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Tagebuch 8

 

Ergebnisse eines Ausflugs

Der Teil der Steppe, welchen ich gestern (am 1. Mai) gelegentlich eines Jagdausflugs auf Bekassinen zu sehen bekam, unterscheidet sich nicht unwesentlich vom bisher durchzogenen, aus dem einfachen Grunde, weil wir Sümpfe und Brüche aufsuchten. Wenn man die Stadt verläßt, überfährt man zunächst einen Dünenwall, welcher früher bewaldet gewesen sein soll, gegenwärtig aber fast eine Wüste, ohne alle und jede über einzelnstehende Gräser hinausgehende Pflanzenwelt ist. Zur Niederung sich herabsenkend, führt der Weg nach Barnaul oder Tomsk neben zahllosen Wasserlachen, kleinen Seen, Teichen, Gräben, Sümpfen und Brüchen vorüber, welche teilweise mit niederem Buschwerk bestanden, meist aber kahlufrig sind und zwischen sich ein überaus ödes und langweiliges Land frei lassen, wogegen auf den höheren Stellen die reine Steppe vorherrscht. Jenes Land, die trockenliegende, jedoch von zahllosen Rinnsalen durchfurchte Niederung, besteht zum größten Teil aus kleinen Hügeln zwischen einem Netze von mehr oder minder tiefen Gräben; diese Kuppen sind jedoch nicht mit Ried- oder sonst einem Sumpfgras bedeckt, sondern kahl; die netzartig eingerissenen Vertiefungen zwischen ihnen überdecken mit kaum gehärteter Schicht einen zähen, klebrigen Schlamm, in welchem man versinken würde, wäre die Erde mehr als bis zu einer Tiefe von etwa 20 Zentimeter aufgetaut. Da, wo die Wassergräben mit Gebüsch bestanden sind, wechseln Birken und Salweiden mit einzelnen Espen ab; das ganze bildet jedoch hier und da ein fast undurchdringliches Dickicht, zumal hier auch das Rohr zu seinem Rechte kommt. Solche Stellen sind belebte Brutorte der verschiedenen Enten, während auf den größeren Wasserflächen Steißfüße und in den ausgedehnteren Brüchen Kraniche sich angesiedelt haben. In der Steppe dagegen lebt die Zwergtrappe, so daß man also Sumpf- und Land- oder richtiger Bodenvögel in unmittelbarer Nähe nebeneinander findet und eine Trappe zwischen Kiebitzen umherfliegen sehen kann. An vielen Stellen tiefen sich kleine Taler in den hohen sandigen Rand der Steppe ein, und hier treten dann regelmäßig starke Quellen zutage, von denen die meisten kleine Bäche mit frischgrüner Pflanzenumsäumung bilden. Einzelne dieser Bäche sind gestaut worden und treiben nach einem Laufe von höchstens 1 Werst bereits Mühlen, ganz so, wie wir es schon am Tage unserer Ankunft gesehen haben.

Ich erlegte: Schwarzkehldrossel, gemeine und kleine Bekassine, weißsterniges Blaukehlchen, Waldwasserläufer, Ohrentaucher, Knäkente und beobachtete außer den alltäglichen Vögeln noch Schelladler, Rotfußfalke, Kranich, Zwergtrappe, Rotschenkel, Löffelente, Krickente, Stockente, Reiherente, Singschwan. Die Rohrammer bewohnte überaus häufig einen Rohrwald, Blaukehlchen und Laubsänger belebten alle Gebüsche. Sonst war noch immer nichts von kleinen Vögeln zu spüren. Durch meinen Jagdgefährten erfuhr ich, daß das Steppenhuhn bereits regelmäßig hier vorkommt; unsere Bemühungen, ein Pärchen der Vögel aufzufinden, waren jedoch vergeblich. Die Bekassinen waren nicht häufig, andere Sumpfvögel, mit Ausnahme der erwähnten, selten; ein dreister Brachvogel wurde von meinem Genossen erlegt. Wenn die Bauern in der Nähe von Omsk ein Wolfslager mit Jungen auffinden, pflegen sie denselben die Achillessehnen zu durchschneiden, um sie am Fortlaufen zu hindern, und zwingen dadurch die Wölfin, sie bis gegen den Winter hin zu ernähren. Erst nachdem das Fell gut geworden ist, heben sie die Brut aus und töten sie.

Die Kirgisen jagen den Wolf zu Pferde mit solcher Leidenschaft, daß sie der Kälte nicht achten und sich im Winter manchmal das Gesicht erfrieren, nicht aber von ihrer Jagd absehen.

In der Belagatsch-Steppe, nordöstlich von Semipalatinsk, welche weder Flüsse noch Quellen besitzt, schafft man sich Wasser auf folgende Art: An allen höheren, dem Winde ausgesetzten Stellen errichtet man lange Schneewehren aus Holz, neben und über welchen der Wind bald hohe Schneewehen auftürmt. Je nach Befinden hilft man durch Erhöhung dieser Wehren nach und erhält so eine mächtige Masse an Schnee. Gegen das Frühjahr hin bedeckt man diese sorgfältig mit Stroh und Dünger, gerade als ob man einen Eiskeller anlegen wollte. Der Schnee schmilzt unter dieser Decke langsam und spendet für den ganzen Sommer die erwünschte Feuchtigkeit beziehentlich das erforderliche Trinkwasser für Mensch und Vieh. Im Winter bei tiefem Schnee und strenger Kälte graben sich die Birkhühner regelmäßig tiefe und lange Gänge unter oder im Schnee, in denen oft Dutzende dicht nebeneinanderhocken. Erkundet man solche Ruheplätze, so jagt man bei Nacht, und zwar unter Anwendung von Fackeln, deren helles Licht die Vögel so blendet oder verdutzt macht, daß sie kerzengerade aufsteigen und dem Jäger ein leicht zu treffendes Ziel bieten. Die Jagd mit der Puppe ist allgemein und sehr ergiebig.

Das Trampeltier wird bei weiten Reisen mit 12 bis 18, durchschnittlich 15 bis 16 Pud belastet und legt dann täglich etwa 40 Werst zurück. Man mietet es für einen Monat und bezahlt dafür 6 bis 8 Rubel; für jeden Treiber, von denen der einzelne 5 bis 7 Kamele abwartet, außerdem 5 bis 7 Rubel.

Neuere Reisende versichern übereinstimmend, gehört zu haben, daß in der östlich von Saisan gelegenen Steppe noch wilde Trampeltiere vorkommen sollen. Der Jäger Jachloff in Saisan gibt die südlich von Mustau und östlich von Orgutschuk gelegene Wüstensteppe als die betreffende Stelle an; der Reisende Oberst Prschewalski hingegen, welcher auch von diesen wilden Kamelen gehört haben will, eine Steppe östlich von Lopnor. Ich glaube nicht, daß etwas Wahres an diesen Berichten ist.

Die Witterung ist noch immer in hohem Grade unfreundlich, auf einen schönen Tag folgt regelmäßig ein kalter; Schneegestöber wechselt mit heftigen Winden ab, welche dann auf den Wegen und in den Straßen der Stadt den Staub zu dichten Wolken aufwirbeln. Die Steppe ist hier noch weniger grün, als wir sie unterwegs zwischen Omsk und hier gefunden haben. Von den Bäumen regt sich noch keiner außer der Weide, welche jetzt Blütenkätzchen zeigt. Am Morgen sind noch immer alle Wasserbecken mit Eis überlegt, und da, wo das Wasser tropfen kann, wie zumal unter Mühlrädern, bildet es noch jetzt dicke Zapfen.

 

Aufbruch in die Arkatberge

Wir verließen Semipalatinsk am 3. Mai in der Frühe in Begleitung des Gouverneurs, welcher uns eine Jagd in den Arkatbergen zu geben gedachte und alle erforderlichen Vorbereitungen getroffen hatte. Seine liebenswürdige Gemahlin war schon am Tage vorher mit zahlreichem Gefolge (den einschlägigen Beamten und der Dienerschaft) aufgebrochen, um uns an Ort und Stelle zu empfangen; auch eine andere Dame hatte den Weg nicht gescheut. Am Ufer des Semipalatin standen, dicht gedrängt, die noch in Semipalatinsk zurückgebliebenen Spitzen der Stadt, unter ihnen auch der älteste Mullah, um sich von uns zu verabschieden. Ein Versuch, mit ihm in arabischer Zunge zu verkehren, scheiterte an der Unkenntnis des Mannes, dessen religiöses Wissen nicht über die üblichen verschiedenen Gebete hinauszugehen schien. Mit besonderem Danke hatten wir als große Aufmerksamkeit zu erkennen die Freundlichkeit der einzigen noch im Haus Poltoratzkys zurückgebliebene Dame, der Tante und Erzieherin der Generalin, welche ebenfalls bis zum Ufer gekommen war, um sich von uns zu verabschieden. Unsere vier Tarantassen wurden auf ein großes Boot geladen; wir selbst nahmen auf einem kleineren Platz, überfuhren zuerst den Semipalatin, sodann die zwischen ihm und dem Irtisch liegende Halbinsel, hierauf diesen und betraten das jenseitige Ufer in einem kleinen, fast nur von Kirgisen bewohnten Dörfchen. Dem Vorschlage des Generals, das Haus eines reichen Kirgisen zu betreten, gern zustimmend, ließen wir uns die Gastfreundschaft dieses durch Handel zu großem Wohlstand gelangten Mannes gefallen. In dem geräumigen Hofe dörrte auf einem Stangengerüst Pferdefleisch an Sonne und Luft; im übrigen unterschied sich das Gehöft nicht von dem eines Russen. Die Zimmer des Hauses waren reich geschmückt, nicht aber wie üblich mit schlechten Bildern, sondern mit Teppichen und Decken, meist Taschkenter Arbeit, von denen einzelne unzweifelhaft von hohem Werte sein mußten. Um den Reichtum jedem Eintretenden vor Augen zu führen, lagen viele in den Zimmern nicht verwendbare Teppiche auf den hier allgemein üblichen breiten und niedrigen Truhen oder Kasten aufgeschichtet. Im Nebenzimmer hantierten die Weiber, so oft als möglich neugierige Blicke auf uns werfend, ohne jedoch in unser Zimmer zu treten. Es schienen mehrere ältere und einige junge vorhanden zu sein »zugunsten der Freude des Alten«, wie unser Begleiter sich auszudrücken beliebte. Alle hatten ihr Gesicht nicht verschleiert, den Kopf jedoch mit einem weißen, künstlich gebundenen Tuche verhüllt. Unsere Bewirtung begann nach feststehender Regel mit Leckerbissen, auf welche Champagner und zuletzt Tee folgte. Alles wurde im Nebenzimmer von Frauen geordnet, jedoch von einem jungen Kirgisen, offenbar nicht dem Diener, zu uns hereingebracht.

Sobald unsere Wagen das diesseitige Ufer erreicht hatten, brachen wir auf und fuhren in die Steppe hinaus, zunächst eine breite Ebene überschreitend und uns den sie säumenden Hügeln zuwendend. Nachdem wir diese überstiegen, lag eine zweite, in der Mitte schwach eingesenkte Ebene vor uns, und so ging es weiter bis Seriopol. Das Gelände ist mehr bewegt, die Landschaft daher wechselvoller als früher. Hügelketten von verschiedener Höhe schließen allseitig den Gesichtskreis ab und umgrenzen in der Regel ein Tal, aus welchem das zusammenlaufende Wasser keinen Abfluß findet. Aus längeren Quertälern der Hügelketten, welche sehr verzweigt sein können, fließt gewöhnlich ein kleines hier entquollenes Bächlein der tiefsten Stelle des Kesseltales zu und verliert sich in einem See, dessen Ufersaum von dem ausgeblühten Salz weiß gefärbt wurde und unter dessen Pflanzen man außer den noch sich haltenden der höheren Steppe auch einzelne Salzpflanzen findet. Die Schicht des Salzes ist um so dicker, je mehr Wasser das Bächlein und aus je weiterer Ferne es dasselbe dem See zuführt und je flacher das Becken ist, in welchem das Wasser sich verliert. Die Hügel sind meist übergrünt; jedoch tritt hier und da auch anstehendes Gestein zutage, Schiefer oder Quarz auf dem von uns durchzogenen Wege. Ersterer beispielsweise in der Hügelkette Arkalyk, welche von fern gesehen wie ein hohes Gebirge erscheint und bei dem Näherkommen als eine nur unbedeutende Erhebung sich erweist. In den weiten Ebenen zeigt die Steppe beziehentlich ihrer Pflanzenwelt kaum etwas Neues. Die Schafgarbe ist vorherrschend, das hohe Gras, »Dschi« genannt, stellenweise zu Feldern vereinigt. Aus niedrigem Gestrüpp, Karaguni geheißen, wird neben dem Mist der Tiere das einzige Feuerungsmittel der Steppe gewonnen, es überzieht zuweilen weite Flächen.

Dem Wechsel der Landschaft entspricht die Tierwelt. Schon auf der ersten Station nimmt der Fischadler von uns Abschied. Nur noch die beiden reizenden Falken, der Rötel- und Rotfußfalk, sowie der überall sehr häufige Wiesenweih (Circus cineraceus) bleiben regelmäßige Erscheinungen; hier und da zeigt sich ein Steppenbussard (Buteo desertorum). Neben der gemeinen Lerche treten die Mohren- und die kurzzehige in derselben Menge auf, die ganze Gegend reizvoll belebend. Auf den kleinen Seen treiben sich Enten und Steißfüße umher, in den Tümpeln und versumpften Wiesenstellen, welche das Bächlein in den Quertälern bildet, Uferschnepfen und Fuchsenten, an den Berghängen die Vertreterin unserer Alpenlerche (Alanda albigularis) nebst den überall häufigen Steinschmätzern.

Die Mohren- oder Tatarenlerche (Alanda tatrica) ist eine der anmutigsten, falls nicht die reizendste Erscheinung dieser Steppe. Keineswegs auf Schwarzerde beschränkt, wie ich von vornherein hätte glauben mögen, vielmehr meist auf dunkelrotem Boden lebend, wohnt ein Pärchen so dicht neben dem anderen, als dies bei Lerchen überhaupt üblich, und der große schwarze Vogel ziert die Erde ebenso wie die Luft. Im Laufe und im niedrigen Fluge durchaus Lerche, trippelnd, dahinrennend und eilfertig mit vielen Schwankungen unter raschen Flügelschlägen fliegend, zeigt sie sich bei dem Hochfluge durchaus eigenartig, am meisten noch der Kalenderlerche ähnlich. Die breiten Flügel kommen beim Schweben besonders zur Geltung, und das Bild des Vogels erhält namentlich dann etwas Eigenartiges, wenn er beide Flügel schief nach unten senkt und so einige Sekunden lang ohne Flügelschlag gleitet. Bei dem Niedersetzen wählt die Mohrenlerche mit Vorliebe erhöhte Gegenstände: die Spitze des Gestrüpps, selbst Telegrafenstangen. Vor dem Pferde scheut sie sich nicht im geringsten, weicht dem herankommenden Wagen meist nur so weit aus, als unbedingt erforderlich, und fliegt auch, solange nicht auf sie geschossen wurde, trotzdem man sie verfolgt, selten weit. Beim Singen steigt auch sie auf, in der Regel jedoch nicht hoch, rüttelt, oben angelangt, auch nicht, sondern erhält sich durch einzelne, in längeren Zeiträumen sich folgende Flügelschläge auf einer und derselben Stelle. In dieser Haltung hat sie fast das Aussehen einer großen Fledermaus. Beim Niederfallen fliegt sie zunächst waagerecht fort, senkt sich hierauf allmählich und fällt endlich, nicht aber gleich einem fallenden Stein senkrecht, sondern in schiefer Richtung sehr flach zum Boden herab. Ihren Gesang habe ich, bei der Eile unserer Reise, noch nicht gehört. Sie muß früh im Jahre nisten; denn es wurde uns schon am 4. Mai ein vollkommen ausgefiedertes Junges gebracht.

Als Charaktervogel der Steppe darf auch die Fuchsente (Anas rutila) gelten. Sie bewohnt hauptsächlich die Hügelketten, wohl aus dem Grunde, weil sie hier, im anstehenden und zerklüfteten Gestein, die meisten Höhlen für ihre Nester findet. Da, wo ein Bächlein wiesenreichen Grund befeuchtet, fehlt sie gewiß nicht. Ein Paar wohnt dicht neben dem anderen; doch sieht man jetzt selten mehr als zwei Pärchen zusammen. In ihrem Wesen und Gebaren mehr Gans als Ente, hält sie sich nur am, nicht im Wasser auf, weidet grasend wie eine Gans und fliegt auch aufgescheucht nicht dem Wasser, sondern immer einer ähnlichen Stelle zu. Ihr Gang ist leicht und gewandt, ihr Flug nicht minder, das Weiß ihrer Flügel kommt dabei zur Geltung, und sie nimmt sich daher fliegend am schönsten aus. Scheu und vorsichtig wie ihre Gattungsverwandten, begrüßt sie schon von weitem den zu Wagen, zu Pferde oder zu Fuß ankommenden Menschen mit lautem, ausdrucksvollem Geschrei, für welches der russische Name »Turpan« ein Klangbild ist.

Von Semipalatinsk an gibt es keine Dörfer mehr an der Poststraße, sondern im günstigsten Falle nur noch einzelne Häuser: Die Poststation, bestehend aus einem meist sehr einfachen Gebäude mit den nötigen Ställen für die Pferde, in deren Nähe meist einige Kirgisen ihre Jurten aufgeschlagen haben. Die Stationen liegen nicht unter 25, meist über 30 Werst auseinander, je nachdem das Vorhandensein oder Fehlen des Wassers dies bedingt. Die Straße ist zwar nicht immer so gut wie die zwischen Omsk und Semipalatinsk, immerhin aber zufriedenstellend für eine so menschenleere Gegend.

Gegen Abend traten die Arkat- oder Arkahdberge im Gesichtskreis hervor: die ersten eigentlichen Berge, welche wir seit dem Ural gesehen. Von der nach ihnen benannten Station Arkahd aus biegen wir vom Wege ab und fahren unter Kosakenbegleitung noch 7 Werst weit seitlich auf die Berge zu. Bald kommen uns mehrere Kirgisen entgegen, freundlichst begrüßt vom General. Sie geleiten uns nach dem für uns bereiteten Lager, sieben reichverzierten, mit Teppichen und allen Bequemlichkeiten ausgerüsteten Jurten, woselbst wir den Schwager des Generals, Herrn Masalsky, den Polizeimeister Schelesnoff aus Semipalatinsk und den Kreishauptmann Korejeff unserer harrend vorfinden und durch die freudige Nachricht begrüßt werden, daß bereits ein Argalibock von einem Kirgisen erlegt worden ist.

Unser Lager befindet sich auf einer Hochebene, nach dem Aneroidbarometer etwa 480 Meter über dem Spiegel des Meeres gelegen, welche ringsum von Bergen eingefaßt wird. Diese Berge bilden vier voneinander durch breite Täler getrennte Züge, zwischen denen sich unzählige Hügel und Kuppen erheben: die Überbleibsel früherer, jetzt bereits verwitterter und übergraster Berge. Die Hochebene ist durchfurcht von flachen Tälern, in denen jetzt noch kleine, dürftige Wässerchen rinnen, hier und da ebene Teile versumpfend oder selbst kleine Seen, eigentlich mehr Lachen bildend. Eine dieser Lachen bekundet sich durch ihre weißen Uferränder als Salzsee. Die Sümpfe sind ziemlich dicht mit Rohr und Weidengebüsch bedeckt, die Täler meist mit dichtem, aber sehr niedrigem Gestrüpp bestanden, die Hügel bis auf die nackten Kuppen begrast. Diese Kuppen sowohl wie die höheren Berge zeigen ein für Granit nicht ganz gewöhnliches Gepräge; denn ihre Gipfel und Spitzen bilden nicht, wie üblich, sanft geschwungene Linien, sondern haben ausdrucksvolle Formen, und die Berge erscheinen deshalb viel höher, als sie sind. Nach meiner Schätzung dürften sich die höchsten Spitzen kaum mehr als 250 Meter über den Grund der Hochebene erheben, während schon die geringe Entfernung, in welcher wir uns von ihnen befinden, sie zu förmlichen Hochgebirgen stempelt, das heißt als solche sie dem Auge vortäuscht. Eine Folge des überaus grobkörnigen und leicht zerbröckelnden Granits ist seine ungewöhnliche Zerklüftung. Alle Schichten zeigen breite und tiefe Querspalten und viele große Löcher; große Blöcke sind von der Höhe herabgestürzt und umlagern den Fuß der noch nicht der Zerstörung verfallenen Berge. Diese bauen sich hier und da zu steilen Gipfeln, Kegeln, Spitzen und Zacken, auch wohl zu mächtigen, dickschäftigen Säulen auf, deren Knäufe von breiten Platten gebildet werden; zwischen den hohen aber finden sich überall leicht zu begehende, ja selbst ohne besondere Schwierigkeit mit dem Pferd zu erklimmende Pässe, und selbst die höchsten Spitzen bieten einem halbwegs geübten Bergsteiger kaum nennenswerte Hindernisse. Und doch gewähren sie den Wildschafen die einzigen Zufluchtsstätten, genügen auch gewiß, sie vor ihrem Hauptfeind, dem Wolfe, zu sichern, solange diesen nicht tiefer Schnee begünstigt.

 

Jagd auf Argalischafe

Am 4. und 5. Mai fanden trotz des nicht eben freundlichen Wetters die Jagden statt. Mehr als hundert Kirgisen, unter ihnen die edelsten, sogar ein Sultan, welcher sich rühmt, von Chingischan abzustammen, sind versammelt, um als Jagdleiter und Treiber zu dienen. Die Jäger unter ihnen führen zum Teil noch die Luntenflinte, einzelne aber doch schon ziemlich sicher schießende Vorderlader. Einer führt einen gezähmten und abgerichteten Steinadler mit sich, ein anderer einen Windhund.

Wir brechen auch am ersten Tage spät auf, weil erst durch ausgesandte Kundschafter festgestellt werden muß, wo sich Wild befindet. Nach dem mit gewohnter Liebenswürdigkeit von der Frau Generalin gebotenen Frühstück reiten wir auf die Berge zu. Unsere Jagdgesellschaft, die Damen, welche in halber Männertracht nach Männerart zu Pferde sitzen, etwa zehn Kosaken und mindestens 50 Kirgisen bilden den Reiterzug, welcher sich durch die Hochebene bewegt. Gegen 40 Treiber sondern sich ab, um reitend ihr Amt zu üben; einige Kamele führen die Bestandteile einer Jurte und alle Geräte des Koches, Tafeldeckers und Küchenmeisters mit sich. Wir reiten dem einen Ende des westlichen Gebirgszuges, die Treiber dem anderen Ende zu. Ein schon seit dem Morgen drohendes, jetzt heranziehendes und sich entladendes, ziemlich heftiges Gewitter unterbricht unseren Ritt, zwingt uns, in einigen Winterwohnungen der Kirgisen notdürftig Obdach zu suchen, und verzögert den Beginn des Triebes. Nachdem es sich ausgetobt, reiten wir weiter und stellen uns auf unseren Plätzen auf. Der Trieb beginnt. Hier und da zeigt sich endlich ein Reiter, mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit sein Pferd durch die höchsten Pässe lenkend und selbst schroffe Stellungen ohne ersichtliche Mühe erklimmend oder abwärts steigend. Nur ein einziges Wildschaf, und zwar eine Geiß, durchbricht endlich, ungesehen von dem ihr zunächst angestellten, richtiger liegenden Schützen, die verhängnisvolle Linie und kehrt nach kurzer Frist, vermutlich, weil es sein Zicklein im Gebirge zurückgelassen, auf demselben Wege zurück. Später erscheint ein Wolf, nach Fuchsart auf den Boden sich duckend, welchem Finsch vergeblich eine Kugel zusendet: Von Treibern erfahren wir, daß etwa zwanzig Böcke oder Wildschafe überhaupt seitlich durchgebrochen sind. Der Trieb ist verunglückt.

Infolge der uns gewordenen Mitteilungen wird beschlossen, noch einmal zu treiben, gleichzeitig aber auch zur Mahlzeit gerufen. Diese hat nun wieder zur Folge, daß die Gesellschaft sich teilt und ein Teil, darunter ich, dem verlockenden Rufe zur Tafel nicht widersteht. Die Kirgisen treiben inzwischen weiter, dieses Mal mit mehr Erfolg als früher; denn sie bringen fünf starke Böcke vor sich und scheuchen dieselben so gut dahin, daß sie uns hätten zu Schuß kommen müssen, wären wir nur zur Stelle gewesen. Aufgeklärt über das mich bannende Mißgeschick, komme ich eben noch auf den Platz, als die fünf Böcke durch den Talgrund nach dem anderen nördlichen Gebirgszug wechseln, einer dicht hinter dem anderen im scharfen Trab laufend, anscheinend ohne sich im geringsten zu beeilen und doch den sie verfolgenden Reitern ohne Mühe entkommend. Gesehen also hatte ich Wild, und dies mußte einstweilen trösten. Unsere Hoffnung blieb auf den anderen Tag gesetzt.

Versammelt, wie wir ausgezogen, ritten wir heimwärts, den freundlichen Jurten zu. Das Wetter war bereits umgeschlagen; das Gewitter hatte die Luft bedeutend abgekühlt, und im Norden zogen sich regendrohende Wolken zusammen. Wiederum mußten wir zu unseren Pelzen greifen, um uns zu erwärmen; selbst der reichlich fließende Wein vermochte das Gefühl der Kälte nicht zu bannen. Dank der Liebenswürdigkeit unseres Wirtes und seiner Gemahlin verging der Abend übrigens rasch genug. Ich zog, soviel ich konnte, Erkundigungen ein über das Wild, die Kirgisen und ihre Sitten und Gewohnheiten, ihre Hirten und Jäger und deren Leben und fand so reichlich Ersatz für unser Mißgeschick.

Die Jagd am anderen Tage fiel günstiger aus. Obgleich zuerst behindert durch das überaus schlechte Wetter, und auch während der endlich ohne Hoffnung auf Erfolg unternommenen Jagd selbst allen Unbilden eines hiesigen Maitages preisgegeben, hatten wir doch das Glück, zwei alte Geißen mit ihren Kitzchen, die eine deren zwei, die andere eines führend, zu Gesicht zu bekommen. Die letzterwähnte Geiß kam mir zu Schuß, und ohne an Aasjägerei zu denken, sandte ich ihr eine Kugel zu. Sofort nach dem Schuß blieb das Tier einen Augenblick stehen und zog hierauf langsam weiter, war aber doch schon über Schußweite hinaus, als ich wieder geladen hatte und eine zweite Kugel ihm nachsenden konnte, dieses Mal ohne zu treffen. Das Kitzchen folgte ihr Schritt auf Schritt. In weitem Bogen wandte sich die verwundete Geis einem steil aufsteigenden Felskegel zu, welcher durch eine jähe Kluft von den höheren Zügen getrennt wurde. In dieser Kluft nahm ich Stand und schoß dem bald darauf wieder erscheinenden Wild eine Kugel von vorn durch den Hals. Mit dem letzten Satz sprang das gewaltige Schaf vorwärts und fiel, bereits verendet, schwer in die Tiefe hinab: ein prachtvoller, jedes Jägerherz hocherfreuender Anblick! Bei der Untersuchung zeigte sich, daß meine erste Kugel, welche ich von hinten auf das Tier richten mußte, hinter dem Magen eingedrungen, diesen und die Lunge durchbohrt hatte und durch das Schulterblatt wieder hinausgegangen war; dennoch hatte es den weiten Weg noch ohne einmal niederzufallen zurückgelegt. Alle die uns begleitenden Kirgisen brachen in ein Freudengeschrei aus, und alle ohne Ausnahme beglückwünschten mich aufs herzlichste. Das Kitzchen, auf welches der Graf schoß, entkam leider, verbarg sich und konnte nicht aufgefunden werden. Dagegen war schon gestern ein anderes gefunden worden, welches in Abwesenheit der Mutter einem Steinadler ins Auge und zum Opfer gefallen war. Halb aufgefressen brachte man uns das Tierchen. {...}

Der Argali, von dem der Kirgise vor unserer Ankunft einen Bock und nun ich diese Ziege erlegt hatte, lebt nach den Berichten der Kirgisen noch immer in erheblicher Anzahl auf den Arkahdbergen, kommt aber auch noch viel weiter im Westen vor: so nach Angabe Schlowzoffs auch im Gouvernement Akmolinsk, und zwar in den Bergen von Bajanaul etwa 630 Werst nordwestlich von Omsk. Die Meinung, daß er diesseits des Ural ausgerottet sei, ist daher glücklicherweise unbegründet. Das Tier lebt in Trupps von durchschnittlich 10 Stück (5 bis 15). Böcke und Schafe gehen bis zur Paarungszeit getrennt und vereinigen sich erst kurz vor derselben. Die Bockzeit beginnt Anfang Oktober und währt bis zu Ende des Monats. Die Setzzeit fällt in den Mai, alte Tiere lammen vielleicht schon Ende April. Die alten Böcke führen die Rudel, welche bis zur Paarungszeit friedlich miteinander leben. Mit Beginn der Brunst ändert sich dies: Die ältesten Böcke nehmen einen bestimmten Stand ein und lassen auf demselben jüngere, schwächere nicht zu. Mit gleich starken kämpfen sie um den Stand und um die Geißen, erheben sich dabei auf die Hinterbeine und stoßen nach Widderart aufeinander los. Zuweilen, jedoch sehr selten, geschieht es, daß einer den anderen in den Abgrund stößt; ebenso kommt es vor, daß zwei Kämpen sich mit den Gehörnen verfangen, nicht mehr voneinander loskönnen und ergriffen werden: Ein solches Beispiel wußten unsere Begleiter zu erzählen.

Solange ein Trupp nicht gestört wird, behält er seinen Stand; wird er dagegen gejagt, in Furcht gesetzt oder auch nur wiederholt gestört, so wechselt er von einem Bergzuge nach dem anderen (wie auch wir dies zu sehen Gelegenheit hatten); niemals aber geht er weit. Die Argalis sind Tagtiere, welche bei Nacht, und zwar auf den höchsten Bergspitzen und den gesichertsten Stellen, schlafen, über Tages aber weiden! Am Morgen steigen sie von den Bergen herab, äsen sich am Fuße der Berge oder in den zwischen den Zügen liegenden Tälern – auch in den breiteren –, ruhen am Mittag wiederkäuend, treten gegen Abend noch einmal auf Äsung und nehmen vor der Dämmerung ihre Schlafplätze ein. Ihr gewöhnlicher Lauf, auch wenn sie aufgescheucht werden, ist ein rascher Trott oder Trab, welcher jedoch immer noch so rasch fördert, daß sie ein gerittenes Pferd nicht einzuholen vermag. Bei der Flucht gehen sie fast unwandelbar in einer Reihe hintereinander. Auf dem Gestein bewegen sie sich mit ebensoviel Kraft als Geschick, anscheinend ohne alle Mühe, mit spielender Leichtigkeit Steigungen erklimmend öder weite Klüfte überspringend, mindern auch ihre Eile nicht, gleichviel, ob sie sich auf- oder abwärts wenden. Getrieben bleiben sie oft stille stehen, erklettern auch regelmäßig alle im Wege liegenden Höhen, also alle Berggipfel, um von ihnen aus zu sichern, und setzen erst, wenn ihnen die Treiber wiederum näher gekommen, ihren Lauf fort; beim Überschreiten weiterer Täler aber tun sie dies nicht, ziehen vielmehr ohne Aufenthalt ihres Weges.

Sie fressen alle Pflanzen, welche den Hausschafen behagen; um zu trinken aber gehen sie regelmäßig nach bestimmten Plätzen, eine Quelle entschieden der anderen vorziehend. Wie oft sie zur Sulze gehen, wußte man mir nicht anzugeben.

Die Geiß wirft ein oder zwei Junge. Ich sah eine mit einem, eine mit zwei Lämmern. Diese Lämmer laufen, wie uns die Gefangenen belehrten, sofort oder doch sehr bald nach ihrer Geburt hinter der Alten drein, ebenfalls eines hinter dem anderen, klettern schon vom ersten Tage ihres Lebens an ebenso gewandt wie diese und bekunden sogleich eine erstaunliche Geschicklichkeit, Kraft und Fertigkeit in allen Leibesübungen. Bei Gefahr versteckt sie die Mutter nach anderer Wildschaf- und Wildziegenart, um so bald als möglich zu ihnen zurückzukehren, und sie liegen inzwischen neben und unter Steinen mäuschenstill, selbst einem Stein gleichend und nur dem scharfen Auge eines Steinadlers oder der feinen Nase eines Wolfes bemerkbar. Sie sind allerliebste Tiere, gewöhnen sich, wie unsere zwei Gefangenen bewiesen, leicht an die Gefangenschaft, blöken wie Lämmer, nur etwas gröber, nehmen ohne weiteres das Euter einer zum Ammendienste gezwungenen Ziege an und saugen dann, kräftig stoßend, um dem Euter möglichst viel Milch zu entziehen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß sie sich leicht großziehen und zähmen lassen würden.

Ihre Hauptfeinde, neben dem Menschen wohl die einzigen, welche ihnen gefährlich werden können, sind Wolf und Steinadler. Ersterem fallen sie jedoch nur bei tiefem Schnee, letzterem nur, solange sie sehr klein und unbeschützt sind, zur Beute.

Man jagt sie hier nur gelegentlich, entweder in der von uns ausgeführten Weise oder auf der Pirsch, zu welcher freilich das Auge, die Fertigkeit im Kriechen und die Ausdauer eines Kirgisen gehören. Ein Jäger hiesiger Gegend will in einem Winter zwanzig Stück erlegt haben. Seine Winterwohnung lag zwischen den Bergen, und er konnte allmorgendlich beobachten, ob sie von den Bergen herabgekommen waren oder nicht, worauf er seine Jagd begann. Das Fleisch wird gegessen und ist nach meinem Geschmack auch in der Tat ganz vortrefflich; das Gehörn benutzt man höchstens zur Anfertigung keulenartiger Schlägel (wir sahen einen solchen), wirft es aber gewöhnlich weg.

Über die Jagd mit dem Steinadler erfuhr ich vom Adlerjäger selbst das Folgende: Die Kirgisen jagen mit Leidenschaft nur Wölfe, Füchse, Marder und dergleichen, richten daher ihre Adler ausschließlich zu solcher Jagd ab. Zu diesem Behufe nimmt man den Steinadler möglichst jung aus dem Neste, füttert ihn und gewöhnt ihn, nur aus der Hand zu kröpfen. Sobald er die Haube vertragen kann, wird er behaubt, damit er seine Aufmerksamkeit nicht auf andere Dinge richte, als dem Jäger erwünscht. Einer besonderen Abrichtung zur Jagd selbst bedarf es nicht; alles, was gelernt werden muß, besteht darin, daß der Vogel auf den Ruf zu seinem Herrn zurückkehrt. Sobald der junge Adler fliegen kann und stark genug geworden ist, nimmt ihn der Adlerer mit sich hinaus. Bei der Jagd trägt er ihn auf der rechten, starkbeschuhten Hand, stützt diese des schweren Gewichtes des Vogels halber aber auf eine neben dem Sattelknopfe befestigte Gabel und reitet so in die Steppe hinaus, besteigt eine Höhe, im Gebirge den höchsten Aussichtspunkt, um eine möglichst weite Umschau zu haben, und läßt durch seine Genossen treiben. Anfänglich versucht man den Vogel nur an Füchsen, bald aber auch an Wölfen. Sobald ein solches Wild aufgeregt wurde, enthäubt man den Adler und wirft ihn in die Luft. Verbotenem Triebe folgend, stürzt er sich aufs Raubwild und schlägt demselben die Fänge in den Hinterleib. Der Wolf wie der Fuchs ducken sich sofort nieder, um ihrem Gegner einen tödlichen Biß zu versetzen; dieser aber nimmt den Augenblick wahr und greift jenen im Gesicht an, ihm seine Fänge womöglich in die Augen schlagend. Sofort eilen die Jäger herbei, um dem Adler zu helfen; gleichwohl geschieht es nicht selten, daß sie zu spät kommen und es einem alten Wolf oder Fuchs gelungen ist, den Adler umzubringen. Gelangen sie rechtzeitig zur Stelle, so verursacht doch das Auslösen des Adlers oft viel Mühe, weil dieser nicht von seiner Beute lassen will. Der Wolf wird sofort getötet und an Ort und Stelle abgehäutet. Mit zwei Adlern zugleich kann man nicht jagen, weil in der Regel beide eifersüchtig aufeinanderstürzen und sich gegenseitig bekämpfen. Ein sehr guter Vogel ist seinem Herrn nicht feil, ein bereits abgerichteter kostet etwa dreißig bis vierzig Rubel.

Nach beendigter Jagd versammelten wir uns wieder in der Jurte des Generals, um zuerst einem kirgisischen Spieler und sodann einem Barden zu lauschen. Der Spieler handhabte seine »Balaleika«, ein der Gitarre ähnelndes Musikwerkzeug mit dreieckigem Kasten und drei Saiten, mit großer Geschicklichkeit und verstand es, dem einfachen Instrument bunte und lebendige Weisen zu entlocken. Der Barde besang unser Erscheinen in der Gegend und unsere Jagd. Seine Gedanken, welche sofort ins Russische und sodann ins Deutsche übersetzt wurden, waren keineswegs tief oder gehaltvoll, aber ebenso eigentümlich wie der ganze Vortrag. Nach einem Vorspiel begann der Mann zuerst in einem hohen Tone zu brummen, sodann entströmte seinen Lippen in rascher Folge die Flut der Worte, worauf dasselbe Brummen wie im Anfange, diesmal nur länger gehalten, die Strophe schloß. {...} Er besang den General, seine Gemahlin und – mich;

»Jeder Gast des Generals, auch unser Gast ist er, und unsrer Freundschaft sicher, daher können unsre Wünsche auch ihm gelten. Meine Zunge hat mir Gott gegeben, darum mag sie reden: In der ganzen Gegend sahen wir Jäger, Schützen, Treiber, aber nur mit einem war das Glück. Wie des höchsten Berges Spitze über alle andern ragt, also überhob es diesen einen über alle.

Denn er schoß dem Arkar wohlgezielt zwei Kugeln durch den Leib und brachte ihn zur Jurte.

Aller Jäger Wunsch war, Beute zu gewinnen, doch nur einer sah den Wunsch erfüllt.« {...}

Gegen Mittag des 6. Mai gaben die Kirgisen allerlei Volksbelustigungen zum besten, zuerst Ringen, sodann ein Wettrennen auf eine Entfernung von 24 Werst. Die Pferde wurden von den kleinen Knaben geritten und legten die ganze Strecke in nicht ganz einer Stunde zurück. Wie beim Ringen wurden an allen Seiten Wetten ausgefochten, das Hauptvergnügen bei allen diesen Spielen, auf welche ich zurückkommen werde.

 

Zum Alakul

Gegen Abend traten wir, hochbefriedigt von allem, was wir gesehen, unsere Weiterreise an, fuhren die ganze Nacht hindurch und gelangten am anderen Morgen bei guter Zeit nach Sergiopol. Ein zwischen dieser »Stadt« und dem letzten Posthaus aufgestellter Kosak setzte sich beim Erscheinen unserer Wagen sofort in Trab, um uns vorauszueilen; wir fanden daher bei unserer Ankunft vor der Stadt bereits ein Kommando dieser Truppe aufgestellt, um uns mit fliegender Fahne in das Weichbild Sergiopols zu geleiten, dort wurden wir von den Spitzen des Ortes feierlich begrüßt und fanden auch den Kreishauptmann Friedrichs vor, mit welchem wir nunmehr weiter durch die Steppe reisten. {...}

 

[Postkarte]

Sergiopol in Turkistan, Sonntag, 7. Mai

Mein teuerstes Weiberl!

Da es hier eine Poststation gibt, schreibe ich diese Zeilen in einem der kleinsten Nester, welche es geben kann. Wir haben die ganze Nacht durchfahren, und ich bin todmüde hier angekommen, habe daher den größten Teil des Tages verschlafen, um mich für kommende Nacht zu stärken. Wir brechen bald nach dem Essen wieder auf und reisen heute noch weiter, da wir für die südlichen Gebirge und China nur sehr wenig Zeit haben. Überhaupt gestaltet sich die Reise immer mehr zu einer Hetzjagd, weil wir für die ungeheure Entfernung viel zuwenig Zeit haben. Ich suche bei der Eile zu erraffen, was ich nur kann, habe auch für das Tagebuch viel gesammelt, bedaure aber sehr und bin deshalb oft mißgestimmt, diese interessanten Gegenden so rasch durcheilen zu müssen. Die Steppe fesselt mich je länger, je mehr und würde mir gewiß reichen Stoff zu Vorträgen bieten, könnte ich sie ordentlich ausnutzen. {...} Für Horst sammle ich eifrig Käfer und Schädel, habe jedoch noch wenig Arten zusammenbekommen können. Mit den übrigen Sammlungen befasse ich mich wenig. Das Tagebuch geht mir über alles andere.

Tagtäglich und stündlich gedenke ich Deiner und der Kinder und sehne den Tag herbei, welcher mir, wenn auch sehr veraltete, Nachrichten bringen wird.

Mit viel tausend herzlichen Grüßen immer und immer

Dein getreuer Alter.

 

Die Stadt Sergiopol, früher Aigus geheißen, ist ein kleines Nest mit nur 670, darunter 330 russischen, im übrigen tatarischen Einwohnern und zerfällt in drei Teile, welche durch breite unbebaute Strecken voneinander getrennt sind; die Stadt mit dem Basar, die Festung mit der Kirche und die Tatarenstadt. Die im Verfall begriffene Festung mit ihrer nur schwachen Besetzung hat eine russische Kirche, eine Schule für Knaben und Mädchen, ein gutes Lazarett, eine Telegrafenstation, einen russischen und 17 tatarische Kaufleute zu Bewohnern, im übrigen aber nicht die geringste Bedeutung. Die Hauptbeschäftigung der Einwohner ist der Feldbau, welcher in der Nähe, das heißt in einer Entfernung von etwa 30 Werst, von der Stadt betrieben wird, da, wo es möglich ist, die Felder zu bewässern. Die ganze Gegend ist baumlos; nur das niedrige Gestrüpp wächst auf den Bergen und dient in den sehr strengen Wintern zur Feurung. Reiche Kohlenminen in einer Entfernung von 100 Werst werden nicht abgebaut, weil sich dazu kein Unternehmer findet: Man bezahlt also lieber 2 bis 3 Rubel täglich, um im Winter ein warmes Haus zu haben, als daß man zu diesem natürlichen Hilfsmittel greifen sollte. Alle Lebensmittel sind sehr teuer: Das Pud Mehl kostet 1,5 Rubel, während es in Lepsa für 30 Kopeken zu haben ist.

Die Stadt liegt an dem kleinen Fluß Aigus, welcher sich in den Balkaschsee ergießt; in der Nähe der Stadt aber gibt es keine Seen, nur Lachen. Der Sommer ist sehr heiß und wegen seines Staubes ungemütlich, der Winter ungemein streng, wegen seiner entsetzlichen Schneestürme furchtbar. Oft kann man tage-, ja wochenlang das Haus nicht verlassen. Im vorigen Winter gingen sogar zwei Knaben auf dem Schulwege zugrunde, weil sie sich im Schneesturm mitten in der Stadt verirrten und erfroren. Doch sind derartige Unglücksfälle immerhin selten. Auch im Sommer herrschen Nordwinde vor und drücken die Wärme oft sehr herab. Bereits im August wird es kalt, im Oktober treten die ersten Fröste ein, im November beginnt es zu schneien, im Mai schneit es oft auch noch. Trotzdem gilt das Klima für gesund. Mit Ausnahme der Kirgisen ist die Bevölkerung von der hier so arg verbreiteten Syphilis frei, und auch Seuchen sind etwas Seltenes. Krankheiten der Atmungswerkzeuge und Rheumatismus herrschen vor. Das Leben der gebildeten Leute ist schrecklich eintönig, so daß zuletzt fast alle nichts weiter tun, als Karten spielen und Schnaps trinken. Gesellige Unterhaltungen fehlen gänzlich: Es ist ein härteres Los, hier als Beamter zu leben denn als Verbrecher nach Sibirien verbannt zu sein.

Die Tierwelt ist arm; erst um 100 Werst weiter ändert sich dies. Auf den Akoschalibergen kommen Bären vor; einen jungen lebenden zeigte man uns. {...}

Die Poststationen sind hier zu förmlichen Höhlen herabgesunken, so daß die Ställe für Pferde meist ebenso gut, falls nicht besser sind als die menschlichen Wohnungen. Doch befinden sich bessere Gebäude auch hier im Bau. Alle Stationen liegen des Trinkwassers halber weit auseinander, selten unter 30 Werst. Da in den Stationen nur vier Postpferde vorhanden sind, müssen für uns Kirgisenpferde beschafft werden, und das Umspannen dieser wilden, des Ziehens noch ungewohnten Tiere geht nie ohne Schwierigkeiten vor sich. Die Tiere weigern sich zuerst entschieden, ihren Nacken dem Joch beziehentlich dem Kummet zu beugen, drängen oder springen zur Seite, schlagen aus, werfen sich nieder, auch mit dem Vorreiter, und stürmen endlich wie blindwütend auf dem Wege dahin. Mehrere Reiter bleiben ihnen anfangs zur Seite und rufen, schreien und peitschen auf sie los, bis sie in regelmäßigen Gang kommen. Schon nachdem sie eine oder zwei Werst zurückgelegt, haben sie sich gefügt und tun nunmehr ihre Schuldigkeit. Solange sie übrigens aushalten, wenn sie geritten werden, so bald ermüden sie vor dem Wagen, werden daher von den Russen den russischen Pferden immer nachgestellt. {...}

Auf der Station Karakohl fanden wir in einer für uns aufgestellten, reichverzierten Jurte die erwünschte Ruhe für den Rest der Nacht. {...}

Von unseren drei Jurten aus nimmt sich das breite Tal sehr hübsch aus. Die Steppe gleicht hier einem unabsehbaren Stoppelfeld, sosehr tritt das Tschigras hervor. In weiter Ferne begrenzen die Ebene rechts und links Hügelketten; nach vor- und rückwärts verliert sie sich im Gesichtskreis. Mitten durch diese Ebene zieht sich der Fluß, nach Art aller Gebirgswasser in einem weiten Bett und in vielen Armen dahinfließend.

Unser Gepäck muß von hier aus mit Kamelen befördert werden; ich habe daher Gelegenheit, das Trampeltier beim Auf- und Abladen zu beobachten. Mit dem Kamele der afrikanischen Wüsten verglichen, muß es als ein entschieden gutmütiges Geschöpf bezeichnet werden. Beim Auf- und Abladen wie überhaupt bei jeder Berührung seitens des Menschen schreit es zwar auch, aber doch sehr mäßig, gleichsam verhalten; in die Wutschreie seines Artgenossen habe ich es niemals ausbrechen hören. Sein rascher Lauf ist bewunderungswürdig; es trägt auch im Trab seine Last.

Die Steppe zwischen hier und der nächsten, dreißig Werst entfernten, ebenfalls aus drei für uns hergerichteten Jurten bestehenden Station ist jetzt sehr bunt infolge der nun in Blüte stehenden Blumen, unter denen die Tulpen und eine kleine reizende Wickenart hervortreten. Doch finden sich auch hier zahlreiche eintönige Stellen mit vielem ausgeblühtem Salz vor, welches hier in jeder Niederung zutage tritt. Die Hochsteppen dazwischen prangen im vollen Schmuck, und wir begegnen vielen alten Bekannten aus unseren Gärten, welche hier wild wachsen. Schon um diese Zeit gleicht die Steppe manchmal einem bunten Teppich.

Gänzlich verschieden von solchen Hochflächen, welche jetzt das Auge stets erfreuen, ja zuweilen entzücken, sind die salzigen Stellen, welche überall hervortreten, wo das Wasser keinen Abfluß gefunden hat. Hier verkümmert selbst die Schafgarbe, und kleine Büschchen von Salzpflanzen, am meisten noch unserer Heide vergleichbar, treten an ihre Stelle oder zwischen sie herein, alle übrigen Pflanzen gleichsam verdrängend. Auf allen nicht von solchen bestandenen Stellen liegt ausgeblühtes Salz in mehr oder minder dichter Schicht auf dem Boden, und die gefüllt gewesenen Wasserlachen, deren Grund durch die ihnen zufließenden Bächlein geebnet wurde, gleichen beeisten oder gefrorenen und mit Schnee bedeckten Teichen. Das Salz überzieht das ganze Land und erhält durch seine Anziehungskraft den unter ihm liegenden Schlamm beständig feucht. Es haftet fest an dem Boden und läßt sich nur schwer ablösen. Schreiten Pferde darüber hinweg, so heben sie große Ballen Salz und Erde aus dem Boden, und es sieht dann aus, als seien sie über feuchtes, mit etwas Schnee bedecktes Land gegangen. Die Geleise der Wagen drängen sich tief ein, und das rollende Rad knirscht zuweilen im Salze wie bei großer Kälte im Schnee.

Die erste eigentliche Salzsteppe, welche wir sehen, in der Nähe des Alakul gelegen, ist im Sommer gänzlich unbewohnt, weil der umherziehende Kirgise kein trinkbares Wasser für sich und sein Vieh findet, sie gleicht daher einer Wüste. Erst im Winter ziehen die Kirgisen hierher, weil jetzt in der Zeit der Not oder des Mangels auch dieses Land ausgenutzt werden muß und der den Boden bedeckende Schnee die Stelle trinkbaren Wassers vertreten kann. Aber man sieht nicht einmal die sonst an allen geeigneten Stellen vorhandenen Winterwohnungen oder deren Reste, sondern nur hier und da ein Grab – das sprechendste Sinnbild zur traurigen Gegend.


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