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Bagti, ein russischer Posten hart an der chinesischen Grenze, wird außer den Soldaten nur von etwa fünf Familien Kleinrussen bewohnt. Eine Rotte (nach unseren Begriffen Kompanie) Infanterie und eine Sotnie Kosaken bilden die Besatzung. Das regelmäßige Militär wird alljährlich abgelöst, die Herren Offiziere aber müssen hierbleiben und führen ein im höchsten Grade eintöniges Leben. Die Jagd ist so einförmig, daß man ihr nicht unrecht tut, wenn man sie langweilig nennt; das Klima keineswegs gesund, weil der Boden hier überall viel Grundwasser enthält und die Steppe an vielen Orten zur Salzsteppe wird. Der Sommer bringt große, langanhaltende Hitze, der Winter überaus heftige Stürme mit sich, welche, wenn sie aus Osten kommen und Schneetreiben verursachen, Ebbe genannt werden. Diese Stürme toben hier zuweilen tagelang und zwingen die Leute, im Hause zu bleiben. Die Witterung wechselt ungemein rasch; binnen fünf Minuten hat sich das schönste Wetter in Sturm umgewandelt, und bald darauf folgt Regen oder im Winter Schneetreiben. Herrschende Krankheiten sind Wechselfieber, von oft recht hartnäckiger Art, außerdem leiden die Soldaten oft an der Zahnfäule infolge des Mangels an frischen Gemüsen. Syphilis ist nur unter den Kirgisen verbreitet, hauptsächlich infolge ihrer Unreinlichkeit; sie wird hier jedoch, dank der Sommerhitze, ziemlich leicht geheilt. Die Post kommt und geht einmal wöchentlich und braucht bei guten Wegen von dem 4 300 Werst entfernten Petersburg 32 bis 35 Tage.
Gegen Mittag brechen wir von Bagti auf, um unsere Weiterreise nach Saisan anzutreten. Unser Gefolge war heute größer als je, teils um die nötige Sicherheit in dem vom Aufruhr heimgesuchten China zu haben, teils um beim chinesischen Generalgouverneur würdig oder pomphaft auftreten zu können. Fast eine halbe Sotnie Kosaken und mindestens vierzig berittene Kirgisen in ihren schwarz-, blau-, rot- und gelbseidenen Kaftanen, Überröcken usw. bildeten den stattlichen Zug unserer Begleitung. Außer unserem treuen Begleiter Friedrichs ritt unser neuer Gefährte, Major Alexander Konstantinowitsch Tichanoff aus Saisan, nebst seinen aus Saisan mitgebrachten dreißig Kosaken bereits mit uns, breite Reihen zu beiden Seiten des Weges bildend. So jagten wir mit Sturmeseile durch die einsame Steppe, ich als einzig Fahrender in der mit noch nicht an das Fahren gewöhnten Kirgisenpferden bespannten Tarantasse. Unweit der Stadt Tschukutschak, richtiger Tschautschak, erwartete uns ein der kirgisischen Sprache mächtiger chinesischer Soldat, wohl ein Offizier, stellt sich uns vor und jagte sodann zurück, so schnell sein Pferd laufen konnte, um unsere Ankunft seinem Gebieter zu melden. Die Steppe, welche wir durchzogen, ist eine Tiefebene mit viel Tschigras, welche auf russischer Seite so gut als gänzlich unbebaut ist, wogegen sich in China sofort die Kunst der Chinesen, das Wasser auszunutzen, bemerklich macht. Jedes vom Tarabagatai herabfließende Bächlein, jedes größere Gewässer war dem Landbau dienstbar gemacht worden. Unzählige Gräben mußten wir überschreiten, welche auf weithin Wasser zur Begießung oder Überrieselung den Feldern zuführten. Weite Strecken der Ebene prangten im saftigsten Grün, und zumal in der unmittelbaren Nähe der Stadt war jedes geeignete Plätzchen benutzt und zu Gärten gemacht worden, in denen man allerlei Gemüse baute. Diese Gärten entbehrten zwar allen und jeden Schmuckes, waren jedoch wohlgepflegt und ihre Erzeugnisse, wie wir uns später überzeugen konnten, von ausgezeichneter Güte.
Die Stadt ist gegenwärtig kaum mehr als ein Trümmerhaufen. Im Jahre 1867 fiel sie nach wiederholter Belagerung und länger als ein Jahr währender Verteidigung den Tunganen, einem unter chinesischer Herrschaft stehenden, mongolischen Volksstamm mohammedanischen Glaubens, in die Hände und wurde von ihnen nicht allein zerstört, sondern auch im buchstäblichen Sinne des Wortes ihrer sämtlichen noch nicht geflüchteten chinesischen Einwohner beraubt, da man Mann und Weib, alt und jung über die Klinge springen ließ, ohne Grund, ohne Erbarmen. Als unser Begleiter Friedrichs die unglückliche Stadt etwa vierzig Tage nach ihrer Einnahme besuchte, lagen Tausende von Leichen ermordeter Chinesen, meist haufenweise übereinandergeschichtet, in den verödeten Straßen, ein kaum zu ertragender Leichengeruch erfüllte die Luft, in welcher Milane und Geier schwebten, während Wolf und Hund an den Leichen nagten und überreiche Mahlzeit hielten. Kein lebender Mensch war zu sehen; was früher in der Stadt lebte, war dem Schwerte der blutgierigen und glaubenswütigen Sieger zum Opfer gefallen. Gegen dreißigtausend Einwohner zählte die Stadt vor der Belagerung, höchstens zehntausend mochten durch die Flucht dem grausigen Schicksal entgangen sein: Auf zwanzigtausend also, eher mehr als weniger, belief sich die Anzahl der erbarmungslos hingeschlachteten Menschen. Gegenwärtig schätzt man die neu hinzugezogene Einwohnerschaft, welche jetzt, strenggenommen, nur unter dem Schutze der nahen russischen Besatzung lebt, auf höchstens tausend Menschen, außer den wenigen tatarischen Kaufleuten fast nur aus Soldaten bestehend, welche zwar mit sehr viel Selbstbewußtsein aufzutreten scheinen, in Tat und Wahrheit aber nur durch die Macht des Dienstes hier festgehalten werden.
Die nur teilweise wieder einigermaßen bebauten Straßen, Trümmer und Schutthaufen überschreitend, bewegten wir uns dem Wohngebäude des Dschansun Djun, das heißt Generalgouverneurs Djun, zu. Häßliche Mongolengesichter von gelb bis dunkelbrauner Färbung starrten uns entgegen, als wir endlich in die noch bevölkerten Teile der Stadt, namentlich auf den Markt, gelangten. Ich war bisher immer in Zweifel gewesen, ob ich die Kirgisen den Mongolen zuzählen dürfe oder nicht; beim Anblick dieser Bevölkerung war ich es nicht mehr. Hier sah ich echte Mongolen vor mir, denen gegenüber auch die häßlicheren Kirgisen mir als schöne Menschen erscheinen mußten. Abscheuliche Fratzen sah ich, auch unter den höhergestellten Leuten, und was nun vollends die Weiber betraf, so lassen sie, meiner Ansicht nach, sogar die Negerinnen hinter sich. Vor dem Wohngebäude des Dschansun hielt unser Zug, bis es seiner Herrlichkeit gefiel, uns, jedoch nicht auch unserem Gefolge, zumal den uns begleitenden Kosaken, die Erlaubnis zum Eintreten zu gewähren. Der Generalgouverneur empfing uns in seinem Wohn- und Gerichtszimmer mit soviel Feierlichkeit, als einem Chinesen überhaupt möglich. Alle Würde eines hochgestellten Beamten des himmlischen Reiches bewahrend, mit der Rede kargend und nur einzelne abgebrochene Laute ausstoßend, welche von einem grinsenden Lächeln begleitet wurden, reichte er jedem von uns die Hand und lud zum Sitzen ein. War uns das Äußere des Wohngebäudes – denn von einem Palast konnte keine Rede sein – schon wenig einladend erschienen, so machte das Innere des Hauses einen noch viel unbefriedigenderen Eindruck. An Afrika denkend und mich der Behausung innerafrikanischer Herrscher erinnernd, hatte ich meine Erwartungen durchaus nicht hochgestellt, allein auch sie wurden nicht im entferntesten erfüllt. Beim Eintritt in den Hofraum sahen wir zunächst eine dem Eingang gerade gegenüberliegende, aus Ziegeln gebildete, durchbrochene Wand vor uns, deren Mitte ein auf Holz gemaltes oder vielmehr gepinseltes fabelhaftes löwen- oder pantherartiges Tier einnahm, der Himmel weiß welche Bedeutung versinnlichend, während zu beiden Seiten chinesische Marterwerkzeuge, insbesondere die so beliebten schweren und schwerfälligen Halskragen – ungefähr einen Meter im Geviert haltende, in der Mitte mit einem Loche versehene, auf dicke Pfosten genagelte, roh bearbeitete Bretter, bestimmt, von den zu bestrafenden Menschen wochenlang am Hals getragen zu werden und diesen nach und nach zu einer einzigen wunden Stelle zu machen – nebst einigen anderen Unbegreiflichkeiten liegen. Zur Rechten und zur Linken sah man niedrige Lehmhäuser, mehr Hütten als Gebäude, und den Hintergrund nahm ein ähnliches Bauwerk ein, eben das Gerichts-, Empfangs- und Wohngemach des Gewalthabers. Zwei kleine Zimmer mit ungetünchten, dafür aber mit chinesischen Bildern und Schriftstücken geschmückten Wänden, darunter ein Belobigungsschreiben der Regierung für vom Gouverneur geleistete, treffliche Dienste, Sudeleien, Gemälde vorstellend, Abbildungen von pferdeähnlichen Tieren, um einem chinesischen Auge die hier gezüchteten Pferderassen vorzutäuschen, alles Bildwerke wahrhaft kindischer Art, ohne alles und jedes Geschick oder Verständnis: Ich vermochte kaum ein Lächeln zu unterdrücken, als ich diese Kindereien ansah. Im grellen Gegensatz hierzu stand das pomphafte Auftreten des Biedermannes, welcher uns mit der Würde eines Fürsten empfing und nach seiner Art so freundlich aufnahm als nur möglich. Seine Herrlichkeit hatte uns auch ein Mittagessen in Aussicht gestellt, welches jedoch von uns leider nicht genossen werden konnte, da unsere Zeit zu kurz bemessen war. Dafür erhielten wir ein Frühstück mit Tee, ersteres bestehend aus etwas ungemein feinem und in zierliche Stücke geschnittenem Schweinefleisch und viel gut getrockneten und eingemachten Früchten, zu deren besserer Verdauung auch ein überaus starker, aus Reis bereiteter Schnaps mit abscheulichem Fuselgeschmack gereicht wurde. Auch bot man uns Wasserpfeifen nach chinesischer Art an, welche ich wenigstens leider nicht zu rauchen verstand. Nach der Tafel wurde ein Pappkästchen herbeigebracht, in welchem Stickereien lagen, bestimmt, uns zu Geschenken zu dienen. Sodann verfügten wir uns in das Nebenzimmer, in welchem das mit großer Kunstfertigkeit in eigentümlicher Weise eingepackte und durch buntes Zeug noch besonders verhüllte Amtssiegel und außerdem eine Anzahl mir rätselhaft gebliebener Pfeile aufbewahrt und, um uns besonders zu ehren, uns gezeigt wurden. Wir sahen natürlich alles mit dem größten Ernste an. Betreffs der Pfeile wurde mir erzählt, daß dieselben eine geradezu wunderbare Bedeutung hätten, nur von einem bestimmten Beamten enthüllt werden dürften und den, welchem man sie gereicht, bei Todesstrafe verpflichteten, jeden ihm übertragenen Befehl auszuführen; ich habe aber den Sinn der Worte nicht verstanden und halte es für richtiger, darüber zu schweigen.
Zu unserer besonderen Unterhaltung ließ Seine Herrlichkeit später etwa zwanzig Pfeilschützen ihre Fertigkeit erproben. Die Leute schossen auf etwa sechzig Schritt nach einer aus Papier gefertigten Mannscheibe. Zwei geübte Büchsenschützen mit Hinterladern würden die gesamte Mannschaft aufgerieben haben, bevor sie selbst einen Pfeilschuß erhalten hätten. In den Augen der Chinesen aber scheint die veraltete Waffe ihre Bedeutung noch nicht verloren zu haben, denn der größte Teil der hier stehenden Truppen ist noch mit Bogen bewaffnet. Nach Versicherung der uns begleitenden russischen Offiziere hat die chinesische Regierung auch in die Provinz Tarabakatai gute Gewehre geliefert, man wendet dieselben jedoch entweder gar nicht an oder ladet sie, um das Geld für Kugeln zu ersparen, nur mit Pulver. Daß solche Ausrüstung der Truppen den Tunganen keine Achtung vor der chinesischen Macht einzuflößen vermag, braucht nicht hervorgehoben zu werden. Die Aufrührer fliehen vor einer ganzen Anzahl Kosaken, hüten sich wenigstens wohlweislich, mit den Russen anzubinden, während das große chinesische Reich seit nunmehr zehn Jahren sich vergeblich bemüht, des Aufstandes Herr zu werden. Hierauf führte uns Seine Herrlichkeit in höchsteigener Person in seinen Gemüsegarten. Derselbe war ebenso einfach wie alle übrigen, welche wir gesehen, aber wohl im Stande, in länglich viereckige Felder eingeteilt, gut bewässert Und mit Zwiebeln, Möhren, Radieschen, Salat und verschiedenen anderen Küchenpflanzen bestanden. Um uns die Güte der Rettiche zu zeigen, zog der ernste Mann eigenhändig mehrere Pflanzen aus der Erde. Ich muß sagen, daß mir dies am meisten gefallen hat. In dieser Freude am Wachsen und Gedeihen des Gemüses prägte sich ein den Chinesen eigentümlicher, sehr anerkennenswerter Zug aus.
Nachdem wir alle diese Herrlichkeiten gesehen, wandten wir uns nach dem Basare. Unsere Erwartungen aber wurden getäuscht. Wir fanden viel weniger, als man in einer innerafrikanischen Stadt zu finden gewohnt ist, das meiste noch bei den Tataren, obgleich sie fast nur die Erzeugnisse der europäischen Industrie zu Markte bringen. Ich kaufte ein Paar große und schwere Maralgeweihe für zwei Rubel; weiter fand ich nichts.
Unser Begleiter und, ich darf wohl sagen, Freund Friedrichs führten uns nunmehr in das Haus eines Tataren, dessen Namen ich noch zu erfahren hoffe. Bei ihm fanden wir eine Aufnahme, wie sie die Mohammedanern eigene Gastlichkeit vorschreibt. Um uns besonders zu ehren, bat er seine Glaubensgenossen, das «Zimmer zu verlassen, und stellte uns sodann seine junge und wirklich schöne Frau vor. Von dieser hatte ich bereits durch Frau Generalin Poltoratzky gehört. Sie ist die Tochter des ersten Mollah (Mollah adjim) in Semipalatinsk, hat viel im Haus des Gouverneurs, als Freundin von dessen lieblicher Tochter, verkehrt und versteht mit Europäern umzugehen. Der Sitte des Volkes war entsprochen worden; man hatte sogar die Pelzmützen der Kirgisen, welche vorher mit uns im Räume gewesen waren, entfernt, um keinen Anstoß zu geben; nunmehr aber benahm sich die schöne Tatarin ganz wie eine Europäerin, übernahm die Rolle einer europäischen Hausfrau und bekundete in jeder Hinsicht, daß sie nicht ohne Erfolg in einer so fein gebildeten Familie wie der des Gouverneurs Poltoratzky verkehrt hatte. Halb europäisch, halb morgenländisch und jedenfalls sehr reich gekleidet, nahm sie sich sehr stattlich aus. Zumal ihre prachtvolle Kopfhaube, welche nicht allein mit eingestickten, sondern auch mit aufgenähten Zieraten in Form von Rosetten und Blumen geschmückt war, kleidete sie prächtig.
Wir blieben bis zum Abend in der Stadt. {...}
Mitten in der Straße gibt es tiefe Löcher, dazu bestimmt, den Mist der Tiere mit etwas Stroh zu kneten und so das erforderliche Feuerungsmaterial zu gewinnen. Schmutz und Unreinlichkeit herrschen überall, zumal aber in den Häusern selbst vor, und die in den Straßen sich umhertreibenden Menschen entsprechen dem vollkommen. Alle Männer, chinesische Kalmüken, tragen den langen Zopf und sind höchst einfach gekleidet; die Kinder gehen fast nackt. Die wenigen Frauen, welche hier sind, meist Gattinnen der Soldaten, erscheinen mir als wahre Urbilder der Häßlichkeit.
Von der Stadt aus führt eine Poststraße mit 120 Stationen nach dem etwa 5000 Werst entfernten Peking; die Stadt liegt also fast ebenso weit von der Hauptstadt des himmlischen Reiches wie von Petersburg, welches 4300 Werst entfernt ist. Gedachte Poststraße wird jedoch bereits seit zehn Jahren so gut als gesperrt durch die aufrührerischen Tunganen, mit denen das himmlische Reich auch jetzt noch im Kriege liegt: Soeben erhalten wir die Nachricht, daß dreihundert dieser gefürchteten Feinde sich in Bewegung gesetzt hätten und daß zu ihrer Abwehr zweihundert chinesische Soldaten ausgezogen seien. Die Tunganen sollen nur 60 Werst von uns entfernt sein; gleichwohl fürchtet unser Major nicht im geringsten für unsere Sicherheit: Kein Tungane wagt es, Russen anzugreifen. Einen besseren Beleg von der Stärke Rußlands gegenüber dem ohnmächtigen China kann es nicht geben: Dreißig Kosaken genügen, um die Tunganen fernzuhalten, zweihundert Chinesen aber sind noch viel zuwenig, um dasselbe zu erzielen.
Ich verließ die Stadt ohne Bedauern, mehr gesehen zu haben. Die Chinesen haben mich nie erwärmen können. Ein Volk, welches es trotz einer jahrtausendealten Bildung noch nicht zu einer vernunftgemäßen Schrift gebracht, welches trotz allen Fleißes seiner Angehörigen über die ärgste Barbarei noch nicht hinausgekommen, welches, obschon groß an Zahl und ohne Achtung vor dem Leben, es doch nicht vermag, mit einer Handvoll Räuber fertig zu werden, kann meine Zuneigung nicht erwerben. Auf mich hat das ganze Wesen den Eindruck des Kindischen, Albernen gemacht; und je mehr die Herren Langzöpfe sich bemühten, würdig zu erscheinen, um so erbärmlicher kamen sie mir vor. Unter Barbaren weiß man, woran man ist, unter einem Volke aber, welches sich dünkt, das gebildetste der Welt zu sein, und gleichwohl das Barbarentum bei jeder Gelegenheit zeigt, erfaßt mich ein Ekel. Rühme die Chinesen, wer da will und mag, mir sind sie als im höchsten Grade unrühmenswert erschienen. Nur ihr Landbau hat mir einen gewissen Grad von Achtung abnötigen können; ich habe jedoch auch hierbei den Hauptlehrmeister, Hunger genannt, nicht verkennen können.
Vor dem Tor des östlichsten Viertels verließ uns der Kreishauptmann Friedrichs, den wenigstens ich recht liebgewonnen, und mit ihm einer der prächtigsten Kirgisen, welchen ich bisher kennengelernt habe. Tama Bei Metekoff aus Kalguti (so genannt nach dem Fluß gleichen Namens), vierzig Werst von Seriopol, der akschaolinskischen Gemeinde angehörig, und unbezahlter Beamter des Kreishauptmanns, ist einer der liebenswürdigsten, umsichtigsten und tüchtigsten Menschen, welche ich kennengelernt. Voller Eifer, uns zu dienen und sich dadurch unsere Zufriedenheit zu erwerben, geizte er nach nichts anderem, nicht nach Geld oder Geschenken, sondern nur nach der Ehre, uns begleiten zu dürfen und vielleicht von seinem Generalgouverneur sich ein Lob zu erwerben. Ebenso klug als geschickt, ebenso kenntnisreich als bescheiden, der russischen Sprache ebenso mächtig wie der kirgisischen, im Schreiben wohlerfahren, der arabischen Gebete und einzelner Stellen des Korans kundig, geachtet von seinen Glaubensgenossen wie von uns, sich überall Lob und Verehrung erwerbend, verdient dieser Mann ganz besonders eine ehrenvolle Erwähnung in diesen Blättern. Wir schieden von ihm, wie man von einem Freunde scheidet, und seine Augen wurden feucht, als er uns zum letztenmal die Hand drückte.
Wir ritten in östlicher Richtung in die dunkelnde Steppe hinaus. Überall zeigte sich auch hier die Kunstfertigkeit der Chinesen, dem Wasser seine Dienste abzuringen; wie im Innern der Stadt war auch hier jede geeignete und noch im Schutze des russischen Einflusses liegende Stelle des Bodens zu Feld umgewandelt, welches dank dem reichlich vorhandenen Wasser in fast tropischer Fülle schwelgte. Wir bewegten uns im Tale des Emil flußaufwärts und ritten heute noch etwa zwanzig Werst weit in der gleichen Richtung dahin, unser Nachtlager in einigen für uns am Ufer des kleinen Flüßchens aufgeschlagenen Jurten suchend und findend.
Der 22. Mai wurde zu einem unfreiwilligen Ruhetage, weil Finsch sich unwohl fühlte und außerstande war zu reiten. Wir blieben daher in unseren Jurten und vertrieben uns die Zeit mit Jagen, Beobachten und Schreiben. Ich erlegte nur wenig, weil ich mehr beobachtete als jagte. {...}
Die Weihen sind jetzt dem Anschein nach in voller Paarung begriffen, sie spielen reizend. Das Männchen steigt eiligst in die Höhe, stürzt sich, beinahe sich überschlagend, tief hinab, steigt wieder auf, fällt nochmals, treibt dies so mehrere Minuten lang, und fliegt endlich in gewohnter Weise weiter. Wiesen- und Steppenweih vertragen sich gut, beide Arten aber nicht mit dem Rohrweih, verfolgen diesen vielmehr aufs heftigste und stoßen auf ihn, als wäre er ein Adler.
Die Rosenstare sind viel unruhiger als unsere Stare. Sie durchschwärmen täglich ein sehr weites Gebiet, erscheinen im Lauf des Tages zu wiederholten Malen auf denselben Plätzen, halten sich aber immer nur kurze Zeit auf, durchsuchen flüchtig eine Strecke, wobei immer einer über den anderen wegfliegt, erheben sich und fliegen weiter, um vielleicht erst in einer Entfernung von mehreren Kilometern dasselbe Spiel zu beginnen. Von Zeit zu Zeit, zumal aber in den Mittagstunden, schwärmt der ganze Flug ein Viertelstündchen und länger in hoher Luft umher, nach Art der Bienenfresser Kerbtiere fangend; hierauf läßt er sich wieder auf den Boden nieder und sucht so eifrig, als habe er in der Höhe nicht das geringste gefunden. Gegen Abend sammeln sich wahrscheinlich mehrere Flüge, denn man sieht sie dann in dichtem Gedränge zu vielen Hunderten versammelt auf bestimmten Plätzen, namentlich auf hervorragenden Felsengraten, sitzen, einer unmittelbar neben dem anderen, so daß der Graf mit einem Schuß fünfundzwanzig Stück erlegen konnte. Die Nähe des Wassers ist für sie Bedürfnis, weil sie, nach Angabe der Kirgisen, ihre Nester in den steil abfallenden Uferwänden anlegen. Ebenso scheinen sie ohne weidendes Vieh nicht leben zu wollen; man findet sie wenigstens fast stets in unmittelbarer Nähe der Herden. Beim Futtersuchen sind sie nicht einen Augenblick ruhig, laufen hin und her, fliegen eine kurze Strecke weg, kehren zurück, anscheinend ohne Zweck und Ziel, sträuben die Kopfhaube, untersuchen dieses und jenes und fliegen endlich plötzlich auf und davon, um vielleicht wenige Stunden später wieder auf denselben Fleck zurückzukehren. Ihre Brutzeit muß jetzt gekommen sein; denn die Geschlechtsteile der von mir untersuchten waren sämtlich stark angeschwollen. Man versicherte mir, daß sie keineswegs alljährlich in der Gegend sich zeigen, vielmehr zu den Zigeunervögeln gehören. Ihre Ankunft wird immer mit Freude begrüßt, weil man fest überzeugt ist, daß sie das Überhandnehmen der verderblichen Wanderheuschrecken, der schlimmsten Plage dieser Länder, erfolgreich zu verhindern wissen. In der Tat läßt sich wohl annehmen, daß sie durch Aufzehren der noch nicht ausgebildeten Heuschrecken wesentlich zur Verminderung dieser Kerfe beitragen mögen und eine zu Millionen anwachsende Vermehrung derselben wirklich verhindern.
Der schöne, von mir zuerst bei Lepsa erlegte Ammer ist hier überall häufig. Er ist ein Charaktervogel des Tschigrases. Wo dieses sich befindet, darf man überzeugt sein, auch ihm zu begegnen, gleichviel, ob man in der Ebene, ob man im Gebirge sich befindet. Nach Rohrsänger Art hängt sich der Vogel an einen der Halme, seltener die Spitze eines Gestrüppbusches erwählend, und singt von dort herab sein Liedchen, welches eigentlich nur aus einer einfachen Strophe: »Kritisch, krätsch, kritschikakria«, besteht. Trotz der etwas kreischenden Laute ist diese Strophe wohltönend. Das Nest habe ich trotz aller Mühe noch nicht gefunden, auch das Weibchen, welches jetzt wahrscheinlich mit Brüten beschäftigt ist, nicht kennengelernt.
Wahrhaft erschreckend ist die Menge der Kreuzottern in der Steppe. In unmittelbarer Nähe unseres Lagers töteten wir in den wenigen Stunden unseres Hierseins deren vier, eine davon nur wenige Schritte von den Jurten entfernt, wahrscheinlich angelockt durch das Feuer.
In der Nähe unserer Jurten befindet sich ein Aul der Kalmüken, das heißt eines Zweiges dieses Volksstammes, Targauten genannt.
Ich besuchte das Lager mehrere Male und befragte sodann unter freundlicher Unterstützung des uns entgegenkommenden Dr. Pander aus Saisan, einem wohlerfahrenen Kirgisen, die Leute. Das, was ich beobachtete und von dem Kirgisen erfuhr, ist kurz zusammengestellt das Folgende:
Der Stamm der Kalmüken teilt sich in 42 Zweige, deren einer die Targauten sind. Ursprünglich sicherlich der Mongolei oder China entstammend, wanderten die Kalmüken in einer nicht mehr bestimmbaren Zeit im europäischen Rußland ein und machten sich zwischen den Flüssen Don und Wolga seßhaft, woselbst sie noch gegenwärtig wohnen. Vor etwa 300 Jahren wanderten die Targauten zurück und leben seitdem unter chinesischer Herrschaft; nur ein einziges Dorf liegt innerhalb des russischen Reiches. Der größte Teil der Targauten weidet seine Herden im Tale Kabuk, welches im Süden durch das Argauti, im Norden durch das Saur, im Westen durch das Semitau und das mit beiden sich verknotende Tarab-Gebirge umschlossen wird und weniger ein Tal als eine Ebene ist.
Die Targauten teilen sich wiederum in drei Gemeinden; falls man so sich ausdrücken darf, welche je von einem Befehlshaber, Kigen genannt, beherrscht werden. Letzterer muß unbedingt ein heiliger Mann beziehentlich ein Geistlicher und von seiner Geburt an nicht allein zum Herrscher bestimmt, sondern auch dazu bezeichnet sein. Nur ein Knäblein, welches ohne Nabelschnur geboren ist, kann die Würde eines heiligen Mannes erlangen. Beim Kigen aber muß dieses Merkzeichen erst recht vorhanden gewesen sein. Die gegenwärtig lebenden Kigene heißen: Urvan, Mader und Oschomanske. Über ihnen steht, in das Dunkel der Unsichtbarkeit gehüllt, das höchste Haupt, der Tschigangige, ein dem Dalai-Lama vergleichbares Wesen, welches sich niemals dem Volke zeigt, beständig in der chinesischen Festung Tutta am Flusse Grani lebt, von seinen Gläubigen heilig verehrt wird und seitens der chinesischen Regierung als Beherrscher aller Mongolen kalmükischen Stammes anerkannt wird und auch als König der Kalmüken Ost- und Westsibiriens gilt. Der Biedermann wird auch Chotunga oder Halbgott genannt. Die chinesische Regierung erhebt von diesem Halbgott einen jährlichen Tribut, mischt sich jedoch nicht weiter in seine Angelegenheiten und bekümmert sich auch um seine Untergebenen nur insofern, als sie dieselben in Zeiten der Not oder Gefahr zum Kriegsdienste zwingt. Ihre Händel und Streitigkeiten werden von der Regierung nicht beachtet.
Die Targauten sind Lamaisten, voller Glauben und Aberglauben; mein Kirgise wußte mir jedoch hierüber nichts mitzuteilen. Sie selbst beten wenig, lassen dies vielmehr durch den Kigen besorgen, welchem auch noch andere Dinge zustehen oder von seinen gläubigen Schafen zuerteilt werden. So hat er zum Beispiel, solang er jung und kräftig ist, jedes junge Mädchen, welches verheiratet werden soll, vorher zu untersuchen, ob sie zur Ehefrau tauglich; so fragt man ihn um Rat in allen Angelegenheiten, auch in Dingen, in denen andere Sterbliche sonst nicht Bescheid wissen: um den Verbleib eines abhanden gekommenen Stückes Vieh zum Beispiel, um das Ergehen eines befreundeten Menschen, welcher durch irgendeinen Zufall seinen Angehörigen entfremdet wurde, usw. Bei der Verheiratung selbst braucht der Kigen, welcher das Weib erprobte, soviel ich erfuhr, nicht zugegen zu sein. Dagegen muß er oder mindestens ein heiliger Mann vor Bestattung eines Toten Gebete sprechen. Die Targauten selbst feiern nur ein Fest, das des Jahreswechsels, welches sie in die ersten Tage des Februar verlegen. Ihre Feier besteht darin, daß sie soviel als möglich vom selbstbereiteten Branntwein trinken, singen, tanzen und zuletzt in Händel geraten. Zuweilen führen solche Händel auch zu Kämpfen, bei denen einer das Leben verliert. Unter solchen Umständen muß der Überlebende Buße leisten, indem er der Familie des Getöteten 80 Köpfe Vieh bezahlt, je nach seinem Reichtum 80 Köpfe Ziegen, Schafe, Rinder oder Pferde. Auch hierbei greift die chinesische Regierung nicht ein, wogegen sie den Diebstahl meist ahndet, freilich nur aus dem Grunde, weil derselbe meist Chinesen beschädigt hat.
Über ihre religiösen Gebräuche wußte mein Berichterstatter mir nur zu erzählen, daß sie Götter aller Art verehren und sich der chinesischen Götzenbilder bedienen: Diesen Götzen bringen sie Opfer dar, welche jedoch dem Kigen gespendet werden müssen und von diesem natürlich bestens verwertet werden.
Ihren Gesang haben wir selbst gehört, es ist ein wildes Geschrei ohne eigentliche, das heißt für uns erkennbare Melodie; gleichwohl ist dieser Gesang nicht alles Wohlklanges bar, und sie versuchen offenbar auch Vierstimmigkeit gebührend zu würdigen. Als ihrer vier sangen, hörte sich das Ganze, zumal von weitem, ganz leidlich an, war auch bis zu einem gewissen Grade harmonisch.
Ihre Kinder wachsen natürlich ohne allen Unterricht heran; nachdem sie das fünfzehnte Jahr erreicht haben, verheiratet man sie. Als Brautschatz hat der junge Mann oder dessen Familie jener der Braut ein Tarsuk zu geben, dazu etwa vier Eimer Branntwein und ein Pferd sowie eine Jurte zu stellen; die Frau bringt das Bettzeug, Filzdecken, Pelz und dergleichen mit in die Ehe, wenn sie reich ist, auch Teppiche und anderen Zierat zur Ausschmückung der Jurte. Jeder Mann lebt nur mit einer Frau, kann sich aber leicht von ihr scheiden lassen und dann eine andere wählen. Die Frauen werden im ganzen gut behandelt, müssen aber, wie üblich, fast alle Arbeiten verrichten, da sich der Mann kaum um das Hüten des Viehes bekümmert, sondern höchstens dem Landbau, falls er solchen treibt, seine Kräfte widmet. Die Frauen beschäftigen sich mit dem Melken des Viehes, der Wartung ihrer Kinder und des Jungviehes, mit Nähen und der Aufstickung der Verzierung ihrer Kleider, welche Arbeiten sie sehr gut verstehen, mit der Anfertigung von Filzdecken usw. ... Spinnen und Weben sind ihnen unbekannte Dinge, die ihnen nötigen Zeuge kaufen sie daher von den Chinesen.
Stirbt jemand, so wird zunächst der Kigen oder sonst ein heiliger Mann gerufen und gebührend beschenkt, der Leichnam des Toten aber ohne weiteres aufs freie Feld geworfen und hier nur mit einer Filzdecke notdürftig zugedeckt. Je eher Hund oder Wolf das Gebein des Toten benagen, um so mehr freut sich die Familie des Gestorbenen.
Alle Targauten sind eifrige Jäger und unternehmen weite Jagdzüge auf allerlei Wild, sie schießen gut, wissen überhaupt ihre Waffen zu gebrauchen, zeigen im Kriege aber wenig Mut und zeichnen sich eigentlich nur im Stehlen aus. Diebstahl gilt unter ihnen als rühmliche Tat. Sie gehen dabei mit ebensoviel Fertigkeit als Kühnheit zu Werke, führen dabei auch stets ihre Waffen, um etwaigen Widerstand zu besiegen. Gegen die Tunganen vergreifen sie sich nicht, zeigen sich überhaupt mutigen Feinden gegenüber feige.
Ihre hauptsächlichste Nahrung besteht aus Milch und Kumis, ihre Getränke sind Tee und Branntwein; im Winter genießen sie Mehlspeisen; Fleisch dagegen essen sie nur bei Festlichkeiten, dann aber ohne Unterschied des Tieres, von welchem es stammte, auch ohne Berücksichtigung auf dessen Gesundheitszustand, da sie selbst Aas verzehren.
Ihr Reichtum besteht, wie, bei allen Hirtenvölkern, in ihren Herden. Ihre Pferde sind minder gut und schön als die der Kirgisen, ihre Rinder dagegen schöner, derselben Rasse angehörig, welche die Chinesen pflegen; ihre Schafe und Ziegen unterscheiden sich nicht von denen der Kirgisen.
Die von mir gesehenen Jurten waren denen der Kirgisen gleich, durchschnittlich aber weit erbärmlicher sowohl außen als innen. In einem von mir besuchten Aul hatte man alle so gestellt, daß die Türöffnungen nach Süden gerichtet waren. Vor jeder Jurte und an ihr befestigt stand eine Lanze, die dreiseitige, jederseits ausgehöhlte Spitze nach oben gerichtet und der Schaft unter ihr mit einem Haarbusch oder einigen bunten, auch wohl mit Schriftzeichen bedeckten Lappen verziert, erstere, um die Lanze auf weithin sichtbar werden zu lassen, letztere, um als Fahne zu dienen. In der Mitte der Jurte befindet sich wie üblich die Feuerstelle, an den Seiten liegen Filzdecken; auch sieht man wohl hier und da einen Kasten, wie die Kirgisen ebenfalls haben, um gewisse Habseligkeiten aufzubewahren. Ein eichener Kessel, in welchem Milch und Fleisch gekocht wird, ein Dreifuß, auf welchem er steht, vollenden die Ausrüstung. Das Vieh lagert in unmittelbarer Nähe der Jurte auf dem Boden; die jungen Tiere liegen wie bei den Kirgisen des Nachts an Schlingen, welche an längeren Leinen befestigt werden. Der Mist wird sorgfältig gesammelt, weil er als Feurungsstoff dienen muß; dieses Sammeln bildet die Hauptbeschäftigung der Kinder, welche im Mist zugleich einen zum Spielen höchst willkommenen Stoff zu erblicken scheinen.
Männer und Frauen sind echte Mongolen, nach meinen Begriffen abschreckend häßlich. Eher klein als groß, nicht unschön, vielmehr ebenmäßig gebaut, fallen doch die abscheulichen mongolischen Gesichter unangenehm ins Auge. Die vorspringenden Backenknochen und die geschlitzten Augen treten scharf hervor. Das Haar ist stark, lang, tiefschwarz von Farbe, Pferdehaaren vergleichbar. Die Männer tragen einen Zopf nach Art der Chinesen, die Frauen haben das Haar in der Mitte gescheitelt und tragen zwei nach vorn herabhängende Zöpfe, welche meist bis unter das Knie herabreichen. Die Kleidung der Männer besteht jetzt im Sommer, wo der Pelz nur des Morgens und Abends getragen wird, in einem dem Kaftan nicht unähnlichen Obergewand, einem Hemd, den Hosen und bis zur Hälfte der Wade reichenden Stiefeln, deren dicke Sohlen die chinesische Arbeit nicht verkennen lassen, und einer den Kopf deckenden Mütze mit stehender Troddel, von welcher mehrere Schnüre herabhängen. Die Frauen tragen dieselbe Mütze wie die Männer, nur daß sie etwas kleiner und zierlicher und die stehende Quaste auf ihr etwas dicker ist. Das Obergewand ist zu beiden Seiten der Arme tief ausgeschnitten, so daß in der Rückenmitte nur ein schmales Stück übrigbleibt; darunter trägt man ein bis auf den Boden reichendes, auf der Brust geschlitztes und mit Stickereien verziertes Oberhemd, welches in der Mitte durch einen Gürtel zusammengehalten wird, gleichwohl aber Blicke tun läßt, welche besser nicht getan werden könnten; der Unterleib endlich steckt in Hosen und dickschäftigen Stiefeln. Die Jungen laufen nackt oder in nur einem bis auf den Nabel reichenden Hemd bekleidet umher und suchen sich im letzteren Fall oft dadurch von dieser ihnen offenbar lästigen Hülle zu befreien, daß sie das Hemd auf den Schultern zusammenschlagen und so eine ziemlich adamistische Gestalt herstellen. Ein am Hals hängendes ledernes viereckiges Täschchen vertritt ohne Zweifel die Stelle eines Talismans oder enthält einen solchen. So ähneln sie, bis auf die Zöpfe, den Knaben, welche man im Sudan sieht. Die Mädchen unterscheiden sich sofort durch Haarputz und Kleidung von den Knaben. Sie tragen zehn bis fünfzehn dünne Zöpfchen und gewöhnlich kurze und weite Hosen.
Die Gesichtsfarbe der von mir gesehenen Targauten ist gelb bis braun, in jedem Falle aber unangenehm fürs Auge, mit dem schönen Braun einer Nubierin zum Beispiel gar nicht zu vergleichen.
Betritt man einen Aul, so wird man wie üblich zuerst von großen, nicht unschönen Hunden wütend angefallen, nicht aber gebissen; dann öffnet sich eine der Hängetüren der Jurten nach der anderen und heraus treten zuerst die Weiber und Kinder, sodann die Männer, neugierig, aber gutmütig den Fremden anstarrend. Ist man gerade beschäftigt, so läßt man sich nicht im geringsten stören, sondern melkt oder kocht ruhig weiter. Etwas Tabak stellt die Freundschaft her, ein Blick durch das Fernrohr ruft Bewunderung hervor. Man fragt und wird zutraulich, gibt auch auf Verlangen gern ein Glas, ich wollte sagen eine Holzschale voll Milch her. Die Unreinlichkeit ist so groß, daß man gar keinen Begriff mehr vom Gegenteil hat. Die Schale, in welcher die Milch dargereicht werden soll, wird einfach mit den Fingern ausgewischt, und erst wenn man begreiflich macht, daß sie in dem nahen Bächlein gewaschen werden muß, bequemt man sich verwundert dazu. Man findet es ganz natürlich, daß der Fremde alles betrachtet, kennt vor ihm ebensowenig Scham wie vor den Bekannten, gestattet jeden Blick in das Innere der Jurte und läßt sich überhaupt nicht behelligen.
In der Nähe unseres Lagers finden wir viele Menschenschädel, aber nicht solche, welche von den die Knochen Gestorbener benagenden Hunden oder Wölfen übriggelassen worden sind, sondern solche, welche von einem durch die Tunganen verursachten Gemetzel herrühren, denn alle sind durch scharfe Waffen verletzt, meist angehauen worden und für unsere Sammlung unbrauchbar.
Da wir fürchten mußten, daß das Unwohlsein von Finsch sich steigern würde, wenn wir länger in den nahe am Fluß stehenden Jurten verweilen würden, ließen wir einen Wagen kommen, in welchem der Kranke liegen konnte, und setzten am Morgen des 23. unsere Reise fort. Unser Weg führte uns heute durch die Ebene, welche in das Tal des Emil abfällt. Die Steppe bietet nur insofern Interesse, als man überall die Spuren der Zerstörung bemerkt. In den letzten zehn oder zwölf Jahren ist die frühere fruchtbare Ebene durch die Tunganen zu einer Einöde gemacht worden, in welcher man tagelang reiten kann, ohne einem Menschen zu begegnen. Wo es die Örtlichkeit nur irgend gestattet, war aus der Steppe Getreidefeld gemacht worden; man hatte jedes Wässerchen benutzt und für Tausende von Menschen das nötige Getreide angebaut; heutzutage sieht man noch die Ruinen der zerstörten Dörfer und die Spuren der Wasserläufe; die Steppe hat den ihr früher abgerungenen Boden wieder in Besitz genommen und an vielen Stellen bereits jede Spur des menschlichen Fleißes verwischt.
Durchschreitet man eines dieser unzähligen zerstörten Dörfer, so tritt das Gebilde vergangener Tage mit erschreckender Klarheit vors Auge. Zwischen den verödeten Mauern, deren Dächer, wie die am Boden liegende Asche beweist, verbrannt wurden und deren Giebel das Wetter bereits halb zerstört hat, auf dem modernden Schutt, aus welchem viele Giftpilze aufschießen, zwischen chinesischen Porzellanscherben und Stücken gemeinen Tones sowie den Resten verschiedener Einrichtungsgegenstände friedlicher, Ackerbau treibender Menschen liegen deren durch scharfe Waffen zertrümmerte Schädel und Knochen, vermischt mit denen der Haustiere, zumal Hunde, welche das Los ihrer Herren teilten, vielleicht ihre Treue gegen denselben mit ihrem Leben bezahlend. Keine liebende Hand fand sich, die Gefallenen zu beerdigen: Alle, alle waren demselben Schicksal erlegen, und Wolf und Hund zerrissen die Leichname und trugen die Knochen von einer Stelle zur anderen. Von allen Tieren, welche vormals das feste Haus des Menschen bewohnen halfen, sind den Ruinen nur noch deren zwei geblieben: Die Hausschwalbe, welche jetzt in den öden Höhlen der Fenster und Türen unter dem Schutze der noch erhaltenen Lehmwandungen ihr Nest anlegen muß, und der Haussperling, welcher immer noch ein Plätzchen zum Nisten findet. Beide aber sind des Menschen entwöhnt und begrüßen den Eindringling mit ängstlichem Geschrei. Neben ihnen haben sich die Vögel der Ruinen eingenistet: Der Rötelfalk und der Wiedehopf, welche beide überall Nischen finden, um ihr Nest anzulegen.
Wenn man so wie wir heute durch die Steppe reitet und überall zerstörte Dörfer sieht; wenn man die Stadt Tschukutschak gesehen hat, begreift man, daß in Tat und Wahrheit sechzigtausend Menschen durch die Tunganen getötet worden sind. Auch heutzutage noch wütet dieser unselige Krieg fort, mit dem Unterschiede, daß sich die Tunganen jetzt meist begnügen, den Bewohnern der von ihnen überfallenen Dörfer alles wegzunehmen, was für sie irgendwelchen Wert hat. Die wirklich noch in der Provinz lebenden Chinesen wie die Kalmüken stehen beständig auf dem Sprunge, um bei Ankunft der Feinde zu flüchten. So liegen gegenwärtig die Dinge. Je näher die russische Grenze, um so größer die Sicherheit: In China immer und überall Ohnmacht gegen jeden nur einigermaßen rührigen Feind. In Rußland Sicherheit selbst in den entlegensten Teilen der Grenze, Sicherheit selbst in China, falls die Russen dort reisen. {...}
Am 24. Mai. Die Nähe der russischen Grenze wird fühlbar. Die bis jetzt menschenleere und verödete Steppe belebt sich. Aul nach Aul zeigt sich auf allen passenden Stellen. Auch viel Landbau wird getrieben – alles von Kirgisen, nicht von russischen Untertanen des Reiches. Auch die Steppe selbst ist üppig geworden, je mehr wir uns dem Gebirge nähern. Heute bedeckt den Boden meilenweit niederes, gelb blühendes Gestrüpp, dazwischen auch wohl Karagan, und er erscheint daher sehr bunt. Während wir gestern nur die eigentlichen Steppenvögel: Trappen und Zwergtrappen, Jungfernkraniche, Herdenkiebitze und Lerchen, gesehen, bemerkten wir heute wiederum viel Sänger in den Gebüschen, zumal Laub-, Garten- und Rohrsänger sowie Grasmücken.
Nachdem wir im Dunkeln geradezu halsbrechend erscheinende, in Wahrheit sehr harmlose Wege zurückgelegt haben, langen wir zu vorgerückter Abendstunde in dem tief in den Vorbergen gelegenen Kosaken-Piquet Burgusutai an. Der 25. Mai bringt uns seit Petersburg die ersten Zeitungen und vor allem Briefe aus der Heimat. Wir halten daher Rasttag und lesen, ohne uns um das Gebirge und seine Tierwelt zu kümmern. Erst gegen Abend unternahm ich einen kurzen Ausritt, fand ein Steinhuhn und hörte in einem Gefels zum ersten Male die Stimme des Uhus. Das Säugetier von gestern läßt sich wieder vernehmen, alle Bemühungen, seiner habhaft zu werden, bleiben jedoch ohne Erfolg.
Am 26. Mai verließen wir in der Frühe des Morgens unser Lager, und zwar in Gesellschaft auch des Oberarztes des in Saisan stehenden Bataillons, Dr. Pander, welcher von Saisan bis hierher gekommen, um nach Finsch zu sehen, diesen aber glücklicherweise bereits genesen gefunden hätte. Unser Weg führt uns zunächst zwischen den Vorbergen dahin und dann auf eine etwa 1800 Meter über dem Meere gelegene Hochebene hinab, welche von verschieden benannten Gebirgen umschlossen wird. Den eigentlichen Tarabakatai haben wir gar nicht überstiegen, sondern nur eine Einsattelung zwischen ihm und dem Urkaschar und Semistan, das heißt, wir sind über die Vorberge nicht hinausgekommen. {...}
Abgesehen von einem großen Sumpfgebiet ist die von Bergen umschlossene Fläche, kirgisisch Tschilikti genannt, fast vollkommen eben – eine recht dürftige Hochsteppe, auf welcher nur an wenigen Stellen das immer nur auf fruchtbarem Boden gedeihende Tschigras wächst und selbst die wenig begehrenden, graugrünen Steppenpflanzen nur im verkümmerten Zustande vorkommen. Zwischen ihnen sehen wir zum ersten Male seit langer Zeit wiederum das niedrige Büschelgras als fast vorherrschende Pflanze. Mehrere sehr große, fast genau kreisrunde alte Grabhügel, zum Teil mit Grabmälern der Kirgisen gekrönt oder besetzt, erheben sich bis zu 5 oder 6 Meter über die Ebene und unterbrechen einigermaßen die im übrigen herrschende Eintönigkeit.
Nach kurzer Rast erreichen wir die Vorberge des Manrak oder dieses Gebirge selbst und fahren nunmehr auf recht gutem, vom Major Tichanoff hergestelltem Wege nach Saisan hinab. Die Täler, welche wir dabei durcheilen, sind sehr malerisch, zwar nicht hohe, aber ungemein wilde Berge schließen sie von beiden Seiten her ein, viele von allen Seiten freie Felsenkegel stehen in der Mitte der Täler, jähe Abstürze und Schroffen erhöhen den Reiz des Weges.
Das überall anstehende Gestein ist Granit und Porphyr, auf welchen sich Schiefer auflegt; weiter unten gegen die Ebene hin treten auch bunter Ton mit Gips zutage. Wir bewegen uns mehrere Stunden lang in einem wahren Labyrinth von Tälern und Schluchten, bald im Bette ausgetrockneter Flüßchen, bald neben noch rieselnden Bächlein dahinfahrend, genießen mit Lust die köstlichen Blicke, welche sich uns bei jeder Biegung des Tales bieten, und lassen dann und wann das Auge auch über die Berge hinaus bis weit in die Tiefebene, ja selbst bis zum Altai hinüber schweifen. Endlich verlassen wir die Berge und fahren nun auf dem trefflich hergestellten Postwege bis nach Saisan, woselbst wir mit Sonnenuntergang eintreffen und im Hause unseres liebenswürdigen Begleiters gastliche Aufnahme finden.
Nur einen einzigen Tag gönnen wir uns, nicht um ihn der Ruhe, sondern um ihn den nötigen Schreibereien zu widmen und die flüchtig niedergeschriebenen Notizen des Tagebuches auszuarbeiten, dann brechen wir, das heißt der Graf und ich, wiederum auf, um im Manrakgebirge auf Ullare zu jagen. Ein kirgisischer Jäger verspricht uns wenn auch nicht zum Schuß, so doch dahin zu bringen, wo diese zwar nicht seltenen, aber doch noch wenig beobachteten Vögel leben. Erst nach Sonnenuntergang brechen wir auf, weil es nicht möglich ist, früher Pferd und Wagen zu erhalten, und fahren zunächst auf der uns schon bekannten Poststraße dahin, später uns näher zu den Bergen haltend und zuletzt ohne Weg und Pfad durch die Steppe ziehend. In einem Aul machen wir halt. Es ist spät in der Nacht, und sämtliche Kirgisen liegen in süßem Schlummer, als wir ankommen. Ein vielstimmiges Hundegebell empfängt uns. Ein uns vorausgeeilter Kirgise, Beludschi, Lehrer an der russisch-kirgisischen Schule, trifft bereits die nötigen Anstalten zu unserem Unterkommen. Eine Jurte wird für uns mit Beschlag belegt und ausgeräumt. Zuerst erscheinen, unwillig blökend, sich sträubend und wiederholt versuchend, nach dem warmen Lager zurückzukehren, die in der Jurte über Nacht beherbergten kleinen Ziegen und Schafe; sodann räumen die Leute, ohne im geringsten über die Störung entrüstet oder auch nur verdrießlich zu sein, die nötigsten Habseligkeiten zur Bereitung ihres eigenen Lagers aus; dann zündet man Feuer an, setzt den Teekessel auf, und ehe noch eine Viertelstunde vergangen, duftet bereits der würzige Trank uns entgegen, können wir auf den zwar sehr einfachen, aber doch trefflichen Lagerstätten liegen.
Mit Sonnenaufgang verlassen wir den Aul und fahren durch die hier weglose Steppe in ziemlich gerader Richtung, das heißt nur dann und wann einem Wassergraben ausweichend und wie üblich einem vorausreitenden, pfadsuchenden Kirgisen folgend. Am Fuß der Berge lassen wir unsere Wagen in einem anderen Aul mit dem Befehl, unserer zu harren, steigen zu Pferde und reiten nun unter Führung unseres kirgisischen Jägers ins Gebirge. Er ist ein alter Mann, dieser Jäger, mit wettergebräuntem Gesicht und für einen Kirgisen auffallend langem, weißem Barte, aber mit Adleraugen, obwohl er versichert, nicht mehr gut sehen zu können, und deshalb seinen Sohn, sein verjüngtes Ebenbild, herbeiruft, um bei der Jagd behilflich zu sein. Der Sohn, ein Mann in seinen besten Jahren, trägt auf der Schulter eine ungemein lange Luntenflinte mit Gabelgestell, welches das lange Gewehr noch mehr verlängert, und außerdem ein kleines, trefflich gearbeitetes und mit Silberzierat beschlagenes Täschchen am Gürtel zur Aufbewahrung des nötigen Schießbedarfes, der Lunte und des Feuerzeuges, um diese Lunte in Brand setzen zu können. Die ersten Vorberge sind bald überstiegen; nunmehr aber nimmt uns ein Wirrsal von Flüssen auf, wie es ein Gebirge nur zu zeigen vermag. Berg an Berg, neben-, an- und übereinander, Kessel an Kessel, Tal an Tal, ein Tal im Tale, denn selbst das Wasser scheint oft um den rechten Weg verlegen zu sein: Soeben noch ihm entgegenreitend, schreitet das Pferd eine Minute später mit ihm talabwärts, um nach kürzester Frist wiederum in irgendeinem der unzähligen Täler emporzuklimmen. So geht es weiter, von einem Tal zum anderen, von einem Berge zum nächsten. Von den Zinnen der höchsten Berge rufen uns echte Alpendohlen – ob rot oder gelbschnäblige vermochte ich nicht zu ermitteln – ihren Willkommensgruß zu; die Steindrossel und der hier häufige schöne Buschrotschwanz (Ruticilla frontalis) sang mit dem weißköpfigen Steinschmätzer (Saxicola leucometa) um die Wette; ein für uns neuer, dem grauen entfernt verwandter Ammer zeigt sich überall; ein weißbäuchiger Adler schwebt über den höchsten Gipfeln, ein großer Edelfalk teilt mit dem Rötelfalken die Felsenzinnen; Steinhühner bewohnen fast alle einzelnen Berge, laufen dreist vor uns her, ohne aufzufliegen, und geben ihre Verwunderung über den unerwarteten seltenen Besuch auch wohl durch laut gellendes Geschrei zu erkennen.
So ziehen wir weiter, bis der Alte am Fuß eines neuen Berges Halt gebietet, uns auffordernd, jetzt uns zu trennen und der eine auf dieser, der andere auf jener Seite in steil abfallenden Tälern emporzuklimmen. Und nun beginnt ein Reiten, bei welchem die Pferde ihre ganze, geradezu unerhörte Fertigkeit zu klettern bekunden. Die Wege sind allerdings nicht gerade halsbrechender Art, aber doch so, daß man meinen muß, jeden Augenblick Roß und Reiter stürzen zu sehen. Mit ebensoviel Geschick als Ausdauer überwinden die Pferde auch die schwierigsten Stellen, und höher und höher steigen wir empor. Noch immer begleiten uns einige Vögel der Tiefe; auch von den Gehängen der Berge steigen Lerchen singend auf, Pieper zeigen sich, Tauben mit weißer Binde am Schwanze fliegen von einem Felsen zum anderen; ein Steinadler zieht seine Kreise in angemessener Höhe über uns; Steinhühner werden häufig, je weiter wir aufwärts steigen; sie sind so wenig scheu, daß sie sich kaum zum Auffliegen bequemen, wenn wir gegen sie hinreiten, werden von uns auch in Erwartung der selteneren Königsrebhühner nicht behelligt. Unser Weg führt bergauf, bergab, bald auf dem Grate, bald an der begrasten Wand eines Berges dahin: Nach welcher Seite wir auch unsere Blicke wenden, überall sehen wir dasselbe Wirrsal von Bergen und Tälern vor uns.
Nach etwa einstündigem Ritt macht man mich auf das Geschrei des Ullar aufmerksam. Es ist ein eigentümlich wohllautender, pfeifender, mehrsilbiger oder doch mehrtöniger Laut, welcher, aus nächster Nähe kommend, mein Ohr zu treffen scheint. Aber noch müssen wir einen sehr weiten Weg machen, bevor wir den Vögeln so nahe kommen, daß unsere Jagd auf sie beginnen kann. Scheu entflieht das erste, endlich aufgefundene Pärchen, obgleich ich mich ihm auf dem Bauche kriechend zu nähern suche: Das Paar hat aber Junge, und das Fernrohr gestattet mir daher eine längere Beobachtung der Familie. Jetzt wird die Verfolgung zu Fuß fortgesetzt, und nach unendlicher Mühe, triefend von Schweiß, mit jagenden Pulsen, keuchend und nach Atem ringend, gelingt es mir endlich, das Weibchen des Paares durch einen Schrotschuß zu erlegen. Vergeblich aber strebe ich, auch ein Junges zu erbeuten oder gar des Männchens habhaft zu werden, und muß mich endlich entschließen, den Rückweg anzutreten, getrieben vom Hunger und dem noch mehr peinigenden Durst.
In einem Aul nehme ich kurze Rast, bis uns ein abgesandter Bote über den Aufenthalt der Genossen aufklärt und mich nach einem etwa halbstündigen Ritt zu ihnen bringt. Hier verlebe ich den Rest des Tages, die benötigte Ruhe suchend und findend, nehme aber die Gelegenheit wahr, das Leben der Menschen und Haustiere eines kirgisischen Aul zu beobachten.
Am nächsten Morgen, dem 29. Mai, unternehmen wir noch einmal eine Jagd auf die ebenso fesselnden als schwer zu erlangenden Vögel. Alle Mühe bleibt jedoch vergeblich. Ich komme zwar zweimal zu Schuß, verwunde auch eines der Hühner, war jedoch nicht imstande, es aufzufinden. Der Graf scheucht einen Wolf auf, ohne zuerst auf ihn zu schießen, und nur um ihn zu schrecken, jagen wir ihm dann einige unschädliche Kugeln nach.
Der Ullar, welchem ich den Namen Königsrebhuhn gegeben habe, ist ein in jeder Hinsicht fesselnder Vogel, wohl geeignet, ebenso den Jäger wie den Naturforscher zu begeistern. Er lebt auf allen Hochgebirgen Innerasiens, vom Altai an bis zum Himalaja und Kaukasus, gewöhnlich unmittelbar unter der Schneegrenze, mit dem Steinbocke auf einem und demselben Gebiete. Daß er auch im Manrakgebirge, dessen Höhe 1600 Meter kaum übersteigen dürfte, gefunden wird, gehört zu den Ausnahmen, welche jedoch vielleicht nicht so selten sein mögen, als wir glauben. Im Hochgebirge steigt er im Sommer bis zu den höchsten Gipfeln empor und im Winter bis zur Holzgrenze herab; Bedingung für seinen Aufenthalt aber ist, daß sein Wohngebiet nicht bewaldet sei; denn er ist Felsenvogel im wahren Sinne des Wortes. In die Ebene hinab kommt er auch im strengsten Winter nicht. Je wilder die Felsen, je jäher die Abstürze, je unwegsamer für Menschen und Tiere die Felsenwände, um so sicherer wird man ihn finden. Soviel als möglich sucht er stets die höchsten Gipfel auf, fliegt aber von ihnen aus im Laufe des Tages auch in Täler herab, in denen ein Pferd ohne besondere Mühe aufsteigt, und hält sich an Gehängen auf, an denen zwischen grün begrasten und mit Gestrüpp bekleideten Wänden einzelne Felsenkuppen zutage treten. Sämtliche Berge des Manrakgebirges, auf denen ich ihn bemerkte, konnten von einer Seite aus, wenn auch nicht ohne Schwierigkeit, zu Pferde bestiegen werden; sämtliche aber fielen auf der Südseite steil ab oder bestanden hier nur aus wild übereinandergetürmten Felsenmassen mit Geröllhalden dazwischen, unwegsam für jedes Pferd, nur der kletternden Ziege und dem im Bergsteigen geübten Menschen Pfad bietend; auch fand ich, daß immer nur solche Berge zum Standorte gewählt wurden, in deren Nachbarschaft sich ähnliche, von jenen durch sehr tiefe Täler getrennte befinden.
Jedes Pärchen bewohnt einen bestimmten Stand, hier im Manrakgebirge jahraus, jahrein denselben, und duldet auf ihm kein anderes Paar. Fliegt ein Männchen zu, so stürzt sich das den Platz behauptende sofort auf den Eindringling und zwingt denselben unter lautem, fast gellendem Geschrei, das Weite zu suchen, worauf es, wie ich selbst sah, die Stellung eines balzenden Steinhuhns annimmt, das heißt mit hängenden Flügeln, halb aufgerichtetem und etwas gebreitetem Schwanze und niedergesenktem Kopfe eine kurze Strecke weit wegläuft. Gleichwohl kommt es vor, daß sich zwei Pärchen gegenseitig Besuche abstatten; wir fanden mehrmals vier Stück auf dem verhältnismäßig kleinen Raum, welche beim Ansichtigwerden von uns gemeinschaftlich einem und demselben Orte zuflogen, hier aber sich sogleich trennten. Aber freilich hatten die Pärchen jetzt sämtlich Junge, ein Umstand, welcher bekanntlich auch bei den streitsüchtigen Hühnern zum Frieden stimmt. Gegen die Balzzeit hin, welche hier mit den ersten Tagen des März beginnt und bis gegen Ende des Monats währt, sind die Hähne natürlich streitsüchtiger als je, schreien jedoch, nach Versicherung meines Gewährsmannes, des kirgisischen Jägers, dem ich vieles abfragte, auch nicht mehr als jetzt. Dieses Geschrei ist sehr bezeichnend für Ullare und unterscheidet sie von allen verwandten kleineren Arten ihrer Gruppe. Der Ruf läßt sich pfeifend sehr gut nachahmen, weil die einzelnen Töne, mit alleiniger Ausnahme des letzten, klar und bestimmt voneinander geschieden sind. Er klingt etwa wie: »Uriäit«, jeder Selbstlaut nicht allein betont, sondern die drei ersten langgezogen und nur das letzte »Äit« etwas kreischend. Dieser ungeachtet seiner nicht bedeutenden Stärke auf die Entfernung von mindestens zweitausend Schritt Luftlinie hörbare Ruf scheint nur zu gegenseitiger Unterhaltung ausgestoßen zu werden, denn der Lockton wie der Warnungsruf sind von ihm gänzlich verschieden. {...}
Beide sind so eigentümlicher Art, daß es überaus schwerhält, sie in Silben zu fassen.
In ihren Bewegungen ähneln die stolzen Vögel den Steinhühnern mehr als den Rebhühnern, ohne jedoch jenen zu gleichen. Der Lauf ist rasch und behend, auch ebenso gewandt beim Auf- wie beim Absteigen, die Haltung dabei eine etwas gebückte; der Flug besteht aus einigen rasch aufeinanderfolgenden, fast schwirrenden Flügelschlägen, auf welche dann ein längeres Gleiten ohne Flügelschlag zu folgen pflegt, da die Vögel beim Auffliegen fast stets in die Tiefe des Tales hinab und dann erst wieder etwas nach oben fliegen. Wohl nur infolge der verhältnismäßig sehr kurzen Flügel erscheint der fliegende Ullar ungemein gestreckt, während der laufende im Gegenteil stark gedrungen aussieht. Vor dem Auffliegen ersteigt der Vogel, falls er dazu Zeit hat, gern einen erhöhten Punkt, wie er ihn überhaupt zum Setzen und Umherlaufen zu wählen pflegt, beim Fußen an der entgegengesetzten Bergwand dagegen läßt er sich regelmäßig auf einer nicht mit Steinen bedeckten Stelle nieder und springt und hüpft erst dann auf einen größeren Felsblock, um von diesem aus Umschau zu halten. Über Tags besuchen sie verschiedene Plätze innerhalb des von ihnen gewählten Gebietes, gegen Abend dagegen fliegen sie stets zu bestimmten Stellen, um auf ihnen die Nacht zu verbringen.
Die Nahrung besteht größtenteils aus pflanzlichen Stoffen; ob die Ullare, wie anzunehmen, auch Kerbtiere und Gewürm fressen, wußte mein Kirgise mir nicht zu sagen, wohl aber anzugeben, daß sie in strengen Wintern bei tiefem Schnee sich Gänge unter diesem graben, um zu ihren Nährpflanzen zu gelangen.
Der Paarung gehen lange währende und oft wiederholte Kämpfe zwischen den Männchen voraus, bis endlich die Paare bestimmt vereinigt und die etwa übrigbleibenden Männchen endgültig vertrieben sind. Auch während der Balz schreien die Männchen viel, und zwar in genau derselben Weise wie im Frühsommer, wogegen sie im Winter nur die Warnungsrufe beim Auffliegen vernehmen, ihren bezeichnenden Pfiff aber niemals hören lassen.
Die Anzahl der Eier eines Geleges beträgt nach Angabe meines kirgisischen Jägers 6 bis 9 Stück. Diese Eier sind größer als Enteneier, ziemlich rund und auf grünlichem Grunde dunkler, zumal bläulich gefleckt, wobei jedoch zu bemerken, daß die Kirgisen wenig Sinn für Farben haben oder nicht die Fähigkeit besitzen, solche genau anzugeben. Das Nest steht auf den felsigen Abhängen auf einer etwas ebenen Stelle in einer seicht ausgescharrten Vertiefung und wird nur mit wenig Grashalmen ausgelegt. Nur das Weibchen brütet; das Männchen aber hält in der Nähe des Nestes auf einem erhöhten Platz Wache und warnt jenes bei Gefahr, ist während der Brutzeit überhaupt scheuer als je.
Nach etwa vierwöchentlicher Brutzeit entschlüpfen die Jungen und werden nun von beiden Eltern geführt, von der Mutter auch bei der größten Gefahr nicht verlassen. Sie müssen sehr bald fliegen lernen; denn die, welche ich sah, hatten noch nicht die volle Größe von Rebhühnern erlangt, flogen jedoch bereits vorzüglich, ganz nach Art der Alten, stießen auch deren Warnungsruf, nur schwächer und in höherem Tone, aus. Trifft die Eltern ein Unfall oder sind die Jungen nicht imstande, ihnen zu folgen, so verbergen sie sich zwischen dem Gestein, und zwar so vorzüglich, daß es uns nie gelang, eines von ihnen aufzufinden, nachdem wir wenige Minuten nach dem Niederfallen die von ihnen aufgesuchten Stellen aufs genaueste durchstöberten. Geraume Zeit später, das heißt, wenn sie sich überzeugt zu haben glauben, daß die Gefahr vorüber, rennen sie eilfertig in der von ihren Eltern fliehend angegebenen Richtung davon, offenbar geleitet durch den Lockton derselben, und man sieht dann eines nach dem anderen, meist in ziemlich langen Zwischenräumen, über die Felsen huschen. Ende November sind sie ausgewachsen, betragen sich jedoch schon viel früher ganz wie die Alten. Mit diesen bleiben sie auch während des ganzen Winters zusammen; denn die Ketten trennen sich erst kurz vor der Paarungszeit. Wird das Weibchen getötet, so übernimmt das Männchen die Führung auch ganz kleiner Jungen. Die natürlichen Feinde dieser großen Hühner sind alle starken Raubvögel, zumal der Stein- und ein anderer Adler mit weißem Bauche (wohl Aquila bonelli), von welchem sie noch mehr zu leiden haben als von jenem. Nimmt sie der Adler wahr, so sind sie verloren, es sei denn, daß es ihnen gelingt, noch rechtzeitig zwischen und unter Steinen sich zu verbergen. Vor Füchsen und Wölfen sichert sie ihre außerordentliche Wachsamkeit; von Menschen haben sie wenig zu leiden, unter den Kirgisen befassen sich immer nur einzelne mit der Jagd dieser Vögel, da die Leute lieber auf Füchse, Wölfe und Marder jagen als auf ein so schwer zu berückendes Federwild. Das Fleisch ist nach übereinstimmender Aussage aller von mir befragten Russen von ganz ausgezeichnetem Geschmack, schön weiß von Farbe, zart und würzig, mit dem eines Auer- oder Birkhuhns nicht zu vergleichen.
Nachdem wir gegen Mittag im Aul, in welchem wir unsere Wagen zurückgelassen, ein wenig geruht und einen kurzen, feinen Sprühregen, den ersten seit langer Zeit, abgewartet, fahren wir in den Nachmittagsstunden nach Saisan, speisen im Hause des Dr. Pander zu Mittag und verbringen den Abend in einem erst im vorigen Jahre angelegten öffentlichen Garten, in welchem sich die gebildete Welt des Ortes wöchentlich ein oder mehrere Male versammelt und durch Musik und Tanz unterhält. Unser freundlicher Wirt Tichanoff hatte, um den Abend noch besonders zu verherrlichen, nicht allein die Musik der Kosaken, sondern auch einige Sänger aus dieser Truppe kommen lassen, welche uns mehrere Lieder vortrugen und, wie billig, reichen Beifall ernteten, obgleich ihr Gesang eben nur als ungeregelter Chorgesang bezeichnet werden durfte. Die Damen tanzten, wir spielten Whist, und im Garten schlugen die Sprosser mit singenden Kosaken um die Wette: alles hart an der chinesischen Grenze, im neu angelegten Garten einer erst seit wenig Jahren bestehenden Ortschaft.
Der Grenzposten Saisan, russisch Saisanski Post genannt, hart am Fuß der Saisanberge, einer bis zu etwa 150 Meter über die Talsohle aufsteigenden Kette der Vorberge des Saur und an dem diese Kette durchbrechenden, im Saur entspringenden Flüßchen Tschemene gelegen, daher auch bei den Kirgisen den Namen des letzteren führend, wurde im Jahre 1866 als Piquet angelegt und im darauffolgenden Jahre mit einer Sotnie Kosaken und einer Rotte Scharfschützen belegt, welche zunächst in Jurten hausen mußten. Dies geschah, um die neu in Besitz genommenen, früher zu China gehörigen Landstriche gegen räuberische Einfälle der Tunganen zu sichern. Matusoffski nahm die Grenze auf, Bakoff bestimmte den Platz für das Piquet. Die Kisilijaken, chinesische Verbannte, denen die Regierung keinerlei Unterstützung gewährt, welche vielmehr, nachdem man ihnen Haus und Besitztum genommen, ihre Frauen verkauft, ihre Kinder männlichen Geschlechts entmannt, ihre Kinder weiblichen Geschlechts ebenfalls verkauft, einfach an die Grenze geschickt und sich selbst überlassen wurden, versuchten im Jahre 1869, vom Hunger getrieben, das Piquet durch Überrumpelung zu nehmen. Kirgisen unterrichteten den dämlichen Befehlshaber Schurawloff von der drohenden Gefahr; fanden aber keinen Glauben, bis die Kisilijaken vor dem Piquet standen. Bevor die Truppen gesammelt werden konnten, verloren die Russen vierzehn Mann an Toten und Verwundeten; dann aber jagten sie die armen Schelme in die Flucht, und die Entbehrungen, welche die Eindringlinge zu erdulden hatten, vernichteten den Rest, welcher den Kugeln der russischen Soldaten entgangen war. Um sich zu retten, legten die Fliehenden Filzdecken auf den Boden der Sümpfe, in deren Röhricht sie sich flüchten wollten, kamen aber fast sämtlich in den Sümpfen um, auch ohne von den ihnen nachgehenden Kosaken niedergemacht zu werden. Seit dieser Zeit ist der Ort niemals wieder angegriffen worden, und gegenwärtig genügt seine Besatzung, um nicht allein Kisilijaken und Tunganen, sondern auch den Chinesen einen heilsamen Schrecken einzuflößen.
Im Jahre 1868 erbaute man die erste Kaserne, im darauffolgenden Jahre das erste Wohnhaus. 1871 legte Major Tichanoff einen Kanal an, welcher sein Wasser einige hundert Schritte oberhalb der Ortschaft empfängt und in kleinen, beständig fließenden Gräben durch alle Straßen Saisans verteilt. Diese Gräben werden nun allgemach mit Blumen, Weiden und Lorbeerweiden bepflanzt, und ihnen dankt Saisan sein überaus freundliches Ansehen. Nach und nach erheben sich in den breiten, geraden, im rechten Winkel sich kreuzenden Straßen mehr und mehr Wohnhäuser, meist niedrige Gebäude, deren Mauern aus an der Luft getrockneten Lehmsteinen bestehen, mit sehr wenig geneigten Dächern, welche sämtlich vorteilhaft von den Holzhütten anderer Städte Sibiriens abstechen.
Gegenwärtig ist der Ort bereits zu einem stattlichen Flecken geworden und strebt danach, die Rechte einer Stadt zu erlangen. Noch immer besteht die Bevölkerung vorwiegend aus Soldaten; viele von diesen sind jedoch verheiratet, und auch mehrere ihrer Offiziere leben mit Familie hier, so daß man in Saisan mehr gebildete Leute und Familien antrifft als in viel größeren Städten Sibiriens. Die Besatzung besteht aus einem ganzen Bataillon Infanterie, einem Regiment Kosaken und einer Batterie, in Summa aus 1400 Mann; die Anzahl der Häuser beträgt bereits jetzt 160. Außer dem Militär leben etwa 50 bis 60 bürgerliche Familien, meist Handwerker, in dem Orte.
Saisan hat eine kleine Holzkirche, eine kirgisisch-russische Schule, in welcher kirgisische Knaben zusammen mit russischen unterrichtet werden, drei Kasernen, ein Militärhospital, verschiedene größere Speicher für Militärbedürfnisse usw. und ist, wie bereits bemerkt, ungemein freundlich gelegen, freundlich im Innern und wird von einer fast überall den Ackerbau zulassenden Steppe umgeben. Gelingt es, einen der Handelswege nach China, wie man beabsichtigt, über Saisan zu führen, so dürfte der Ort bald Bedeutung, Größe und Wohlstand erlangen.