im Weidengebüsch am Ufer des Stromes wurde der Sperber zweimal von mir gesehen, nahe am Ufer auch ein Wanderfalk beobachtet. Auf fast trockenen, aber grünenden Grasflächen trieb sich ein Flug der prachtvollen Motacilla citreola [Zitronenstelze] umher, neben der gemeinen Bachstelze die einzige ihres Geschlechts, welche wir bis jetzt sahen. Am Rande der Seen sowie am Fluß sahen wir wiederholt verschiedene Uferläufer, Limosen, den großen und mittleren Brachvogel; in dem hier und da sehr dichten, bis Zimmerhöhe erreichenden Gebüsch der wilden Stachelbeeren Emberiza schoeniclus [Rohrammer], neben dem seltener gewordenen Goldammer und dem noch in der Winterherberge verweilenden Emberiza lapponica [Spornammer] der einzige seiner Gattung. Die kleinen Birkwäldchen in der Nähe von Omsk und weiter südlich wurden von Schneehühnern bewohnt, Birkhühner, obgleich vorkommend, dagegen nicht gesehen. Im Kiefernwald gaben viele Spechtlöcher Kunde vom Vorhandensein eines Buntspechtes, von welcher Art konnte noch nicht ermittelt werden; einer wurde auch gesehen. Singdrosseln belegen einzeln die Gebüsche und Wälder; andere Arten scheinen jetzt hier nicht zu leben. Von Piepern glaube ich Anthus pratensis und arboreus [Wiesen- und Baumpieper] unterschieden zu haben; in der trocknen Steppe wurde auch einzeln der Brachpieper, Anthus campestris, bemerkt. Der Kiebitz ist, wie zu erwarten, gemein; von Finsch wurde auch ein Austernfischer gesehen. Geradezu zahllos ist die Menge der Schwimmvögel, namentlich der Enten, welche den Strom wie sein Altwasser, die Buchten wie alle Seen und Wassergräben, die kleinsten Tümpel wie die größten Wasserflächen bevölkern. Wir sehen täglich Cygnus musicus, den Singschwan, einzeln, paarweise und in Gesellschaften von zehn, elf bis zwanzig; viele Gänse, welche wir nicht zu bestimmen mochten, mehrmals die Fuchsente, Anas rutila, Brandenten, Anas tadorna, und fanden ungemein häufig so ziemlich alle binnenländischen Enten und Schwimmvögel überhaupt. Als Seltenheiten sind noch zu erwähnen: Lanius excubitor und minor [Grauwürger und Schwarzstirnwürger]. Auch der Kranich war keineswegs häufig, und der Reiher wurde noch gar nicht gesehen.

Über die Säugetiere der Steppe erfuhr ich durch Nachfragen das Folgende: Der Wolf ist überall vorhanden und tritt zuweilen sehr häufig auf, tut dann auch vielen Schaden und geht, wenn er rudelweise zieht, nicht einmal dem Menschen immer aus dem Wege. Im Winter umschwärmen sie die Dörfer, dringen nicht allzu selten in diese ein und fordern zu ernster Abwehr heraus. Im Sommer halten sie sich nicht allein den Ansiedelungen, sondern meist auch den Herden fern, bleiben in ihrer Steppe, woselbst sie einfach Löcher, selbstgegrabene Mulden im Gebüsch, dichtem Gras oder Geröhricht, bewohnen und in ihnen auch Wölfen. Sie jagen auf allerlei Wild, vom Hasen an bis zur Maus herab, oder teilen mit Seeadler und Milan das oft in reichlicher Menge vorhandene Aas. Man jagt sie nur im Winter, und zwar ausschließlich mit dem Knüppel zu Pferde beim ersten Schnee. Vor dem auf ihn ansprengenden Reiter nimmt jeder einzeln gehende Wolf die Flucht und sucht sich so schnell als möglich in Sicherheit zu bringen. Nach einer Hetzjagd von 20 bis 30 Werst, je nachdem der Schnee mehr oder weniger ermüdet, ist er matt geworden und stellt sich jetzt dem Gegner, versuchend, dem Pferde an die Kehle zu springen oder es doch in die Flucht zu schrecken. Nicht alle Pferde halten diese Probe aus; einzelne aber nehmen ersichtlich Anteil an solcher Jagd, zeigen sich wenigstens sehr mutig. Der Knüppel ist eine über zwei Meter lange Stange aus Birkenholz mit einem Wurzelknollen an einem Ende, also eine langgestielte Keule, welche mit solcher Wucht auf das Haupt des Wolfes geschmettert wird, daß sie nicht bloß dieses, sondern auch ein Stierhaupt mit dem ersten Schlage zertrümmern würde. Der Preis der Jagd ist das Fell, hier 2 bis 3 Rubel. In dem kleinen Dorfe, in welchem ich diese Erkundigungen einzog, erlegte man jährlich etwa 20 Stück in der angegebenen Weise. Der Korsak kommt überall vor, lebt in selbstgegrabenen Höhlen, frißt Mäuse, Vögel, Eier usw. und wird mit Eisen gefangen, welche man vor seinem Bau aufstellt, oder ausgegraben. Sonst jagt man nur noch auf die verschiedenen Marder, unter denen der Iltis der häufigste ist, und auf die in der Steppe überall und trotz der Wölfe nicht selten vorkommenden Hasen.

Der Pferdespringer, Surtetes jaculus, hier Tarabagans genannt, oder eine andere Springmaus, findet sich überall in der Steppe und hat gegenwärtig seine Winter höhlen bereits geöffnet. (Auch ich fand mehrere wohl von ihm herrührende Löcher.) Man sieht ihn nach Sonnenuntergang einzeln, zu zweien und mehr. Er frißt allerlei Kraut und Gewurzel, nach Angabe meines Erzählers, welcher davon Augenzeuge gewesen sein will, aber auch kleinere Mäuse, welche er sich selbst fängt. Der Rosenstar, hier Kameniskwarats geheißen, ist, auch wenn es viel Heuschrecken gibt, in dieser Gegend der Steppe eine seltene Erscheinung; seine Rolle übernehmen die Saatkrähe und die Dohle, unterstützt durch die Nebelkrähe. Die Dohlen füttern hauptsächlich mit diesem Kerbtiere ihre Jungen auf.

Haustiere der Kosaken und Kirgisen, welche auf dem rechten Ufer des Stromes leben, sind das Pferd, welches man überall in ziemlich zahlreichen Trupps weiden sieht, das Rind, und zwar ein nicht besonders großer, aber wohlgebauter Schlag, die Ziege, ein kurzgehörntes, kräftiges oder stämmiges, langhaariges Tier, das Fettschwanzschaf und einzeln das Trampeltier. Schweine werden von den mohammedanischen Kirgisen selbstverständlich nicht, aber auch von den Kosaken höchstens in einzelnen Stücken gehalten, weil es, wie man mir sagte, doch zu sehr an Getreide fehlt oder nicht genug davon gebaut wird, um die gefräßigen Borstenträger zu ernähren. Das Trampeltier wird weniger als Last- denn als Zugtier benutzt und mittels eines sehr eigentümlichen und sehr roh hergestellten Kummets vor den Wagen gespannt. Dieses Kummet, strenggenommen ein Sattel, liegt dem Tiere auf dem unteren Teil des Halses, also im Nacken, besteht aus zwei dicken, kurzen Brettern, unter welche Filzkissen gelegt werden, und wird durch Stricke, welche durch die Achselhöhlen laufen, auf dem Halse befestigt. Von ihm aus führen die Zugleinen nach dem Zugscheit. Das Tier geht in einer Gabeldeichsel und wird wie die Pferde genötigt, auch im Trabe zu laufen. Wie es scheint, bedienen sich nur die Kirgisen, nicht aber die Kosaken des Tieres. Die Stücke, welche wir sahen, schienen sehr gutmütiger Art zu sein; ihr Schreien mindestens erinnerte in keiner Weise an das wutschnaubende Gebrüll der Dromedare, sondern bestand, wenn auch in sehr unwilligen, so doch verhältnismäßig sanften Tönen oder Lauten.

Alles Vieh bleibt Sommer und Winter auf der Steppe, wird wenigstens nur solange es jung ist in den Stall geführt. Zum Schutz gegen Schneesturm haben übrigens auch die Kirgisen, welche die Jurte bereits mit Winterhütten vertauscht haben, überdeckte, jedoch offene Stallungen errichtet.

Zum Fischfang bedient man sich leichter, regelmäßig aus einem Baumstamm, und zwar einer Pappel, gefertigter Boote. Ein vom Grafen gemessenes Boot dieser Art war 9 Meter lang und an der breitesten Stelle 1,5 Meter breit. Man fängt alle im Irtisch vorkommenden Fische, versteht aber nicht, Kaviar zu bereiten, auch wohl nicht, die Fische einzusalzen.

 

Fahrt nach Semipalatinsk

Wir legten am 24. April nur noch 50 Werst zurück.

Auf der ersten Station empfing uns ein Offizier der Kosaken, um uns mitzuteilen, daß von hier aus stets ein Unteroffizier zu unserer Bequemlichkeit vorausgehen würde. Am 25. April feierte man das Totenfest, weshalb in allen Dörfern viele Leute auf den Kirchhöfen, die übrigen im Sonntagsstaat im Dorfe vor den Häusern standen oder auch »spazieren saßen«. Im Kirchdorfe Peschinskaja empfingen wir bei einer Majorin der Kosaken gastliche Aufnahme, ohne daß die Gastgeberin sich sehen ließ. Im Städtchen Pawlodar begrüßte uns der Isbrawnik, in allen übrigen Dörfern der Vorstand derselben.

 

[Postkarte]

Pawlodar, etwa in der Mitte zwischen Omsk und Semipalatinsk, 27/IV 76

Mein teuerstes Weiberl!

Der Ort, an welchem wir uns eben befinden, ist die einzige, sogenannte Stadt zwischen Omsk und Semipalatinsk und liegt mitten in der Kirgisischen Steppe, deren Jurten hart vor den Toren zu sehen sind.

Der Wind hielt gestern den ganzen Tag mit seltener Heftigkeit an und zwang uns, früher Nachtherberge zu nehmen, als wir sonst wohl getan hätten. Heute scheint zwar die Sonne vom Himmel; es ist aber bitter kalt.

Damit hätte ich Dir alles gesagt, was ich Dir sagen könnte; denn die Reise selbst bietet eben gar nichts, so gleichförmig ist alles, da wir nicht vom Wege herunterkommen. In Semipalatinsk hoffe ich nun endlich Briefe von Dir vorzufinden; seit dem Tage unserer Abreise aus Petersburg haben wir keine Nachricht erhalten.

Mit vielen tausend Grüßen und Küssen

Dein getreuer Alter.

 

So gelangten wir unter stetem Geleite der Kosaken nach Semipalatinsk.

Der Weg war durchschnittlich gut, an den meisten Stellen ausgezeichnet, hier und da des jetzt sehr hohen Wasserstandes und der teilweise überschwemmten Niederungen halber nicht zu befahren. Vor einer Station erwarteten uns die Pferde im Freien, weil ein orkanartiger Sturm die das Dorf umgebenden Gewässer so aufgewühlt hatte, daß der Weg nicht befahren werden konnte. Auch weiterhin mußten wir oft große Umwege machen, um im Trockenen zur Station zu gelangen. Einer unserer Wagen wurde beim Versuche, ihn aus dem Schlamm zu ziehen, umgeworfen, glücklicherweise, ohne Schaden zu verursachen. Am Morgen war es regelmäßig bitter kalt, und alle Wasserlachen pflegten früh mit mehr als vier Millimeter dickem Eise belegt zu sein. Unsere Pferde waren fast immer gut, meist etwas zu feurig, und das Abfahren geschah nie anders als im vollsten Galopp. Bis dahin mußten die Tiere von einem oder zwei Männern gehalten werden, welche rasch zur Seite sprangen, wenn sich der Wagen in Bewegung setzte. Die meisten schienen noch wenig eingefahren, einzelne noch halb wild zu sein. Schießen vom Wagen aus konnten sie nicht vertragen: Als ich auf einen Trappen schoß, gingen sie sofort durch und warfen den Wagen um. Ich blieb natürlich sitzen und kroch, als der Wagen hielt, ruhig heraus. »Nitschewo« – es schadet nichts –, sagte der russische Kutscher.

Schon am dritten Tage nach unserer Abreise beziehentlich nach zweistündlicher Fahrt sahen wir die ersten Jurten der Kirgisen in der unmittelbaren Nähe eines Kosakendorfes und von nun an einzelne oder Gruppen von 6 bis 10 überall in der Steppe, ebenso die Viehherden dieser Leute, von denen viele der ärmeren im Dienste der Kosaken und russischen Bauern sich befinden. Da wir ihnen später noch oft begegnen und sie genauer kennenlernen werden, erspare ich mir die Beschreibung ihrer Jurten usw. auf die folgenden Blätter und bemerke hier nur, daß nach Angabe des Kreishauptmanns von Pawlodar seit alten Zeiten etwa 6000 Jurten zu durchschnittlich je 6 Bewohnern auf dem rechten Irtischufer beziehentlich der rechtsufrigen Seite des Kreises Pawlodar zu finden sind, wogegen auf dem linken Ufer 102 000 wohnen.

Gegen Ende unserer Reise traten auf dem linken Stromufer in weiter Ferne blaue Berge, die Semietan, zu deutsch sieben Berge oder Hügel, vors Auge. Nach meiner Schätzung dürften sie sich höchstens um 300 Meter erheben; in der Ebene erscheinen sie jedoch viel höher und der von ihnen gebildete Hügelzug als ein förmliches Gebirge. Wir müssen jetzt auf großen Umwegen fahren, weil der zumeist in der Niederung liegende Weg nicht gangbar ist. Im Kiefernwald ist es erschrecklich still und tot. Kein Vogel außer einem zum Ausruhen hierher geflogenen Fischadler zeigt sich dem Auge, bis endlich ein vorüberfliegender Specht den Beweis liefert, daß diese Wälder doch nicht gänzlich unbewohnt sind. In der Nähe der Station Belo-Kamene (das heißt weiße Steine) tritt in mächtigen Lagern Quarz zutage und zwingt den Strom zu einem weiten Bogen nach dem linken Ufer hinüber. Auch die Steppe ist wieder einmal ungemein wasserreich. Kleine Seen wechseln mit Wassergräben und Wasserlachen ab, und an den Ufern dieser Becken zeigt sich bereits salziger Niederschlag.

Erst in unmittelbarer Nähe von der Stadt tritt süßes Quellwasser, allerdings gleich in mächtigen Adern, zutage: der »heilige Quell« genannt und mit einem Bethaus geziert, aus dem einfachen Grunde, weil das Wasser im Winter nicht zufriert. Zwei solcher Quellen sind so wasserreich, daß sie sofort Mühlen treiben können.

Der Tag ist bitter kalt, ein echter Apriltag; Sonnenschein wechselt mit Schnee und Regenschauer ab, und der Wind zwingt wegen seiner eisigen Kälte, uns dicht in die Pelze zu hüllen.

Gegen drei Uhr nachmittags erreichen wir Semipalatinsk und finden, dank der Fürsorge des überaus liebenswürdigen Gouverneurs Poltoratzky, das der Krone gehörige Haus eines Polizeibeamten geräumt und zum Empfange für uns hergerichtet. Noch am selben Tage besuchen wir den General und werden nicht allein von ihm, sondern auch von seiner ebenso anmutigen als lebhaften, vielgereisten Gemahlin aufs freundlichste empfangen.

Semipalatinsk ist eigentlich eine Tatarenstadt, in welcher auch Russen wohnen. Nach Angabe des Gouverneurs zählt sie gegenwärtig 1646 russische und etwa 5000 tatarische Einwohner, besitzt daher nur drei Kirchen, aber sieben Moscheen. Der Name der Stadt bedeutet »Sieben Burgen« und soll herrühren von sieben Jurten, welche einstmals hier standen. Die Stadt selbst bietet wenig. Auch sie ist ungemein weitläufig angelegt, ihre im rechten Winkel sich kreuzenden Straßen sind breit, ihre Plätze ungemein groß, die Häuser mit Ausnahme weniger Regierungsgebäude und des in Bau begriffenen Basars aus Holz, die Kirchen, eine Moschee, die hübscheste und geschmackvollste, auch am meisten an die des Morgenlandes erinnernde, welche wir bis jetzt gesehen, das Hospital, die Polizei usw. aus guten Ziegelsteinen. Wie überall stehen viel Baracken zwischen den gut erhaltenen, zum Teil recht geräumigen Wohnungen. In den Straßen liegt tiefer Sand, und auf den öffentlichen Plätzen treibt der Wind sein Spiel mit ihm und dem Staub, welcher im Hochsommer den Aufenthalt hier fast unerträglich machen soll. Auf einem der öffentlichen Plätze zeigt sich der schüchterne Versuch, einen Spaziergang mit Bäumen anzulegen; alle übrigen sind kahl und öde, einzelne noch mit voller Steppenpflanzenwelt, mit an Dünenhafer erinnerndem Gras zumal, bedeckt. Der tatarische Markt ist sehr groß und geräumig; der im Bau begriffene Basar verspricht recht hübsch zu werden. Nur das untere Ende der Stadt liegt am Irtisch, der übrige Teil an dem hier einmündenden Semipalatin. Beide Ufer und die Landzunge zwischen ihnen sind öde und kahl, auch der vom Gouverneur mit vielen Kosten angelegte Garten vor seinem Haus ist noch ungemein dürftig. Die Frau des Gouverneurs hatte daher recht, als sie uns mit den Worten begrüßte: »Willkommen in der Wüste!«


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